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Jahresarbeit

 

Über den Schriftsteller

 

Alfred Andersch

 

 

Von Nico Walden

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Ich meine: jede Würdigung seines literarischen Werkes, die Alfred

Andersch als einen Meister deutscher Prosa entpolitisiert, wäre ein Hohn.

 

Max Frisch am 9. März 1979

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

 

Seite

 

Zeittafel 4

 

Sozialisation 7

Nationalsozialismus und Krieg 8

Der Journalist 10

Die Arbeit als Autor 13

 

Zusammenfassungen:

Sansibar oder der letzte Grund 15

Die Rote 16

 

Quellenverzeichnis 17

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zeittafel 1914 - 1980

 

 

1914 Am 4. Februar wird Alfred Hellmuth Andersch im Nymphenburger

Krankenhaus in München geboren.

1920 Besuch der Volksschule in München-Neuhausen.

1924 Wechsel auf Wittelbacher Gymnasium. Direktor Gebehard Himmler,

Vater von Heinrich Himmler. Andersch wird auf Grund schlechter

Leistungen vom Gymnasium verwiesen.

1928 Kaufmännische Lehre im WEGA-Velag München vom 1. September

1928 bis zum 31. August 1931. Andersch beschäftigt sich mit

sozialkritischer Literatur und liest die sozialistischen Klassiker.

1929 Vater stirbt am 20. November an den Folgen einer Kriegsverletzung.

1930 Eintritt in die Gewerkschaft und Ausschluß wegen Linksopposition.

Mitgliedschaft beim Kommunistischen Jugend Verband (KJV).

1932 Von Januar 1932 bis Herbst 1933 arbeitslos. Organisationsleiter des

KJV Südbayern.

1933 Verhaftung und Beschlagnahmung seiner Bücher am 8. März. Am 22.

März folgt die Einlieferung in das KZ Dachau. Freilassung Ende April.

Am 9. September erneute Verhaftung mit sofortiger Freilassung.

Im Herbst Antritt einer Stelle bei J.F. Lehmannīs Verlagsbuchhandlung.

1934 Erste Italienreise und erste literarische Arbeiten. Bekanntschaft mit

Angelika Albert.

1935 Zweite Italienreise mit Angelika. Heirat mit Angelika am 15. Mai im

Standesamt München III.

1937 Umzug der Familie nach Hamburg und Arbeit in der Werbeabteilung

der Leonar-Werke.

1938 Geburt der Tochter Susanne.

1939 Bekanntschaft mit der Malerin Gisela Groneuer.

1940 Als Bausoldat in die Armee eingezogen, später als Besatzungssoldat

nach Frankreich versetzt. Geburt des gemeinsamen Sohnes Gisela

Groneuers und Alfred Anderschs, Michael.

1941 Entlassung aus der Armee wegen seines KZ-Aufenthaltes. Arbeit bei

Mouson & Co. in Frankfurt am Main als Büroangestellter.

1943 Scheidung von Angelika Albert. Ausbildung bei den Infanterie-

Pionieren in Siegen. Der Suhrkamp Verlag lehnt drei Texte Alfred

Anderschs ab.

1944 Als Obergrenadier nach Dänemark, dann nach Oberitalien. Am 6. Juni

Desertion zu den Amerikanern. Mit dem Schiff in die USA, wo er als

Kriegsgefangener in Louisiana unterkommt.

1945 Verlegung nach Rhode Island, wo er beim US-"Ruf" vom 15. April bis

zum 15. August mitarbeitet. Später wird er nach Darmstadt gebracht und

dort entlassen. Geburt von Martin, dem zweiten gemeinsamen Sohn von

Gisela Groneuer und Alfred Andersch.

1946 Assistent von Erich Kästner bei der "Neuen Zeitung" in München. Am

15. August Gründung des "Ruf" in München.

1947 Herausgeber des "Ruf" (mit Hans Werner Richter). Nach 16 Ausgaben

wird Andersch von der amerikanischen Militärregierung in Bayern

entlassen (Grund: politische Divergenzen). Ab August Mitarbeiter bei

der Zeitschrift "Frankfurter Hefte" und Umzug nach Frankfurt.

Teilnahme an den ersten Tagungen der "Gruppe 47".

