Franz Kafka „Schlag ans Hoftor“


Der Text „Schlag an’s Hoftor“ von Franz Kafka handelt von einem jungen Mann, der mit seiner Schwester auf dem Nachhauseweg ist. Als sie an einem Hoftor vorbei kommen, schlägt die Schwester offenbar an dieses Tor, woraufhin der Bruder dafür verurteilt wird. Es stellt sich jedoch die Frage, warum die Verurteilung geschieht, da im Text keinerlei Anhaltspunkte für die Gründe gegeben werden.

Auf dem Weg nach Hause in die Stadt kommt der Ich-Erzähler mit seiner Schwester an einem Hoftor vorbei. Die Schwester schlägt offenbar mit der Faust an dieses Hoftor, ganz sicher aber ist sich der Erzähler freilich nicht, ob diese Handlung überhaupt stattgefunden hat. Eine kurze Wegstrecke weiter am Beginn des nahe gelegenen Dorfes wird dem Erzähler die Begebenheit, von der er zuvor keinerlei Notiz genommen zu haben scheint, durch die verängstigten Bewohner in Erinnerung gerufen, mit dem Hinweis, diese Tat werde auf Veranlassung der Hofbesitzer untersucht und geahndet werden. Der Ich-Erzähler, der zunächst nicht glaubt, was man seiner Schwester und ihm mitteilt, sieht sich aber bald in dieser Auffassung getäuscht. Wegen des Herannahens von Reitern, die erst kurz zuvor unter den Augen des Erzählers den bezeichneten Hof aufgesucht und schnell wieder verlassen haben, sieht er sich genötigt, seine Schwester in Sicherheit zu bringen. Er selbst bleibt nach anfänglichem Zögern der Schwester allein im Dorf zurück.
Mit den Reitern treffen ein Richter und dessen Gehilfe ein, die den Ich-Erzähler, der mittlerweile den Eindruck gewonnen hat, als gehe es in der Angelegenheit doch mehr um ihn als um seine Schwester, in einer Bauernstube vernehmen. Der Ort, der dem Erzähler wie ein Gefängnis vorkommt, und eine im Wortlaut wiedergegebene Äußerung des Richters, wonach ihm der Mann, also der Ich-Erzähler, leid tue, lassen im Erzähler das Gefühl aufkommen, der Situation und ihren Akteuren gänzlich ausgeliefert zu sein. Der Schlag ans Hoftor, von dem anfänglich die Geschichte ihren Ausgang nimmt, spielt am Ende für den Erzähler keinerlei Rolle mehr, als er sich die Frage nach seiner persönlichen Zukunft stellt und sich in sein Schicksal des Gefangenseins ergibt.

Die Geschwister scheinen eine recht gute Beziehung zu einander zu haben, weil einerseits der Bruder den Kopf für sie hinhalten will und ihr auch keine böse Absicht unterstellt, andererseits aber auch die Schwester ihn nicht allein lassen will. Als sie dann aber auf sein Drängen hin doch geht um sich doch ein hübsches Kleid anzuziehen, sieht er sich der Übermacht des Richters allein gegenüber. Dieser wirkt ganz eindeutig einschüchternd und beängstigend auf ihn (Z 35). Er sieht keinen Grund für eine Bestrafung, wird aber dennoch grundlos verurteilt ohne sich zu wehren, er kommt sich hilflos vor. Der Richter genießt ein hohes Ansehen und niemand wagt es, ihm zu widersprechen. Auch der stille Gehilfe "Aßmann", steht ihm nicht zur Seite, sondern erscheint unbedeutend neben dem Richter, wenn auch herausragend aus der Gruppe der Reiter (Z 38f.).
Die Dorfbewohner sind zwar freundlich und andeutungsweise mitleidsvoll, aber sie bieten keine wirkliche Hilfe. Sie sind mehr Beobachter, die mit dem eigentlichen Geschehen nichts zu tun haben.

