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Jugoslawienkonflikt
1. Die politische Dimension des schweizerischen Engagements im
ehemaligen Jugoslawien
Mit dem Ausbruch des Krieges im ehemaligen Jugoslawien stellte sich
auch für die Schweiz die Frage, in welcher Art und Weise sie zur Lösung
des Konfliktes
beitragen sollte. Das politische Engagement der Schweiz hatte sich
dabei am engen Handlungsspielraum eines neutralen Kleinstaates zu orientieren,
der mit
Ausnahme der Mitgliedschaft in der OSZE in keine sicherheitspolitisch
relevanten multilateralen Strukturen eingebunden ist. Entsprechend schwierig
gestalteten
sich die Bemühungen der Schweiz um eine Vermittlerrolle im Jugoslawienkonflikt.
In der Praxis vollzog der Bundesrat seine Politik gegenüber Jugoslawien
dann
auch oft im Gleichschritt mit anderen europäischen Staaten und
der EU. Immer wichtiger wurde dabei die Frage, in welcher Form sich die
Schweiz an den
zivilen Aktionen der OSZE, der Uno und der EU im Rahmen friedensbildender
Massnahmen und der Präventivdiplomatie beteiligen sollte.
1.1. Der aussenpolitische Handlungsspielraum des neutralen Kleinstaates
Jugoslawien wurde im öffentlichen Bewusstsein der Schweizer Bevölkerung
lange Zeit in etwa gleich wahrgenommen wie Spanien: Rekrutierungsland für
billige
Arbeitskräfte und beliebtes Urlaubsziel für Millionen sonnenhungriger
Touristen aus ganz Europa. Die fehlenden historischen Beziehungen der Schweiz
zum
zerfallenen Balkanstaat trugen mit dazu bei, dass die Öffentlichkeit
mit einem distanzierten Unverständnis auf den Ausbruch des Nationalitätenkrieges
im
ehemaligen Jugosla wien reagierte. Es manifestierten sich in der Bevölkerung
aber auch Anteilnahme am Schicksal der Opfer, Hilfsbereitschaft und die
Aufforderung an die politisch Verantwortlichen, im Bereich des Möglichen
für eine Lösung des Konfliktes aktiv zu werden.(13)
Nach dem Angriff der serbisch dominierten jugoslawischen Bundesarmee
gegen Slowenien am 26. Juni 1991 übte sich die Schweiz - wie die meisten
übrigen
europäischen Staaten auch - zunächst in Zurückhal tung
und verurteilte weder die eine noch die andere Seite.(14) Aussenminister
René Felber erklärte Anfang
Juli 1991, nur eine Woche nach dem Angriff der Bundesarmee gegen Slowenien,
dass die Schweiz bereit sei, ihre guten Dienste in jeder gewünschten
Weise
zur Verfügung zu stellen und damit zur Lösung der Probleme
zwischen Slowenien und Jugoslawien beizutragen.(15) Konkret wurde zu diesem
Zeitpunkt eine
Beteiligung an einer allfälligen Mission der OSZE (ehemals KSZE)
nach Jugoslawien ins Auge gefasst, die zur Stabilisierung der Lage beitragen
und die Parteien
bei einem politischen Dialog unterstützen sollte.(16)
Nachdem sich die jugoslawische Bundesarmee anfangs Juli 1991 aus Slowenien
zurückgezogen hatte, eskalierte der Konflikt zwischen Serben und Kroaten
in
der Krajina. Darauf trat der Bundesrat am 28. August 1991 erstmals
mit einer Grundsatzerklärung zum Krieg auf dem Balkan an die Öffentlichkeit
und
verurteilte in einer scharfen Ste llungnahme die serbische Aggression:
Der Bundesrat hat mit Bestürzung davon
Kenntnis genommen, dass serbische Kräfte, zusammen mit Einheiten der
jugoslawischen Bundesarmee,
ihren unakzeptablen Feldzug in Kroatien fortsetzen;
sie sind damit für die zahlreichen Todesopfer, auch unter Zivilisten,
direkt verantwortlich.
Der Bundesrat stellt an die Adresse der serbischen
Verantwortlichen mit aller Deutlichkeit fest, dass die Schweiz eine solche
V eränderung von
Grenzen mit roher Gewalt niemals akzeptieren
wird und dass sich Serbien so ausserhalb unserer zivilisierten Gesellschaft
begibt.(17)
Mit dieser scharf gehaltenen Formulierung grenzte sich die offizielle
Schweiz von den zurückhaltenden Stellungnahmen der EU ab.(18) Die
Rhetorik Felbers
war Ausdruck der Empörung über das gewaltsame Vorgehen der
serbischen Seite, die mit ihren brutalen Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung
die elementa
rsten Menschenrechte mit Füssen trat und mit ihrem Aggressionskrieg
das Recht für sich in Anspruch nahm, bestehende Grenzen zu verändern.
Der
Aussenminister liess mit seiner Stellungnahme keinen Zweifel an der
antiserbischen Position der Schweiz aufkommen. Die Schweiz stellte sich
damit - was die
Wortwahl von Felbers Stellungnahme betraf - an die Seite der slowenien-
beziehungsweise kroatienfreundlichen Staaten um Deutschland und Österreich.
Aufgrund dieser klar gehaltenen V erurteilung des serbischen Feldzuges
lief die Schweiz Gefahr, durch Parteinahme zugunsten einer Seite mittelfristig
ihre
Position als Vermittlerin bei möglichen Verhandlungen zwischen
den Akteuren einzubüssen. Aussenminister Felber anerkannte diese Einwände,
stellte sich aber
auf den Standpunkt, dass eine "Leistung guter Dienste (...) nicht Schweigen
zu grundsätzlichen Aspekten [bedeutet]; (...) nur durch klaren ethischen
Positionsbezug [kann] die minimale Vertrauensgrundlage zur allfälligen
Vermittlung zwischen zwei Konfliktparteien geschaffen werden."(19)
Der antiserbische Positionsbezug des Bundesrats war angesichts der Neuartigkeit
der damaligen Ereignisse verständlich: Europa sah sich unerwartet
mit einem
Problem konfrontiert, das man nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges
endgültig gebannt zu haben glaubte. Je deutlicher aber wurde, dass
die
internationale Staatengemeinschaft den Konflikt ausschliesslich auf
der Basis von Verhandlunge n zu lösen gewillt war, um so stärker
mussten allfällige negative
Auswirkungen einer einseitigen Verurteilung für das Bemühen
der Schweiz um eine Vermittlerrolle ins Gewicht fallen.
Das Beispiel des Krieges auf dem Balkan hat einmal mehr bestätigt,
dass die Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft von denjenigen
Ländern
bestimmt wird, die ihren Beschlüssen nötigenfalls durch Androhung
des Einsatzes von Nato-Bombern Nachdruck verleihen kö nnen (ob die
Androhung dann
auch wahrgemacht wird, ist eine andere Sache). Ein neutraler Kleinstaat
wie die Schweiz muss nach anderen Wegen und Mitteln suchen, um seinen Beitrag
an
die internationale Stabilität zu leisten. Die guten Dienste der
Schweiz stellen auf der politischen Ebene im Grunde genommen die einzige
Form dar, um dies in
einer - wenn auch bescheidenen - Weise tun zu können. Es muss
daher immer wieder von neuem sorgfältig abgeklärt werden, inwieweit
sich die Partei nahme
zugunsten einer Seite mit der Leistung allfälliger guter Dienste
vereinbaren lässt.
Nach anfänglich klaren Worten wurde es um die diplomatischen Aktivitäten
der Schweiz gegenüber dem ehemaligen Jugoslawien bis in den Sommer
dieses
Jahres ruhiger. Die Äusserungen von Flavio Cotti, dem Nachfolger
Felbers im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten,
zum Krieg im
ehemaligen Jugoslawien waren von einer zurückhaltenderen Rhetor
ik geprägt und gingen meist nicht über allgemein gehaltene Verurteilungen
und Appelle an
die Räson der Kriegführenden hinaus. Inwieweit sich diese
Zurückhaltung positiv auf den Handlungsspielraum Berns als Vermittler
ausgewirkt hat, ist im
Einzelnen schwer zu sagen. Es hat sich aber gezeigt, dass die guten
Dienste als Mittel des neutralen Kleinstaates nach dem Ende des kalten
Krieges zwar an
Bedeutung verloren haben mögen, gleichwohl aber nicht überflüssig
sind . Als es beispielsweise im September 1994 darum ging, innert kürzester
Frist einen
Lufttransport von 135 internationalen Beobachtern von Genf nach Belgrad
sicherzustellen, wirkte sich der Umstand günstig aus, dass das Land,
welches die
Flugzeuge bereitstellte, als unparteiisch galt (österreichische
Flugzeuge hätten kaum auf dem Flughafen von Belgrad landen dürfen)
und über die Fähigkeit
verfügte, rasch und disponibel zu handeln.(20) Für diese
Aufgabe war die Schweiz prädestiniert. In diesem Fall fiel ihr die
Rolle eines Sekundanten der
internationalen Gemeinschaft zu.
Die Bemühungen der Schweiz um eine Vermittlerrolle
Obwohl der Jugoslawienkrieg im Gegensatz zum österreichischen oder
deutschen Parlament in den Schweizer Räten weniger debattiert wurde,
hatte der
Bundesrat nach der Eskalation des Krieges in Kroatien im Spätsommer
1991 zu einer Flut von parlamentarischen Vorstö ;ssen zur Lage im
ehemaligen
Jugoslawien Stellung zu nehmen. Diese wiesen in ihrer Fragestellung
alle in eine ähnliche Richtung: Was konnte und sollte die Schweiz
zur Lösung der Krise auf
dem Balkan beitragen?(21)
In seiner Antwort auf die Interpellation Ruckstuhl - die hier stellvertretend
herausgegriffen wird - hielt der Bundesrat fest, dass "die Möglichkeiten
der Schweiz,
ja überhaupt von nichtjugoslawischen Parteien, dem Bürgerkrieg
unmittelbar Einhalt zu gebie ten, (...) ausserordentlich beschränkt"
sind und zur
Kriegsbeendigung eine "massive ausländische Truppenpräsenz
im Krisengebiet" notwendig wäre.(22) Die Politik der Schweiz gegenüber
dem ehemaligen
Jugoslawien hatte sich demgemäss in den engen Grenzen dessen zu
definieren, was die Konstellation der äusseren Umstände zuliess
und innenpolitisch
vertretbar war. Im Gegensatz zu den Aktionen der Schweiz im humanitären
Bereich, welche schon kurz n ach Ausbruch des Krieges voll anliefen, kam
der
Eidgenossenschaft trotz regen diplomatischen Aktivitäten ihres
Aussenministers innerhalb der internationalen Bemühungen um eine friedliche
Regelung des
Konfliktes nicht die anfänglich angestrebte Vermittlerrolle zuteil.
Aussenminister Felber bot die guten Dienste der Schweiz bei verschiedenen
Gelegenheiten an. Einerseits strebte er eine Vermittlerfunktion im Rahmen
der
Europäischen Union an.(23) Die Schweiz erhielt aber weder von
der EU noch von der Uno je ein solches Mandat im Jugoslawienkrieg.(24)
Als die EU
beschloss, Beobachter - wegen ihrer weissen Uniform unter dem Namen
ice-cream men bekannt - zuerst nach Kroatien, dann nach Bosnien-Herzegowina
zu
entsenden, wurden unter anderen die neutralen Staaten Österreich
und Schweden um Teilnahme ersucht, nicht aber die Schweiz.(25)
Bundesrat Felber wandte sich andererseits auch mehrmals direkt an die
Vertreter der Kriegsparteien, um ihnen im Rahmen d er guten Dienste eine
schweizerische Hilfestellung anzubieten, und lud diese auch zu Verhandlungen
in die Schweiz ein. Im Herbst 1991 erklärten sich der kroatische Präsident
Tudjman und sein serbischer Gegenspieler Milosevic bereit, sich in
der Schweiz zu Geheimgesprächen zu treffen. Das Treffen kam trotz
Zusage beider Seiten
nie zustande.(26)
Es zeigte sich also, dass es für den neutralen Kleinstaat Schweiz
schwierig war, Vermittlerfunktionen im Rahmen der Regelung des Kon fliktes
im ehemaligen
Jugoslawien zu übernehmen. Bilateralen Verhandlungsangeboten fehlte
das politische Gewicht, um realisiert zu werden. Bei den multilateralen
Bemühungen um
eine politische Lösung des Konfliktes fiel dagegen die Nichtmitgliedschaft
der Schweiz in der EU und der Uno negativ ins Gewicht. Abgesehen von den
Funktionen, die sie im Rahmen der OSZE wahrnehmen sollte, waren die
guten Dienste der Schweiz nicht gefragt, wenn es um die Verteilung von
Vermittlermandaten ging.
Der Neutralitätsstatus ist im Gegensatz zu den Erfahrungen des
kalten Krieges im Konflikt auf dem Balkan keine Voraussetzung für
eine Vermittlerfunktion.
Vielmehr ist das Engagement von Staaten oder Staatengruppen gefragt,
die in der internationalen Arena über Machtmittel und entsprechendes
politisches
Gewicht verfügen. Dies findet seinen Ausdruck beispielsweise auch
in der Zusammensetzung der sogenannten internationalen Kontaktgruppe, in
der mit
Russland, Grossbritannien, Fra nkreich, Deutschland und den USA diejenigen
Mächte vertreten sind, die auf die Entscheidungsfindung der internationalen
Gemeinschaft massgebenden Einfluss ausüben können.
Die schweizerische Jugoslawienpolitik heute: Dilemma zwischen innenpolitischer
Herausforderung und aussenpolitischer Machbarkeit
Der Kriegssommer 1995 war in Bosnien-Herzegowina und Kroatien vor allem
von zwei Ereignissen geprägt: der Eroberung der Uno-Schutzzonen Srebrenica
und Zepa durch die bosnischen Serben im Juli und der Offensive der
kroatischen Armee gegen die Krajina Anfang August. Der Krieg im ehemaligen
Jugoslawien erreichte in humanitärer Hinsicht einen neuen traurigen
Höhepunkt. Erneut waren Zehntausende von Menschen gezwungen, ihre
Heimat zu
verlassen. Die demographischen Verhältnisse haben sich damit ein
weiteres Mal dramatisch verändert, was aus den beiden folgenden Karten
deutlich
hervorgeht.
(Quelle: Neue Zürcher Zeitung vom 25. August 1995)
Durch die jüngsten Ereignisse - vor allem die erfolgreiche kroatische
Rückeroberung der Krajina - wurde gleichzeitig eine Situation geschaffen,
die Anlass zu
Hoffnung auf eine Stabilisierung der Region auf dem Verhandlungsweg
gibt. Kroatien ist dank seiner militärischen Stärke zu einem
wichtigen regionalen
Machtfaktor geworden. Zusammen mit den muslimischen Kräften in
Bosnien-Herzegowin a dürfte damit auf längere Sicht ein Gegengewicht
zur bislang
übermächtigen Position der bosnischen Serben geschaffen worden
sein. Unter erstarkter Führung der USA hat die internationale Staatengemeinschaft
denn
auch die Gunst der Stunde genutzt und eine neue diplomatische Offensive
gestartet, um einen baldigen Friedensschluss herbeizuführen.
Nach der Eroberung der beiden Uno-Schutzzonen durch die bosnischen Serben,
der vollständigen Vertreibung oder Ermordung der dortigen muslimischen
Zivilbevölkerung unter den Augen der Weltöffentlichkeit,
stellte sich für den Bundesrat erneut die Frage, ob eine Politik der
Unparteilichkeit aufgrund der
Zuspitzung der Lage noch angemessen war. Wenn immer deutlicher wird,
dass eine Kriegspartei gar nicht gewillt ist, den Konflikt durch Verhandlungen
zu
lösen, und sich die internationale Gemeinschaft als unfähig
erweist, gewaltsame Auseinandersetzungen zu verhindern, dann müssen
Bedenken hin sichtlich
negativer Rückwirkungen einer deutlichen Stellungnahme auf allfällige
künftige Vermittlerdienste zumindest kurzfristig in den Hintergrund
treten. Schliesslich
war eine vergleichbare Situation erreicht wie beim Kriegsausbruch im
Sommer 1991, die eine klare Stellungnahme der Landesregierung - allein
schon aufgrund
ihres Informationsauftrags gegenüber der Bevölkerung - geradezu
herausforderte.
Angesichts der Ereignisse in Bosnien-Herzegowina sah sich der B undesrat
in einer Erklärung vom 21. Juli 1995 denn auch zu einer scharfen Verurteilung
der
bosnischen Serben veranlasst. Gleichzeitig stellte er aber einmal mehr
die Ohnmacht der internationalen Staatengemeinschaft - und der Schweiz
- gegenüber
dem Drama im ehemaligen Jugoslawien fest:
Die ganze Welt, alle Grossmächte, die internationale Staatengemeinschaft
und auch die Schweiz müssen heute machtlos zusehen, wie in Bosnien-Herzegowina
Tausende von Menschen durch die Streitkräfte der bosnischen Serben
vertrieben, erniedrigt und misshandelt werden und wie die elementaren Rechte
der
Menschlichkeit mit brutaler Gewalt verletzt werden.
Zusammen mit dem Schweizer Volk ist der Bundesrat angesichts dieser
dramatischen Ereignisse entsetzt und erschüttert. Vor dem Hintergrund
dieser
menschlichen Leiden der Opfer des Krieges helfen Forderungen nach zusätzlichen
Appellen und deklamatorischen Verurteilungen nicht weiter.
Eine realistische und ehrliche Analyse der
Lage gebietet, die gegenwärtige politische und militärische Ohnmacht
diesen verbrecherischen
Handlungen gegenüber festzustellen. Für
die Schweiz steht somit heute die Fortsetzung der bereits beträchtlichen
humanitären Hilfe zugunsten der
Opfer dieses Krieges im Vordergrund.
Selbst wenn eine politische Lösung in
Bosnien-Herzegowina heute als aussichtslos erscheint, ist d er Bundesrat
gewillt, auch in Zukunft zusammen
mit der internationalen Staatengemeinschaft
bei der Suche nach politischen Lösungen mitzuwirken.(27)
Aufgewühlt durch die Ereignisse im Zusammenhang mit der Eroberung
der Uno-Schutzzonen rückte der Krieg im ehemaligen Jugoslawien für
eine kurze Zeit
wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Bewusstseins in der
Schweiz.(28) In emotionsgeladenen Auseinandersetzungen, die in Zeitungen
und Fernsehen, auf
ö ffentlichen Kundgebungen und schliesslich auch auf parlamentarischer
Ebene geführt wurden, offenbarte sich die sowohl in ihren inneren
als auch in ihren
äusseren Rahmenbedingungen begrenzte Handlungsfähigkeit schweizerischer
Aussenpolitik. Bei öffentlichen Diskussionen um die Möglichkeiten
der Schweiz,
auf das tragische Geschehen im ehemaligen Jugoslawien Einfluss zu nehmen,
ist oftmals zu beobachten, dass zwischen politischen und humanitären
Fragen
sowie zwischen Ma chbarem und Erwünschtem nicht unterschieden
wird.(29)
Von offizieller Seite wurde betont, dass sich das schweizerische Engagement
im ehemaligen Jugoslawien in erster Linie am Machbaren innerhalb der gegebenen
politischen Rahmenbedingungen zu orientieren hat. Durch die Nichtmitgliedschaft
in denjenigen Gremien, welche sich mit dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien
befassen, ist die Schweiz in ihrem aussenpolitischen Handlungsspielraum
eingeschränkt. In einem Interview mit der "Schweizer Illustrierten"
Anfang August
1995 machte Bundespräsident Kaspar Villiger denn auch unmissverständlich
klar, dass die Schweiz, die weder bei der Uno noch bei der EU, noch bei
der
Nato dabei ist, nicht legitimiert ist, "Zensuren zu verteilen und zu
sagen, was die anderen falsch gemacht haben".(30)
Dem standen auf der Seite der betroffenen Öffentlichkeit eine lange
Liste von Wünschen für ein stärkeres Engagement der Schweiz
- insbesonder e im
humanitären Bereich - entgegen. Neben sinnvollen und konkreten
Projektvorschlägen war der Ruf nach vermehrten schweizerischen Aktivitäten
aber oftmals
zwar von viel gutem Willen, aber wenig Einsicht in die genannten Rahmenbedingungen
der schweizerischen Aussenpolitik gekennzeichnet. Die im
Zusammenhang mit der jüngsten Eskalation der Ereignisse in Bosnien-Herzegowina
von seiten der Medien, aber auch einzelner Parlamentarier und
Friedensbewegten erhobenen Forderungen, welche in Richtung grossangelegter
diplomatischer Initiativen der Schweiz gehen, sind Ideen, die wenig Chancen
auf Erfolg haben und wohl nicht zuletzt das eigene Gewissen beruhigen
sollen.(31) Es hilft den vom Krieg im ehemaligen Jugoslawien Betroffenen
wenig, wenn
Aktivität mit einem zum Teil PR-orientierten Aktivismus verwechselt
wird.
Dem berechtigten Druck der öffentlichen Meinung nach einer Reaktion
der Schweiz auf die jüngsten Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien
hat der Bundesrat
aber entsprochen. Neben der schon zitierten Erklärung vom 21.
Juli 1995 zu Bosnien-Herzegowina drückte sich dies in der sofortigen
Bereitstellung weiterer
zehn Millionen Franken für die Flüchtlingshilfe vor Ort aus
sowie in der grundsätzlichen Bereitschaft, im Fall einer entsprechenden
Anfrage des
Uno-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) zusätzliche
Kriegsvertriebene aufzunehmen. Die Landesregierung forderte in diesem Zusammenhang
die
Einberufung einer i nternationalen Konferenz, um unter den Aufnahmeländern
einen Verteilschlüssel auszuhandeln.(32)
In diesem Zusammenhang ist schliesslich auch der Entscheid des Bundesrates
zu sehen, einen Botschafter für Bosnien-Herzegowina zu ernennen. Anfang
August erging ein von 12'000 Personen unterzeichneter Appell an den
Bundesrat, eine Botschaft in Sarajewo zu eröffnen und damit offiziell
Unterstützung für
die Regierung von Bosnien-Herzegowina zu bekunden.(33) Bereits Ende
Jun i 1995 hatte der Bundesrat den Entschluss gefasst, einen Botschafter
für
Sarajewo zu ernennen. Am 3. August wurde bekannt, dass es sich um Adolf
Lacher handelt, der gleichzeitig Botschafter der Schweiz in der Republik
Österreich ist.(34) Zu diesem Zeitpunkt wurde davon ausgegangen,
dass Lacher seine Funktion als Botschafter für Bosnien-Herzegowina
hauptsächlich von
Wien aus wahrnehmen, jedoch regelmässig nach Sarajewo reisen würde.
Am 18. September 1995 setzte der Bundesrat ein deutliches Zeichen, indem
er die Errichtung einer ständigen Schweizer Vertretung in Sarajewo
bekanntgab.
Zum Geschäftsträger der Botschaft vor Ort wurde Christian
Hauswirth ernannt. Adolf Lacher bleibt Botschafter für Bosnien-Herzegowina
mit Sitz in Wien.(35)
Neben dem künftigen Schweizer Vertreter residieren in Sarajewo
nur die Botschafter der Kontaktgruppenländer Frankreich, Deutschland,
USA und
Grossbritannien sowie diejenigen der Türkei un d Irans. Italien,
Österreich und Schweden haben keine Botschaften eingerichtet, wickeln
ihre Kontakte aber
über Beauftragte vor Ort ab.
Der Ernennung eines Botschafters für Bosnien-Herzegowina und der
Errichtung einer ständigen diplomatischen Vertretung in Sarajewo kommt
in zweifacher
Hinsicht eine Bedeutung zu. Zum einen ist der Entscheid des Bundesrates
als ein Ausdruck der Solidarität mit der bedrängten bosnisch-herzegowinischen
Regierung zu verstehen. Die Lande sregierung bekundet damit offiziell
ihre Unterstützung für diejenigen Kreise, die sich für einen
multikulturellen Staat
Bosnien-Herzegowina und das friedliche Zusammenleben der verschiedenen
Gemeinschaften innerhalb dieser Republik aussprechen. Entsprechendes Gewicht
wird deshalb der Unterstützung der vor Ort tätigen nichtstaatlichen
Organisationen zukommen, deren vielfältige Arbeit von der Pflege kultureller
Kontakte
zwischen der Schweiz und Bosnien-Herzegowina & uuml;ber die Unterstützung
unabhängiger Medien, bis hin zur Pflege und Betreuung kriegstraumatisierter
Frauen, Männer und Kinder reicht.(36) Vom Entscheid des Bundesrates
darf auch international insofern eine Signalwirkung erhofft werden, als
dass er die
Haltung anderer westeuropäischer Regierungen in der Frage der
Einrichtung einer ständigen Vertretung in Sarajewo positiv beeinflussen
könnte.