1948 Gründer des "Abendstudios" im Sender Frankfurt, eine der ersten

Projekte in der Art des "3. Programms".

1950 Heirat von Gisela Groneuer und Alfred Andersch. Geburt der

gemeinsamen Tochter Annette.

1951-

  1. Leiter der gemeinsamen Feature-Redaktion der Sender Hamburg und

Frankfurt. Herausgeber der Buchreihe "studio frankfurt", in der u. a.

Werke von Ingborg Bachmann und Heinrich Böll erscheinen.

1954 "Die Kirschen der Freiheit" erscheint nach Ablehnung durch Rowohlt in

Eugen Kogons Frankfurter Verlagsanstalt.

1955 Beginn der Niederschrift des Romans "Sansibar oder der letzte Grund"

1955-

1957 Herausgeber der literarischen Zeitschrift "Texte und Zeichen", von der

sechzehn Hefte erschienen.

1955-

1958 Gründer und Leiter der Redaktion "radio-essay" des Senders Stuttgart

(sein Assistent: Hans Magnus Enzensberger).

1956 "Sansibar oder der letzte Grund" erscheint. Beginn der Niederschrift des

Romans "Die Rote"

1957 Aufgabe aller öffentlicher Ämter. Übersiedlung in die Schweiz

(Berzona). Nachbarn: Max Frisch, Golo Mann. Deutscher Kritikerpreis

für " Sansibar oder der letzte Grund"

1960 "Die Rote" erscheint

1962 "Die Rote" wird von Erich Kästner verfilmt. 10 Monate Aufenthalt in

Rom.

1963 Beginn der Niederschrift zu "Efraim"

1964 Drei Monate Aufenthalt in West-Berlin

1965 Leitung einer Film-Expedition des Deutschen Fernsehens in die Arktis.

Die erste Hörspielsammlung erscheint unter dem Titel "Fahrerflucht".

Die erste Essaysammlung erscheint unter dem Titel "Die Blindheit des

Kunstwerks"

1966 Schwere Erkrankung

1967 "Efraim" erscheint nach Ablehnung durch den S. Fischer Verlag bei

Diogenes. Nelly-Sachs-Preis für das Gesamtwerk.

1970 Auf Einladung des Goethe-Institutes Vortragsreise durch Nordamerika.

1971 Beginn an der Arbeit zu dem Roman "Winterspelt".

 

1972 Reise nach Mexiko. "Die Rote" erscheint in neuer Fassung. Verleihung

der Schweizer Staatsbürgerschaft.

1974 "Winterspelt" erscheint. Schwere Erkrankung (Gürtelrose).

1975 Reisen nach Spanien, Portugal und die Sowjet-Union. Literaturpreis der

Bayrischen Akademie der Schönen Künste.

1976 Das Gedicht "artikel 3 (3)" über die Berufsverbote löst eine bundesweite

Diskussion aus. Tod der Mutter.

1977 Seine Gesammelten Gedichte und Nachdichtungen erscheinen unter

dem Titel "empört euch der himmel ist blau". Leicht veränderte

Taschenbuchfassung von "Winterspelt" erscheint. Schwere Erkrankung

(chronische Niereninsuffizienz), Dialyse-Behandlung.

1978 "Winterspelt" wird von Eberhard Fechner verfilmt. Am 13. August

Nierentransplantation.

1979 Zum 65. Geburtstag von Andersch erscheint eine Studienausgabe seiner

Werke in 15 Bänden. Beginn der Niederschrift zu "Der Vater eines

Mörders". Andauer der Krankheit. Übergabe des Nachlasses an das

Deutsche Literaturarchiv in Marbach.

1980 Alfred Andersch stirbt in der Nacht vom 20. auf den 21. Februar an

Nierenversagen. Im Herbst erscheint die Arno Schmidt gewidmete, kurz

vor seinem Tod fertiggestellte Erzählung "Der Vater eines Mörders".

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zusammengestellt aus: Stephan Reinhardt: Alfred Andersch Eine Biographie. Zürich 1990 und Bernhard Jendricke: Alfred Andersch. Hamburg 1994

Sozialisation

1914 - 1932

 

Alfred Hellmuth Andersch wurde am 4. Februar 1914 im Nymphenburger Krankenhaus in München geboren. Er lebte zusammen mit seinen Eltern, Hedwig und Alfred Andersch senior, und seinem älteren Bruder, Rudolf, im Münchner Stadtteil Neuhausen. 1921 kam der dritte Sohn, Otto Martin, zur Welt.