Wie eine Kurzgeschichte hat die vorliegende Textsorte einen unvermittelten Anfang, ein offenes Ende und nur vage Orts- und Zeitangaben. Der Textaufbau ist nüchtern und ohne Absätze oder Ausschmückungen gehalten. Hinzu kommen die für eine Parabel typische Gleichnishaftigkeit des Geschehens, die Tatsache also, dass das Gesagte nicht identisch mit dem Gemeinten ist. Auf das Gemeinte soll lediglich durch die Konkretisierung im Gesagten hingewiesen werden. Die sachlich und nüchtern ausgedrückten Sätze sind oftmals kurz gehalten und ähneln einer parataktischen Reihung. Auch beginnen sie viele Male mit „Ich“. Das Hin und Her zwischen Vergangenheit, Gegenwart und der Nutzung des Konjunktivs ist an einigen Stellen irre führend und dennoch wichtig, wenn es um die Deutung geht.

Doch um auf die zu Beginn gestellte Frage zurückzukommen: Warum wird der Junge wegen solch einer kleinen Sache verurteilt? Um darauf eine Antwort zu bekommen, muss man sich mit der Biografie und Familiensituation des Autors beschäftigen, denn der Text bezieht sich auf Kafkas Vergangenheit. Die Symbolik der einzelnen Personen und Geschehnisse deute ich wie folgt: Der Junge ist Kafka selber. Sein gutes Verhältnis zur jüngsten Schwester wird in dem Text dargestellt. Sie war diejenige, die sich als Einzige gegen den mächtigen Vater gewehrt hat. Sie wusste, wie man sich zu wehren hatte und wie man einigermaßen mit den Situationen umgehen musste. Der Schlag an das Hoftor symbolisiert den "Rückschlag" gegen den eigenen, verhassten Vater. Er war derjenige, der seinen Kindern immer Hindernisse in den Weg stellte ("Hoftor"). Für die Kinder war es niemals leicht mit diesen "Erschwernissen" umzugehen. Selbst die Mutter konnte sich nie gegen ihren Mann wehren. Sie ist nur ein stiller Diener des mächtigen Herrn. Im Text ist sie der zurückhaltende Gehilfe. Dieser Gehilfe ist die einzige Person im Text, die einen Namen erhalten hat: Aßmann. Die Mutter war immer die Person, die ihren Kindern Liebe und Trost spendete, also etwas Einzigartiges. Darum auch der einzige Name, der in dem Text fällt. Der Reiter symbolisiert den mächtigen Vater auf seinem Ross, so unerreichbar hoch, der mit seiner Lanze oben richtet und waltet. Der Richter, der entscheidet, wer schuldig und wer unschuldig ist. Er entscheidet, auch wenn er im Unrecht zu sein scheint, wenn sein Urteil gefällt ist, dann kann niemand mehr etwas daran ändern. Auch wenn der Junge unschuldig war. So wie beim Pawlatsche-Erlebnis. Ein Junge, der nur nach Wasser verlangt, weil er durstig ist und zur Strafe ausgesperrt wird. Das Dorf scheint der Freundeskreis Kafkas gewesen zu sein. Diejenigen, die am Anfang zu ihm gehalten haben, aber dann, wenn es darauf ankam, sich zurückzogen und schwiegen. Der Junge, der in dem Text sich so mutig vor seine Schwester stellt, um sie zu schützen, und der für sie Verantwortung übernimmt, so ein Junge war Kafka nicht. Er hat es sich zwar so sehr gewünscht, so stark zu sein, um seinem Vater gegenübertreten zu können und ihm seine Stärke zu demonstrieren, der er gerne gehabt hätte, aber dazu kam es nie. Die Schwester blieb immer ein großes Vorbild für ihn. Das Heim empfand er als Gefängnis, so wie der Junge die Bauernstube: dunkel, einsam, eng. Die Hoffnungslosigkeit am Ende des Textes weist darauf hin, dass selbst Kafka nicht wusste, wie es mit dem Jungen enden soll, der so tapfer gegen den Richter antritt. Er bleibt ewig ein Gefangener, der sich doch nur ein Stückchen der großen Freiheit wünschte.

Zum Schluss bleibt eigentlich nur eine Frage offen, nämlich ob das Dasein wirklich so sinnlos scheint wie Kafka es in seinem Text rüberbringt. Zwar ist er auf sein eigenes Leben bezogen, aber dennoch veranlasst es den Leser zum Nach- und Mitdenken, was das Lesen oftmals zu einer spannenden Angelegenheit macht.