Zum andern ist die Ernennung eines offiziellen Vertreters im Hinblick
au f die Vorbereitung der postkonfliktiven Phase des Krieges im ehemaligen
Jugoslawien
von Bedeutung. Zur Vorbereitung der postkonfliktiven Phase gehört
auch die frühzeitige Kontaktaufnahme mit den Konfliktparteien und
der Aufbau eines
Informationsnetzes vor Ort. Sollte es in Bosnien-Herzegowina (beziehungsweise
im ganzen ehemaligen Jugoslawien) zu einer friedlichen Regelung der
Konflikte kommen, so muss die Schweiz, welche 1996 die Präsidentschaft
der OSZE übernimmt, o ptimal vorbereitet sein, um im Rahmen dieser
Organisation
zu gegebener Zeit aktiv werden zu können.(37)
Ein Vergleich mit der österreichischen Politik
Nach Ausbruch des Krieges sah sich die österreichische Politik
hinsichtlich einer allfälligen Rolle als Vermittlerin zwischen den
Konfliktparteien vor ein ähnliches
Dilemma gestellt wie die Schweiz: Die Regierung hatte zwischen einer
eindeutigen Parteinahme zugunsten einer Seite und den Rückwirkungen
einer solchen
Politik abzuwägen. Im Vergleich mit der Schweiz verfolgte Österreich
von Beginn weg eine kontinuierlich klar antiserbische Politik. Wenn sich
der
österreichische Aussenminister Mock in seinen Äusserungen
zum Geschehen auf dem Balkan zugunsten von Slowenien und Kroatien exponierte,
so ist dies
aber in erster Linie aus der spezifischen Interessenlage Österreichs
als unmittelbaren Nachbars dieser Länder heraus zu begreifen.
Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien löste in Österreich bedeutend
grössere Emotionen aus als in der Schweiz. Bedingt war dies nicht
nur durch die Nähe
Österreichs zum Krisengebiet. Auch die historischen Bande zu den
Republiken Kroatien und Slowenien trugen zu dieser stärkeren Betroffenheit
bei. Der
Aufbau eines guten Beziehungsnetzes zu den nördlichen Republiken
des ehemaligen Jugoslawien war für die österreichische Regierung
so wichtig, dass ein
gespanntes Ve rhältnis zu Belgrad in Kauf genommen wurde.
Der österreichische Aussenminister Mock stand schon ganz zu Beginn
der Krise im ehemaligen Jugoslawien an vorderster diplomatischer Front,
und zwar nicht
nur, um die Europäer über die Komplexitäten der dortigen
Verhältnisse aufzuklären, sondern auch, um selber intensiv nach
Lösungen zu suchen.(38) Einige der
Vorschläge Mocks, wie die Entsendung von Uno-Blauhelmen nach Bosnien-Herzegowina
(zu einem Zeitpunkt , als der Krieg dort noch nicht ausgebrochen
war) oder die Idee zur Errichtung von sogenannten Uno-Schutzzonen,
wurden von der internationalen Gemeinschaft aufgegriffen.
Die österreichische Diplomatie hat damit wohl zur Stabilisierung
der Gesamtsituation beigetragen. Mit ihrer einseitigen Parteinahme verspielte
sie aber die
Position einer Vermittlerin für den Fall, dass alle Konfliktparteien
wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren gewillt sind.(39) Österreich
entwicke lte
sich, zusammen mit Deutschland, zum eigentlichen Fürsprecher der
sezessionswilligen Republiken Slowenien und Kroatien. Aufgrund seiner pointiert
antiserbischen Haltung wurde Österreich (sowie Deutschland und
der Vatikan) von der Propaganda Belgrads zu "Feinden des serbischen Volkes"
stilisiert.
Bezüglich der österreichischen Jugoslawienpolitik bestanden
zwischen dem Aussenministerium und Bundeskanzler Franz Vranitzky seit Anfang
des Krieges
erhebliche Differenz en. Die jüngste kroatische Offensive gegen
die Krajina vom August 1995 hat in Wien alte Konfliktlinien wieder zum
Vorschein gebracht.
Während Aussenminister Schüssel (der Nachfolger von Mock)
lediglich seine Betroffenheit über die erneute Anwendung von Gewalt
äusserte, verurteilte
Vranitzky das Vorgehen Zagrebs in scharfen Worten.(40)
Die Anerkennungsfrage und der Vollzug von Wirtschaftssanktionen gegen
Restjugoslawien
Der bes chränkte Handlungsspielraum der Schweiz für die Verfolgung
einer unabhängigen Politik kann durch den Hinweis veranschaulicht
werden, dass unser
Land wichtige Fragen bezüglich Jugoslawien in der Praxis parallel
zu den Entscheiden der EU und anderer europäischer Staaten vollzog.
Als Beispiele sei hier
auf die Frage der Anerkennung und der Wirtschaftssanktionen gegen Restjugoslawien
hingewiesen.
Als sich nach den Referenden in Slowenien und Kroatien eine überwälti
gende Mehrheit der Bevölkerung für die Loslösung von Jugoslawien
ausgesprochen
hatte, riefen die beiden Republiken am 25. Juni 1991 ihre Souveränität
aus. Dem Beispiel der beiden selbsternannten Staaten folgend, reklamierten
im
September 1991 Mazedonien, Ende Februar 1992 auch die Republik Bosnien-Herzegowina
ihre Unabhängigkeit.
Bei der Frage der Anerkennung der neuen Staaten auf dem Territorium
des ehemaligen Jugoslawien preschte die Schweiz nicht vor, sondern v ollzog
alle
Massnahmen im Gleichschritt mit den Beschlüssen der EU. Im Gegensatz
zum österreichischen Aussenminister forderte Bundesrat Felber die
anderen Staaten
nicht aktiv dazu auf, auf eine internationale Anerkennung der Republiken
hinzuarbeiten. Er unterstrich aber die Bereitschaft der Schweiz, sich einer
Staatengruppe von signifikanter Grösse sofort anzuschliessen,
welche die jungen Staaten gemeinsam anerkennen würde.(41) Gleichzeitig
mit den meisten
anderen europäische n Staaten anerkannte die Schweiz die drei
Republiken Kroatien, Slowenien und Bosnien-Herzegowina am 15. Januar 1992
respektive am
7. April 1992.(42)
Noch deutlicher wird die Selbstbeschränkung des eigenen Handlungsspielraums
im Fall der Anerkennung der ehemaligen jugoslawischen Republik
Mazedonien: Obwohl die Republik gemäss dem Bericht von Robert
Badinter (Präsident der von der EU eingesetzten schiedsgerichtlichen
Kommission zur
Abklärung von Minoritäten- und Menschenre chtsfragen in den
Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien) alle Kriterien für eine
internationale
Anerkennung erfüllte, wurde das Land aufgrund des griechischen
Widerstandes von den EU-Staaten vorläufig nicht anerkannt. Die Schweiz
folgte dieser Politik
bis in den Sommer 1993, wenngleich die Beweggründe für die
Haltung der Europäischen Union rein EU-interner Natur waren.(43) Die
Eidgenossenschaft
begründete ihren Standpunkt dahingehend, dass sie ihre Politik
be züglich der Anerkennung Mazedoniens mit der EU koordinieren wolle
und der Republik ein
isoliertes Vorgehen ohnehin nicht viel nütze. Zudem sollte Griechenland
nicht vor den Kopf gestossen werden.(44) Die Schweiz verzichtete damit
- nicht zuletzt
aus Rücksicht auf die laufenden bilateralen Verhandlungen mit
der EU - einmal mehr bewusst auf eine unabhängige Politik.
Auch bei der Anwendung der Wirtschaftssanktionen gegen Serbien und Montenegro
war die Schweiz stiller Nachvollzi eher einer gesamteuropäischen Politik.
Der Bundesrat schloss sich am 8. November 1991 den am Vortag von der
EU verhängten Wirtschaftssanktionen gegenüber Restjugoslawien
vollumfänglich an
und wandte die entsprechenden Massnahmen autonom an.(45) Die immerhin
so rasch erfolgte Entscheidung der Schweizer Behörden ist um so erstaunlicher,
als es sich bei der eidgenössischen Sanktionspolitik (wie aus
jüngeren Beispielen hervorgeht) erfahrungsgemäss immer um eine
zie mlich heikle Angelegenheit
handelte.
Die Genfer Jugoslawienkonferenz
Die Bemühungen der Schweiz um eine Vermittlerrolle im Jugoslawienkonflikt
waren indirekt insofern erfolgreich, als die internationale Gemeinschaft
Genf zum
Sitz der permanent tagenden "Internationalen Konferenz über das
frühere Jugoslawien" bestimmte. Als Ende September 1992 die EU und
die Uno Genf als
Tagungsort vorschlugen, hing diese Wahl nicht so sehr mit dem spezifi
schen Neutralitätsstatus der Schweiz zusammen, sondern damit, dass
Genf als eine Stadt
mit internationalem Ruf und guten verkehrstechnischen Verbindungen
gegenüber anderen Standorten komparative Vorteile aufweist. Nicht
zuletzt bedurfte es
für die Bereitschaft, Genf als Sitz zu wählen und die Schweiz
als Beobachterin an der Konferenz teilnehmen zu lassen, auch einiger diplomatischer
Bemühungen
von Schweizer Seite.(46)
Die "Internationale Konferenz über das fr& uuml;here Jugoslawien"
sollte gemäss den Beschlüssen der vorangegangenen Londoner Konferenz
(26. bis 28.
August 1992) solange tagen, bis die Probleme des früheren Jugoslawien
eine Lösung gefunden haben. Die Genfer Jugoslawienkonferenz ist eigentlicher
Knotenpunkt für die Koordination der verschiedenen (vor allem
präventivdiplomatischen) Missionen nach allen Ländern des ehemaligen
Jugoslawien, welche
die OSZE und die Uno, zum Teil aber auch die EU, durchfü hren.
Darüber hinaus setzen sich im Rahmen der Konferenz sechs Arbeitsgruppen
vertieft mit
spezifischen Aspekten des Konfliktes auseinander. Die Schweiz stellte
der Konferenz bislang in erster Linie logistische Unterstützung (Infrastruktur
und
Flugmittel für Personentransporte für rund 600'000 Franken
im Jahr) zur Verfügung.(47) Personell war die Schweiz lediglich durch
Botschafter Armin Ritz an
der Arbeit der Arbeitsgruppen beteiligt, der eine Zeitlang in der Gruppe
"M inderheiten" mitwirkte.(48)
1.2. Der Beitrag der Schweiz im Rahmen der zivilen Aktionen der OSZE,
der Uno und der
EU
Aufgrund des äusserst begrenzten unabhängigen Handlungsspielraums
der Schweiz kam der Frage erhöhte Bedeutung zu, in welcher Art und
Weise sich unser
Land an den zivilen Aktionen der OSZE, der Uno und der EU im Rahmen
friedensbildender Massnahmen und der Präventivdiplomatie beteiligen
sollte. Es lag
in der Sache begrü ndet, dass sich das Aktionsfeld der Schweiz
wegen der Nichtmitgliedschaft in der Uno und der EU auf Aktivitäten
im Rahmen der OSZE
verdichten würde.
Aktivitäten im Rahmen der OSZE
Angesichts zunehmender Instabilitäten in Europa wurde Ende Juni
1991 auf dem Berliner Treffen des OSZE-Aussenministerrates ein
Dringlichkeitsmechanismus geschaffen, der in schwerwiegenden und dringlichen
Situationen politische Konsultationen aller OSZE-Staaten v orsieht, die
durch ihre Empfehlung zur Lösung des Konfliktes beitragen sollen.(49)
Dieser sogenannte "Berliner-Mechanismus" gelangte im Fall von Jugoslawien
zweimal
zur Anwendung, Anfang Juli 1991 auf Initiative Luxemburgs und im Mai
1992 auf österreichischen Vorstoss hin.(50)
Neben diesem politischen Mechanismus bestand seit 1990 auch ein militärischer
Mechanismus ("Wiener-Mechanismus"), der im Fall "ungewöhnlicher
militärischer Aktivitäten " von den Teilnehmerstaaten angerufen
werden kann.(51) Im Fall des ehemaligen Jugoslawien gelangte der Mechanismus
dreimal zur
Anwendung. Zur ersten Dringlichkeitssitzung kam es am 1. Juli 1991:
Österreich und Italien forderten von Belgrad Aufklärung über
die Situation in Slowenien
und richteten einen Appell an alle Kriegsparteien, die Kampfhandlungen
einzustellen. Wegen Unstimmigkeiten zwischen Ungarn und der restjugoslawischen
Regierung kam es anfangs September 1991 (Verletzung des ungarischen
Luftraumes durch die jugoslawische Armee) respektive im April 1994 (Behauptung
seitens der jugoslawischen Regierung, dass Ungarn serbisch-montenegrinische
Truppen angegriffen habe) zur wiederholten Aktivierung des militärischen
Mechanismus gemäss dem Wiener Dokument.
Die Krisenmechanismen gelangten zwar mustergültig zur Anwendung,
die auf den OSZE-Treffen erhobenen Forderungen nach Einstellung der
Kampfhandlungen hatten aber keine Wirkung auf das Kriegsgeschehen.
Auch Vermittlungsangebote der OSZE an die Kriegsparteien wurden, meist
von der
serbischen Seite, abgelehnt.
Eine sehr lebhafte Beteiligung von Schweizer Seite erfuhren die nach
den verschiedenen ehemaligen jugoslawischen Republiken entsandten Missionen
der
OSZE. Deren Aufgaben sind vielfältig. Solche Missionen sind schon
deshalb notwendig, weil die Markierung internationaler Präsenz eine
stabilisierende
Wirkung in Krisengebieten haben kann. OSZE-Delegationen haben zum Ziel,
den Dialog zwischen Regierungsstellen, Oppositions- oder Minderheitengruppen
und einzelnen Bürgern zu fördern, sie holen Informationen
ein und sorgen für eine objektive Berichterstattung über Vorfälle
aller Art. Zum Teil unterstützen und
beraten sie auch die lokalen Behörden bei der friedlichen Bewältigung
von Konflikten.
An den meisten der von der OSZE unternommenen Missionen nach dem ehemaligen
Jugoslawien war die Schweiz mit eigenem Personal beteiligt, d rei
Missionen leitete sie gar.(52) Die erste Mission der OSZE nach dem
ehemaligen Jugoslawien wurde von der Schweiz organisiert und geleitet.
Im Dezember
1991 brach eine Expertengruppe unter der Leitung des Staatsrechtlers
Thomas Fleiner für mehrere Wochen in die Republiken des ehemaligen
Jugoslawien auf,
um Bericht über die Einhaltung der Menschenrechte und die Situation
der Minderheiten zu erstatten. Zwei Monate später kam es in der gleichen
personellen
Besetzung zu einer Nachfolgemi ssion, welche sich nochmals für
einige Tage nach dem Balkan aufmachte.(53) In seinem Bericht schlug Fleiner
unter anderem
die Einsetzung einer Langzeitmission für Serbien und Montenegro
vor. Im September 1992 wurde dieses Vorhaben realisiert. Die Aktion musste
Ende Juni
1993 aber abgebrochen werden, weil die serbischen Behörden die
zwanzig Missionsmitglieder nicht länger auf ihrem Territorium duldeten.
Auch an der Abklärungsmission der OSZE nach dem Kosovo vom 27.
Mai 1992 und der OSZE-Mission vom 29. August 1992 nach Bosnien-Herzegowina,
welche die internationale Kontrolle über die Kriegsgefangenenlager
verstärken sollte, nahm die Schweiz mit eigenem Personal teil.(54)
Für die Langzeitmissionen der OSZE nach dem ehemaligen Jugoslawien
ordnete der Bundesrat bislang vier Personen ab. Zwei gehörten der
1993 von Belgrad
zum Rückzug gezwungenen Mission in Serbien und Montenegro an,
eine Person arbeitete von November 1994 bis April 1995 i n der Mission
in Sarajewo,
und seit Mai 1994 ist auch ein Schweizer im Rahmen einer OSZE-Langzeitmission
in Mazedonien tätig. Die Mission in Sarajewo wurde vom Schweizer Hans
Peter Kleiner geleitet.(55)
Die Schweiz erklärte sich zudem bereit, gemeinsam mit der Genfer
Jugoslawienkonferenz und der OSZE die Mission zur Überwachung der
Sanktionen
gegen Serbien und Montenegro mit Zollbeamten zu unterstützen.
Seit Frühjahr 1993 ist sie mit sieben Zollbeamten an der &Uu ml;berwachungsmission
vertreten, an der insgesamt 180 Beamte aus verschiedenen Mitgliedstaaten
teilnehmen.(56) Als weitere Geste an die Bemühungen der internationalen
Staatengemeinschaft um eine Regelung des Konfliktes ist in diesem Zusammenhang
auch der von der Schweiz im Herbst 1994 organisierte und finanzierte
Lufttransport von 135 internationalen Beobachtern der Kontaktgruppe
zu nennen, welche an der serbisch-bosnischen Grenze postiert wurden.(57)
Im Rahmen der OSZE nahm die Schweiz auc h in der ehemaligen jugoslawischen
Republik Mazedonien Funktionen wahr. Auf eine Einladung der OSZE hin
reisten am 14. Oktober 1994 sechs schweizerische Wahlbeobachterinnen
und
-beobachter nach Mazedonien, um den Verlauf der Wahlen zu verfolgen.
Zu den Nachwahlen, welche am 30. Oktober 1994 stattfanden, stiessen nochmals
sechs schweizerische Wahlbeobachterinnen und -beobachter hinzu.(58)
Als eine weitere Präventivmassnahme in der ehemaligen jugoslawischen
Republik
Mazedonien ist die finanz ielle Unterstützung eines Fernsehstudios
für Minderheiten zu sehen. Dies allerdings war ein Projekt der Internationalen
Jugoslawienkonferenz in Zusammenarbeit mit der RTV Mazedonien. Der
schweizerische Beitrag belief sich auf 550'000 Franken, hinzu kam eine
finanzielle
Unterstützung von seiten Dänemarks in Höhe von 420'000
Franken.(59)
Welche Rolle für die OSZE auf dem Balkan?
Im Vergleich zu den Tätigkeiten der Uno und der EU fr istet die
OSZE im ehemaligen Jugoslawien ein Aussenseiterdasein. Da der Organisation
jegliche
Sanktionsmöglichkeiten fehlen, ist sie stärker als die anderen
internationalen Organisationen von der Kooperationsbereitschaft und dem
guten Willen der
Kriegsparteien abhängig. Solange daher auch nur eine Seite auf
die militärische Karte zur Erreichung bestimmter Ziele setzt, ist
eine Tätigkeit der OSZE
schwierig und bewegt sich - wie etwa in Sarajewo - in sehr engen Grenzen.
Wirksame Arbeit kann die Organisation in Regionen leisten, wo latente
Spannungen zwischen einzelnen Volksgruppen noch nicht in "heisse" Kriege
umgeschlagen sind. Das Hauptfeld der Tätigkeit der OSZE auf dem
Balkan ist deshalb derzeit sinnvollerweise auf Mazedonien ausgerichtet,
wo es in erster
Linie gilt, den Abbau der Spannungen zwischen der albanisch sprechenden
Minderheit und der mazedonischen Mehrheit zu fördern. Daneben hat
die Präsenz
der OSZE (und der Uno) in Mazedonie n den Zweck, ein Ausgreifen des
Krieges auf diese Republik unwahrscheinlicher zu machen.
Präventivdiplomatie wäre aber gerade auch innerhalb Restjugoslawiens
(Kosovo, Wojwodina und dem Sandschak) dringend vonnöten. In diesen
Gebieten
betreibt Belgrad eine massive Repressionspolitik gegenüber den
nichtserbischen Minderheiten, um deren Rechte und Freiheiten es schlecht
bestellt ist. Dass die
OSZE dort nicht wirken darf, hat sie sich zum Teil selber zuzuschreiben.
Im Juli 1992 beschlossen die Teilnehmerstaaten der OSZE angesichts der
wachsenden
Frustration über die Wirkungslosigkeit der Appelle zur Einhaltung
der Grundprinzipien des humanitären Völkerrechts, Restjugoslawien
aus der Organisation
auszuschliessen. Im Rückblick ist diese Handlungsweise als ein
Ausdruck politischer Schwäche zu bedauern. Der Abbruch aller Brücken
zu Serbien und
Montenegro erschwerte die Durchführung künftiger Missionen
nach den Krisenregionen innerhalb Re stjugoslawiens. Zusätzlich manövrierte
sich die OSZE
durch diesen Entscheid als mögliches Forum für die Aufnahme
eines politischen Dialoges über eine zukünftige Gesamtfriedensordnung
auf dem Balkan ins
Abseits.
Gerade der OSZE könnte wegen ihrer Mitgliederstruktur (sie ist
die einzige sicherheitspolitische Organisation in Europa, in der in loser
Verbindung alle west-
und osteuropäischen Staaten vereinigt sind) bei einer politischen
Stabilisierung der Reg ion und, damit verbunden, dem Abbau der überdimensionierten
Rüstungspotentiale der Kriegsparteien eine wichtige Rolle zukommen.(60)
In diesem Sinne gab beispielsweise der kroatische Vertreter an einem OSZE-Treffen
im Frühjahr 1995 bekannt, dass Kroatien einer Ausweitung und Stärkung
eines OSZE-Mandates zur Überwachung der international anerkannten
Grenzen
Kroatiens positiv gegenüberstehe. Nach den Worten des kroatischen
Vertreters ist die OSZE die einzige "Sicherhei tsorganisation, an der Kroatien
vollberechtigt teilnehme".(61) In Bosnien-Herzegowina geniesst die
OSZE ganz im Gegensatz zur Uno oder der EU in den Augen derjenigen Kreise,
die sich
für die Erhaltung eines multikulturellen Staates einsetzen, weiterhin
ein hohes Ansehen.
Beitrag der Schweiz an die friedenserhaltende Mission der Uno
Am 21. Februar 1992 fasste der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
den Beschluss, ein erstes Kontingent von 13'000 Uno-B lauhelmen (UNPROFOR)
innerhalb Kroatiens, an der Frontlinie zu der durch die Serben okkupierten
Krajina, zu stationieren. Die friedenserhaltende Mission der Uno auf dem
Territorium des ehemaligen Jugoslawien ist bis zum gegenwärtigen
Zeitpunkt auf gegen 43'000 Personen angewachsen. Über die Hälfte
der Uno-Blauhelme
befindet sich in Bosnien-Herzegowina. Ein kleines Kontingent von wenigen
hundert Mann ist schliesslich in Mazedonien stationiert.
Der Beitrag der Schweiz an die friede nserhaltende Operation der Uno
im ehemaligen Jugoslawien fiel kärglicher aus als ursprünglich
erwartet. Da parallel zur
anlaufenden Uno-Mission im ehemaligen Jugoslawien ein Gesetz über
schweizerische Truppen für friedenserhaltende Massnahmen erst in Vorbereitung
war und
daher der Uno keine bewaffneten Blauhelme zur Verfügung gestellt
werden konnten, entschloss sich der Bundesrat, die UNPROFOR durch verschiedene
andere Massnahmen zu unterstützen.(62) Unbewaffnete Dienst leistungen
im Rahmen der Uno und der internationalen Friedenssicherung führte
die
Eidgenossenschaft schon seit Jahren aus.(63) Ende Februar 1992 erklärte
sich der Bundesrat auf eine entsprechende Anfrage des Uno-Generalsekretariates
hin bereit, die friedenserhaltende Operation der UNPROFOR mit der Entsendung
von höchstens dreissig Zivilpolizisten und fünf Militärbeobachtern
zu
unterstützen, die vor allem um die Überwachung des Waffenstillstandes
besorgt sein sollten .(64) Da der Bund über kein eigenes nationales
Polizeikorps
verfügt, war er auf die Unterstützung der Kantone angewiesen.
Weil die 26 Kantone nur gerade etwa 8 Mann freizustellen gewillt waren,
konnte die
schweizerische Mitarbeit nicht in der geplanten Form durchgeführt
werden.(65)
Für die Überwachung der Grenze zu Serbien und Montenegro stellte
die Schweiz der Uno, neben den schon erwähnten sieben Beamten, welche
sie zum
gleichen Zweck im Rahmen der OSZE entsa ndte, sechs Militärbeobachter
zur Verfügung.(66) Hinzu sind noch sechs Schweizer Grenzwachtbeamte
zu zählen,
die seit Juni 1993 in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien
stationiert sind, um dort eine Polizei- und Beobachtermission im Rahmen
eines
Beitrages zur präventiven Diplomatie der UNPROFOR zu erfüllen.(67)
Ein weiterer Beitrag zum Peacekeeping der UNPROFOR stellte die Entsendung
von Brigadier Peter Arbenz und dessen Mitarbeiter Manuel Bessler nach dem
ehemaligen Jugoslawien dar. Als Antwort auf eine entsprechende Anfrage
des Uno-Beauftragten für Ex-Jugoslawien, Jasushi Akashi, stellte der
Bundesrat
Brigadier Peter Arbenz für den Posten des Generalinspektors der
UNPROFOR für eine Zeit von sechs Monaten zur Verfügung. Für
das Amt des
Generalinspektors war nicht ein Neutraler, sondern in erster Linie
ein Unparteiischer gesucht. Da die Schweiz keine bewaffneten Blauhelmtruppen
stellte, schien
ein Schweizer für diese Aufg abe prädestiniert zu sein.(69)
Im Gegensatz zur personellen Unterstützung gestaltete sich der
Beitrag der Schweiz an die friedenserhaltenden Massnahmen der Uno in Form
logistischer
Unterstützungsmittel und finanzieller Beiträge weniger problematisch.