Alfred Andersch junior hatte zu seiner Mutter bis zu ihrem Tod im Alter von 92 Jahren immer eine herzliche Beziehung. Anders als zu seinem Vater, zu dem er ein zwiespältiges Verhältnis hatte. Er kam aus dem ersten Weltkrieg als geschlagener Mann zurück. Er machte "die Niederlage Deutschlands zu seiner eigenen" * und wurde dadurch in seinem nationalen Denken noch mehr bestärkt.

Beruflich konnte Alfred Andersch senior nie wieder richtig Fuß fassen. Weder als Antiquariatsbuchhändler wie vor dem Krieg, noch als Immobilienhändler oder Versicherungsvertreter. So setzte er sich mehr für die "nationalen Belange" ein und versuchte sein berufliches Scheitern mit nationalsozialistischen Ideologien zu rechtfertigen. Er trat als einer der ersten in die 1920 ausgerufene NSDAP ein. Alfred Andersch junior konnte sich, im Gegensatz zu seinem Bruder Rudolf, nie für das Nationale oder für die deutsche Militärgeschichte begeistern. Er interessierte sich schon früh für die sogenannte schöngeistige Literatur, von der in der großen Bibliothek des Vaters neben der deutschen Militärgeschichte reichlich vorhanden war.

Alfred Andersch senior hatte mit großem finanziellen Aufwand dafür gesorgt, daß seine beiden älteren Söhne das in München hoch angesehene Wittelsbacher Gymnasium besuchen konnten. Doch beide konnten die Erwartungen nicht erfüllen. Zwar erkannten die Lehrer die Intelligenz des frühreif wirkenden Alfred junior, doch konnten sie ihn nicht für die Schule begeistern. So mußte er das Gymnasium auf Grund unzureichender Noten, die aus seinem Desinteresse hervorgingen, am 29. April 1928 verlassen. Sein Bruder Rudolf hatte die Schule schon ein Jahr zuvor verlassen müssen.

Kurze Zeit später fing er, wie sein Bruder, eine Lehre als Buchhändler an. Sein Vater hatte ihm die Stelle beim Münchner Wega-Verlag besorgt. Er studierte dort u. a. die Bücher von Berthold Brecht, Marx, Engels und Lenin. Ein Jahr darauf, 1929, starb sein Vater an den Spätfolgen einer Kriegsverletzung. Wenige Monate später trat der damals sechzehn Jahre Alte Alfred Andersch in den Kommunistischen Jugendverband ein. Er hatte seine Schlüsse daraus gezogen, was der Nationalsozialismus aus seinem Vater gemacht hatte. Der letzte Anstoß, der Andersch zum Eintritt in den KJV bewegte, war wohl die drohende Arbeits-losigkeit, die nach dem Abschluß seiner Lehre auf ihn zukam. Nachdem die Arbeitslosigkeit tatsächlich eintrat, wand er sich intensiver dem KJV zu und wurde 1932 Organisationsleiter im Bereich Süd Bayern.

 

*aus: Alfred Andersch, Die Kirschen der Freiheit. Zürich 1968, S. 18

Nationalsozialismus und Krieg

1933 - 1945

 

Als die Nazis 1933 an die Macht kamen, war Andersch durch seine Arbeit für die Kommunisten in einer gefährlichen Lage. So wurde er am 8. März verhaftet und seine gesamten Bücher beschlagnahmt. Er wird in das Konzentrationslager in Dachau eingeliefert. Da ein NS-Funktionär und ehemaliger Freund der Familie sich für Andersch verbürgt, kommt er im Mai wieder frei. Zu diesem Zeitpunkt blieb das Gefühl der Zugehörigkeit zur Kommunistischen Bewegung ungebrochen. Er arbeitete weiter für die Partei. Zwar nur als Bote, doch er unter- stützte den Widerstand und akzeptierte die Gefahr, die er dafür in Kauf nahm. Der Preis war, daß er bei einer Razzia der Gestapo in einer kommunistischen Druckerei entdeckt wurde. Am 9. September wurde er zum zweiten mal verhaftet. In der Zelle, in der Andersch darauf wartete, zum Verhör geholt zu werden, befanden sich Personen, die aus dem Lager Dachau kamen. Was diese über die Praktiken, die jetzt dort durchgeführt wurden zu berichten hatten, raubte Andersch den letzten Funken seiner Selbstsicherheit. Zwar kam er an diesem Tag wie durch ein Wunder als einziger wieder frei, doch hatte er eine Entscheidung gefällt. "Als ich das Gebäude der Polizeidirektion verließ... wußte ich, daß ich meine Tätigkeit für die Kommunistische Partei beendet hatte."* Andersch entwickelte eine Todesangst davor, wieder ins KZ zu kommen. Himmlers Gestapo hatte bei Andersch, wie bei den meisten anderen, die ihm gleichgesinnt waren, mit ihrer Verfolgung von Oppositionellen ganze Arbeit geleistet.

