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Die Ausgesperrten
Elfriede Jelinek
Roman
Zur Autorin: Elfriede Jelinek wurde am 20. Oktober 1946 in Mürzzuschlag/
Steiermark geboren. Sie studierte Theaterwissenschaften, Kunstgeschichte
und Musik. Ihre erste Buchveröffentlichung "wir sind lockvögel
baby!" folgte nach der Veröffentlichung von Prosatexten und Anthologien
in Literaturzeitschriften. Weitere Werke: "Michael. Ein Jugendbuch für
die Infantilgesellschaft", "Die Liebhaberinnen" und "Die Kinder der Totoen".
Außerdem schreibt sie auch Hörspiele, Essays und Bühnenstücke
("Clara S."). 1986 erhielt Elfriede Jelinek den Heinrich - Böll -
Preis der Stadt Köln, 1987 den Literaturpreis des Landes Steiermark.
Die Handlung; in Verbindung mit den Personen: Anna, Rainer, Sophie
und Hans sind vier Jugendliche, zirka zwischen siebzehn und neunzehn Jahren
alt, die sich etwa in der Mitte der fünfziger Jahre zu einer Bande
zusammenschließen, um heimlich aber doch auf sehr brutale Weise Menschen
zusammenzuschlagen und auszurauben.
Anna und Rainer sind die Kinder einer armen, Sozialhilfe beziehenden,
Familie. Der Vater ist ein vom Krieg, seiner Verstümmelung (ihm fehlt
ein Bein) und der dadurch entstandenen Komplexe geprägter Mensch.
Er unterdrückt die Mutter, die das auch mit sich tun läßt
und bildet sich ein, daß er ein begabter Aktfotograph ist. Die Mutter
hängt sehr an ihren Kindern, würde die aber nie ihrem "Gebieter"
vorziehen. Sie kümmert sich im Großen und Ganzen auch nicht
wirklich um ihre Kinder, auch nicht um den Haushalt. Sie lebt nur für
ihren Mann, eigentlich ist sie ihm hörig.
Rainer ist der Planer. Er bereitet die Verbrechen vor, wiegt die Vor-
und Nachteile ab und versucht das Risiko abzuschätzen. Er frißt
seine Probleme und Aggressionen in sich hinein, im Gegensatz zu Anna, die
dazu Hans verwendet. Anna und Rainer haben beide große psychische
Probleme die sicherlich auf die Eltern zurückzuführen sind. Denn
Anna leidet an Bulimie, und auch phasenweise an Stummheit oder Stottern.
Sie sieht ihre Mutter als dumme und fette Kugel an, die sich nicht an ihre
Pflichten hält. Anna ist eigentlich sehr gescheit, doch kann sie ihre
Intelligenz auf Grund ihre psychischen Krankheiten nie zum Zug bringen.
Rainer ist ein Durchschnittsschüler und ist auch an nichts wirklich
begeistert. Außer an Sophie. Deshalb stürzt er sich über
hohe Literatur und Lyrik, um wenigstens ein Thema zu haben, das Sophie
auf ihn aufmerksam macht. Er hat ein gestörtes Verhältnis zur
Sexualität, denn er bekommt von seinem Vater beinahe täglich
die Perversitäten, die der mit seiner Frau vollführt, erzählt.
Sophie kommt aus einem reichen Elternhaus. Sie spielt das brave Mauerblümchen,
jedoch ist sie das bei weitem nicht. Sie ist hübsch und klug und weiß
damit umzugehen. Sie spielt mit den Männern, laßt sie aber im
entscheidenden Moment nicht an sich heran. Ihr geht es nicht um Anerkennung
oder um das Geld, das sie rauben. Es geht ihr nur um ihren Spaß.
Doch sie kennt, im Gegensatz zu den anderen, anfangs noch die Grenzen.
Als es darum geht, fix der Gruppe zuzugehören läßt sie
sich auch dem Gruppenzwang verfallen.