Die Eidgenossenschaft übergab den Uno-Truppen 40 von der schweizerischen
Armee
ausgemusterte Unimog und zwei gepanzerte Geländefahrzeuge. Zusätzlich
unterstützte die Schweiz die Uno-Entminungsaktion vom Somme r 1994
mit über
einer halben Million Franken.(69) Insgesamt belief sich der finanzielle
Aufwand der Schweiz für die Unterstützung der Mission der Uno
im ehemaligen
Jugoslawien zwischen Frühjahr 1992 und März 1994 auf gegen
drei Millionen Franken.(70) Im Mai dieses Jahres kam der Uno-Mission von
seiten der
Schweizer Regierung nochmals ein Betrag über 1,5 Millionen Franken
zugute.(71)
Beteiligung an der EU-Verwaltung der Stadt Mostar
Nach der Unterzeichnung des Föderationsabkommens zwischen bosnischen
Kroaten und Muslimen am 18. März 1994, mit dem ein Schlussstrich unter
den
einjährigen Konflikt zwischen den beiden Volksgruppen gezogen
wurde, kamen die ehemaligen Kriegsgegner überein, der EU das Mandat
für die Verwaltung
der vom Krieg stark in Mitleidenschaft gezogenen Stadt Mostar (Hauptstadt
der Herzegowina) anzuvertrauen. Innerhalb von zwei Jahren sollte unter
der
Leitung des ehemaligen Bürg ermeisters von Dresden, Hans Koschnik,
die Wiedervereinigung einer multikulturellen Stadtverwaltung herbeigeführt
werden.
Auf Wunsch von Koschnik ist auch ein Schweizer, Hans Birchler, seit
Ende September 1994 in offizieller Mission des EDA als Rechtsberater für
die
EU-Administration von Mostar tätig.(72) Die Aufgabe des Rechtsberaters
ist es, eine Stadtverfassung für Mostar und ein Wahlrecht im Hinblick
auf die
Gemeindewahlen zu erarbeiten sowie ein Polizeireglement abzufas sen.
Begleitet wird diese konkrete Form der Hilfe vor Ort mit einem starken
humanitären
Engagement im Bereich der Wiederaufbauhilfe. Mostar ist neben Tuzla
eine Schwerpunktregion der humanitären Hilfe des Bundes.(73)
Zusammenfassung
Inwieweit kam die Schweiz dem sicherheitspolitischen Ziel "Beitrag zur
internationalen Stabilität, vor allem in Europa" im Fall des ehemaligen
Jugoslawien
entgegen? Mit dem Ende des kalten Krieges und dem Zerfall der Machtblöcke
in Ost und West hat sich der aussenpolitische Handlungsspielraum des neutralen
Kleinstaates wohl eher verkleinert denn vergrössert. Die Neutralität
ist in einer multipolaren und interdependenten Welt keine Voraussetzung
für die Übernahme
einer Vermittlerrolle in aktuellen Konflikten. Die Bemühungen
um eine Konfliktlösung in Jugoslawien konzentrierten sich in erster
Linie auf die Grossmächte, die
ihre Vorgehensweise in internationale n Organisation wie der Uno und
der EU aufeinander abzustimmen versuchten.
Für das Angebot einer schweizerischen bilateralen Vermittlertätigkeit
interessierten sich die Konfliktparteien daher kaum. Vielmehr strebten
sie mit erster
Priorität danach, die Grossmächte und die internationalen
Organisationen für ihre Zwecke zu gewinnen oder gar gegeneinander
auszuspielen. Aber auch die
Uno und die EU wandten sich bei der Verteilung von Vermittlermandaten
nicht in erster Linie an die Schweiz. Die mit Schweizer Beteiligung in
Gang
gekommenen OSZE-Krisenmechanismen wiederum sind wegen fehlenden Sanktionsmöglichkeiten
auf das Kriegsgeschehen in Kroatien und
Bosnien-Herzegowina ohne jeden Einfluss geblieben.
Die Schweiz als Nichtmitglied der Uno und der EU, den beiden wichtigsten
Akteuren in den diplomatischen Bemühungen um eine Lösung der
Krise auf dem
Balkan, muss nach Nischen suchen, um ihren Beitrag zur Stabilität
in Europa leisten zu kö ;nnen. Spektakuläre diplomatische Initiativen
sind nur selten ihre
Sache. Die guten Dienste der Schweiz sind auch in der Zeit nach dem
kalten Krieg nicht obsolet geworden. Nur werden die Bedürfnisse nicht
mehr einfach von
aussen an unser Land herangetragen, sondern wir müssen uns selber
aktiv und initiativ darum bemühen, unseren Beitrag mit demjenigen
der internationalen
Gemeinschaft abzustimmen. Im Bereich der Präventivdiplomatie beteiligte
sich die Schweiz de nn auch an den Missionen der OSZE und nahm daneben
punktuell an den zivilen Aktionen der Uno und der EU teil.
Ist somit der aussenpolitische Spielraum der Schweiz ohnehin begrenzt,
muss Bern darüber hinaus auch der innenpolitischen Stimmungslage Rechnung
tragen.
Ein grosser Teil der schweizerischen Bevölkerung reagiert empfindlich
auf ausgreifende aussenpolitische Aktionen. In dieser Situation drängte
es sich auf, die
Hauptaktivitäten nicht im politischen Bereich, sondern im Bereich
der humanitären Hilfe oder allenfalls (auf einer mehr konzeptionellen
Ebene) bei der Stärkung
des internationalen humanitären Völkerrechts zu entwickeln.
95.088
Asylgesetz und Anag.
Änderung
Loi sur l'asile et LSEE.
Modification
Vierte Sitzung - Quatrième séance Mittwoch, 4. Juni 1997
- Mercredi 4 juin 1997
15.00 h
Koller Arnold, Bundespräsident: Sie haben es alle gehört
- auf jeden Fall jene, die im Saal waren -: Der asylpolitische Konsens,
den es auch in
diesem Rat einmal gegeben hat, ist inzwischen in alle Richtungen
verflogen.
Im Jahre 1990, als wir uns in einer viel schwierigeren asylpolitischen
Lage befanden - damals hatten wir jedes Jahr 50 Prozent mehr
Asylgesuche, damals hatten wir über 60 000 Pendenzen, und
man sagte uns über 100 000 Pendenzen voraus -, rauften sich die verschiedenen
politischen Lager zusammen, um unsere humanitäre Asyltradition
aufrechtzuerhalten und erkannte Mängel unseres Asylverfahrens tatsächlich
auszumerzen.
Heute ist von diesem politischen Willen offensichtlich nicht mehr
viel zu spüren, und ich frage mich als verantwortlicher Departementschef,
ob
uns das Wasser wirklich bis zum Halse stehen muss, bis wir uns
in einer derart wichtigen Frage wieder zusammenraufen können.
Ich möchte ein Wort Ihrer Kommissionspräsidentin aufnehmen:
Frau Fankhauser hat gesagt, dass der Bundesrat in seiner Botschaft zum
Asylgesetz ausgeführt habe, dass die Schweiz ein klassisches
Asylland sei. Wir nehmen das auch heute für uns in Anspruch. Ich muss
daher
all jene Ausführungen, die dahin gehen, dass wir mit den
verschiedenen Ayslgesetzrevisionen unser Asylrecht fortwährend ausgehöhlt
hätten,
entschieden zurückweisen. Das Gegenteil ist der Fall.
Wir haben über all die Jahre hinweg alle unsere völkerrechtlichen
Verpflichtungen gewissenhaft eingehalten, und zwar auch in schwierigster
Lage. Wir müssen uns unserer Asylpolitik wirklich nicht
schämen. Das zeigen auch einige Zahlen: Wenn Sie bedenken, dass wir
allein im
Jugoslawienkonflikt 48 000 Menschen in unserem Lande Schutz gewährt
haben, dass wir über 20 000 Familien in unserem Lande Schutz
gewährt haben, dass wir zurzeit noch rund 17 000 Türken
- darunter sehr vielen Kurden, bei denen es heute noch teilweise eine
Anerkennungsquote von rund 40 Prozent gibt - in unserem Lande
Schutz gewähren und sie zu einem schönen Teil auch als Flüchtlinge
anerkannt haben, dann kann man doch nicht sagen, dass wir unser
Asylrecht fortwährend aushöhlen würden. Davon kann keine
Rede sein.
Aber eines ist natürlich festzuhalten: Die asylpolitische
Landschaft hat sich in den Jahren seit der Beratung des ersten Asylgesetzes
ganz
zentral geändert. Ich erinnere mich noch sehr wohl - ich
war damals im Nationalrat - an die damalige Lage: Ende der siebziger Jahre
hatten wir
pro Jahr weniger als 1000 Asylgesuche. Es waren vor allem Asylgesuche
aus dem Osten Europas, und die Anerkennungsquote lag bei über 90
Prozent. Heute haben wir natürlich eine vollständig
andere asylpolitische Landschaft, weil immer mehr Asylgesuchsteller aus
der Dritten Welt zu
uns kommen. Den Höhepunkt der Zahl der Asylgesuche haben
wir bekanntlich Anfang der neunziger Jahre erreicht. Zugleich ist die
Anerkennungsquote damals auf unter 5 Prozent gefallen.
Aber mit dem dringlichen Bundesbeschluss über das Asylverfahren
(AVB) aus dem Jahre 1990 haben wir die Probleme, vor die uns diese ganz
neue asylpolitische Landschaft gestellt hat, weitestgehend in
den Griff bekommen, Herr Keller. Auch Sie können nicht wegreden, dass
wir seit
dem Jahre 1992 auf der Basis dieses dringlichen Bundesbeschlusses
und auch, weil wir den Mut hatten, sowohl das Bundesamt wie die
Rekurskommission personell aufzustocken, die Zahl der Asylgesuche
um mehr als die Hälfte reduzieren konnten; wir sind von 42 000 auf
etwa
16 000 heruntergekommen. Natürlich gibt es nach wie vor
Schwankungen. Sie wissen auch, dass die Zunahme der Zahl von Asylgesuchen
der
ersten Monate dieses Jahres damit zu tun hat, dass Jugoslawien
die eigenen Staatsangehörigen immer noch völkerrechtswidrig nicht
zurücknimmt. Das ist der Grund für diese Zunahme. Es
ist nicht so, dass unser Asylverfahren Mängel aufweisen würde.
Deshalb geht es einfach nicht an, so zu tun, als ob wir nicht
klare Erfolge erzielt hätten. Angesichts des drastischen Rückgangs
der
Asylgesuche und des Abbaus der Pendenzen von über 62 000
auf heute noch gut 20 000 in beiden Instanzen - wobei das Gros von den
Tamilen
gestellt wird - kann man nicht so tun, als ob der Bundesrat zusammen
mit dem Parlament und dem Volk in der Asylpolitik nicht entscheidende
Erfolge erzielt hätte.
Deshalb ist es ein Hauptanliegen dieser Totalrevision, diesen
sehr bewährten dringlichen, aber zeitlich begrenzten Bundesbeschluss
über das
Asylverfahren nun ins ordentliche Recht überzuführen.
Es sind übrigens gerade diese unbestreitbaren Erfolge in
der Asylpolitik gewesen, die es uns überhaupt ermöglicht haben,
im
Jugoslawienkonflikt eine grosszügige Aufnahmepolitik zu
betreiben. Wenn wir diese Erfolge mit dem dringlichen Bundesbeschluss über
das
Asylverfahren nicht realisiert hätten, dann hätten
wir während des Jugoslawienkonflikts nie 48 000 Menschen in unserem
Lande Schutz
gewähren können.
Wir geben aber zu - das habe ich übrigens auch während
der letztjährigen Abstimmungskampagne immer klargemacht -, dass es
zu schön
wäre, wenn wir keine Probleme mehr hätten. Wir haben
Probleme. Wir haben sie vor allem beim Vollzug der Wegweisungen, und zwar
zum
einen gegenüber der Bundesrepublik Jugoslawien. Wir hoffen
zwar, dass es mit dem Abkommen demnächst zu einem Durchbruch kommt;
das
ist ein eminentes und für den Bundesrat zurzeit das grösste
Anliegen. Deshalb konzertieren wir auch im Bundesrat unsere Politik gegenüber
der
Bundesrepublik Jugoslawien, damit die Bundesrepublik dieses Abkommen
nun wirklich unterzeichnet. Zum anderen haben wir wegen des immer
wieder aufflackernden Bürgerkriegs auch Probleme bei der
Rückführung nach Sri Lanka. Diese Probleme hängen aber nicht
mit der Unfähigkeit
unserer Asylpolitik zusammen, sondern entweder mit der politischen
Lage in diesen Ländern oder - wie im Falle der Bundesrepublik Jugoslawien
- mit klaren Völkerrechtsverletzungen. Darin liegt übrigens
auch der einzige Grund, weshalb wir trotz starkem Rückgang der Zahl
der
Asylgesuche immer noch steigende Kosten aufzuweisen haben. Es
ist uns einfach nicht in ausreichendem Masse gelungen, negative
Asylentscheide auch tatsächlich zu vollziehen, vor allem
in bezug auf die beiden genannten Länder.
Warum eine Totalrevision? Eine Totalrevision schien uns nötig,
weil wir - wie gesagt - erstens einmal den zeitlich begrenzten, sehr bewährten
Bundesbeschluss über das Asylverfahren und den Bundesbeschluss
über Sparmassnahmen im Asyl- und Ausländerbereich unbedingt ins
ordentliche Recht überführen müssen. Im übrigen
mussten wir bei der Vorbereitung feststellen, dass das Asylgesetz aus dem
Jahre 1981 infolge
von fünf Revisionen sehr unübersichtlich geworden und
nicht mehr transparent ist. Ein unübersichtliches, nicht mehr transparentes
Asylgesetz
auf einem Gebiet, das bekanntlich auch bei unseren Bürgerinnen
und Bürgern sehr viele Emotionen weckt, ist ein schlechtes Recht.
Ich möchte nicht auf alle Neuerungen in diesem totalrevidierten
Gesetz eingehen, sondern möchte mich nur noch kurz mit der Hauptneuerung,
der Schaffung eines besonderen Status der vorübergehenden
Schutzgewährung, auseinandersetzen:
Herr Leuba hat zu Recht gesagt: Das sagt einem ja wirklich der
"bon sens", also der gesunde Menschenverstand, dass auf diesem Gebiete
etwas nicht mehr stimmt. Wenn Sie bedenken, dass im geltenden
Recht diese kollektive oder auch die individuelle vorläufige Aufnahme
nur eine
Ersatzvornahme ist, wenn nach negativem Asylentscheid eine Rückführung
nicht möglich, nicht zumutbar oder zulässig ist, dann macht es
doch keinen Sinn, für Zehntausende von Leuten ein individuelles
Asylverfahren durchzuführen, obwohl man von vornherein weiss, dass
man die
negativen Entscheide nicht vollziehen kann. Es begreift wirklich
niemand, dass man im Bundesamt eine Wegweisungsverfügung erlässt
und
beinahe im gleichen Moment sagen muss, die Leute könnten
natürlich trotzdem hierbleiben. Das ist doch ein kafkaesker Leerlauf,
den wir hier
betreiben! Ich darf das noch durch einige Zahlen untermauern:
Bedenken Sie, dass seit Ausbruch des Krieges in Ex-Jugoslawien etwa 34
000
Personen ein solches individuelles Asylverfahren durchlaufen
haben, wobei wir immer von vornherein wussten, dass wir sie nicht zurückschicken
konnten. Das hat doch mit effizienter Verwaltungsführung
überhaupt nichts mehr zu tun. Daraus ersehen Sie auch, das vor allem
in diesem
Punkt eine grundlegende Gesetzesänderung unbedingt nötig
ist.
Wir haben festgestellt, dass seit dem Jahre 1986 bis heute etwa
zwei Drittel aller Asylsuchenden aus Jugoslawien, der Türkei, Sri
Lanka und
Libanon stammten - also immer aus Ländern, wo Krieg oder
Bürgerkrieg herrschte. Wir wussten, dass wir diese Leute - ganz unabhängig
vom
Resultat des individuellen Asylverfahrens - nachher nicht zurückschicken
konnten. Deshalb macht eben dieser neue Status der vorübergehenden
Schutzgewährung eminenten Sinn.
Ich bin überzeugt: Unser Volk - das haben übrigens auch
Abstimmungen gezeigt; ich komme nachher darauf zurück - will an der
humanitären
Asylpolitik festhalten. Aber unser Volk hat keinerlei Verständnis
für Missbräuche, und es hat keinerlei Verständnis für
administrative Leerläufe
auf diesem Gebiet. Das ist das Anliegen dieser Revision.
Aus diesem Grunde muss ich Sie dringend bitten, alle Rückweisungsanträge,
die dieses totalrevidierte Gesetz nun auftrennen möchten,
zurückzuweisen.
Wenn wir in einem Land derartige Probleme haben wie im Asylbereich,
dann müssen Sie als Gesetzgeber Ihre Verantwortung übernehmen
und
dann können Sie beispielsweise die Frage eines vorübergehenden
Schutzes nicht einfach auf die lange Bank schieben. Wir kennen das
Problem, wir haben jetzt lange genug Erfahrungen gemacht; jetzt
müssen wir die Verantwortung übernehmen und entscheiden.
Deshalb möchte ich Sie bitten, sowohl den Antrag de Dardel
wie den Antrag Vollmer, aber auch den Antrag Steffen abzulehnen.
Herr Steffen, selbst wenn man aus Ihrer als ungültig erklärten
Initiative die Verletzungen des zwingenden Völkerrechtes herausnimmt,
bleiben
noch mehrere Dinge, die inakzeptabel sind. Wenn beispielsweise
künftig nach Annahme dieser Initiative der Bund für den ganzen
Vollzug der
Wegweisungen hätte zuständig werden müssen, dann
wären wir dazu schlicht nicht in der Lage gewesen. Wir hätten
einen Riesenaufwand
hinsichtlich der Rekrutierung von neuen Beamten betreiben und
beim Bund eine eigene Vollzugsbehörde bereitstellen müssen; das
hätte ja nicht
der Sinn sein können, nachdem die Kantone bereits über
die entsprechenden Verwaltungseinheiten verfügen. Kommt dazu, dass
die Gemeinden
künftig nicht mehr verpflichtet wären, ihren proportionalen
Anteil an Asylbewerbern zu übernehmen; auch das würde in die
Anarchie führen. Wir
leben im Flüchtlingsbereich von dieser Solidarität
aller Kantone und Gemeinden.
Die Anliegen dieser Totalrevision des Asylgesetzes sind nämlich
sehr leicht überschaubar. Es geht erstens um die Überführung
des bewährten
AVB ins ordentliche Recht, und es geht zweitens um eine beschränkte
Zahl von Neuerungen. Die wichtigsten sind das neue Institut der
vorübergehenden Schutzgewährung, die Einführung
der notwendigen Datenschutzbestimmungen, die durchgehende Pauschalierung
im
Fürsorgebereich, damit wir möglichst Kosten sparen
können, und die ausdrückliche Regelung des Flughafenverfahrens
aufgrund eines
Entscheides des Europäischen Gerichtshofes in Strassburg.
Allgemein geht es um bessere Transparenz und Lesbarkeit dieses Gesetzes,
das
infolge von fünf Revisionen jede Übersichtlichkeit
verloren hat.
Natürlich war mir bewusst, dass man das Rad auch wieder neu
erfinden kann, wenn man ein Gesetz totalrevidiert. Aber ich hoffe, Sie
haben die
Gnade, dass Sie das bewährte Recht in der Detailberatung
nicht in Frage stellen, sondern dass Sie sich vor allem mit diesen rechtspolitischen
Neuerungen auseinandersetzen.
Ich komme auf den verflogenen asylpolitischen Konsens zurück:
Mein Eindruck ist, dass der Konsens im Volk grösser ist als in diesem
Rat,
und zwar aufgrund zweier Abstimmungen, die wir hatten. Das Volk
hat doch in den letzten beiden Jahren zwei ganz klare Signale gegeben:
Das
Volk hat anlässlich der Abstimmung über die SVP-Initiative
gezeigt, dass es die humanitäre Asylpolitik aufrechterhalten will.
Es hat mit der
Annahme des Bundesgesetzes über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht
ebenso klar gezeigt, dass Missbräuche konsequent bekämpft
werden müssen. Halten Sie sich bitte als Vertreter des Volkes
an diese Leitplanken; dann wird auch dieses Gesetz durchaus eine Chance
haben.
In diesem Sinne bitte ich Sie, auf die Vorlage einzutreten.
Eintreten wird ohne Gegenantrag beschlossen
L'entrée en matière est décidée sans
opposition
Erste Abstimmung - Premier vote
Für den Antrag der demokratischen Fraktion 3 Stimmen
Dagegen 147 Stimmen
Zweite Abstimmung - Deuxième vote
Für den Antrag de Dardel 40 Stimmen
Dagegen 101 Stimmen
Dritte Abstimmung - Troisième vote
Für den Eventualantrag Vollmer 35 Stimmen
Dagegen 107 Stimmen
Präsidentin: Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben per
Ordnungsantrag beschlossen, bis höchstens 19 Uhr zu tagen. Unter diesen
Umständen ist es nicht sinnvoll, mit der Detailberatung
eines solch umfassenden Gesetzes wie des Asylgesetzes zu beginnen. Wir
werden die
Detailberatung in der Herbstsession durchführen. Die OSZE-Präsidentschaft
1996:
Eine Herausforderung für die schweizerische Aussenpolitik
von Andreas Wenger und Christoph Breitenmoser
Anlässlich des Budapester Gipfeltreffens vom 5. Dezember 1994 wurde
die Schweiz in die Führungstroika der Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vormals Konferenz über
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) gewählt.
Damit unterstützte unser Land in diesem Jahr zusammen mit Italien
Ungarn in der Wahrnehmung der Präsidialverantwortung. Per 8.
Dezember 1995 wurde der Vorsitz für das kommende Jahr offiziell
an die Schweiz übertragen. Mit dieser Aufgabe setzt unser Land sein
traditionelles Engagement im Rahmen dieser Organisation fort. Die OSZE
ist für die Schweiz um so wichtiger, als sie die einzige
sicherheitspolitisch relevante Institution darstellt, in der unser
Land gleichberechtigt partizipieren kann.
Das Mandat des Amtierenden Vorsitzenden überträgt der Schweiz
die "Gesamtverantwortung für die ausführenden Tätigkeiten",
das
heisst, unser Land übernimmt Steuerungs- und Lenkungsaufgaben
innerhalb dieser gesamteuropäischen Sicherheitsorganisation. Die
Präsidentschaft der OSZE stellt nicht zuletzt deshalb eine besondere
Herausforderung für die schweizerische Aussenpolitik dar, weil sich
die
OSZE mitten in einem Institutionalisierungsprozess befindet.
Der epochale Umbruch 1989/1991 und die damit verbundene Überwindung
der Konfrontation zwischen Ost und West sowie die
Bereitschaft der Schweiz zur Übernahme der OSZE-Präsidentschaft
rücken sowohl den OSZE-Prozess an sich als auch die eigenen
Möglichkeiten der Schweiz im Rahmen dieser Organisation vermehrt
in den Blickpunkt der aussenpolitischen Aufmerksamkeit.
Der vorliegende Artikel schildert in einem ersten deskriptiven Teil
die Entwicklung von der "alten" KSZE zur "neuen" OSZE mit den
heutigen Institutionen. In einem zweiten analytischen Teil wird einerseits
die Bedeutung der OSZE für die Schweiz erläutert und
andererseits auf die mit der Präsidentschaft im Jahr 1996 verbundenen
Herausforderungen für die schweizerische Aussenpolitik
eingegangen. Namentlich soll dabei untersucht werden, welche Rahmenbedingungen
vorgegeben sind und welche Handlungsfelder der
schweizerischen OSZE-Präsidentschaft offenstehen.(1)
1. Die "alte" KSZE Von multilateraler Konferenzdiplomatie zum KSZE-Prozess
Der Entwicklungsverlauf der KSZE/OSZE, ihre Form und Thematik lassen
sich nicht von der Entwicklung des Ost-West-Konfliktes
trennen. Der Helsinki-Prozess widerspiegelt die politischen Verhältnisse,
die in den letzten zwanzig Jahren die europäische Politik
grundlegend verändert haben. Eine kurze Darstellung der historischen
Dimension des KSZE-Prozesses von seinen Ursprüngen bis zur
heutigen Ausgestaltung der OSZE sei daher der Diskussion künftiger
Entwicklungsoptionen vorangestellt.
Im Verlauf der sechziger Jahre stiegen die Chancen für die Verwirklichung
einer europäischen Neuordnung. Mit der Auflockerung der durch
den Kalten Krieg akzentuierten Interessenblockade zwischen den beiden
in Europa engagierten Supermächten, der Sowjetunion und den
Vereinigten Staaten, deuteten sich Möglichkeiten der Überwindung
des Konfrontationssystems zugunsten blockübergreifender, kooperativ
angelegter Strukturen im Sinne einer "antagonistischen Kooperation"
an. Das Projekt einer Europäischen Sicherheitskonferenz war ab
Mitte der sechziger Jahre über ein Jahrzehnt lang das wichtigste
Instrument multilateraler Entspannungspolitik in Europa. Im Beitrag der
einzelnen Akteure spiegelten sich jedoch unterschiedliche Motive und
Interessen.(2)
Die Idee einer gesamteuropäischen Sicherheitskonferenz stammte
ursprünglich von der Sowjetunion, die 1954 eine Initiative zur
Aushandlung eines kollektiven Sicherheitsvertrages lancierte. Weitere
Vorstösse folgten in den sechziger Jahren mit der Bukarester
Deklaration des Warschauer Paktes (1966) und im Budapester Appell der
Ostblockstaaten (1969). Das Hauptmotiv Moskaus für diese
diplomatischen Vorstösse war es, den territorialen Status quo,
wie er sich nach dem Zweiten Weltkrieg herausgebildet hatte, zu
konsolidieren. Die westliche Seite blieb gegenüber diesen Initiativen
anfänglich skeptisch: Sie sah in den sowjetischen Aktionen den
Versuch, die USA von ihren europäischen Verbündeten abzukoppeln.