In den kommenden Jahren brach Andersch den Kontakt zu seinen ehemaligen Genossen ab. Er mußte damit rechnen, von der Gestapo überwacht zu werden. Er versuchte das Scheitern seiner Partei und seiner politischen Hoffnung zu ver- drängen. "Ich antwortete auf den totalen Staat mit der totalen Introversion."**

Er bekam eine Stelle bei J.F. Lehmann`s Verlagsbuchhandlung und lenkte sich mit allerlei europäischer Literaturgeschichte ab. 1937 nahm er einen Job in Hamburg bei der Werbeabteilung der Leonar-Werke an. Zwar erfüllte ihn die Arbeit dort nicht, doch er konnte für den Lebensunterhalt seiner Familie, er hatte 1935 kurz vor den Rassengesetzen eine Halbjüdin geheiratet, sorgen. Zu dieser Zeit lief sein eigentliches Leben nach der Arbeit ab. Er zog sich täglich zurück, um in Ruhe schreiben zu können.

1940 wurde Andersch, der wegen seiner schwachen Augen bei Kriegsanfang vorläufig ausgemustert wurde, erst als Bausoldat und später als Besatzungs- soldat in Frankreich eingesetzt. Nachdem er dort zufällig ein Mitteilungsblatt der Wehrmachtsführung in die Hände bekam, welches besagte, daß ehemalige KZ-Insassen sofort auszumustern seinen, konnte er seine Entlassung durch-setzen. Bis zu seiner erneuten Einberufung Ende 1943 arbeitete Andersch wieder als Büroangestellter bei der Kosmetikfirma J. G. Mouson & Co. Er faßte schon früh den Entschluß, den er am 6. Juni 1944 wahr machte. Die Desertion.

In Italien, ca. 60 km nördlich von Rom, überquerte Andersch die Frontlinie und wurde von den Amerikanern gefangen genommen.

 

 

Andersch als Soldat, 1942

 

 

Dieser Schritt war gleichbedeutend mit dem Ausbruch aus seiner Introvertiert-heit. Es war ein Aufstand gegen den eigenen Staat. Andersch konnte nicht akzeptieren, die faschistische Vernichtungsmaschinerie zu unterstützen. Andersch fand in der Gefangenschaft etwas wieder, was er in den letzten Jahren verloren hatte. Nämlich den Gedankenaustausch mit Gleichgesinnten. Die Amerikaner legten großen Wert darauf, daß die Antifaschisten vom Rest der Gefangenen getrennt untergebracht wurden. Ihnen sollte das Prinzip der Demokratie nahegelegt werden. Außerdem hatte Andersch jetzt wieder die Möglichkeit, Literatur zu genießen, die von den Nationalsozialisten in Deutschland verboten wurde. Neben Antifaschistischen Autoren laß Andersch viele aktuelle amerikanische Werke u. a. von Ernest Hemingway. Am 1. März 1945 brachte er das erste Exemplar des "Ruf" heraus. Es handelte sich dabei um eine Zeitschrift, die von Antifaschistischen Gefangenen für die anderen Gefangenen in Amerika gemacht wurde, und unter anderem zur Demokrati-sierung der Inhaftierten dienen sollte. Ab Mitte April arbeitete auch Alfred Andersch bei der Redaktion der Zeitung mit. Er schrieb einige Artikel über die amerikanische Gegenwartsliteratur. Andersch legte sein Amt Mitte September 1945 nieder, kurz bevor er wieder entlassen wurde. Nachdem er 500 Tage in Gefangenschaft lebte, wird er über Bosten, Le Havre nach Darmstadt transportiert.