Hans ist eigentlich der unauffälligste der ganzen Gruppen. Er
möchte gerne mit Anna schlafen, tut das dann nach einiger Zeit auch,
ist aber ebenfalls in Sophie verliebt. Sophie weiß sowohl von Rainer,
als auch von Hans, daß sie in sie verliebt sind. Sie spielt die zwei
oft gegeneinander aus und genießt es, angebettelt zu werden. Hans
ist ein wenig romantisch und sehr gefühlsbetont, aber nur zu den Menschen
die er gerne mag. Nett ausgedrückt, kann man sagen, daß er ein
bißchen blöd ist. Er ist als einziger der drei, kein Schüler.
Er hat eine Lehre begonnen und sieht auch aus wie ein typischer Arbeiter.
Groß, breite Schultern und sehr muskulös. Das ist es, was Anna
anfangs an ihm anziehend findet.
Elfriede Jelinek hat dieses Buch in auktorealer Perspektive verfaßt.
Sie beschreibt uns alle Situationen ganz genau, jedoch hält sie uns
auf Distanz. Obwohl wir alle Gefühlslagen geschildert bekommen, blicken
wir ganz trocken über alle Krisen und Probleme hinweg. Auch über
das letztliche Drama, nämlich das Blackout von Rainer, indem er seine
gesamte Familie tötet, können wir hinweglesen. Zwar ist man etwas
fasziniert, zu welchen Verbindungen Jelinek im Stande ist zu gelangen,
doch beginnt man nicht "mitzufiebern". Sie beschreibt uns mit Sarkasmus
und schwarzem Humor aber auch in gewohnter Umgangssprache die Situationen,
Gegebenheiten und Gefühle der Personen. Sie geht ganz genau ins Detail
und das Geschriebene wirkt dabei kein bißchen langweilig oder in
die Länge gezogen. Außerdem hält sie uns gezielt auf Distanz,
denn sie benutzt zum Beispiel kein einziges Mal eine direkte Rede. Vielmehr
scheint es, daß sie die Aussagen der einzelnen Menschen ein wenig
unwichtig erscheinen lassen will. Es ist wichtig was gesagt wird und nicht
von wem. Vor allem paßt das auch auf die 50er Jahre. Denn die beginnende
flourierende Marktwirtschaft ließ damals den Einzelnen verschwinden,
die Masse wurde wichtig.
Das Kritische in diesem Roman gilt nicht einer bestimmten Person oder
mehreren bestimmten Personen, sehr wohl aber der gesamten Gesellschaft.
Denn man muß bedenken, daß es sich bei dem Zusammenschluß
der Bande immerhin um einen authentischen Fall handelt. Jelinek kritisiert
die Umstände und Zustände, durch die es zu solchen Taten kommen
kann. Außerdem beschuldigt sie die Eltern, aber auch die Eltern der
Eltern und auch die jeweilige politische Situation zu deren Lebzeiten.
Kurz gesagt bemängelt sie unserer gesamte Gesellschaft, auf das läßt
sich besonders leicht schließen wenn man weiß, daß sie
bekennende Kommunistin ist.
Jelinek vermittelt uns den Eindruck von trüben, dunklen und haßerfüllten
50er Jahren. Zitat: "Man genießt die Sauberkeit, die noch durch den
intensiven Chlorgeruch verstärkt ist, der sagt, ich töte alle
Bazillen und Keime in mir vollständig ab. Nur vereinzeltes Sperma
oder Lulu muß ich leider dem Filter überlassen. Auch unter die
Hautoberfläche vermag ich nicht zu dringen, um dort den Haß
und den Ekel abzutöten, die die jungen Menschen empfinden. Das Wasser
schwappt in seinem ihm zugedachten Rahmen aus Porzellan hin und her, nur
heraustreten kann es nicht aus seiner Umhüllung. Wie man ja auch nicht
aus seiner Haut herauskann." Man kann nicht aus seiner Haut heraus, doch
das ist es was alle vier wollen. Und ist es nicht bei uns allen schon einmal
so gewesen, daß man gerne jemand anderer wäre. Im Buch will
Anna wie Sophie und Sophie will wie Anna sein. Rainer will so aussehen
wie Hans und Hans möchte so gescheit sein wie Rainer. Und einer von
den Vieren kommt damit letztendlich nicht mehr zurecht. Rainer. Er verkraftet
seine Umstände nicht mehr. Jelinek schildert einen typischen Amoklauf.