Auf der neuen konzeptionellen Grundlage des Harmel-Berichtes
über die künftigen Aufgaben der Nato (1967) der neben der
Wahrung militärischer Stärke auch eine aktive Entspannungspolitik
propagierte begann die Nordatlantische Allianz die Frage einer europäischen
Sicherheitskonferenz gleichwohl ernsthaft zu prüfen. Das
Signal von Tiflis (1971), in dem die östliche Seite die Bereitschaft
zu den von den USA gewünschten Gesprächen über beiderseitige
und
ausgewogene Truppenreduzierungen (MBFR)(3) erkennen liess, erfüllte
eine wichtige Vorbedingung des Westens betreffend der
Gespräche über die konventionelle Abrüstung. Nach Abschluss
der deutschen Ostverträge, des Grundlagenvertrages zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der DDR, des Vier-Mächte-Abkommens
über Berlin und der erfolgreichen bilateralen Gespräche
zwischen den Grossmächten über die Begrenzung strategischer
Rüstungen (SALT I)(4) in der Phase der Entspannung der frühen
siebziger
Jahre konnten nach mehrjährigen bilateralen Sondierungen zwischen
Ost und West nun die multilateralen Vorbereitungen zur Konferenz
über Sicherheit und Zusammenarbeit mit der Aussenministerkonferenz
im Juli 1973 in Helsinki offiziell beginnen.
Die wichtigste Phase des beginnenden KSZE-Prozesses fand anschliessend
von September 1973 bis Juli 1975 in Genf statt. In
langwierigen Kommissionsverhandlungen wurde um die Formulierung der
KSZE-Schlussakte gerungen. Diese multilateralen Gespräche
waren geprägt vom Gegensatz zwischen den westlichen Staaten der
Nordatlantischen Allianz und den Ländern des Warschauer Paktes.
Standen bei der UdSSR die Absicherung ihres Machtbereiches und die
Entwicklung blockübergreifender Wirtschaftsbeziehungen im
Vordergrund, legten die westlichen Vertreter ihr Schwergewicht auf
die Verankerung der Menschen- und Grundrechte und auf mehr
Freizügigkeit für Menschen und Information. Die Gruppe der
Neutralen und Nichtpaktgebundenen Staaten (N+N), in welcher die
Schweiz eine zentrale Rolle innehatte, übernahm eine wichtige,
in einigen Fragen mittels ihrer Kompromissvorschläge gar entscheidende
Katalysator-Funktion zwischen den beiden Blöcken. Ebenso wurden
diesen Staaten gewisse Koordinationsaufgaben in den
KSZE-Verhandlungen zugewiesen. Die N+N-Staaten waren aber kein homogener
Block zwischen Ost und West, sondern eine
nicht-institutionalisierte Gruppe zur Vertretung gemeinsamer Interessen.
Der Charakter der N+N-Gruppe prägte sich je nach Sujet
unterschiedlich aus.(5)
Diese ersten Verhandlungen zwischen dem Osten und dem Westen über
die verschiedensten Aspekte europäischer Sicherheit und
Zusammenarbeit führten schliesslich vor zwanzig Jahren am 1. August
1975 zur feierlichen Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki
durch die Staats- und Regierungschefs der beteiligten 35 europäischen
Staaten. Die Schlussakte gilt als Basisdokument des
KSZE-Prozesses. In ihrer Systematik ist sie in vier Themenbereiche,
die sogenannten "Körbe"(6), aufgeteilt: Korb I: Fragen der Sicherheit
in Europa; Korb II: Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft
und Technik sowie Umwelt(7); Korb III:
Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen; Korb IV:
Folgen der Konferenz. Das Herzstück der Schlussakte bildet aber
die Prinzipienerklärung der sogenannte "Dekalog" , auf deren Grundlage
die Teilnehmerstaaten ihre Beziehungen zu gestalten versichern.(8)
Die Konferenzprinzipien der gleichberechtigten Teilnahme und der Beschlussfassung
im Konsens(9)verliehen der Schlussakte erhebliches
politisches Gewicht, wenngleich der KSZE-Prozess bis heute keine unmittelbare
völkerrechtliche Verbindlichkeit beinhaltet.(10) Die
eigentliche Leistung der Schlussakte lag in ihrer Konstruktion: In
ihr wurden mit Ausnahme der Abrüstung und Rüstungskontrolle alle
gesamteuropäischen Konfliktthemen aufgelistet. Mit diesem Dokument
wurde erstmals auf der Basis gemeinsam beschlossener normativer
Werte ein Konsenspapier über Form und Ziele der Entspannungspolitik
ausgearbeitet, dem beide Seiten des geteilten Europas zustimmten.
Im Dokument über Vertrauensbildende Massnahmen wurden zudem erste
konkrete Umsetzungen erreicht. Rückblickend erwies sich die
Schlussakte als brauchbarer Ausgangspunkt für weiterführende
beiderseitige Annäherungen. Der Abschluss dieser ersten Etappe des
KSZE-Prozesses bildete 30 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges
einen Höhepunkt der multilateralen Entspannungspolitik.
Auf der Grundlage der Helsinki-Schlussakte entwickelte sich fortan ein
dynamischer Prozess mit Folgetreffen, an denen die Erfüllung der
Helsinki-Verpflichtungen überprüft und neue KSZE-Regeln verabschiedet
wurden. Es folgten Konferenzen und Expertentreffen namentlich
über militärische Vertrauens- und Sicherheitsbildende Massnahmen
und Abrüstung, über friedliche Streitbeilegung sowie über
die
Menschliche Dimension. Während des ersten KSZE-Folgetreffens in
Belgrad (1977-1978) konnte kein Konsens über die Fortschreibung
der Schlussakte erreicht werden. Hauptsächlich beschäftigte
man sich mit dem wichtigsten politischen Aspekt, der Menschlichen Dimension,
hatte doch diese Frage an Brisanz gewonnen, da die KSZE für viele
Menschenrechtsgruppierungen im Osten zum Symbol für ihren Einsatz
zugunsten der Menschenrechte und Grundfreiheiten geworden war.(11)
Die Verschlechterung der Ost-West-Beziehungen gegen Ende der siebziger
Jahre (Afghanistan-Krieg; Kriegsrecht in Polen; Aufrüstung in
Ost und West) überschattete das zweite KSZE-Folgetreffen in Madrid
(1980-1983). Nicht zuletzt dank der Bemühungen der
N+N-Staatengruppe konnte dennoch ein Teilerfolg erzielt werden: Das
"Mandat von Madrid" begründete die Konferenz über Vertrauens-
und Sicherheitsbildende Massnahmen und Abrüstung in Europa (KVAE)
in Stockholm (1984-1986).
Im Klima der "Perestroika" in der UdSSR und der sich verbessernden amerikanisch-sowjetischen
Beziehungen zeichnete sich allmählich eine
Wende im politischen Handeln des Ostblocks ab, welche das Ergebnis
des dritten KSZE-Folgetreffens in Wien (1986-1989) nachhaltig
beeinflusste und den Helsinki-Prozess mit einer neuen Dynamik versah.
In allen drei Körben konnten wesentliche Fortschritte erzielt werden.
Erwähnenswert ist namentlich die Schaffung des Mechanismus der
Menschlichen Dimension(12), mittels dessen die Einhaltung der
KSZE-Menschenrechtsverpflichtungen überprüft werden kann.
Im Bereich der militärischen Sicherheit einigte man sich nicht nur
auf weitere
Verhandlungen über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Massnahmen
(VVSBM) zwischen allen Teilnehmerstaaten, sondern nahm
auch erstmals im KSZE-Rahmen Verhandlungen über konventionelle
Streitkräfte in Europa (VKSE) unter Beteiligung der
Mitgliedstaaten von Nato und Warschauer Pakt auf. Diese Verhandlungen
resultierten 1990 schliesslich im Vertrag über konventionelle
Streitkräfte in Europa (KSE I), der die Nato und den Warschauer
Pakt zu festen Obergrenzen wesentlicher Hauptwaffensysteme
verpflichtete, und 1992 in der Abschliessenden Akte der Verhandlungen
über Personalstärken (KSE Ia), welche die Mannstärke der
Vertragspartner festsetzte. Überdies wurden anlässlich des
Wiener Folgetreffens weitere Konferenzen und Expertentreffen zu verschiedenen
Themen anberaumt (Menschliche Dimension; Information; Friedliche Streitbeilegung;
Wirtschaftliche Zusammenarbeit; Umweltschutz;
Mittelmeerraum).
2. Die "neue" KSZE Institutionalisierung nach dem strategischen Umbruch
Als Forum des Dialogs zwischen Ost und West leistete die KSZE einen
wesentlichen Beitrag zur Überwindung der Blockkonfrontation und
zum Wandel in Mittel- und Osteuropa seit 1989.(13) Ihre ursprüngliche
Aufgabe des Brückenschlages zwischen Ost und West war durch
die Wende erfüllt. Welche Rolle der OSZE im neuen europäischen
Sicherheitsarrangement im Umfeld der sich gegenseitig verstärkenden
Sicherheitsinstitutionen heute zukommt, ist noch nicht definiert. Dafür
sind die Einschätzungen der Teilnehmerstaaten zu verschieden. Die
Weiterentwicklung hängt indes nicht nur von der OSZE allein ab,
sondern auch von der Dynamik anderer sicherheitspolitisch relevanter
Organisationen in Europa. Mit der Eindämmung inner- und zwischenstaatlicher
Konflikte, dem Aufbau demokratischer Strukturen, einem
wirksamen Minderheitenschutz und der kollektiven Sicherheit befassen
sich auch die Uno, die Nato mit dem Nordatlantischen
Kooperationsrat (NACC) und der Initiative "Partnerschaft für den
Frieden" (PfP), die EU und die WEU.
Aussagen von der angeblichen Bedeutungslosigkeit der OSZE heute basieren
auf der Prämisse der "Militarisierung" des politischen Denkens
in einem von militärischen Konflikten beherrschten Umfeld, die
im Zuge des Jugoslawienkonfliktes neuen Auftrieb erhalten hat. Das
Leistungsprofil der OSZE, welche das Schwergewicht ihrer operativen
Tätigkeiten auf die von aussen so wenig nachvollziehbare stille
Diplomatie legt, wird dadurch ignoriert. Die OSZE ist kein Instrument
der Macht- oder Interessenprojektion. Sie setzt auf Stabilisierung von
innen mittels "weicher" Instrumente wie Diplomatie, Gute Dienste, Wirtschaftskooperation
und Hilfe beim Aufbau demokratischer,
rechtlicher, marktwirtschaftlicher und sozialer Strukturen. Sie ist
ein Forum des Dialogs oder wie sie auch bezeichnet wird, eine "Schule der
Empathie".(14)
Mit der Charta von Paris für ein neues Europa (1990) bekräftigten
die 34 KSZE-Teilnehmerstaaten(15)die einschneidenden
Veränderungen in Europa. Die Charta betont die Gemeinsamkeit der
Werte, die von "Vancouver bis Wladiwostok" Gültigkeit besitzen. Sie
widerspiegelt als zeitgemässe Fortsetzung der Schlussakte von
Helsinki den Optimismus der Wende: Das Dokument erklärt die
Konfrontation zwischen Ost und West für beendet. Die Mitgliedstaaten
bekennen sich darin zur Achtung der Menschenrechte, zur
pluralistischen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, zur Förderung
freundschaftlicher Beziehungen untereinander und zur Marktwirtschaft.
Eine massvolle Institutionalisierung des KSZE-Prozesses nahm in Paris
ihren Anfang. Zwei politische Organe wurden in Form des
KSZE-Rates der Aussenminister (heute: Ministerrat) und des Ausschusses
Hoher Beamter geschaffen; als permanente Institutionen wurden
ein Sekretariat in Prag, das Büro für freie Wahlen in Warschau
(heute: Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte)
sowie
das Konfliktverhütungszentrum in Wien errichtet. In der Charta
von Paris sprechen sich die Regierungen auch für die Einrichtung einer
Parlamentarischen Versammlung aus.
Der Teilnehmerkreis der KSZE wurde im Gefolge der gewaltigen Umwälzungen
in Europa, namentlich der Auflösung der Sowjetunion, seit
1990 beträchtlich erweitert auf heute 53 Mitgliedstaaten: Albanien
trat 1991 als letztes europäisches Land, das sich seit den Anfängen
der
Sicherheitskonferenz ferngehalten hatte, der KSZE bei; ebenfalls 1991
wurden die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen
nach Erlangung ihrer Unabhängigkeit zu neuen Mitgliedern; Bosnien-Herzegowina,
Kroatien und Slowenien wurden nach der Auflösung
des jugoslawischen Staatenverbandes 1992 neu aufgenommen; Mazedonien
nahm erst vor kurzem, im Oktober 1995, als Teilnehmerstaat
Einsitz; Restjugoslawien (Serbien-Montenegro) ist seit 1992 suspendiert;
die zwölf Nachfolgestaaten der UdSSR nehmen seit 1992 an der
KSZE teil: Russland, Ukraine, Weissrussland, Moldawien, die Kaukasusstaaten
Georgien, Armenien und Aserbeidschan und die
zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan
und Usbekistan; und seit der Auflösung der CSFR per
1993 nehmen neu die Tschechische Republik und die Slowakische Republik
teil.(16)
Grundsätzlich waren sich die Teilnehmerstaaten nach dem Umbruch
1989/91 bald einmal einig, dass die KSZE über die Funktion eines
Dialogforums hinaus eine politische Führungsaufgabe in bezug auf
die Sicherheit in Europa übernehmen sollte. Gleichwohl waren aber
für
eine angemessene Antwort auf den ausbrechenden Jugoslawienkonflikt
noch keine operationellen Mittel vorhanden. Vor dem Hintergrund
zunehmender Krisen und Konflikte in Europa, vor allem im ehemaligen
Jugoslawien, aber auch im Kaukasus, verstärkte die KSZE auf ihrem
Folgetreffen von Helsinki (1992) ihre operationellen Instrumente in
den Bereichen vorbeugende Massnahmen, Konfliktverhütung,
politische Krisenbewältigung einschliesslich Erkundungs- und Berichterstattermissionen
sowie Friedenserhaltung und friedliche
Streitbeilegung. Überdies schuf sie die Möglichkeit, eigene
Peacekeeping-Operationen durchzuführen. So besteht nun ein ganzes
Set von
Mechanismen bezüglich der Konfliktprävention, des Konfliktmanagements
und der Konfliktlösung. Weiter erklärten die Staats- und
Regierungschefs die KSZE zu einer "regionalen Abmachung" der Vereinten
Nationen gemäss Kapitel VIII der Uno-Charta, um so den
Charakter der KSZE als wichtiges Bindeglied zwischen europäischer
und globaler Sicherheit zu betonen und eine Zusammenarbeit mit der
Uno im Bereich der Verhütung und Beilegung von Konflikten anzustreben.
Die bisher getrennt verlaufenen Verhandlungen zur
Rüstungskontrolle und Abrüstung, zur Konfliktverhütung
sowie zu Vertrauens- und Sicherheitsbildenden Massnahmen wurden
zusammengeführt. Damit verbindet die OSZE in diesen Bereichen
heute alle Teilnehmerstaaten, nachdem an den VKSE nur Nato- und
Warschauer Pakt-Staaten teilgenommen haben. Die begonnene Institutionalisierung
wurde mit der Einsetzung eines Hochkommissars für
nationale Minderheiten, der Schaffung eines Forums für Sicherheitskooperation
und der Bildung eines Vergleichs- und
Schiedsgerichtshofes weitergeführt.
In der gegenwärtigen Phase wird die Konferenz konfrontiert mit
neuen sicherheitspolitischen Risiken und gesamteuropäischen Ansprüchen
anderer sicherheitspolitischer Organisationen. An der Budapester Überprüfungskonferenz
(1994) wurden die Strukturen konsolidiert, was
augenscheinlich auch in der neuen Namengebung zum Ausdruck kommt: Seit
dem 1. Januar 1995 nennt sie sich Organisation für Sicherheit
und Zusammenarbeit (OSZE). Eine weitergehende institutionelle Stärkung
konnte hingegen nicht erreicht werden. Die Erklärung zum
Bosnien-Krieg endete im Streit um die Bezeichnung des Aggressors. Grundsätzlich
beschlossen wurde aber eine Peacekeeping-Einheit für
Nagorny-Karabach. Falls diese entsendet wird, würde die OSZE neben
ihren traditionellen Schwerpunkten Konfliktverhütung und
Präventivdiplomatie auch im Bereich des Krisenmanagements aktiv.
2.1. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
Ursprünglich aus unregelmässig durchgeführten Konferenzen,
Expertentreffen und Seminaren entstanden, bildet die OSZE heute eine
übernationale Organisation mit festen Institutionen und Verfahren.
Dabei sind drei verschiedene Organe zu unterscheiden: politische,
administrative und spezialisierte Institutionen.
Höchste Instanz der politischen Organe sind die Gipfeltreffen der
Staats- und Regierungschefs, wo die politischen Richtlinien und die
prioritären Aufgaben der OSZE festgelegt werden. Sie markieren
den abschliessenden Höhepunkt der alle zwei Jahre stattfindenden etwa
dreimonatigen Folgetreffen seit 1992 "Überprüfungskonferenzen"
genannt , an denen die Aktivitäten der OSZE überprüft und
weitere
Schritte zur Stärkung des OSZE-Prozesses in Aussicht gestellt
werden. Die Ergebnisse werden in einem Schlussdokument festgehalten. Das
nächste Treffen der Staats- und Regierungschefs ist für 1996
in Lissabon vorgesehen. Der Ministerrat (ehemals KSZE-Rat der
Aussenminister) stellt das zentrale Beschluss- und Leitungsgremium
dar und bildet ein Forum für politische Konsultationen. In der Regel
tritt
er einmal jährlich auf der Ebene der Aussenminister zusammen.
Alle zwei Jahre bestreitet der Ministerrat die Überprüfungskonferenz.
Der
Hohe Rat besteht aus leitenden Beamten der Aussenministerien aller
Mitgliedstaaten, die für die Leitung und Koordination der
OSZE-Geschäfte zwischen den Ministerratstagungen verantwortlich
sind. Im gesamten System der Frühwarnung, der vorbeugenden
Diplomatie, der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung kommt
diesem eine besondere Rolle zu. Von ihm werden auch die
Haushaltsrichtlinien festgelegt. Er tritt mindestens zweimal jährlich
in Prag und vor den Sitzungen des Ministerrats zusammen. Als zentrales
permanentes Forum dient der 1993 geschaffene, wöchentlich tagende
Ständige Rat in Wien. Für die täglichen operativen Aufgaben
bildet
er das zuständige Gremium für politische Konsultationen und
operationelle Beschlüsse. Diese reichen von der Frühwarnung über
das
Ergreifen präventiver Massnahmen, das Krisenmanagement und die
Entsendung von Langzeitmissionen bis hin zu praktischen, auch
administrativen Fragen.
Als Verwaltungsorgan zur Unterstützung der politischen Gremien ist
in
Wien ein Sekretariat unter der Leitung eines für drei Jahre gewählten
Generalsekretärs (seit Mai 1993 der deutsche Diplomat Wilhelm
Höynck) geschaffen worden. Dieser ist höchster Verwaltungsbeamter
und handelt als Vertreter des Vorsitzenden der OSZE. Seine
Hauptaufgabe besteht insbesondere darin, den Amtierenden
Vorsitzenden administrativ zu unterstützen. Das Sekretariat umfasst
unter
anderem eine Abteilung "Unterstützung" für das OSZE-Präsidialland.
Ferner unterhält es als Aussenstelle in Prag ein Büro. Im Gegensatz
zu
anderen internationalen Organisationen spielt die Bürokratie der OSZE
keine eigene politische Rolle.
Daneben existieren verschiedene spezialisierte Organe: Das Büro für
Demokratische Institutionen und Menschenrechte in Warschau ist die
Hauptinstitution für die Menschliche Dimension. Es überwacht
die
menschenrechtlich relevanten OSZE-Verpflichtungen, organisiert
Wahlbeobachtungen und führt Seminare zu menschenrechtlichen Fragen
der Demokratisierung und der Konsolidierung des Rechtsstaates durch.
Der Hochkommissar für nationale Minderheiten arbeitet unter der
Ägide des Hohen Rates und befasst sich in stiller Diplomatie mit
Minderheitenkonflikten im OSZE-Raum. Er unterhält ein kleines
Sekretariat in Den Haag. Das Forum für Sicherheitskooperation in
Wien dient als Plattform im militär- und sicherheitspolitischen Bereich,
namentlich für Rüstungskontrolle, Abrüstung und Vertrauens-
und
Sicherheitsbildung, Fragen der Rüstungskonversion, Regelung über
Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen und Waffentransfer.
Das Konfliktverhütungszentrum in Wien wirkt bei der Durchführung
der Vertrauens- und Sicherheitsbildenden Massnahmen mit und darf
Ermittlungs-, Berichterstatter- und Beobachtermissionen durchführen.
In
Zukunft können dem Konfliktverhütungszentrum auch Aufgaben im
Hinblick auf Streitschlichtungsverfahren und im Zusammenhang mit der
Beilegung von Streitfällen übertragen werden.
Der Vergleichs- und Schiedsgerichtshof mit Sitz in Genf hat in
Weiterentwicklung der Mechanismen der friedlichen Regelung von
Streitigkeiten(17)die Aufgabe, ihm vorgelegte zwischenstaatliche Streitigkeiten
mittels eines Vergleichs- und Schiedsverfahren zu
bearbeiten.
Die Parlamentarische Versammlung mit 245 Mitgliedern aller OSZE-Teilnehmerstaaten
soll die Umsetzung der Prinzipien bewerten und
Vorschläge erarbeiten, die sie mit Mehrheit beschliesst. Sie tagt
seit Mitte 1992 jährlich, hat aber bisher keine Entscheidungsbefugnisse.
2.2. Instrumentarium im Bereich der Konfliktverhütung und Friedenserhaltung
Die OSZE erachtet ihre Verpflichtung, Streitigkeiten unter den Teilnehmerstaaten
mit friedlichen Mitteln zu regeln und den Frieden zu
wahren, als einen Eckstein ihrer Tätigkeit. Entsprechend widmet
sie ein grosses Mass ihrer Aufmerksamkeit der Bereitstellung
diesbezüglicher Instrumentarien.
Bis zum Ende des Ost-West-Gegensatzes waren die Möglichkeiten der
KSZE-Mitgliedstaaten, auf zwischenstaatliche Krisen und Konflikte
zu reagieren, bescheiden. Die sicherheitspolitische Dimension der "alten"
KSZE war auf den "Wohlverhaltenskodex" des Prinzipienkatalogs
und die Vereinbarungen von Vertrauens- und Sicherheitsbildenden Massnahmen
beschränkt. Obwohl die Vereinbarungen über VSBM in
den Wiener Dokumenten von 1990, 1992 und 1994 noch weiter verfeinert
wurden und eigens auch ein Militärischer
Krisenmechanismus(18)geschaffen wurde, haben diese Instrumente in der
heutigen veränderten Konfliktlandschaft an Bedeutung
eingebüsst.
Anlässlich des Helsinki II-Folgetreffens von 1992 wurden Instrumente
für die Konfliktverhütung und die Friedenserhaltung der OSZE
geschaffen. Die für den OSZE-Raum vorgesehenen Konzepte beinhalten
einen breiten Zugriff auf verschiedene Mittel. Im Sinne von
präventiven Massnahmen und Frühwarnung sind für Situationen,
die ein Konfliktpotential in sich bergen, folgende Instrumente
vorgesehen: Aktivitäten des Hochkommissars für nationale
Minderheiten, der unparteiisch, vertraulich und eng mit den Parteien
zusammenarbeitet; regelmässige politische Konsultationen; Treffen
zur Überprüfung der Einhaltung von OSZE-Verpflichtungen und die
Erforschung der Ursachen von Spannungen im OSZE-Raum. Auch die Mechanismen
der friedlichen Streitbeilegung sind Teil der
präventivdiplomatischen Mittel.
Verschärft sich die Lage weiter, werden durch die politischen Instanzen
Hoher Rat und Ständiger Rat Massnahmen der politischen
Krisenbewältigung ergriffen, um die Voraussetzung für eine
friedliche Lösung des Streitfalles zu schaffen. Hierzu dienen die
Errichtung eines
Verhandlungsrahmens wie "Runde Tische", Wahrnehmung Guter Dienste,
Förderung von Vermittlungsverfahren und namentlich die
Entsendung von Berichterstatter- und Erkundungsmissionen, kurzzeitig
oder auf der Basis von Langzeitmissionen.(19) Aufgabe der
Langzeitmissionen ist es, für eine objektive Berichterstattung
über Vorfälle aller Art zu sorgen, den Dialog zwischen den beteiligten
Akteuren
sicherzustellen sowie diese namentlich im Bereich der Menschenrechte
zu beraten. In enger Zusammenarbeit mit der EU setzt die OSZE
auch in Form der Sanktionsüberwachungs-Mission(20)die Blockade
gegenüber Serbien-Montenegro durch, indem sie die Behörden der
Nachbarstaaten Restjugoslawiens bei der Durchsetzung der Uno-Sanktionen
unterstützt.
In "schwerwiegenden und dringlichen Situationen" kommt der politische
Dringlichkeitsmechanismus(21)zur Anwendung. Er sieht
politische Konsultationen vor, die durch Empfehlungen zur Lösung
des Konfliktes beitragen sollen.