 

 

*aus: Alfred Andersch, Die Kirschen der Freiheit. Zürich 1968, S. 43-44

**aus: Alfred Andersch, Die Kirschen der Freiheit. Zürich 1968, S. 46

Der Journalist

1945 - 1957

 

Die Rückkehr nach Deutschland war für Andersch mit widersprüchlichen Gefühlen versehen. In der Haft in Amerika führte er ein abgeschirmtes und vergleichsweise sicheres Leben. Im zerstörten Deutschland mußte er sich ein neues Leben aufbauen. Doch durch die Bestätigung seiner journalistischen Fähigkeiten war Andersch mit viel Selbstvertrauen ausgestattet. Er fand schnell Arbeit bei der Neuen Zeitung in München. Der Chef der Zeitung, Hans Habe, teilte Andersch in den Redaktionsstab des Feuilleton ein, dessen Aufsicht Erich Kästner führte. Nach anfänglicher Euphorie merkte Andersch allerdings schnell, daß die Ziele der Zeitung und seine eigenen nicht identisch waren. Da die Neue Zeitung als offizielles Organ der US-Militärregierung fungierte, war man zur Loyalität gegenüber dieser Organisation verpflichtet. Alfred Andersch stand der Arbeit der Amerikaner eher kritisch gegenüber. So hielt er die Durchführung der Politik der drei großen Dīs (Demokratisierung, Denazifizierung und Dezentra-lisierung) für unzureichend. Auch mit dem Begriff der Kollektivschuld wollte sich Andersch nicht abfinden. Seiner Meinung nach sollte dies nur davon ab-lenken, daß der Aufstieg der NSDAP durch die Wirtschaft und große Unter-nehmen unterstützt wurde.

Für Andersch war die Neue Zeitung bald nur noch eine Übergangslösung. Zwar entwickelte sich Andersch durch seine Arbeit unter Kästner journalistisch weiter, doch ware die Meinung der Beiden grundsätzlich verschieden. Andersch wollte seine eigene Zeitung machen. Sie sollte den Titel "Verlorene Generation. Kritische Blätter für junge Menschen" tragen und völlig anders als die von Kästner sein. Doch das Projekt kam nie zustande. Statt dessen traf Andersch im Frühjahr 1946 die beiden ehemaligen Redaktionskollegen, Curt Vinz und Walter Kolbenhoff, vom "US-Ruf". Sie beschlossen, einen neuen Ruf in München herauszubringen. Als Herausgeber taten sich Alfred Andersch und Hans Werner Richter, der auch schon für den US-Ruf arbeitete, zusammen. Der Rest der Redaktion war schnell gefunden. Am 15. August erscheint die erste Ausgabe des Münchner Rufs. Anders als alle bisherigen Nachkriegszeitungen waren alle Mitarbeiter aus dem gleichen Lager. Neben den Redakteuren verstanden sich auch die ständigen Mitarbeiter als Sozialisten ohne Bindung an Parteipro-gramme. Wonach die Zeitschrift suchte, war die Synthese von Freiheit, Demo-kratie und Sozialismus. Mit der Zielsetzung, sich von jeglicher politischen, ideologischen und moralischen Bevormundung loszusagen, wollte man der Generation der heimkehrenden jungen Soldaten, die sich betrogen fühlten und genug von Staat und Parteien hatten, ein Sprachrohr sein. Die aggressive Schreibweise, die den Ruf kennzeichnete, führte häufig zu Ermahnungen durch regierungsamtliche Stellen. Dies sorgte allerdings auch dafür, daß der Ruf schnell als wirklich unabhängige Zeitschrift in der Öffentlichkeit an Ansehen gewann. Der Ruf hatte bald mehr als 100 000 Abonnenten in den vier Besatzungszonen.

