Stundenprotokoll der Doppelstunde vom 27.08.1999 Deutsch LK

 

Zu Beginn des Unterrichts führten wir die letzte Stunde begonnene Diskussion über die Frage: "Sind Klassiker antiquiert?" zu Ende. Hierbei kamen wir zu einem generell positiven Meinungsbild.

Das eigentliche Thema der Doppelstunde war die Klassikerrezeption

Das erste Beispiel dazu war das Gedicht "Ein gleiches" von Johann Wolfgang Goethe:

 

 

Über allen Gipfeln

Ist Ruh,

In allen Wipfeln

Spürest du

Kaum einen Hauch;

Die Vögelein schweigen im Walde.

Warte nur, balde

Ruhest du auch.

 

 

 

Goethe soll dieses Gedicht 1780 in eine Bergwandererhütte eingeritzt haben. Von diesem Gedicht existieren über hundert verschiedene Vertonungen. Eine musikalische Bearbeitung stammt von Franz Schubert. Wir betrachteten diese unter dem Gesichtspunkt, ob die Musik zum Text passe. Dazu wurden einige gegensätzliche Meinungen geäußert. Die einen argumentierten, dass der Text zu kurz sei und Wiederholungen den Sinn des Textes veränderten. Die anderen vertraten die Meinung, dass die Wiederholung des "Warte nur" am Ende des Liedes etwas Unaufhaltbares vermitteln solle. Der ruhige Aufbau des Liedes und das Ende in Dur solle beruhigend wirken und die Angst vor dem Tod nehmen, der nichts schlimmes sei. Diese Argumentation setzte sich schließlich durch.

Die Todessehnsucht ist ein äußerst beliebtes Motiv der Romantik.

Die meisten Rezeptionen sind würdigend und verehrend geschrieben. Im 20. Jh. jedoch kam die Parodie als Gegenbewegung zu der bis dahin überschwenglichen Klassikerverehrung auf.

 

 

Dazu sahen wir ein Beispiel von Louis Murschez. In seiner Karikatur "Langfristiges" bedient er sich des Gedichtes von Goethe, um seine Aussage zu unterstreichen. Diese Art von Rezeption wird vom Publikum deshalb verstanden, da jeder das Original kennt und es auch dann zuordnen kann, wenn der Anfang verändert ist. Dies liegt vor allem daran, dass das Gedicht so kurz und damit leicht zu merken ist.

Wir gebrauchen das Wort "Klassik" in der normativen Verwendungsweise. Klassisch ist hierbei im Sinne von typisch, ausgereift, vorbildlich, modellhaft, gut gelungen, mustergültig oder schön zu verstehen. Darauf bezieht sich auch die deutsche Klassik von 1786 bis zu Schillers Tod 1805.

Zum Schluss der Doppelstunde stellten wir uns die Frage, wie das Klischee vom Volk der Dichter und Denker entstanden ist.

Dies ist darauf zurückzuführen, dass Frankreich nach der Revolution ein vereinigtes Kaiserreich war. Deutschland war wie ein Flickenteppich in viele kleine Einzelstaaten zerfallen. Die Deutschen strebten nach der Kompensation ihrer nationalen Minderwertigkeitsgefühle. Diese Tatsache schürte den Neid auf Frankreich und stärkte das eigene Nationalgefühl.