Schliesslich sind auch friedenserhaltende Massnahmen unter der operativen
Leitung der OSZE vorgesehen, welche die politischen
Lösungsbemühungen ergänzen. Sie bestehen in der Entsendung
von zivilem oder militärischem Personal und umfassen das Spektrum
von
Erkundungs- und Berichterstattermissionen über Beobachter- und
Überwachungsmissionen bis zum Einsatz grösserer Streitkräfte.
Aufgabengebiete sind die Überwachung von Waffenstillständen
und Truppenrückzügen, die Unterstützung bei der Wahrung
von Recht und
Ordnung sowie die Leistung humanitärer Hilfe und Betreuung von
Flüchtlingen. Zwangsmassnahmen sind keine vorgesehen.(22)
Eine brisante Weiterentwicklung erfuhr das friedenserhaltende Instrumentarium
durch die Initiative Russlands im Jahre 1993, seine im "nahen
Ausland", sprich auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR stehenden Truppen
als Peacekeeping-Truppen der OSZE anerkennen zu lassen.
Anlässlich des Römer Ministerratstreffens (1993) erklärte
sich die OSZE unter verschiedenen Bedingungen bereit, Drittparteien die
Durchführung von friedenserhaltenden Massnahmen zu übertragen.
Die vorgesehene Grundsatzvereinbarung konnte aber am Budapester
Gipfeltreffen im vergangenen Jahr nicht verabschiedet werden.
2.3. Das Mandat des Amtierenden Vorsitzenden
Die zunehmenden operationellen Aktivitäten der OSZE erforderten
ein Handlungszentrum, das die notwendigen Steuerungs- und
Lenkungsaufgaben übernimmt. Erstmals erwähnt wurde diese
Funktion in Form des sogenannten "Amtierenden Vorsitzenden"
(Chairman-in-Office) 1990 in Paris vor dem Hintergrund des beginnenden
Institutionalisierungsprozesses. Dieses Präsidialmandat wird
jeweils während eines Kalenderjahres vom Aussenminister des Vorsitzlandes
ausgeübt. So wie die OSZE gesamthaft seit Anfang der
neunziger Jahre einem verstärkten institutionalisierten Entwicklungsverlauf
unterliegt, hat sich auch der Aufgabenbereich des Vorsitzenden
gewandelt. Dabei hat das Mandat laufend an Profil und Gewicht gewonnen,
so dass heute von einer umfassenden Kompetenz- und
Gestaltungsfülle seitens des Amtierenden Vorsitzenden gesprochen
werden kann. Die Definition des Präsidentschaftsmandates hat in der
Erklärung des Budapester Gipfeltreffens (1994) den vorläufigen
Höhepunkt erreicht, indem die "Gesamtverantwortung für die
ausführenden Tätigkeiten der OSZE" an den Amtierenden Vorsitzenden
delegiert worden ist. Grundsätzlich obliegen dem Vorsitzenden
drei spezifische Aufgabenbereiche, die ihn politisch in den Mittelpunkt
des OSZE-Geschehens rücken:
Erstens nimmt er im Falle eines drohenden oder
akuten Konfliktes die wichtige, aber auch schwierige Rolle des Vermittlers
wahr.
Dabei kommt ihm insofern eine Schlüsselrolle
zu, als er die ersten Initiativen in Richtung einer Konfliktbearbeitung
ergreifen sowie im
Namen der Gesamtorganisation Erklärungen
abgeben und persönliche Vertreter in das Konfliktgebiet entsenden
kann. Er spielt auch
eine wichtige Rolle bei der Durchführung
der OSZE-Mechanismen (insbesondere dem Berliner Dringlichkeitsmechanismus).
Im
Bereich der Präventivdiplomatie sind
der Präsidentschaft die operationelle Verantwortung für die OSZE-Missionen
und die
präventivdiplomatischen Massnahmen übertragen.
Diese Freiheit des Handelns im Bereich der Konfliktverhütung und
Krisenbewältigung ist um so wertvoller,
als der multilaterale Prozess der OSZE eine gewisse Zeit braucht, um konsensreife
Aktivitäten zu entfalten.
Zweitens beinhaltet die Funktion des Vorsitzenden
die Leitung und Koordination der gesamten Tätigkeiten der Organisation.
Der
Vorsitz ist für alle politischen Konsultationen
innerhalb der OSZE Dreh- und Angelpunkt: So werden die wichtigen Gremien
Ministerrat, Hoher Rat und Ständiger
Rat vom Amtierenden Vorsitzenden geleitet. Dabei ist er für die Meinungsbildung,
Herstellung
und Konsolidierung des Konsenses innerhalb
der Gemeinschaft zuständig. Ebenfalls zeichnet er für die Vorbereitung
der
OSZE-Konferenzen und die Erarbeitung langfristiger
Arbeitsprogramme verantwortlich.
Drittens ist das Präsidialland für
die Repräsentation der OSZE nach aussen zuständig. Einerseits
sind die Beziehungen zu den
Partnern (internationale Organisationen, nichtteilnehmende
Drittstaaten und NGOs) der OSZE sicherzustellen. Andererseits gehört
der äusserst wichtige Kontakt zu den
Medien und der Öffentlichkeit in das Pflichtenheft des Vorsitzenden.(23)
In Ausübung dieser Aufgaben wird das Präsidialland vom Vorgänger
und Nachfolger, die zusammen die Troika bilden, und vom
Generalsekretariat begleitet. Die Troika wurde auf dem Helsinki-Gipfel
(1992) geschaffen. Sie hat an Bedeutung gewonnen, stellt sie doch
nicht nur ein Beratungsforum des Präsidenten dar, sondern ihre
Mitglieder handeln auch gemeinsam als Repräsentanten der OSZE bei
Kontakten mit anderen Organisationen und geben zuweilen sogar gemeinsame
politische Erklärungen ab. Im Bereich der Konfliktverhütung,
der Krisenbewältigung und der Lösung von Streitfällen
wird der Amtierende Vorsitzende ferner von Ad hoc-Lenkungsgruppen unterstützt,
die im Bedarfsfall vom Ministerrat oder vom Hohen Rat eingesetzt werden
können. Das Präsidialland kann zu seiner Unterstützung und
auf
seine Verantwortung persönliche Vertreter mit einem präzisen
Mandat für einzelne Krisen oder Konflikte beauftragen.
Die Institution des Vorsitzenden hat sich in den vergangenen vier Jahren
ausgesprochen konstruktiv weiterentwickelt. Die grosszügige
Umschreibung des Mandates erlaubt es dem jeweiligen Vorsitzenden, sein
Amt mit Eigeninitiative und Gestaltungswillen auszufüllen. Die
äusseren Umstände erforderten bei der ersten von Deutschland
ausgeübten Präsidentschaft (1991) ein aktives Handeln. Diese
Phase war
denn auch gekennzeichnet durch Erfahrungen mit dem Berliner Krisenmechanismus
in Jugoslawien und durch politische Konsultationen im
Zusammenhang mit der Ausdehnung des Mitgliederkreises der KSZE insbesondere
durch die Aufnahme der GUS-Staaten. Im
tschechoslowakischen Vorsitzjahr (1992) wurden Beobachtermissionen
in neue Mitgliedstaaten durchgeführt und umfassende Aufgaben im
Bereich des Krisenmanagements übernommen. Im Schlussdokument von
Helsinki II (1992) wurde der Verantwortungsbereich des
Vorsitzenden näher definiert. Mit der Umschreibung der Aufgaben
"Koordination und Konsultation über laufende KSZE-Angelegenheiten"
wurde die Institutionalisierung der Präsidialverantwortung ausgeweitet.
Schweden setzte 1993 den so erweiterten Handlungsspielraum der
Präsidialfunktion mit grossem Engagement in den folgenden Bereichen
um: Unterstützung der Feldmissionen; Kontakt mit der Uno und
anderen internationalen Organisationen; Koordination des politischen
Konsultationsprozesses und Vorbereitung von Entscheidungen;
Integration der neuen Teilnehmerstaaten. Der italienische Vorsitz (1994)
übernahm die Verantwortung der Aussenkontakte zu
Nicht-Teilnehmerstaaten und sprach ein gewichtiges Wort mit bei der
Bestellung von höheren OSZE-Beamten. Diese Präsidentschaft
mündete schliesslich in die oben genannte Gipfelerklärung
von Budapest, mit der die "Gesamtverantwortung für die ausführenden
Tätigkeiten" an den Amtierenden Vorsitzenden übergeben wurde.
Die ungarischen Mandatsträger nutzten die erweiterten Möglichkeiten
1995 geschickt aus, im speziellen in bezug auf das Krisenmanagement.
Für die Lancierung einer Initiative zur Konfliktbewältigung dient
die
Vorgehensweise des gegenwärtigen Vorsitzenden Ungarn bezüglich
des Krieges in Tschetschenien als gutes Beispiel.
3. Leistungsprofil der OSZE
Grundsätzlich herrscht unter den Teilnehmerstaaten der OSZE weitgehender
Konsens über die komparativen Vorteile dieser
Sicherheitsorganisation, wenngleich die Einschätzungen über
die zukünftige Rolle der OSZE in der europäischen Sicherheitsarchitektur
unterschiedlich ausfallen.
Auf der Seite der Stärken ist die Tatsache zu nennen, dass die
OSZE eine Wertegemeinschaft von 53 Staaten darstellt, die ihre
Beziehungen auf der Grundlage demokratischer Normen zu gestalten gewillt
sind. Aus sicherheitspolitischer Sicht ist namentlich zu betonen,
dass der OSZE ein umfassendes Sicherheitsverständnis zugrunde
liegt, das auf militärischem Vertrauen, wirtschaftlicher Entwicklung,
sozialer Gerechtigkeit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie auf
der Achtung der Menschenrechte und dem Schutz der Minderheiten
basiert. Weiter stellt die OSZE institutionell das einzige paneuropäische
Kooperations- und Konsultationsforum dar, das alle Staaten
von Vancouver bis Wladiwostok umfasst und insbesondere Russland in
die europäische Sicherheitsstruktur einbindet. Ferner ist sie
grundsätzlich als regionale Abmachung der Uno im Sinne des Kapitels
VIII der Charta der Vereinten Nationen anerkannt.
Bezüglich ihrer operativen Tätigkeiten hat die OSZE Konzepte,
Methoden und Mechanismen entwickelt mit dem Ziel, den Ausbruch
bewaffneter Konflikte durch präventivdiplomatische Massnahmen
zu verhüten. Mit der Anwendung eines breiten Sets an Instrumenten
sollen politische Krisen bewältigt werden und die Voraussetzungen
für eine friedliche Lösung von Konflikten geschaffen werden.
Dabei
erfährt die OSZE mit den im Konsensprinzip gefällten Beschlüssen
und der gleichberechtigten Teilnahme aller Mitgliedstaaten eine
besondere Legitimation.(24) Auch besitzt die OSZE eine schlanke bürokratische
Struktur, die eine flexible Aktivierung der
operationellen Mittel gewährleistet.
Als Schwächen der OSZE sind folgende Einschränkungen anzuführen,
welche die Aktionsfähigkeiten dieser internationalen Organisation
zum Teil entscheidend hemmen: Die OSZE verfügt über keine
eigenen Macht- und Sanktionsmittel, mit denen sie ihren Forderungen
Nachdruck verleihen könnte. Der OSZE werden gegenwärtig auch
zuwenig finanzielle und personelle Ressourcen(25)zugestanden, da
der politische Wille der Mehrheit der Mitgliedstaaten fehlt, die OSZE
zu einer machtvollen Institution auszugestalten. Zu stark sind noch die
unterschiedlichen Meinungen der Teilnehmerstaaten über die zukünftige
Rolle der OSZE im Verbund der europäischen
Sicherheitsorganisationen. Die OSZE kann also nur so stark sein, wie
es ihre Mitglieder, die zugleich auch in anderen Organisationen mit Sitz
und Stimme vertreten sind, zulassen. Die Wahrnehmung des umfangreichen
Aufgabenkataloges hängt wesentlich von der politischen
Unterstützung durch die Teilnehmerstaaten ab. Trotz der Intensivierung
der Kontakte und der Zusammenarbeit mit anderen Organisationen
fehlt gerade auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik eine feinere Abstimmung
mit den anderen für Europa relevanten Institutionen. Und
schliesslich: Da die Mittel und Methoden der OSZE wenig spektakulär,
das heisst wenig "telegen" sind, wird die OSZE von der
Öffentlichkeit nur marginal wahrgenommen.
4. Bedeutung der OSZE für die schweizerische Aussenpolitik
4.1. Aktives Engagement der Schweiz seit den Anfängen
Für die Aussenpolitik der Schweiz stellte die Konferenz über
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa schon zu Beginn des
Helsinki-Prozesses eine Herausforderung dar.(26) Insofern kann die
heutige Situation durchaus mit der aussenpolitischen Konstellation
Anfang der siebziger Jahre verglichen werden. Damals erfuhr die Einstellung
der Schweiz gegenüber der KSZE im Kontext einer
allgemeinen Dynamisierung ihrer Aussenbeziehungen einen merklichen
Wandel: Von einer anfänglich skeptischen Grundhaltung vor der
Einberufung der Sicherheitskonferenz zu einem aktiven Engagement innerhalb
des Helsinki-Prozesses. Diese aktive Teilnahme kann als
herausragendes Element der schweizerischen Aussenpolitik der siebziger
Jahre bezeichnet werden. Die Schweiz wirkte als Teilnehmerstaat
und als Gastgeberin für einzelne Treffen massgeblich mit am KSZE-Prozess.
Ihr Beitrag bestand einerseits in konkreten Vorschlägen zu
einzelnen Themen, andererseits in ihrer Vermittler- und Koordinationsfunktion
als Mitglied der N+N-Gruppe.
Bereits in der Schlussakte von Helsinki 1975 figurieren zwei auf schweizerische
Initiative zurückgehende Vorschläge. Zum einen anerkennt
das Prinzip I unter anderem ausdrücklich das Recht der Teilnehmerstaaten
auf Neutralität. Zum anderen fand in Prinzip V die
schweizerische Initiative für ein System der friedlichen Streitbeilegung
Aufnahme. Dieser Politikbereich stellt bis heute ein hauptsächliches
Aktionsfeld der schweizerischen KSZE-Politik dar. Dabei handelt es
sich um eine Konstante der schweizerischen Aussenpolitik, ist die
Schweiz doch stets für Verfahren der friedlichen Streiterledigung
im bi- und multilateralen Rahmen eingetreten, die den Beizug einer
Drittpartei vorsehen.(27) Funktion solcher Verfahren ist es, das Gewaltverbot
komplementär zu ergänzen; wenn die Anwendung von
Gewalt zur Regelung von Konflikten verboten ist, so ist es unabdingbar,
den Staaten Mechanismen zu deren friedlichen Beilegung zur
Verfügung zu stellen.
Obwohl der sogenannte "Bindschedler-Vorschlag"(28) der Schweiz in den
Verhandlungen zur Schlussakte von Helsinki wegen des
schiedsgerichtlichen Obligatoriums als zu weitgehend beurteilt wurde,
diente er als Richtlinie für die nachfolgenden Bemühungen zur
Verwirklichung dieses Prinzips: Expertentreffen in Montreux (1978)
und Athen (1984), Valetta-Mechanismus (1991) und Genfer
Expertentreffen (1992) sowie die darauffolgende Implementierung des
Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren
innerhalb der KSZE (Konvention von Stockholm 1992).(29) Der entsprechende
Vergleichs- und Schiedsgerichtshof hat sich in diesem
Jahr in Genf konstituiert. Er ist die erste OSZE-Institution mit Sitz
in der Schweiz.(30) Nicht zuletzt dank der hartnäckigen schweizerischen
Diplomatie konnte nach knapp zwanzigjährigem Ringen das Prinzip
der friedlichen Streitbeilegung nun verwirklicht werden.
Ein zweites wichtiges Tätigkeitsfeld der Schweiz war von Anfang
an die Menschliche Dimension. So setzte sich unser Land in neuerer Zeit
insbesondere am Berner Treffen über Menschliche Kontakte (1986)
mit anderen neutralen Staaten für Familienzusammenführungen und
für Kontakte im religiösen Bereich ein. Ebenso befürwortete
die Schweiz einen regeren Informationsaustausch und namentlich bessere
Arbeitsbedingungen für Journalisten im Ausland. Ebenfalls auf
eine schweizerische Initiative zurück geht das Expertentreffen über
nationale Minderheiten in Genf (1991).
Die Beteiligung der Schweiz an den sicherheitspolitischen Bemühungen
der OSZE um Vertrauensbildung und Schaffung von Sicherheit und
Stabilität in Europa gibt ihr die Gelegenheit zur Darstellung
ihrer Sicherheitspolitik. So hob die Schweiz im Rahmen der
KVAE-Verhandlungen (1984-1986) die Besonderheiten des Milizsystems
hervor. Sie setzte sich überdies für ein Verifikationssystem
sowie
für den Informationsaustausch über das militärische
Dispositiv in Europa ein. Die Mitarbeit als dauernd neutraler und bewaffneter
Staat in
der N+N-Gruppe sicherte der Schweiz wesentliche Einflussmöglichkeiten
und Freiräume. Heute arbeitet die Schweiz ferner aktiv an der
Durchführung von VSBM mit. Im Rahmen eines institutionalisierten
Informationsaustauschs liefert sie Daten über die Wehrstruktur und
Bewaffnung der Schweizer Armee, nimmt an Truppenbesuchen im Ausland
teil und organisiert selber Überprüfungsbesuche bei
Militäreinheiten in der Schweiz.
Im weiteren wirkt die Schweiz bei der Entwicklung der Instrumente für
die Konfliktvorbeugung und das Peacekeeping konzeptionell und
praktisch mit. In diesem Zusammenhang nahm sie an verschiedenen KSZE-Missionen
teil, die sie zum Teil sogar leitete. Auch in
Langzeitmissionen ist unser Land präsent, hat die Schweiz doch
Personal für die Missionen in Serbien-Montenegro, Moldawien und
Mazedonien zur Verfügung gestellt. Zwei Schweizer haben die Missionen
in Sarajewo und Kiew geleitet.(31) Für die
Sanktionsüberwachung gegen Restjugoslawien hat die Schweiz Zollexperten
nach Bulgarien (heute nicht mehr aktiv), Mazedonien,
Albanien und in die Brüsseler Koordinationszentrale beordert.
Ferner unterhält sie bei den Vereinten Nationen in New York ein
Verbindungsbüro.
4.2. Die OSZE als Brücke zur Mitgestaltung des europäischen
Umfeldes
Die Übernahme des Mandats des Amtierenden Vorsitzenden 1996 gibt
der Schweiz die Möglichkeit, aus ihrer Isolationsstellung in Europa
teilweise herauszutreten, um in der Funktion des OSZE-Präsidenten
bei der Ausgestaltung der europäischen Sicherheitsarchitektur ihren
Beitrag zu leisten. Dies ist für die Schweiz um so relevanter,
als sich der aussenpolitische Handlungsspielraum des neutralen Kleinstaates
nach dem Ende des Kalten Krieges verkleinert hat. In einem Umfeld ohne
klare Fronten und strategische Gleichgewichte im überkommenen
Sinn hat der Bedarf nach Guten Diensten durch den Neutralen abgenommen.
Entscheidend für den Erfolg der schweizerischen Aussenpolitik
ist heute, inwieweit es unserer Regierung gelingt, aktiv und initiativ
in neuen aussenpolitischen Handlungsfeldern tätig zu werden und dieses
Engagement gleichzeitig innenpolitisch abzustützen. In bezug auf
diese Bemühungen ist die OSZE insofern von entscheidender Bedeutung,
als
sie das einzige sicherheitspolitische Gremium darstellt, in dem die
Schweiz als gleichberechtigter Teilnehmer Partizipations- und
Mitgestaltungsrechte besitzt.
Um aber die Möglichkeiten dieses für die Schweiz entsprechend
wichtigen Gebildes als Mittel einer nachhaltig positiven Entwicklung
auszuschöpfen und die Ziele, Methoden und das Wirken der OSZE
über einen kleinen Kreis politischer Eliten hinaus besser verständlich
zu
machen, gilt es vordringlich, eine Kommunikationsstrategie zu entwerfen.
Aus einer schweizerischen Perspektive enthält die Ausarbeitung
einer Kommunikationsstrategie eine wichtige innenpolitische Dimension.
Bedingt durch die politischen Realitäten ablehnende
Volksentscheide in aussenpolitischen Fragen (Uno 1986; EWR 1992; Blauhelme
1994) kommt der Abstützung der Aussen- in der
Innenpolitik hohe Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang sind die folgenden
grundsätzlichen Überlegungen anzustellen:
Einerseits empfiehlt es sich, im Sinne einer Handlungsanleitung für
eine PR-Strategie zu betonen, dass die Schweiz das Präsidialamt nicht
aufgrund ihrer Neutralität zugesprochen bekommen hat, sondern
weil sie sich im Rahmen ihrer bisherigen KSZE-Politik als zuverlässiger,
konsensorientierter und aktiver Partner erwiesen hat. Nicht die Sonderstellung
der Schweiz ist hervorzuheben, sondern die aktive Mitarbeit
in dieser Organisation, die in der Vergangenheit bereits verschiedene
Erfolge aufweisen konnte.
Andererseits scheint es gerade im Fall dieser sicherheitspolitischen
Organisation wichtig, die Übernahme von zusätzlicher Verantwortung
in
Form der Präsidentschaft mit den nationalen Sicherheitsinteressen
der Schweiz zu begründen, um so mehr, als der OSZE ebenfalls ein
umfassender Sicherheitsbegriff zugrunde liegt, wie dies auch in der
offiziellen schweizerischen Sicherheitspolitik ("Bericht 90") postuliert
wird. Ebenso kann auf eine Kongruenz in der Wahl und im Einsatz der
Mittel hingewiesen werden, liegt doch auch in der schweizerischen
Aussenpolitik das Schwergewicht auf vermittelnder, präventiver
Diplomatie. Bei dem aktiven Beitrag der schweizerischen Diplomatie
handelt es sich daher nicht um eine Pflicht, um einen "autonomen Nachvollzug"
sozusagen, sondern um die Dynamisierung der
Aussenbeziehungen in einem Bereich, der für dieses Land von sicherheitspolitischem
Interesse ist.
Mit Blick auf die innenpolitische Dimension einer Kommunikationsstrategie
sind aber die folgenden Einschränkungen zu machen: An die
Hoffnung, dass sich die OSZE-Präsidentschaft gar als Vehikel für
einen Stimmungswandel der Bevölkerung in der Frage der Öffnung
gegenüber Europa nutzen lässt, sollten keine allzu grossen
Erwartungen geknüpft werden. Aufgrund des unspektakulären Charakters
der
Tätigkeiten dieser Sicherheitsorganisation wird dem schweizerischen
Engagement im Rahmen der OSZE wohl nur wenig Widerstand von
denjenigen Kreisen erwachsen, die sich generell gegen eine erhöhte
Aktivität unseres Landes in multilateralen Gremien sträuben.
Ebenso
begrenzt wird daher aber auch der positive Effekt der Präsidentschaft
zur Förderung eines neuen aussenpolitischen Selbstverständnisses
sein.
Für die Verantwortlichen stellt die Aufgabe, die Bedeutung der
OSZE-Präsidentschaft für die schweizerische Aussenpolitik darzulegen,
eine
doppelte innenpolitische Herausforderung dar. Zum einen gilt es, die
Notwendigkeit der Arbeit der OSZE im heutigen diffusen
strategischen Umfeld und im Rahmen einer unübersichtlich gewordenen
Sicherheitsstruktur in Europa mit Nachdruck zu erklären sowie den
Stellenwert der Organisation explizit für die schweizerische Aussenpolitik
aufzuzeigen. In diesem Zusammenhang sollte insbesondere
betont werden, dass die OSZE allein schon deshalb ein ideales Aktionsfeld
für die schweizerische Aussenpolitik darstellt, weil sich die
präventivdiplomatischen Aufgabenbereiche der OSZE weitgehend mit
den friedenspolitischen Absichten der Eidgenossenschaft decken.
Zum anderen muss aber der auch heute noch beschränkte Handlungsspielraum
der Organisation beispielsweise etwa gegenüber dem
Konflikt im ehemaligen Jugoslawien erläutert und davon ausgehend
aufgezeigt werden, dass die Tätigkeit im Rahmen der OSZE keine
"Rückfallposition" darstellen kann und daher kein Ersatz für
die Übernahme von Verantwortung in anderen multilateralen Gremien
wie der Uno, der EU/WEU und der Nato sein darf.
5. Die Debatte über die Rolle der OSZE in der europäischen
Sicherheitsarchitektur
5.1. Sicherheitsmodell für Europa im 21. Jahrhundert
Hinter dem vordergründigen Konsens der OSZE-Teilnehmerstaaten über
die komparativen Vorteile der Organisation bestehen in bezug auf
die künftige konzeptionelle Rolle im Geflecht der sich gegenseitig
verstärkenden Sicherheitsinstitutionen(32)grundsätzliche Differenzen.
Die
unterschiedlichen Positionen werden namentlich im Dialog über
ein "Gemeinsames und umfassendes Sicherheitsmodell für Europa im
21. Jahrhundert" ersichtlich. Am Budapester Gipfeltreffen 1994 wurde
von der russischen Seite eine diesbezügliche Diskussion innerhalb
der OSZE vorgeschlagen. Der noch im Anfangsstadium befindliche Dialog
soll einen Beitrag zu der nach dem Kalten Krieg weiterhin
ungefestigten Sicherheitsarchitektur in Europa leisten, eine neue Teilung
Europas verhindern und in Richtung vermehrter kooperativer
Sicherheit zielen.