Nachdem die Redaktion nach mehreren Ermahnungen ihren kritisch aggressiven Stil gegen die Besatzungspolitik weiter beibehielt, sorgte die amerikanische Aufsichtsbehörde dafür, daß die beiden Herausgeber, Andersch und Richter, nach der 16. Ausgabe des Ruf ausgeschaltet wurden. Der offizielle Kündigungs-grund lautete, sie hätten im Ruf nationalistischen Tendenzen Vorschub geleistet und nihilistische Parolen verbreitet. Als neuen Herausgeber fand der Nymphen-burger Verlag Walter von Cube, der die Zeitschrift auf antikommunistischen Kurs steuerte. Mit Andersch und Richter verließ nach und nach fast die gesamte Redaktion den Ruf.

Doch Andersch und Richter waren nicht bereit aufzugeben. Sie wollten eine neue Zeitung gründen, die den Titel "Der Skorpion" tragen sollte. Im August 1947 lud Richter Freunde und ehemalige Mitarbeiter des Ruf ein, die weiter zu ihm und Andersch hielten, um an der ersten Probenummer zu arbeiten. Andersch war bei dieser ersten Tagung nicht anwesend. Obwohl schnell klar war, daß "Der Skorpion" nie zustande kommen würde, trafen sich die Teilnehmer weiter, um über Literatur zu diskutieren und eigene Werke zu verlesen. Daraus entwickelte sich die wichtigste nachkriegsdeutsche Schriftstellervereinigung, die später als "Gruppe 47" betitelt wurde. Andersch nahm nur selten an diesen Tagungen teil, da er u. a. die Programmlosigkeit, die bis zur Theoriefeindlichkeit ging, nicht akzeptieren wollte.

In den kommenden zehn Jahren machte sich Andersch durch seine fortschritt-liche Arbeit im Rundfunk und seiner Förderung literarisch begabter, doch bisher unbekannter Schriftsteller verdient. Im August 1947 zog er nach Frankfurt, um dort für die Zeitschrift "Frankfurter Hefte" zu schreiben. Einer der Herausgeber, Eugen Kogen, empfahl Andersch dem Rundfunksender "Radio Frankfurt" (später Hessischer Rundfunk). Andersch sollte daraufhin ein kulturell an-spruchsvolles Nachtprogramm, das "Abendstudio", schaffen. Dies wurde der Vorreiter für die heutigen 3. Programme. Ab 1. August 1948 zog Andersch in sein Büro im Sendehaus ein und ging am 19. Oktober mit einer Arbeit über Ernest Hemingway auf Sendung. Nachdem dieses Projekt sehr erfolgreich lief, machte sich Andersch einen Namen im Rundfunkbereich. Er bekam vom Nordwestdeutschen Rundfunk das Angebot, eine gemeinsame Feature-Redaktion des Hamburger und Frankfurter Senders zu übernehmen. 1952 zog Andersch mit seiner zweiten Frau, Gisela Groneuer, und seinen Kindern nach Hamburg, um für zwei Jahre dort zu arbeiten. Ab 1955 wechselte er zum Süd-deutschen Rundfunk nach Stuttgart, wo er Gründer und Leiter der Abteilung "radio-essay" wurde. Aus dem Projekt "Frankfurter Hefte" entstand der Ableger "studio frankfurt" der von Andersch geleitet wurde. Er setzte hier einen Gegen-pol zu der überkommenen spießbürgerlichen Kultur- und Literaturansicht. Es wurden Werke veröffentlicht, die auf dem literarischen Markt keine Chancen gehabt hätten. Unter den bis dahin so gut wie unbekannten Autoren waren u. a. Heinrich Böll, Wolfgang Hildesheimer, Arno Schmidt, Hans Werner Henze und Ingeborg Bachmann mit ihrem ersten Gedichtband "Die gestundete Zeit". Im Programm von "radio-essay" setzte Andersch diese Linie fort.

Sein nächstes Projekt war die Zeitschrift "Texte und Zeichen". In dieser Zeitschrift erschienen in einer bis dato nie dagewesenen Breite deutsche Erstveröffentlichungen ausländischer Autoren. Außerdem fanden viele, teilweise noch nie vorher in Erscheinung getretene Nachkriegsautoren hier ein Forum. Darunter waren u. a. Günter Grass und Hans Magnus Enzensberger. Zum

Jahresende 1957 legt Andersch alle öffentlichen Ämter nieder.