Kurzfristig versucht er zwar dann doch noch einen Ausweg zu planen, doch
letztlich ist er zu schwach und zu verzweifelt um sich immer neue Ausreden
einfallen zu lassen. Er stellt sich der Polizei. Und eigentlich ist er
es, der aus der Haut gefahren ist. Man könnte doch eigentlich jeden
Amokläufer als einen "aus der Haut gefahrenen" bezeichnen. Denn man
weiß, daß die meisten Amokläufer völlig unauffällig,
vor ihrer Tat, sind. Sie behalten solange alle ihre Probleme zusammen wie
es möglich ist. Doch wenn sie schließlich zu lange geschwiegen
haben, also praktisch vollgestopft sind, platzen sie. Auch ein Sprichwort
beschreibt einen besonders wütenden Zustand als: "Das ist ja zum aus
der Haut fahren!"
Elfriede Jelinek verwendet auch sehr viele negative Wörter und
Aussagen. Eigentlich ist das ganze Buch sehr pessimistisch der Gesellschaft
und dem Leben gegenübergestellt. Sie spricht auch mehrmals, um auf
ihre politische Haltung zurückzukommen, die Probleme der Kapitalismus
an. Zitat: "Einen Moment lang bleibt die Zeit für Mann und Frau stehen,
und es ist ein guter Moment, denn die Zeit macht alles meistens nur schlimmer,
arme Menschen altern in ihr, reiche Menschen können sie ein wenig
aufhalten, aber nicht endgültig, sie holt sie immer ein. Die Zeit
ist letzten Endes demokratisch,..." Man glaubt, daß man mit viel
Geld besser lebt, als mit wenig, doch das muß nicht immer so sein.
Jelinek will uns eben darauf aufmerksam machen, daß wir nicht immer
vor lauter Selbstmitleid darauf warten, daß die Tage an uns vorbeiziehen.
Von Grund auf sind wir alle gleich, wir müssen eben handeln, um etwas
aus unserem Leben zu machen. Sophie stellt in dem Buch die typische "R!
eiche" dar, doch auch sie weiß nicht was sie tun soll. Auch an
ihr ziehen die Tage vorbei. Also beschließt sie mit ihrem Aussehen
die Burschen zu necken und sich mit den Überfällen den letzten
"Kick" zu hohlen.
Mir hat dieses Buch sehr gut gefallen. Man braucht etwas Zeit um sich
in den ganz eigenen Stil von Elfriede Jelinek einzulesen, und der ist sicherlich
auch nicht jedermanns Sache. Doch für mich ist er deshalb so angenehm
zu lesen, da ich eigentlich immer sehr stark mit den Personen mitfühle.
Doch, obwohl sie so detailliert und präzise erzählt, hält
sie immer wieder Distanz. Man liest also ganz trocken über das Geschehen
ohne sich zu langweilen. Denn das Buch ist von der ersten bis zur letzten
Seite mit Überraschungen gespickt. (z.B.: Der Familienmord am Ende
des Romans, war in keiner vorhergehenden Situation anzunehmen. Es waren
zwar immer wieder Gedanken des Sohnes zu lesen, die damit spielten, doch
da Jelinek sehr realistisch schreibt, und die geführten Gedanken von
jedermann sein könnten, nimmt man diese nicht ernst.)
Claudia Augustin
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