Dabei werden aber sehr unterschiedliche Vorstellungen bezüglich
der Rolle der OSZE im grösseren Rahmen der Sicherheitsinstitutionen
in
Europa greifbar, namentlich seitens der Hauptakteure Russland und USA.
In der russischen Perspektive kommt der OSZE eine zentrale Rolle für
die Stabilisierung in Europa zu. Dabei soll die OSZE für die
Koordination der diesbezüglichen Bemühungen der Mitgliedstaaten
und regionaler Institutionen wie GUS, EU, WEU, Europarat, Nato und
NACC sorgen. Russland möchte auf die Verrechtlichung der OSZE,
das heisst auf deren Formalisierung und Transformation in eine voll
funktionsfähige, auf völkerrechtlichem Fundament stehende
regionale Organisation hinwirken.(33)
Demgegenüber steht die traditionell kritische und abwartende Haltung
der USA unter dem Motto "let the OSCE be the OSCE".
Amerikanische Stimmen warnen insbesondere vor einer Überforderung
der OSZE, da sich die Organisation gleich in zweifacher Hinsicht in
einem Spannungsfeld befindet. Ein erstes Spannungsfeld eröffnet
sich aus dem Widerspruch zwischen den einzigartigen Möglichkeiten
und den begrenzten Mitteln der OSZE. Da in der amerikanischen Perspektive
das herausragende Merkmal der OSZE ihr breiter
sicherheitspolitischer Ansatz ist, der die politisch-militärische,
menschliche und ökonomische Dimension umfasst, soll der Schwerpunkt
entsprechend auch in Zukunft bei vertrauensbildenden Konzepten liegen.
Der Versuch, die Mittel und Methoden der OSZE zu verändern,
würde, bedingt durch die Überdehnung ihrer Fähigkeiten,
das Ende dieser Organisation bedeuten. Die OSZE soll deshalb keine
institutionalisierte, mit völkerrechtlicher Verbindlichkeit ausgestattete
Gemeinschaft werden. Das Sicherheitsmodell im Rahmen der OSZE
darf in amerikanischer Perspektive die bestehenden Sicherheitsorganisationen,
sprich die Nato, nicht in Frage stellen. Als zweites
Spannungsfeld wird auf den Widerspruch zwischen der Erhaltung der "grassroots
function" und der offiziellen Dimension der OSZE
aufmerksam gemacht. Die OSZE soll ein offenes Gefäss bleiben für
Initiativen von der Basis, namentlich auch von NGOs, für die sie ein
wertvoller Ansprechpartner darstellt. Die Organisation würde viel
von ihrer Anziehungskraft für diese nichtstaatlichen Organisationen
verlieren, wenn sie sich zu einem rein diplomatischen Zirkel entwickeln
würde.(34)
Verständlicherweise reagierten die osteuropäischen Staaten
anfänglich zurückhaltend auf die Diskussion um das Sicherheitsmodell.
Die
Nato-Osterweiterung soll nicht vom mächtigen russischen Nachbarn
beeinflusst werden können, befinden sich doch namentlich die
mittelosteuropäischen Visegrad-Staaten in einem Prozess der Annäherung
zur transatlantischen Verteidigungsgemeinschaft. Entsprechend
sind diese darauf bedacht wie dies namentlich auch im Budapester Dokument
1994 in den Beschlüssen des Kapitels VII festgehalten wurde
, dass das Sicherheitsmodell das Recht auf den Beitritt zur Nato nicht
beeinträchtigt.
5.2. Akzentverlagerung in Richtung Peacekeeping?
Die grundlegenden Differenzen der Teilnehmerstaaten hinsichtlich der
künftigen Rolle der OSZE in der europäischen Sicherheitsarchitektur
widerspiegeln sich auch in der Debatte um ihre operative Rolle. Die
Frage nach dem Schwerpunkt der Tätigkeiten der OSZE wird im
Verlauf der schweizerischen Präsidentschaft auf eine Entscheidung
hin drängen. Konkret geht es darum, zu bestimmen, inwieweit die
Aktivitäten im Rahmen der Präventivdiplomatie in der Praxis
durch friedenserhaltende Massnahmen ergänzt werden sollen.
Die meisten westlichen Staaten messen präventivdiplomatischen Aktivitäten
grössere Chancen bei als umfassenden friedenserhaltenden
Massnahmen. Diese Einschätzung basiert zum einen auf der Wahrnehmung
der begrenzten personellen und finanziellen Ressourcen der
OSZE. Zum anderen lässt sich für präventivdiplomatische
Aktivitäten die Kooperation mit anderen Organisationen einfacher sicherstellen
als
beim Peacekeeping. Die beschränkten Mittel der OSZE erlauben es
der Organisation nur, in der prä- und allenfalls in der postkonfliktiven
Phase aktiv zu werden. Für die Durchführung von friedenserhaltenden
Massnahmen verfügt die OSZE bildlich gesprochen schlicht weder
über "Zuckerbrot noch Peitsche". Aufgrund dieser Analyse dürfte
eine Schwergewichtsbildung der OSZE-Operationen auf
Präventivdiplomatie und allenfalls auf postkonfliktive friedensbildende
Massnahmen angezeigt sein.
Allerdings sei vor allzu hohen Erwartungen an die Möglichkeiten
der OSZE im Rahmen der Konfliktprävention gewarnt. Dies erstens daher,
weil auch in Zukunft kleinere und mittlere Länder (Dänemark;
Polen; Kanada) für die OSZE-Präsidentschaft vorgesehen sind und
damit das
Ressourcenproblem in ähnlicher Weise wiederkehren dürfte,
da das Präsidentenmandat für die Durchführung diesbezüglicher
Aktivitäten
eine zentrale Stellung einnimmt. Zweitens wird auch in Zukunft das
Problem darin bestehen, dass sich kein Mitgliedstaat für die Auslösung
der Krisenmechanismen mobilisieren lässt, bevor ein Konflikt manifest
wird.
Im Gegensatz dazu wird von östlicher Seite, namentlich von Russland,
die Bedeutung friedenserhaltender Massnahmen der OSZE für die
zahlreichen regionalen Konflikte auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR
betont und eine Akzentverlagerung von der Konfliktprävention hin
zum Konfliktmanagement und zur Konfliktlösung gefordert. In der
heutigen Situation soll nicht die Weiterentwicklung der
Instrumentarien der Konfliktprävention im Zentrum der Aufmerksamkeit
stehen, sondern die Auseinandersetzung mit den aktuellen
Konflikten. Die OSZE ist allein schon deshalb herausgefordert, weil
keine andere internationale Organisation im "nahen Ausland" auf dem
Gebiet der ehemaligen UdSSR aktiv werden kann.
Der russischen Befindlichkeit ist insofern Verständnis entgegenzubringen,
als sich die meisten derzeitigen Konflikte in der Tat in der
(ehemaligen) russischen Einflusssphäre abspielen und daher die
nationalen Interessen Russlands direkt tangieren. Russland macht
entsprechend geltend, dass seine in den Krisenregionen stehenden Truppen
der Friedenssicherung dienen und folglich als
Peacekeepingtruppen von der OSZE anerkannt werden sollen.
6. Herausforderungen für die schweizerische OSZE-Präsidentschaft
Einleitend muss darauf hingewiesen werden, dass sich die Ausgangslage
für das Schweizer Präsidialjahr 1996 schwierig gestaltet, stehen
doch die Diskussionen über die Rolle der OSZE in einer engen Wechselbeziehung
zu politischen Vorgängen in anderen Bereichen. Neben
der Nato-Osterweiterung sind vor allem die Regierungskonferenzen zwecks
Überprüfung des Maastrichter Vertrages und des Vertrages
über die konventionellen Streitkräfte in Europa zu nennen.
Ebenfalls 1996 stehen wichtige Präsidentschaftswahlen in Russland
und
den USA an. Schliesslich wird sich die OSZE auch im nächsten Jahr
intensiv mit den aktuellen Krisen in Tschetschenien, in
Nagorny-Karabach und im ehemaligen Jugoslawien auseinanderzusetzen
haben.
6.1. Augenmerk auf die GUS und neue Rolle im ehemaligen Jugoslawien
Auf die Gebiete Russlands und der GUS wird auch im schweizerischen Präsidentschaftsjahr
das Hauptaugenmerk zu richten sein. Im
Zentrum steht dabei das Verhältnis Russlands zu seinen als "nahes
Ausland" deklarierten Nachbarn. Hier steht die allfällige Durchführung
der
anlässlich des Budapester Gipfeltreffens (1994) grundsätzlich
beschlossenen OSZE-Peacekeeping-Mission in Nagorny-Karabach im
Vordergrund. Damit würde in den OSZE-Aktivitäten erstmals
eine Akzentverlagerung in Richtung aktives Krisenmanagement offenbar.
Aber auch weitere Gebiete wie Tschetschenien, Tadschikistan, Georgien,
Ukraine und Moldawien erfordern die Aufmerksamkeit der
OSZE und insbesondere die des Amtierenden Vorsitzenden.(35)
Auf dem Balkan gilt es, die bestehenden präventivdiplomatischen
Missionen (Mazedonien; Sarajewo) zur Stabilisierung des Umfeldes in
bewährter Weise weiterzuführen. Weit wichtiger sind aber
die der OSZE bei der Umsetzung einer Friedensregelung in
Bosnien-Herzegowina erwachsenden Aufgaben. Die Organisation wird im
Rahmen dieser Friedensbemühungen - das in Dayton (Ohio)
paraphierte Friedensabkommen wird voraussichtlich am 14. Dezember 1995
in Paris unterzeichnet werden - als "lead agency"(36) eine
neue Rolle übernehmen, nachdem sie sich 1992 de facto aus dem
Jugoslawienkonflikt abgemeldet hat. Damit wird der OSZE in Zukunft ein
grosses potentielles Aufgabengebiet im ehemaligen Jugoslawien erwachsen.
An der OSZE-Aussenministerkonferenz vom 7./8. Dezember
1995 in Budapest, anlässlich derer die Schweiz offiziell den Vorsitz
übernimmt, wird ein entsprechendes Mandat im Detail formuliert.
Neben der Überwachung von Wahlen ist die Überprüfung
der Einhaltung der Menschenrechte von grosser Wichtigkeit. Nachdem ein
politischer Lösungsprozess absehbar ist, soll der Fokus der OSZE-Tätigkeiten
deshalb auf dem Schutz der Minderheitenrechte liegen.
Dies ist aus schweizerischer Perspektive insofern interessant, als
unser Land über einige Erfahrung im Bereich des Minderheitenschutzes
verfügt. Zusätzlich ist die Reintegration Restjugoslawiens
(Serbien und Montenegro) in die internationale Gemeinschaft anzustreben,
um
auch in diesen Gebieten aktiv werden zu können. Die OSZE ist aufgrund
ihrer Mitgliederstruktur geradezu dafür prädestiniert, für
die
Wiederaufnahme Serbien-Montenegros in die Staatengemeinschaft zu sorgen.
Präventivdiplomatie zum Schutz der Minderheiten ist
innerhalb Restjugoslawiens (Kosovo, Wojwodina und dem Sandschak) dringend
vonnöten, betreibt doch Belgrad in diesen Regionen eine
massive Repressionspolitik gegenüber den nichtserbischen Minderheiten.(37)
Schliesslich ist auch auf die Notwendigkeit eines
Rüstungskontrollregimes für den Balkan aufmerksam zu machen.
Der Abbau der Rüstungspotentiale muss parallel zur politischen
Stabilisierung der Region an die Hand genommen werden. Hier sind Vorbereitungen
für die spätere Einbindung in den Vertrag über
konventionelle Streitkräfte in Europa zu treffen.
Eine Verstärkung der Rolle der OSZE hinsichtlich des Konfliktes
im ehemaligen Jugoslawien über die derzeitige Stabilisierung der
umliegenden Gebiete hinaus bedingt sorgfältige Vorbereitungen
für die Entsendung von Feldmissionen. Hier muss eine frühzeitige
Kontaktaufnahme mit den Konfliktparteien erfolgen und muss am Aufbau
eines Informations- und Kommunikationsnetzes vor Ort gearbeitet
werden. Im Sinne einer optimalen Vorbereitung gilt es daher zu überlegen,
inwieweit die Kontakte zu den Konfliktparteien bereits heute
auszubauen sind, um diese dann zu gegebener Zeit im Rahmen der OSZE
erfolgreich zu aktivieren.
6.2. Sicherheitsmodell und Menschliche Dimension
Die Schweiz wird auch bei der Mitgestaltung des Sicherheitsmodells für
Europa im 21. Jahrhundert gefordert sein. Dabei ist den
unterschiedlichen Vorstellungen der Grossmächte Russland, USA
und EU bezüglich der Rolle der OSZE im Geflecht der sich gegenseitig
verstärkenden Sicherheitsinstitutionen in Europa Rechnung zu tragen.
Bei der Formulierung ihrer Position soll sich die Schweiz nicht auf die
politisch-militärischen Aspekte der Sicherheit beschränken,
sondern ihrer Tradition gemäss einen breiten sicherheitspolitischen
Ansatz
anstreben, der auch wirtschaftliche Zusammenarbeit, Fragen der Menschlichen
Dimension, aber auch Teilthemen wie Umweltschutz umfasst.
Als konkreten Beitrag zur Debatte um die Ausgestaltung des Sicherheitsmodells
kann die Schweiz auf die Notwendigkeit einer
umfassenden Risikoanalyse hinweisen, besitzt sie doch auf diesem Gebiet
wissenschaftliche Expertise.
Mit der Übernahme des Präsidialmandates 1996 wird die Schweiz
für die Weiterentwicklung des Sicherheitsmodells verantwortlich
zeichnen. Im Beratungsprozess wird sie neben der Wahrung ihrer eigenen
nationalen Interessen und der Lancierung eigener Initiativen auch
die Funktion eines Moderatoren auszufüllen haben. Dabei kann sie
als "Drittpartei" in bewährter stiller Diplomatie Vermittlungstätigkeiten
zwischen den divergierenden Interessen der Hauptakteure Russland, USA
und EU wahrnehmen. Anlässlich des Ende 1996 stattfindenden
OSZE-Gipfeltreffens in Lissabon werden die erzielten Resultate durch
die schweizerischen Vertreter schliesslich vorzulegen sein.
Der stärkeren Integration und Implementierung der Menschlichen
Dimension in den politischen Alltag, wie sie im Geiste der Treffen
von Wien, Kopenhagen und Moskau im Sinne einer umfassenden Verpflichtung
bei den Menschenrechten und den Minoritätenrechten
deklariert worden ist, wird unser Land ebenfalls hohe Priorität
beizumessen haben. Für die Schweiz, die sich traditionellerweise für
die
Kodifizierung der Menschlichen Dimension eingesetzt hat, wird die konkrete
Durchsetzung dieser Standards zu einer besonderen
Herausforderung werden, steht zurzeit nämlich nicht die Weiterentwicklung
bestehender Normen und Mechanismen im Vordergrund,
sondern deren Anwendung und Durchsetzung.
6.3. Aussenbeziehungen und interne Feinabstimmung der OSZE
Zum Aufgabenbereich des Amtierenden Vorsitzenden gehören die Aussenbeziehungen
der OSZE zu anderen internationalen Akteuren und
die Sicherstellung der inneren Funktionsfähigkeit der Organisation.
Bezüglich beider Aufgaben bestehen konkrete Herausforderungen für
die
schweizerische Präsidentschaft.
So ist insbesondere die Notwendigkeit einer verstärkten koordinierten
Zusammenarbeit mit anderen internationalen Gremien zu
betonen. Die regulären Treffen mit dem Europarat und die Beziehungen
zur Nato (Beobachterstatus im NACC/PfP) entwickeln sich zwar
befriedigend. Hingegen gestalten sich die Kontakte zur Uno als schwierig.
Entsprechend ist die Zusammenarbeit mit der Uno zu fördern.
Ferner ist auf die Bedeutung der Sicherstellung guter Kontakte zur
GUS/Russland hinzuweisen. Dies drängt sich insbesondere angesichts
der
aktuellen Konflikte auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR auf.
Im Zusammenhang mit der Betonung der "grassroots function" der OSZE
ist auch auf die Beziehungen mit nichtstaatlichen
Organisationen aufmerksam zu machen. Die Koordination mit NGOs ist
entscheidend, da deren Aktionskreis oft in denselben Gebieten
liegt wie derjenige der OSZE.
Im Bereich der internen institutionellen Feinabstimmung der OSZE ist
die Konsolidierung der bestehenden Institutionen und Mechanismen
vordringlich. Dabei stellen sich dem Amtierenden Vorsitzenden zwei
grundsätzliche administrative Herausforderungen. Wie können die
bestehenden exekutiven Ressourcen genutzt werden, ohne die Kontrolle
über die Gesamttätigkeiten der Organisation zu verlieren? Und
wie
soll das politische Management der anfallenden Aufgaben in zwei Zentren
(Wien/Bern) koordiniert werden?
Ferner ist als Schlüsselfaktor zur Sicherstellung der inneren Funktionsfähigkeit
der OSZE die enge Zusammenarbeit zwischen dem
Präsidialland und dem Generalsekretariat zu nennen. Hier ist die
Idee prüfenswert, ob die Beziehungen zwischen dem Amtierenden
Vorsitzenden und dem Generalsekretär durch die Abordnung eines
ständigen Vertreters des Generalsekretärs an das jeweilige
Aussenministerium nicht verbessert werden könnten.(38) Überdies
ist ein enger Kontakt zu den anderen Mitgliedern der Führungstroika
bei der Durchführung bestehender und der Planung allfälliger
neuer Aktivitäten durch die Schweiz wichtig. Ein vermehrter Rückgriff
des
Vorsitzenden auf die Führungstroika ist überlegenswert, um
die Troikapartner noch enger in den Willensbildungsprozess einzubinden
und
die Entscheidungen gegen aussen besser abzustützen.
Im weiteren wird die Konsolidierung der Zusammenarbeit mit dem Hochkommissariat
für nationale Minderheiten in Den Haag wichtig
sein, da im Bereich der Präventivdiplomatie eine enge Kooperation
mit dem Hochkommissar unabdingbar ist.
Bei den spezialisierten Organen ist auf die Notwendigkeit der institutionellen
Stärkung des Büros für Demokratische Institutionen und
Menschenrechte in Warschau hinzuweisen. Ebenso drängt sich eine
stärkere Berücksichtigung der Parlamentarischen Versammlung auf.
Mit Blick auf weitere Aktivitäten im administrativen Bereich bleibt
schliesslich festzuhalten, dass die alle zwei Jahre stattfindende
Überprüfungskonferenz und das anschliessende Treffen der
Staats- und Regierungschefs in das schweizerische Präsidialjahr fallen.
Die
Vorbereitung des Lissabonner Gipfels 1996 wird einige administrative
und organisatorische Kräfte binden, um eine sorgfältige
Vorbereitung zu gewährleisten.
Grundsätzlich muss aber bei aller Vorausschau betont werden, dass
auch die schweizerische OSZE-Agenda wesentlich durch die
Ereignisse bestimmt werden wird. Entsprechend bedingt dies eine sorgfältige
Vorbereitung der eigenen Organisation im Aussenministerium.
Die strukturellen, personellen und auch materiellen Vorkehrungen in
EDA und EMD müssen den Anforderungen bestehender
OSZE-Aktivitäten genügen und wichtiger noch Raum für
künftige Unwägbarkeiten lassen. Die Notwendigkeit flexibler
Führungsstrukturen gründet auf den gemachten Erfahrungen
der bisherigen Troikamitglieder.
7. Schlussfolgerungen
Die Übernahme der OSZE-Präsidentschaft 1996 gibt der Schweiz
die Chance, die Tätigkeiten im Rahmen dieser Organisation als Brücke
zur Mitgestaltung des europäischen Umfeldes zu nutzen. Das Mandat
des Amtierenden Vorsitzenden ist für die schweizerische Aussenpolitik
allein schon deshalb bedeutend, weil die Aktivitäten im Rahmen
der OSZE für die Schweiz zur Zeit die alleinige Möglichkeit darstellen,
um
sowohl eigene sicherheitspolitische Interessen wahrzunehmen als gleichzeitig
auch einen sinnvollen Beitrag zur Stabilität in Europa zu leisten.
Der Wert der positiven Mitgestaltungsmöglichkeit ist gerade deshalb
besonders hoch einzuschätzen, weil sich der aussenpolitische
Aktionsradius des neutralen Kleinstaates nach dem Ende des Kalten Krieges
verkleinert hat. In einer zunehmend multipolaren und
interdependenten Welt steigt gerade für den Kleinstaat die Bedeutung
von Handlungsfeldern im multilateralen Rahmen. Diesbezüglich bietet
sich die Gestaltungs- und Kompetenzfülle des Mandates des Amtierenden
Vorsitzenden geradezu an, um mit Kreativität ausgefüllt zu
werden. Die Gesamtverantwortung für die ausführenden Tätigkeiten
erlaubt es der Schweiz, ihre traditionellen aussenpolitischen
Aktionsfelder weiter zu verfolgen und sich gleichzeitig neue Handlungsspielräume
zu schaffen. Bei der Formulierung eines schweizerischen
Aktionsprogrammes müssen allerdings auch eine ganze Reihe von
einschränkenden Rahmenbedingungen berücksichtigt werden.
7.1. Gestaltungs- und Kompetenzfülle versus Handlungseinschränkungen
Das Mandat des Amtierenden Vorsitzenden eröffnet dem Präsidialland
mit der im Vergleich zum Vorsitz anderer internationaler
Organisationen einmaligen Kompetenz- und Gestaltungsfülle breiten
Raum für politische Initiativen. Die neutrale Schweiz kann hier,
bedingt durch ihre Unabhängigkeit und Ungebundenheit im Urteil
und im Handeln, komparative Vorteile verzeichnen, indem sie ohne
aufwendige Feinabstimmung mit Bündnispartnern der OSZE Vorschläge
unterbreiten kann. Grundsätzlich besitzt der Vorsitz jedoch letztlich
nur so viel Gewicht, wie ihm das Land an Bedeutung zuzumessen gewillt
ist. Die Möglichkeiten des Präsidialmandates sind im einzelnen
oben dargelegt worden; nachfolgend sei daher abschliessend auf einschränkende
Faktoren hingewiesen.
Bei der Annahme dieser Herausforderung ist die Schweiz gebunden an aktuelle
Konflikt- und Krisenfälle, an laufende und geplante
Missionen und an den bestehenden Gesamt-Acquis der OSZE (Verpflichtungen
und Vereinbarungen; Strukturen und Institutionen;
finanzielle und personelle Beschränkungen). Das Prinzip des Konsenses
bildet die wichtigste De-facto-Beschränkung der exekutiven
OSZE-Kompetenz. Es ist daher unerlässlich, dass sich die Schweiz
bei ihren Vorstössen der Unterstützung der bestimmenden Akteure
(USA; Russland; EU) versichert. Als weiteres Erschwernis ist in diesem
Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Schweiz bei der
Informationsbeschaffung für Gebiete, in denen sie aufgrund fehlender
nationaler Interessen und begrenzter Ressourcen nur über ein
grobmaschiges Informationsnetz verfügt, auf die Mithilfe durch
andere Mitgliedstaaten angewiesen ist. Überdies könnten sich
der Schweizer
Diplomatie die negativen Folgen unseres Abseitsstehens in den sicherheitspolitisch
entscheidenden Organisationen (Uno; EU/WEU;
Nato/NACC/PfP) in einem Kommunikationsdefizit zeigen. Der schweizerische
"Sonderfall" bringt mit sich, dass unser Land über wenig
Erfahrung in multilateraler Diplomatie verfügt. Nicht zuletzt
sei auch an die beschränkten finanziellen und personellen Ressourcen
in der
schweizerischen Verwaltung erinnert, welche die Ausgestaltung der nötigen
Führungsstrukturen erschweren.
Als allgemeine Herausforderung an die schweizerische Präsidentschaft
ist auf ein mögliches Dilemma zwischen der Verfolgung
institutioneller und nationaler Interessen hinzuweisen. Für kleine,
unabhängige Staaten kann es problematisch sein, Aktivitäten auch
in
solchen Fällen, in denen keine nationalen Interessen im Spiel
sind, zu ergreifen und dafür kritisiert zu werden. Trotzdem muss sich
der
Amtierende Vorsitzende im Rahmen seiner Gesamtverantwortung für
die ausführenden Tätigkeiten auch in diesen Situationen um die
politische Initiative bemühen. Bedingt durch das zeitlich kurze
Mandat ergibt sich damit verbunden ein weiteres grundsätzliches
Spannungsfeld. Die Schweiz ist gefordert, ihre Tätigkeiten sowohl
auf die kurzfristige Perspektive der einjährigen Präsidentschaft
als auch
auf die für die Organisation notwendige langfristige Perspektive
auszurichten.
7.2. Eine besondere Herausforderung: Kommunikationsstrategie
Die OSZE ist als strategisches Instrument im modernen sicherheitspolitischen
Umfeld unverzichtbar. Als Forum des Dialogs kann sie
entscheidend zur Stabilität in Europa beitragen. Ihre Stärken
liegen bei Aktivitäten der stillen Diplomatie, die notwendigerweise
unspektakulär sind und entsprechend in der Öffentlichkeit
nur ungenügend wahrgenommen werden. Es ist daher unerlässlich,
dass die
Möglichkeiten der OSZE als Mittel einer nachhaltig positiven Entwicklung,
ihre Ziele und Arbeitsweisen einer breiteren Öffentlichkeit besser
verständlich gemacht werden.