 

 

 

Andersch bei der Arbeit Die erste Ausgabe von

für den Ruf Texte und Zeichen

 

 

Andersch mit Ingeborg Bachmann

bei einem Treffen der "Gruppe 47"

 

Die Arbeit als Autor

1955 - 1980

 

In den Jahren 1955 bis 1957 arbeitete Alfred Andersch an vielen verschiedenen Projekten, die ihn viel Zeit und Einsatz kosteten. In einem Brief an Arno Schmidt schrieb Andersch am 15. Juli 1957: "Unter uns darf ich Ihnen freilich sagen, daß ich der Sache unendlich müde bin, zurzeit auch völlig überarbeitet und aller Kurzschlußhandlungen fähig."* Er mußte einen Schlußstrich ziehen, bevor ihn die Arbeit kaputt machte. Nachdem 1956 sein erster Roman "Sansibar oder der letzte Grund", mit dessen Niederschrift er 1955 begonnen hatte, erschien und sich herausgestellt hatte, daß er und seine Familie von dem Erlös seines freien Schriftstellerdaseins leben konnten, siedelte er mit seiner Familie in die Schweiz um. Sie bezogen dort ein Haus im Achtzig-Seelen-Dorf Berzona. Ihre Nachbarn wurden Max Frisch und Golo Mann.

 

 

Andersch beim signieren

von Winterspelt, 1974

 

 

In Deutschland reagierte man mit Hohn auf die Übersiedlung Anderschs, der sich mit seiner eigenwilligen oppositionellen Haltung immer wieder Feinde gemacht hatte. Es fielen Worte wie Flucht oder strategischer Rückzug. Doch Andersch änderte nicht seine Haltung, sondern nur die Art, wie er sie verkündete. "Auf jeden Fall werde ich Deutschland nicht kampflos räumen."** Andersch sah nicht mehr genügend Wirkung in der journalistischen Arbeit, die sich nur auf die Tagespolitik bezog. Seine Hoffnung lag jetzt in der langfristigen Entwicklung des Kunstwerks, das vom aktuellen Tagesgeschehen unabhängig ist. Er versuchte jetzt zeitlose Werke zu schaffen, was ihm mit "Sansibar oder der letzte Grund" hervorragend gelang.

 

Mit seinem zweiten Buch "Die Rote" (1960) hatte Andersch bei den Kritikern weniger Erfolg. Er begründete das damit, daß dieses Werk nicht wie "Sansibar oder der letzte Grund" die politische "Rechte" in der Vergangenheit, sondern die aktuelle angriff. Sein dritter Roman "Efraim" bescherte Alfred Andersch den größten Erfolg. Nach der Veröffentlichung von "Efraim" 1967 wurde dem Autoren auf Vorschlag von Nelly Sachs der nach ihr benannte Nelly Sachs Preis für sein Lebenswerk verliehen. 1974 erscheint mit "Winterspelt" der umfang-reichste Roman Anderschs, der die Situation des Dorfes Winterspelt bei Kriegsende widerspiegelt.

Kurz nach Erscheinen des Romans erkrankte Andersch an Gürtelrose. Er kommt zwar wieder auf die Beine, erkrankt aber 1977 erneut schwer, diesmal an chro-nischer Nierensuffizienz. Ein Jahr darauf muß er sich einer Nierentransplanta-tion unterziehen. In der Nacht vom 20. auf den 21. Februar 1980 stirbt Alfred Andersch an Nierenversagen.

Im Herbst erscheint die vor seinem Tod fertiggestellte Geschichte "Der Vater eines Mörders", die sich mit seiner Schulzeit am Wittelsbacher Gymnasium, dessen Direktor der Vater des Nazi-Himmlers war, befaßt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

*aus: Arno Schmidt: Briefwechsel mit Alfred Andersch, Zürich 1985, S. 124

**aus: Arno Schmidt: Briefwechsel mit Alfred Andersch, Zürich 1985, S. 15

Sansibar oder der letzte Grund

 

 

Die Geschichte beginnt an einem Herbsttag 1937. Gregor, Kurier des Zentralkomitees der verbotenen Kommunist-ischen Partei kommt in das Hafenstädtchen Rerik in Mecklenburg. Sein Auftrag lautet, dem Fischer Knudsen, der als einziger im Ort noch der Partei angehört, neue Richtlinien des Zentralkomitees, das Fünfergruppen-system, zu überbringen. Ihre geheime Zusammenkunft findet in der Kirche von Rerik statt. Deren Pfarrer, He-lander, versucht den Fischer Knudsen zu überreden, eine Holzplastik (der lesende Klosterschüler von Ernst Barlach, Foto), die die Nationalsozialisten beschlagnahmen wollten, weil sie "entartete Kunst" sei, mit dem Schiff nach Schweden zu bringen. Gleichzeitig versucht Judith, ein jüdisches Mädchen, von Rerik aus ins Ausland zu fliehen. Als fünfte Person kommt nun noch der vaterlose Schiffsjunge von Knudsen hinzu, der, von Fernweh und Abenteuerlust getrieben, nach einer Möglichkeit sucht, aus dem langweiligen Dorf Rerik zu entkommen. Die Handlungsfäden kreuzen sich, bis sie schließlich in eine einzige gemeinsame Aktion münden. Gregor bringt Knudsen dazu, das jüdische Mädchen Judith und den Klosterschüler mit dem Schiff nach Schweden zu fahren. Er selbst bleibt, obwohl er die Möglichkeit hat, nach Schweden zu flüchten, allein zurück. Der Pfarrer, der mit seiner Kriegsverletzung schwer zu kämpfen hat und sich in seinem Glauben an Gott seit dem Sieg der "Anderen" nicht mehr sicher ist, opfert sich und wird von den Nazis erschossen.

Andersch läßt in seinem Roman fünf voneinander verschiedene Charaktere aufeinandertreffen. Er stellt dar, wie sie alle durch den Nationalsozialismus in ihrer Persönlichkeit mehr oder weniger eingeschränkt sind. Er zeigt die Kontrolle und das Denunziantentum auf. Die fünf Personen, so verschieden ihre Ansichten und Probleme auch sind, können die Situation nur zusammen meistern. Und sie schaffen es. Hier kann man eine Parallele zur Geschichte finden. Die Nationalsozialisten konnten ihre Machtansprüche verwirklichen, während die SPD und KPD gegeneinander arbeiteten. Sie haben es versäumt, zusammen gegen denn aufbäumenden Nationalsozialismus vorzugehen.

 

 

 

 

 

 

 

Die Rote

 

 

Die Hauptfigur des Romans, die einunddreißigjährige Sekretärin Franziska Lukas, flieht aus ihrem bisherigen Leben, in dem sie zwischen zwei Männern steht, nach Venedig.

Bei den beiden Männern handelt es sich um ihren Mann Herbert, den sie nur geheiratet hat, weil der andere, ihr Chef und Liebhaber Joachim sie nicht heiraten wollte. Franziska wird in dieser Dreiecksbeziehung von beiden Partnern ausgenutzt. Ihr Mann weiß zwar, daß sie immer noch eine Affäre mit ihrem Chef hat, doch er sieht sie wie ein Schmuckstück an, mit dem er sich ziert. Joachim, der es gewohnt ist Macht auszuüben, braucht Franziska zur Vervollständigung seines Erfolgsanspruchs. Andersch stellt mit den beiden Männern die Unmoral und Menschenverachtung des bundesrepublikanischen Systems dar.

Andersch läßt Franziska in Venedig gleich wieder in die nächste Dreiecks-beziehung rutschen. Sie lernt den Briten Patrick kennen, der in Venedig ist, um Kramer, einen ehemaligen Gestapo-Mann, zu töten. Und schon steht sie wieder zwischen zwei Männern die sie ausnutzen. Erst als sie erkennt, in welcher Situation sie sich befindet, kann sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen und sich von allen Personen lösen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quellenverzeichnis

 

  1. Stephan Reinhardt: Alfred Andersch Eine Biographie. Zürich 1990
  2.  

  3. Bernhard Jendricke: Alfred Andersch. Hamburg 1994 (3. Auflage)
  4.  

  5. Arno Schmidt: Briefwechsel mit Alfred Andersch, Zürich 1985
  6.  

  7. Alfred Andersch: Die Kirschen der Freiheit. Zürich 1968
  8.  

  9. Alfred Andersch: Sansibar oder der letzte Grund. Zürich 1970
  10.  

  11. Alfred Andersch: Die Rote. Zürich 1969, 1972
  12.  

  13. Alfred Andersch: Efraim. Zürich 1976
  14.  

  15. Alfred Andersch: Der Vater eines Mörders. Zürich 1980