Die Aufgabe, eine Kommunikationsstrategie für die OSZE zu formulieren,
ist Teil des Pflichtenheftes des Amtierenden Vorsitzenden. Bei der
Entwicklung einer Handlungsstrategie für die schweizerische OSZE-Präsidentschaft
1996 ist dem Element Kommunikation daher hohe
Priorität beizumessen.(39) Diese Aufgabe wird allerdings dadurch
erschwert, dass die Schweiz in ihrer Rolle als Präsidialland einerseits
die
OSZE-Aktivitäten gegenüber der internationalen Gemeinschaft
zu vertreten hat. Andererseits müssen die politischen Verantwortlichen
aber
auch die spezifisch schweizerischen Kommunikationsbedürfnisse
im Auge behalten. Diesbezüglich gilt es, neben der Verdeutlichung
des
Stellenwertes der OSZE für die Sicherheit Europas und insbesondere
der positiven Einwirkungsmöglichkeiten für die Schweiz durch
die
Übernahme der Präsidentschaft gleichzeitig darzulegen, dass
die schweizerischen Tätigkeiten im Rahmen der OSZE kein Ersatz für
die
Übernahme von Verantwortung in anderen multilateralen Gremien
sein kann.
Fussnoten
1.Für die kritische Durchsicht des Manuskriptes danken
die beiden Autoren den Herren Dr. Martin Dahinden, Stefan Klötzli,
Thomas
Köppel und Robert Fabrin.
2.Zur Geschichte des KSZE-Prozesses vgl. grundsätzlich:
Ljubivoje Acimovic. Problems of Security and Cooperation in Europe.
Alphen aan den Rijn 1981; Victor-Yves Ghebali.
La diplomatie de la détente: la CSCE d'Helsinki à Vienne
(1973-1989).
Brüssel 1989; Wilfried von Bredow. Der
KSZE-Prozess: Von der Zähmung zur Auflösung des Ost-West-Konfliktes.
Darmstadt
1992.
Vgl. für ausgezeichnete Analysen und
Dokumentationen des ursprünglichen KSZE-Prozesses in den siebziger
und achtziger Jahren
die umfassenden Werke: Friedrich-Karl Schramm,
Wolfram-Georg Riggert, Alois Friedel (Hg.). Sicherheitskonferenz in Europa:
Dokumentation 1954-1972: Die Bemühungen
um Entspannung und Annäherung im politischen, militärischen,
wirtschaftlichen, wissenschaftlich-technologischen
und kulturellen Bereich. Frankfurt am Main 1972; Hans-Adolf Jacobsen,
Wolfgang Mallmann, Christian Meier (Hg.).
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE): Analyse und Dokumentation,
Band I. Dokumente zur Aussenpolitik II. Köln
1973; Dies. (Hg.). Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE): Analyse
und Dokumentation, Band II. Dokumente zur
Aussenpolitik II/2. Köln 1978; Herrmann Volle, Wolfgang Wagner (Hg.).
KSZE
Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa in Beiträgen und Dokumenten aus dem Europa-Archiv. Bonn
1976; Dies. (Hg.). Das Belgrader KSZE-Folgetreffen.
Der Fortgang des Entspannungsprozesses in Europa in Beiträgen und
Dokumenten aus dem Europa-Archiv. Bonn 1978;
Dies. (Hg.). Das Madrider KSZE-Folgetreffen. Der Fortgang des
KSZE-Prozesses in Europa in Beiträgen
und Dokumenten aus dem Europa-Archiv. Bonn 1984.
Einen umfassenden Überblick über
die zahlreiche Literatur zu allen Aspekten des KSZE-Prozesses bieten Günter
Schwarz, Dieter S.
Lutz. Sicherheit und Zusammenarbeit: Eine
Bibliographie zu MBFR, SALT und KSZE. Militär, Rüstung, Sicherheit
2.
Baden-Baden 1980.
3.Anlässlich des amerikanisch-sowjetischen Gipfeltreffens
im Mai 1972 in Moskau fiel die Entscheidung, die MBFR-Verhandlungen
(Mutual and Balanced Force Reductions) und
die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit getrennt, aber zeitlich
parallel
durchzuführen. Dies ist der Grund, warum
innerhalb des KSZE-Prozesses nur am Rande über militärische Problembereiche
gesprochen wurde. Damit soll aber die Leistung
der KSZE auf dem Gebiet der Vertrauens- und Sicherheitsbildenden Massnahmen
nicht geschmälert werden, war doch deren
inhaltliche Ausweitung und Systematisierung eine Errungenschaft der KSZE.
Die
MBFR-Konferenz wurde von 19 Teilnehmerstaaten
im Oktober 1973 in Wien eröffnet. Sie zog sich mehr als 15 Jahre hin
und wurde
erst 1989 durch die im Rahmen der KSZE stattfindenden
Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa (VKSE)
zwischen Nato und Warschauer Pakt abgelöst.
4.Die Abkürzung steht für Strategic Arms Limitation
Talks, welche seit November 1969 zwischen den USA und der Sowjetunion
geführt worden waren.
5.Die Abkürzung "N+N" steht für Neutral and
Non-Aligned States. (Neutrale: Österreich, Schweden, Finnland, Schweiz;
Nichtpaktgebundene: Jugoslawien, Zypern, Malta,
Liechtenstein, San Marino).
Mit der Auflösung der Blöcke Anfang
der neunziger Jahre büsste die Mittlerfunktion aber an Bedeutung ein.
Auch wurden keine
Kompromisstexte mehr von der N+N-Gruppe ausgearbeitet.
Die Bedeutung dieser Staatengruppe nahm mit dem Übertritt einzelner
neutraler und blockfreier Staaten in die Europäische
Union, die ihrerseits eine gewichtige Rolle innerhalb der KSZE spielt,
ab. Begriff
und Institution der N+N-Gruppe sind heute
verschwunden.
Zur Rolle der N+N-Staaten vgl. allgemein:
Michael Zielinski. Die neutralen und blockfreien Staaten und ihre Rolle
im
KSZE-Prozess. Nomos Universitätsschriften
13. Diss. Baden-Baden 1990; Hanspeter Neuhold (Hg.). CSCE: N+N Perspectives:
The Process of the Conference on Security
and Cooperation in Europe from the Viewpoint of the Neutral and Non-Aligned
Participating States. The Laxenburg Papers
8. Wien 1987.
6.Die Aufteilung in die seither gebräuchlichen vier
Körbe geht auf ein der schweizerischen Delegation anlässlich
der vorbereitenden
Konsultationen von Dipoli (November 1972)
erteiltes Mandat zurück, eine Sammlung und Sortierung der von den
einzelnen Staaten
eingebrachten Vorschläge in Form einer
Synopse vorzunehmen.
7.Während des kalten Krieges konnte die wirtschaftliche
Zusammenarbeit aufgrund der zu unterschiedlichen Wirtschaftssysteme in
Ost und West als drittes Standbein neben der
sicherheitspolitischen und menschlichen Dimension keine grösseren
Erfolge
verzeichnen. Erst seit Ende des Ost-West-Antagonismus
wurde mit dem Bekenntnis zur Marktwirtschaft und zum Privateigentum ein
Durchbruch erzielt. Der Beitrag der OSZE zur
Unterstützung des Übergangs zur Marktwirtschaft findet heute
im Rahmen der jährlich
in Prag durchgeführten OSZE-Wirtschaftsforen
statt. Im Gegensatz zu den zahlreichen internationalen Wirtschaftsorganisationen
verfügt die OSZE aber über keine
Kompetenz, die es ihr erlauben würde, sich in Wirtschaftsfragen operationell
zu engagieren.
8.Die 10 Prinzipien lauten: souveräne Gleichheit
der Staaten, Gewaltverzicht, Unverletzlichkeit der Grenzen, territoriale
Integrität der
Staaten, friedliche Regelung von Streitigkeiten,
Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, Achtung der Menschenrechte
und
Grundfreiheiten, Gleichberechtigung und Selbstbestimmungsrecht
der Völker, Zusammenarbeit zwischen den Teilnehmerstaaten und
Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen
nach Treu und Glauben.
9.Als oberster Grundsatz der Arbeitsmethoden der KSZE
gilt bis heute, dass alle Staaten "souverän" und "unabhängig"
sowie unter der
Bedingung der "vollen Gleichheit" am KSZE-Prozess
teilnehmen und dass Beschlüsse im Konsens gefasst werden. Diese Grundsätze
wurden bereits 1972/73 anlässlich der
Vorverhandlungen, den Konsultationen in Dipoli (Helsinki), in den Schlussempfehlungen
dem
sogenannten "Blauen Buch" fixiert.
10.Dabei ist zu beachten, dass die KSZE/OSZE-Dokumente aber
insofern eine rechtliche Bedeutung besitzen, als sie bestehende
völkerrechtliche Normen oder Grundsätze
des Völkergewohnheitsrechtes bekräftigen (so bestätigen
die Prinzipien als
Verhaltenskodex einzelne Bestimmungen der
Uno-Charta). Im weiteren schaffen sie eine moralische Verpflichtung, die
gemeinsam
angenommenen Werte und Normen namentlich im
Bereich der Gewährleistung der Menschenrechte und Grundfreiheiten
innerstaatlich
umzusetzen.
11.Die in der Schlussakte enthaltene explizite Bestätigung
des Anspruches des Individuums, seine Rechte und Pflichten im Bereich der
Menschlichen Dimension ausüben zu können,
führte ab 1976 zur Gründung zahlreicher Helsinki-Gruppen. Im
Osten entstanden
organisierte Dissidentengruppierungen zur
Überwachung der Helsinki-Verpflichtungen; im Westen bildeten sich
entsprechende
Vereinigungen, um Menschenrechtsverletzungen
in Osteuropa in Erfahrung zu bringen und öffentlich anzuprangern.
12.Dieser Mechanismus später auch CHD-Mechanismus (Conference
on the Human Dimension) genannt wurde auf dem Kopenhager
Treffen (1990) und auf dem Moskauer Treffen
(1991) über die Menschliche Dimension weiter verfeinert. Er erlaubt
jedem
Teilnehmer, bei einem anderen OSZE-Staat Informationen
über Menschenrechtsverletzungen einzuholen. Es können auch bilaterale
Treffen zur Klärung von Menschenrechtsverletzungen
beantragt werden. Die Ergebnisse solcher Treffen können auf
KSZE-Folgekonferenzen und Aussenministertreffen
sowie auf Treffen des Hohen Rates zur Sprache gebracht werden. Wenn die
Resultate unbefriedigend ausfallen, kann gegen
das Votum des betroffenen Staates eine Mission von KSZE-Berichterstattern
zur
Tatsachenfeststellung auf das Territorium
des Staates in die Wege geleitet werden. Vgl. zum Mechanismus der Menschlichen
Dimension: Peter Schlotter, Norbert Ropers,
Berthold Meyer. Die neue KSZE: Zukunftsperspektiven einer regionalen
Friedensstrategie. Analysen Politik, Gesellschaft,
Wirtschaft 44. Opladen 1994. 42-45 (Schaubild 8).
Dieser Moskauer Mechanismus wurde bisher viermal
ausgelöst: Menschenrechtsberichterstatter-Mission nach Ex-Jugoslawien
(1991/1992) unter der Leitung des Schweizer
Staatsrechtlers Thomas Fleiner; Expertenmission nach Kroatien und
Bosnien-Herzegowina (1992); Expertenmission
nach Estland (1992); Expertenmission nach Moldawien (1993). Die geplante
Expertenmission nach Serbien-Montenegro (1993)
scheiterte am Widerstand Belgrads. Ebenso misslangen Versuche auch durch
die
Schweiz (1995) , Expertenmissionen in den
Südosten der Türkei zu entsenden, da die Unterstützung der
erforderlichen Anzahl
Staaten versagt blieb.
13.Rückblickend nennt Ghebali für den gesamten KSZE-Prozess
während der Phase des kalten Krieges folgende drei Vorteile der
KSZE: "The CSCE was a permanent channel of
communication, a normative code of conduct, a long-term programme of
cooperation covering all dimensions of security
(...). It filled a vacuum and addressed a deficiency in East-West relations
which had
existed since the beginning of the Cold War
and, perhaps, since the 1917 Bolshevik October Revolution." Vgl. Victor-Yves
Ghebali,
Brigitte Sauerwein. European Security in the
1990s: Challenges and Perspectives. UNIDIR-Publications 2/1995. New
York-Genf 1995. 143.
14.Zur aktuellen Entwicklung der KSZE/OSZE vgl. grundsätzlich:
Stefan Lehne. The CSCE in the 1990s: Common House or
Potemkin Village. Wien 1991; Ian M. Cuthbertson
(Hg.). Redefining the CSCE: Challenges and Opportunities in the New
Europe. New York 1992; Michael Staak (Hg.).
Aufbruch nach Gesamteuropa: Die KSZE nach der Wende im Osten.
Forschungsberichte Internationale Politik
15. Münster 1992; Vojtech Mastny. The Helsinki Process and the Reintegration
of
Europe 1986-1991: Analysis and Documentation.
London 1992; Michael R. Lucas (Hg.). The CSCE in the 1990s:
Constructing European Security and Cooperation.
Baden-Baden 1993; Alexis Heraclides. Helsinki II and its Aftermath: The
Making of the CSCE into an International Organization.
London/New York 1993; Peter Schlotter, Norbert Ropers, Berthold
Meyer. Die neue KSZE: Zukunftsperspektiven
einer regionalen Friedensstrategie. Analysen Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
44.
Opladen 1994; Berthold Meyer, Bernhard Moltmann
(Hg.). Konfliktsteuerung durch die Vereinten Nationen und die KSZE.
Frankfurt am Main 1994.
Als neue Bibliographie zum KSZE/OSZE-Prozess:
Henrik Holtermann (Hg.). CSCE: From Idea to Institution: A Bibliography.
Kopenhagen 1993.
Die KSZE/OSZE-Dokumente werden unter anderem
leicht greifbar laufend veröffentlicht in: Ulrich Fastenrath (Hg.).
KSZE:
Dokumente der Konferenz über Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa. Neuwied 1992. (Loseblattsammlung, fortlaufend).
Das erste Jahrbuch zur OSZE existiert seit
diesem Jahr: Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik
an der Universität
Hamburg (Hg.). OSZE-Jahrbuch 1995: Jahrbuch
zur Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Baden-Baden 1995.
Für einen ersten Überblick sei auf
das kürzlich erschienene IAP-Schwerpunktheft verwiesen: Von der KSZE
zur OSZE: Die
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa. Hg. IAP-Dienst Sicherheitspolitik, 5/1995. Bonn 1995.
Eine ausgezeichnete Einführung in die
OSZE bietet auch: OSZE-Vademecum: Eine Einführung über die Organisation
für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Hg.
OSZE-Dienst des Eidgenössischen Departementes für auswärtige
Angelegenheiten. Bern 1995.
Als Lehrmittel für die Aus- und Weiterbildung
ist kürzlich erschienen: OSZE - Sicherheit in Europa. Hg. Eidgenössisches
Departement für auswärtige Angelegenheiten.
Bern 1995.
15.Nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten schied
die DDR 1990 als Mitgliedstaat aus.
16.Das seit 1994 unabhängige Andorra gehört der OSZE
(noch) nicht an.
Ferner ist zu beachten, dass die KSZE auch
Kontakte zu Nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) und zu Drittstaaten
pflegt:
Das Hauptaugenmerk bei den Kontakten zu NGOs
liegt auf der Menschlichen Dimension. Im Rahmen der Fragen der Sicherheit
und
Zusammenarbeit im Mittelmeerraum bestehen
auch Bindungen zu den Mittelmeeranrainerstaaten Algerien, Ägypten,
Israel, Marokko
und Tunesien. Seit dem Helsinki II-Gipfel
(1992) wird Japan an gewisse Treffen eingeladen. Einen ähnlichen Status
besitzt Südkorea.
17.Die Mechanismen der friedlichen Streitbeilegung haben in
jüngster Zeit eine dynamische Weiterentwicklung erfahren: Der sogenannte
"Valetta-Mechanismus" (KSZE-Expertentreffen
über die friedliche Regelung von Streitfällen in La Valetta 1991)
sieht bei einem
Streitfall die obligatorische Hinzuziehung
einer Drittpartei vor. Der Mechanismus kann auch einseitig angerufen werden.
Die
OSZE-Schlichter können vertrauliche Hinweise
und Ratschläge erteilen, ob Verhandlungen eingeleitet werden sollen
oder ob ein
anderes Verfahren besser geeignet sei. Die
Kompetenzen der Schlichter sind also sehr klein. Um den Mechanismus zu
straffen,
wurde auf dem Aussenministertreffen in Stockholm
1992 eine KSZE-Vergleichskommission beschlossen. Unter der Bedingung der
Gegenseitigkeit können die Vorschläge
der Kommission als bindend anerkannt werden. Der Hohe Rat kann eine "Schlichtung
auf
Anordnung" verfügen, ohne dass die Parteien
einverstanden sind (Ausnahmen bilden Fragen der territorialen Integrität
und
Verteidigungsfragen). Damit wurde das Konsensprinzip
zugunsten der Formel "Konsens minus zwei" weiter aufgeweicht. Der
Grundpfeiler des ebenfalls in Stockholm 1992
geschaffenen völkerrechtlichen Übereinkommens über Vergleichs-
und
Schiedsverfahren innerhalb der OSZE schliesslich
bildet ein obligatorisches Vergleichsverfahren vor einer Ad
hoc-Vergleichskommission. Deren Empfehlungen
sind indes nicht zwingend. Das fakultative Schiedsverfahren kann nur eingesetzt
werden, wenn ein Vergleichsverfahren nicht
zum Erfolg gelangt ist. Der Schiedsspruch ist rechtlich bindend. Vgl. zur
Friedlichen
Streitbeilegung: Schlotter, Neue KSZE, 37-42
(Schaubilder 5, 6, 7).
18.Der im Wiener Dokument über Vertrauens- und Sicherheitsbildende
Massnahmen (1990) geschaffene Krisenmechanismus ist zur
Erörterung "militärisch bedeutsamer
Aktivitäten der Streitkräfte ausserhalb der normalen Friedensstandorte"
vorgesehen. Er beinhaltet
ein kurzfristiges Nachfragerecht und Konsultationen
auf Verlangen. Zusätzlich verpflichtet sich jeder OSZE-Staat, bei
gefährlichen
militärischen Zwischenfällen unverzüglich
zu informieren. Vgl. zum Militärischen Krisenmechanismus: Schlotter,
Neue KSZE,
34-36 (Schaubild 4).
Im Zusammenhang mit dem Jugoslawienkrieg wurde
der Wiener Mechanismus bisher dreimal ausgelöst von Österreich
und Italien
betreffend Slowenien (1991), von Ungarn aufgrund
von Luftraumverletzungen durch Restjugoslawien (1991) und von
Serbien-Montenegro wegen eines angeblichen
Angriffes auf sein Territorium von Ungarn aus (1992).
19.Präventivdiplomatische Missionen der OSZE sind zur Zeit
in acht verschiedenen Krisengebieten tätig: Serbien-Montenegro (seit
September 1992; im Juli 1993 von Belgrad nicht
mehr verlängert); Mazedonien (seit September 1992); Georgien/Südossetien
(seit
Dezember 1992); Estland (seit Februar 1993);
Moldawien (seit April 1993); Lettland (seit November 1993); Tadschikistan
(seit
Februar 1994); Bosnien-Herzegowina (Sarajewo)
(seit Oktober 1994); Ukraine (seit November 1994).
Überdies beteiligt sich die OSZE seit
der vereinbarten Waffenruhe vom Mai 1994 im Rahmen der "Minsker Gruppe"
an den
Verhandlungen über einen Friedensplan
betreffend Nagorny-Karabach (Armenien/Aserbeidschan). Auf dem Budapester
Überprüfungstreffen wurde die Vorentscheidung
für die Entsendung einer multinationalen Friedenstruppe nach Bergkarabach
getroffen. Es ist ein Verband von 3'300 Personen
vorgesehen, der nach Abschluss einer politischen Vereinbarung über
die Einstellung
des bewaffneten Konfliktes zwischen Armenien
und Aserbeidschan zum Einsatz gelangen könnte. Aufstellung und Einsatz
dieser
Friedenstruppe werden für die weitere
Entwicklung der Sicherheitskooperation und die militärische Zusammenarbeit
vor allem mit
Blick auf die Einbindung Russlands von erheblicher
Bedeutung sein.
Als neuste Entwicklung ist darauf hinzuweisen,
dass Anfang 1995 OSZE-Delegationen, unter anderem eine Gruppe von
Menschenrechtsexperten unter der Leitung des
Schweizer Diplomaten Lorenzo Amberg, die Lage in Tschetschenien erkundeten.
Seit April 1995 ist eine OSZE-Assistenzgruppe
in Grosny aktiv.
20.Gegenwärtig sind sieben Sanktionsunterstützungs-Missionen
in folgenden Nachbarstaaten Restjugoslawiens im Einsatz: Albanien (seit
April 1993); Bulgarien (seit Oktober 1992);
Kroatien (seit Januar 1993); Mazedonien (seit November 1992); Rumänien
(seit
Oktober 1992); Ukraine (seit Februar 1993);
Ungarn (seit Oktober 1992).
21.Der politische Krisenmechanismus wurde anlässlich des
Treffens der Aussenminister in Berlin (1991) geschaffen. Ein Teilnehmerstaat
kann vom betroffenen Staat eine Klarstellung
über Zwischenfälle, die ein Prinzip der Schlussakte verletzen
oder den "Frieden, die
Sicherheit oder die Stabilität" gefährden,
verlangen. Bleibt die Situation weiterhin ungelöst, kann eine Dringlichkeitssitzung
des Hohen
Rates oder des Ständigen Rates einberufen
werden. Diese kann Empfehlungen oder Schlussfolgerungen vereinbaren oder
ein
besonderes Ratstreffen anberaumen. Vgl. zum
Politischen Krisenmechanismus: Schlotter, Neue KSZE, 34 (Schaubild 3).
Der Berliner Mechanismus wurde bisher zweimal
in bezug auf die Lage in Jugoslawien (1991/1992) und einmal betreffend
Nagorny-Karabach (1993) ausgelöst.
22.Als Grundsätze für das OSZE-Peacekeeping werden
im Helsinki II-Dokument genannt: Anordnung und Leitung durch Konsens;
keine Zwangsmassnahmen; Zustimmung der direkt
betroffenen Parteien; unparteiische Durchführung; zeitlich begrenzt,
da kein Ersatz
für eine Verhandlungslösung; alle
OSZE-Staaten sind zur Teilnahme berechtigt, sofern sie nicht von den betroffenen
Parteien
zurückgewiesen werden; OSZE kann bestehende
Organisation (EU; Nato; WEU; GUS) ersuchen, Ressourcen für Peacekeeping
unter der politischen Leitung der OSZE zur
Verfügung zu stellen.
23.Für eine schweizerische Perspektive des Aufgabenbereiches
des Amtierenden Vorsitzenden vgl. Botschafter Benedikt von Tscharner
(Ständiger Vertreter der Schweiz bei
der OSZE und bei den internationalen Organisationen in Wien). "Die OSZE
als
Herausforderung für die Schweiz und ihre
Diplomatie". In: Neue Zürcher Zeitung vom 13. Februar 1995; Interview
mit Botschafter
Benedikt von Tscharner: "Konkrete Schritte
statt Luftschlösser". In: Der Bund vom 3. November 1995; Interview
mit Botschafter
Raymund Kunz (Chef des Koordinationsstabes
der OSZE im EDA): "Die gesamteuropäische sicherheitspolitische Kooperation
vertiefen". In: Chance Schweiz 3 (1995): 3-8;
Josef Schärli (Delegierter des Generalstabschefs für Rüstungskontrolle
und
Friedenssicherung). "Zur OSZE-Präsidentschaft
der Schweiz 1996". In: Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift
10 (1995):
12f; Interview mit Bundesrat Flavio Cotti:
"Es ist unsere ethische Pflicht, etwas für den Frieden in Europa zu
tun". In: Tages-Anzeiger
vom 21. November 1995.
24.Allerdings ist zu beachten, dass Konsens nicht Einstimmigkeit
bedeutet. Konsens ist gegeben, wenn kein Staat einen Einwand
erhebt und einen solchen als Hindernis für
die anstehende Beschlussfassung qualifiziert. Anlässlich des Prager
Ratstreffens (1992)
wurde die "Konsens minus eins"-Formel eingeführt.
Demnach können "in Fällen von eindeutigen, groben und nicht behobenen
Verletzungen einschlägiger OSZE-Verpflichtungen"
angemessene Massnahmen auch ohne die Zustimmung des betroffenen Staates
getroffen werden. Dem traditionellen Souveränitätsdenken
wurde jedoch noch insofern Rechnung getragen, als sich Beschlüsse
nach
dieser Formel nur auf "politische Erklärungen"
oder andere "politische Schritte" beschränken, die "ausserhalb des
Territoriums des
betreffenden Staates anwendbar sind". Mit
der Suspendierung Restjugoslawiens (Serbien-Montenegro) wurde ein entsprechendes
Präjudiz geschaffen.
25.Der revidierte Haushalt betrug für das Jahr 1994 knapp
36 Millionen Schweizer Franken. Die grössten Posten entfielen auf
die
Missionen und die Aufgaben des Sekretariates.
Davon hatte die Schweiz gemäss Verteilschlüssel 2,30 Prozent
mitzutragen (1994: ca.
830'000.- Franken). Allerdings muss festgehalten
werden, dass ein Grossteil der OSZE-Aktivitäten im Feld (Missionen
und
Langzeitmissionen) auf freiwilligen Beiträgen
der Teilnehmerstaaten beruht. So leistete die Schweiz im Rechnungsjahr
1994 über den
ordentlichen Haushalt hinaus weitere freiwillige
Beiträge für die schweizerischen Teilnehmer an OSZE-Missionen
und
Sanktionsüberwachungsmissionen im Gesamtumfang
von knapp 1 Million Franken. (Zahlenangaben gemäss: OSZE-Vademecum,
14.)
26.Zur Bedeutung der KSZE/OSZE für die Schweiz vgl. grundsätzlich:
Werner Hübscher. Die Schweiz und die Konferenz über
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. SAD-Arbeitsheft
W 9. Zürich 1973; Alois Riklin et al. Die Schweiz und die KSZE:
Stand 1977. SAD-Arbeitsheft W 12. Zürich
1977; Edouard Brunner. "La CSCE, Véhicule de Politique Etrangère
pour la Suisse?".
In: Emanuel Diez et al. (Hg.). Festschrift
für Rudolf Bindschedler. Bern 1980. 611-616; Matthias Erzinger et
al.
Menschenrechts-Vorbild Schweiz? Zum "humanitären"
KSZE-Engagement der Schweiz. Hg. Schweizerischer Friedensrat.
Zürich 1986; Urs Stemmler. Die Konferenz
über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Massnahmen und Abrüstung
in Europa
als Mittel der schweizerischen Sicherheitspolitik.
2 Bde. Diss. New York 1989; Marianne von Grünigen. "Konferenz über
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE)
und Neutralität". In: Bewaffnete Neutralität heute: Beilage zur
Allgemeinen
Schweizerischen Militärzeitschrift 1992.
47-56; Marianne von Grünigen, Josef Schärli. "Die Schweiz und
der Prozess der
Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa (KSZE)". In: Alois Riklin, Hans Haug, Raymond Probst (Hg.). Neues
Handbuch der schweizerischen Aussenpolitik.
Schriftenreihe der Schweizerischen Gesellschaft für Aussenpolitik
11.
Bern/Stuttgart/Wien 1992. 569-588; Jean-Daniel
Ruch. "La CSCE et la Suisse". In: Bulletin zur schweizerischen
Sicherheitspolitik 2 (1992): 56-70; Hans-Jörg
Renk. "Vor 20 Jahren: Schlussakte von Helsinki: Die Rolle der Schweiz bei
der
Entstehung der KSZE". In: Neue Zürcher
Zeitung vom 31. Juli 1995; Benedikt von Tscharner. "Die Schweiz und die
OSZE". In:
René Rhinow (Hg.). Die schweizerische
Sicherheitspolitik im internationalen Umfeld. Basel 1995. 73-86.
27.Lucius Caflisch, Blaise Godet. "La Suisse et le règlement
pacifique des différends internationaux". In: Riklin, Neues Handbuch
der
schweizerischen Aussenpolitik, 957-971. Über
die friedliche Streitbeilegung im Rahmen der KSZE fand 1993 ein Seminar
der
Zentralstelle für Gesamtverteidigung
(ZGV) statt. Die entsprechende Tagungsauswertung ist erschienen als: Zentralstelle
für
Gesamtverteidigung (Hg.). Friedliche Streitbeilegung.
Info Gesamtverteidigung 10. Bern 1993.
28.CSCE II/B/1, Entwurf der Delegation der Schweiz für
einen Vertrag über ein europäisches System der friedlichen Beilegung
von
Streitigkeiten (18. September 1973). In: Europa-Archiv
2 (1976): D 38-52.
Professor Dr. Rudolf Bindschedler, Rechtsberater
des Eidgenössischen Politischen Departementes (Heute: EDA) und Leiter
der
Schweizer Delegation während der Genfer
Verhandlungsphase, war spiritus rector des Vertragsentwurfes.
29.Vgl. Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend
das Übereinkommen über Vergleichs- und Schiedsverfahren
innerhalb der Konferenz über Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) sowie die Vergleichs- und Schiedsverträge
mit
Polen und Ungarn (19. Mai 1993). In: BBl 1993
II 1153.
Es handelt sich beim Übereinkommen über
Vergleichs- und Schiedsverfahren neben dem aus dem KSZE-Prozess
hervorgegangenen Vertrag über konventionelle
Streitkräfte in Europa und dem Vertrag über den Offenen Himmel
um die
einzige völkerrechtlich bindende Verpflichtung
im Rahmen der KSZE/OSZE.
30.Am 29. Mai 1995 fand die konstituierende Sitzung des neuen
Vergleichs- und Schiedsgerichtshofes in Genf statt. Zum Vorsitzenden
wurde der französische Völkerrechtler
und frühere Präsident des Pariser Verfassungsgerichts Robert
Badinter gewählt. Sein
Stellvertreter ist der vormalige deutsche
Aussenminister Hans-Dietrich Genscher. Die Schweiz ernannte Professor Lucius
Caflisch
und alt Bundesrichter Rolando Forni zu Streitschlichtern.
Die Professoren Christian Dominicé und Daniel Thürer gehören
dem
Gremium als Schiedsrichter an.
31.Es handelt sich dabei um die Journalisten Hanspeter Kleiner
(Sarajewo) und Andreas Kohlschütter (Kiew).
32.Für eine neuere Übersicht zum Thema der sich gegenseitig
verstärkenden Sicherheitsinstitutionen in Europa vgl. James B. Steinberg.
"Overlapping Institutions, Underinsured Security:
The Evolution of the Post-Cold War Security Order". In: Bernard von Plate
(Hg.).
Europa auf dem Wege zur kollektiven Sicherheit?
Konzeptionelle und organisatorische Entwicklungen der
sicherheitspolitischen Institutionen Europas.
Internationale Politik und Sicherheit 38. Baden-Baden 1994. 49-69.
33.Andrey Zagorski. "Russland und die OSZE: Erwartungen und
Enttäuschungen". In: OSZE-Jahrbuch 1995, 109-120.
34.Jonathan Dean. "Die Vereinigten Staaten und die OSZE: Im
Wechsel von Förderung und 'wohlwollender Vernachlässigung'".
In:
OSZE-Jahrbuch 1995, 99-108.
35.Vgl. Michael Lucas, Oliver Mietzsch. The OSCE and Security
in Russia and the CIS: Decisions in Budapest and the Challenge of
their Effective Implementation. Arbeitspapiere
der Schweizerischen Friedensstiftung 23. Bern 1995.
36.Vgl. die diesbezüglichen Ausführungen anlässlich
des OSZE-Troika-Treffens in Genf am 19. Oktober 1995. Neue Zürcher
Zeitung
vom 24. Oktober 1995; und die Äusserungen
von Mitarbeitern des EDA anlässlich der Medienkonferenz vom 20. November
1995.
Neue Zürcher Zeitung vom 21. November
1995.
Wie Bundesrat Flavio Cotti im Anschluss an
ein Treffen mit dem amerikanischen Aussenminister Warren Christopher am
9.
November 1995 bekanntgab, wurde der Schweizer
Brigadier Peter Arbenz, ehemaliger Generalinspektor der Uno-Truppen in
Ex-Jugoslawien (Unprofor), zum Mitglied der
OSZE-Expertengruppe ernannt, welche die technischen Aspekte des OSZE-Mandates
in Bosnien vorbereitet.
37.Vgl. zur bisherigen schweizerischen Jugoslawienpolitik: Andreas
Wenger, Jeronim Perovic. Das schweizerische Engagement im
ehemaligen Jugoslawien: Über Grenzen
und Möglichkeiten der Aussenpolitik eines neutralen Kleinstaates.
Zürcher Beiträge zur
Sicherheitspolitik und Konfliktforschung 36.
Zürich 1995.
38.Pále Dunay. "Zusammenarbeit in Konflikten: Der Amtierende
Vorsitzende und der Generalsekretär: Ein künftiges Problem?".
In:
OSZE-Jahrbuch 1995, 399-410.
39.Das Eidgenössische Departement für auswärtige
Angelegenheiten hat sich in diesem Zusammenhang dazu entschlossen, die
Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation
als zusätzliches Instrument zur Multiplikation von Information zu
nutzen. Es hat die
Forschungsstelle für Sicherheitspolitik
und Konfliktanalyse an der ETH Zürich damit beauftragt, eine Homepage
"Die schweizerische
OSZE-Präsidentschaft" auf dem Internet
anzubieten (Adresse: http://www.fsk.ethz.ch/osze/).
Vgl. auch den Artikel "Die Auswirkungen der
Informationsrevolution auf die schweizerische Aussen- und Sicherheitspolitik:
Offene Fragen und erste Lösungsansätze"
im vorliegenden Bulletin zur schweizerischen Sicherheitsp
Die mörderischen Dinger müssen weg!
In Oslo wird über die Ächtung der Antipersonenminen
verhandelt, ein Vertrag ist auf Dezember versprochen. Ob
China und Russland ihn unterzeichnen werden, ist indessen
fraglich.
Von Pierre Simonitsch, Genf
Ab heute wird in Oslo über ein Verbot von Antipersonenminen
verhandelt. Schon vor Beginn der entscheidenden Verhandlungsrunde
konnte die Kampagne für ein Verbot der Landminen, die vom
Internationalen Komitee vom Roten Kreuz geführt wird, einen
Teilerfolg verbuchen: Nach langem Zögern beschlossen die USA,
am
sogenannten Ottawa-Prozess teilzunehmen. Diese von 17
Industriestaaten eingeleiteten Verhandlungen sollen bis Jahresende
zu
einem Verbot der Antipersonenminen führen. Es wird bestenfalls
zu
einem Etappensieg auf dem langen Weg dahin reichen. Die grössten
Minenexporteure der Welt, unter ihnen China und Russland, zeigen
dem Ottawa-Prozess nämlich die kalte Schulter.
Auch die Motive Bill Clintons sind nicht über jeden Verdacht
erhaben. Hat die US-Administration in der Minenfrage tatsächlich
eine Wende vollzogen, oder tritt sie dem Ottawa-Prozess als Bremser
bei? Jedenfalls ist eine der Bedingungen, welche der US-Präsident
stellt, kaum zu erfüllen. Er fordert, dass die Demarkationslinie
zwischen Nord- und Südkorea vom Minenverbot ausgenommen
wird. Begründung: Die konventionelle Übermacht der
nordkoreanischen Streitkräfte. Mit dem gleichen Argument könnten
Dutzende von Staaten die Verminung ihrer Grenzen rechtfertigen.
Washington vertrat bislang die Meinung, nur ein weltweites Verbot
der Antipersonenminen sei sinnvoll. Die über weite Gebiete Asiens
und Afrikas verstreuten Minen seien kein US-Problem. Weder
gehöre Amerika zu den Lieferanten dieser wahllos tötenden
Waffen,
noch würde es diese anwenden.
Es stimmt, dass die in Afghanistan, Angola oder Kambodscha
massenhaft verstreuten Minen zumeist russischer und chinesischer
Herkunft sind. Doch haben einige europäische Staaten zum
Minenproblem beigetragen, bis sie sich vor einigen Jahren auf ein
Exportverbot verständigten. Der Jugoslawienkonflikt hat die
Minenfelder nach Europa zurückgebracht. Nach Angaben der
bosnischen Regierung verseuchen 500 000 bis 700 000 Minen
anderhalb Millionen Quadratmeter Bosnien-Herzegowinas.
Ein Minenverbot ohne die Teilnahme Russlands, Chinas, Indiens und
einiger anderer Dittweltproduzenten hätte tatsächlich wenig
Wirkung.
Die USA setzen daher auf ein Abkommen im Rahmen der Genfer
Abrüstungskonferenz, in der alle globalen und regionalen
Militärmächte vertreten sind. Der Ottawa-Prozess ist für
sie nur ein
Nebengeleise.
Derweil spielt sich in Genf seit einem Jahr ein makabres Schauspiel
ab. Die 61 Konferenzmitglieder können sich auf kein
Arbeitsprogramm einigen. Obwohl die Uno-Generalversammlung der
Abrüstungskonferenz aufgetragen hat, ein Minenverbot und einen
Produktionsstopp für Kernsprengstoff zu erwirken, blockieren einige
Drittweltländer unter Führung Indiens die Verhandlungen.
Die Inder
fordern vorab die Einsetzung eines Ausschusses für allgemeine
atomare Abrüstung. Dem widersetzen sich die USA.
Der Ottawa-Prozess ist ein Versuch, die Genfer Abrüstungskonferenz
zu umgehen. Die Erosion des 1960 gegründeten Verhandlungsorgans
wird in Kauf genommen. Ziele des Ottawa-Prozesses sind ein
bindender Verzicht auf Anwendung, Herstellung und Ausfuhr von
Antipersonenminen sowie die Vernichtung der Bestände. 98 Staaten
unterstützen das. Von den grossen Minenproduzenten und -kunden
haben sich aber erst die USA der Initiative angeschlossen.
Dass sich in der Minenfrage so wenig bewegt, ist ein Skandal.
Obwohl heute weltweit 115 Millionen Landminen herumliegen,
werden noch immer mehr verlegt als geräumt. Die Dinger sind billig
zu
erwerben. Eine handflächengrosse Plastikmine von der Form eines
Schmetterlings kostet drei Dollar. Da sie kein Metall enthält,
ist sie mit
Detektoren nicht auffindbar. Über die farblosen Sprengkörper
wächst
Gras, der Wind weht Sand darüber. Bis eines Tages - oft lange
nach
Kriegsende - ein spielendes Kind oder ein Bauer drauftritt.
Meistens töten die Minen nicht, sondern verletzen. Die Verletzungen
sind aber so schwerwiegend, dass oft nur die Amputation des ganzen
Beins oder Arms übrigbleibt. Hunderttausende von Krüppeln
sind
Zeugen des Skandals. Auch die wirtschaftlichen Folgen sind
einschneidend, weil weite Landstriche nicht mehr genutzt werden
können. Das Geld für Minenräumung fliesst spärlich
- die Reichen
wollen nicht für die Armen zahlen.
Die Ersetzung der "dummen" Minen durch "smarte", die einen
Selbstzerstörungsmechanismus besitzen, löst das Problem nicht.
Die
Antiminenkampagne verdient die Unterstützung aller, denn es gibt
nur
eine Lösung: Das Zeug muss weg!
Rassismus
von Christina Gasser, Schweiz
Rassismus, Imperialismus und Kolonialismus sind alles Ideologien, die
zur Absicherung von Machtansprüchen benutzt werden, wobei unter
Rassismus die Gesamtheit der Theorien und politischen Lehren zu verstehen
ist, die Zusammenhänge zwischen anthropologischen
Merkmalen von Menschenrassen und Kulturentwicklungen behaupten und
dabei kulturelle Fähigkeiten und historische Entwicklungslinien
nicht auf politische und soziale, sondern auf biologische Ursachen
zurückführen. Im engeren Sinne sind unter Rassismus alle Lehren
zu
verstehen, die aus solchen Zusammenhängen eine Über- bzw.
Unterlegenheit einer menschlichen Rasse gegenüber einer anderen behaupten.
Der Rassismus liefert daher innenpolitisch die Begründung für
Diskriminierung, Unterprivilegierung oder Unterdrückung ethnischer
Gruppen
(oft Minderheiten), die als Vertreter anderer Rassen bezeichnet werden.
Aussenpolitisch wird der Rassismus zur Rechtfertigung von
Imperialismus und Kolonialismus herangezogen.
Unter Imperialismus wird heute ein politisch-ökonomisches Herrschaftsverhältnis
verstanden mit dem Ziel, die Bevölkerung eines fremden
Landes mit politischen, diplomatischen, kulturellen und ideologischen
Mitteln zu beeinflussen, auszubeuten, abhängig zu machen und direkt
oder indirekt zu beherrschen.
Kolonialismus ist eine wirtschaftliche Expansion, die in Form politischer
Beherrschung einer unterlegenen Zivilisation abgesichert wird. Der
neuzeitliche Kolonialismus begann im Zeitalter der ‹Entdeckungen› im
15. Jahrhundert in einer Verbindung von Rohstoffausbeutung und
Missionsgedanken und bestimmte seither in mehreren Schüben das
Verhältnis der europäischen Staaten zu den überseeischen
Gebieten.
Zugleich suchten die Mächte durch Kolonialexpansion auch ihren
europäischen Führungsanspruch materiell und politisch abzustützen.
Bis anhin wurden rassistische Denkrichtungen wissenschaftlich unterstützt
durch die Behauptung, dass die verschiedenen Menschengruppen
charakteristische Genkombinationen besitzen würden. Doch neueste
Forschungsergebnisse entziehen nun diesen Ideologien, wenigstens was
die biologischen Hintergründe betrifft, jegliche fundierte Grundlage.
In einem Zeitungsartikel (Tages-Anzeiger, Mittwoch 1. Februar 1995)
über den Populationsgenetiker André Langaney findet sich folgender
Absatz:
«Der genetische Unterschied zwischen einzelnen ethnischen Gruppen
ist über alle Regionen hinweg sehr viel kleiner als
zwischen Individuen innerhalb einer Ethnie. «Alle sind verwandt,
jeder ist verschieden», lautet die Erkenntnis aus 25 Jahren
moderner Populationsgenetik am Menschen. Sie entzieht jeglichem Rassismus
den Nährboden. Dass sich Menschengruppen
etwa in der Hautfarbe oder in Gesichtszügen voneinander unterscheiden,
hat mit den Völkerwanderungen über die
Jahrzehntausende und mit der Anpassung an Umweltfaktoren zu tun.»
Dieser in verschiedener Hinsicht sehr interessante Artikel hat wieder
einmal gezeigt, dass alles zwei Seiten hat. Für viele Menschen, die
eher
mit Besorgnis die Erzeugnisse der ‹DNS-Mechaniker› verfolgen, ist es
sicher tröstlich zu sehen, dass ganz annehmliche Nebenprodukte
dieses Wissenschaftszweiges zu verzeichnen sind.
Die Genforschung und Gentechnologie werden uns in Zukunft noch viele
Überraschungen bereiten und Beweise liefern für Annahmen, die
erst bei einer Handvoll denkender Menschen Gestalt angenommen haben.
Auch Nicht-Wissenschaftler geben immer wieder wertvolle Gedankenanstösse.
So drückt z.B. nachfolgender Text des türkischen Poeten
Nacim Hikmet ähnliches aus, wie die wissenschaftliche Erkenntnis
des obgenannten Genetikers.
Leben
einzeln und frei
wie ein Baum
und brüderlich
wie ein Wald
ist unsere Sehnsucht
Es ist erfreulich, dass heute wieder das verbindende Element unter den
Menschen gesucht wird und nicht mehr das trennende. Die
zunehmende Spezialisierung in sämtlichen Wissensgebieten hat die
Forscher an gewisse Grenzen stossen lassen. Verschiedene kluge Köpfe
haben die Zeichen der Zeit jedoch erkannt, und es werden in einigen
Forschungsprojekten die aus Borniertheit und Selbstüberschätzung
gezogenen Trennungslinien wieder aufgeweicht und Fäden verknüpft,
die bisher zwangsläufig ins Leere führten.
Diese Entwicklung ist um so erfreulicher, weil, geschürt durch
die Auswirkungen der Überbevölkerung, ein überholt geglaubter
Rassismus
sich wieder zu verbreiten beginnt; gepaart mit Ausländerhass,
Asylantenhass und Fremdenhass. Dieser neu aufgeflammte Rassismus, der aus
krankem und falschem Denken heraus entsteht und in seiner letztendlichen
Auswirkung nur zum Nächstenhass und schlussendlich zum
Selbsthass führt, muss in seiner lebensfeindlichen Unlogik aufs
schärfste angeprangert werden. Denn viel weitläufiger noch, als
gemeinhin
angenommen wird, ist alles miteinander verbunden und voneinander abhängig;
die Menschen untereinander ebenso, wie das Gesamtgefüge
von Fauna und Flora und alles was dieses Universum betrifft und darüber
hinaus. So gesehen kann Rassenhass nichts anderes sein als
Zerstörung und somit auch Selbstzerstörung, was sich in diesem
Fall auf die Menschheit dieses Planeten bezieht.
So unglaublich es auch im ersten Moment klingen mag: Gerade jene Menschen
sind indirekt Förderer des Rassismus, die sich frei davon
glauben und meinen, nur ‹gute Werke› zu tun. Sie haben den Überblick
verloren über die Zusammenhänge der einzelnen Systeme und
verursachen durch ihr falsch-humanes Denken und Handeln gegenwärtige
und kommende Fehlentwicklungen. Dies sowohl in der
Entwicklungshilfe wie auch in der Ausländer- und Asylpolitik.
Aus früher begangenen Fehlern (siehe z.B. Kolonialismus) ist bei vielen
Europäern ein tiefverwurzeltes schlechtes Gewissen entstanden,
aus dem heraus unlogische Handlungen resultieren, wie
überbevölkerungsfördernde Hilfeleistungen usw. In der
heutigen Zeit aber, in der die Überbevölkerung das Grundübel
Nr. 1 ist, dürfen die
sogenannten Hilfsorganisationen nicht mehr unterstützt werden,
weil diese nicht darauf ausgerichtet sind, unser aller Hauptanliegen
anzugehen; nämlich, die Überbevölkerung zu stoppen.
Das Hungerproblem nämlich kann nicht mit falschhumanistischen Hilfsaktionen
aus
der Welt geschafft werden, sondern nur durch folgerichtiges, logisches
Denken und Handeln. Und das logische Denken sollte uns eigentlich
schon lange sagen, spätestens aber seit wir wissen, dass die Lebensmittelproduktion
nicht mit der Bevölkerungsexplosion mithalten kann,
dass wir die weltweiten Katastrophen verschiedenster Natur nur durch
einen rigorosen und radikalen Stopp der ‹wundersamen›
Vermehrung in den Griff bekommen werden. (Siehe Überbevölkerungsschriften
der FIGU.)
Im neu-aufbrodelnden Fremden- und Rassenhass des dichtbesiedelten Europa
hat sich die Überlebensangst-Komponente wirtschaftlicher
Natur wesentlich verschärft. Dort nämlich, wo Platz und Verdienstmöglichkeiten
immer knapper werden und zwangsläufig der
Konkurrenzkampf immer härter wird, wo materielle und bewusstseinsmässige
Armut um sich greifen und jeder jedem die Luft zum Atmen
vergönnt, überall dort verlieren die Menschen die Achtung
voreinander. Der Nächste ist nicht mehr der Nächste, sondern
der am nächsten
stehende Feind, und wenn an ihm eine vermeintliche Andersartigkeit
oder Bevorzugung entdeckt wird, erwachen Hass, Neid und Missgunst.
Schwache, dumme und in ihrem Denken kranke Menschen greifen dann gern
zu ‹bewährten› alt-überlieferten Hassmustern, um ihr
‹Mütchen› an unschuldigen und meist wehrlosen Mitmenschen zu kühlen.
Sie sind zu feige, sich dem eigenen inneren Feind, den sie in sich
tragen, zu stellen und ihn zu bekämpfen. Sie haben Angst, das
Übel (Dummheit) in sich selbst zu entdecken und greifen lieber zu
propagierten Feindbildern. Diesen kriminellen Individuen stehen völlig
unfähige Machthaber und unsichere Bürger gegenüber, die
sich auch
noch in verschiedene Lager spalten: Die einen, welche sich heimlich
über die ‹bombigen› Denkzettel freuen, die den Fremden, Ausländern,
Asylanten, Sintis oder Romas usw. erteilt werden, und die anderen,
welche selbst noch gefangen sind von Geschehen der Vergangenheit,
geplagt von einem schlechten Gewissen und nicht unterscheiden könnend
zwischen übersetzten Forderungen und gesundem
Menschenverstand, wobei die vergangenen Ungerechtigkeiten und Ungeheuerlichkeiten
durch neue Greueltaten usw. ersetzt werden; so z.B.
geschehen in Palästina. Doch so weit muss man nicht suchen, um
die Verwundbarkeit des mitteleuropäischen Volkes in seiner Gewissensnot
aufzuzeigen. Skrupellose Menschen haben diese Schwachstelle längst
entdeckt und erpressen hierzulande mit moralischem Druck und durch
untergeschobenes rassistisches Gedankengut Zugeständnisse, die
sie selbst nie zu geben bereit wären.
Täglich kann leider auch beobachtet werden, dass sich Menschen
anderer Völker und Rassen untereinander selbst harmen und hassen und
sich über ihre Diskriminierung als Fremde und als Ausländer
beklagen. Sie selbst aber sind auch keinen Deut besser und finden immer
noch
jemanden, der ‹weit unter ihnen steht›. Das ‹hierarchische› Gefälle
sieht dann etwa so aus: Italiener - Spanier - Türken - Jugoslawen
-
Tamilen usw. Selbst unter den eigenen Landsleuten gibt es strenge Abstufungen;
so betrachten z.B. die Norditaliener die Süditaliener
gewissermassen als ‹Neger›, mit denen sie sich nicht an den gleichen
Tisch setzen wollen. Dies ist sicher eines der harmloseren Beispiele des
alltäglichen Wahnsinns, wenn man an Jugoslawien, Irland, Südafrika
und an die Türkei und an die Kurden usw. denkt.
Um noch einmal auf erpresserische Methoden gewissenloser Existenzen
zurückzukommen, ein Beispiel, das noch näher ins Detail geht
und
nebst rassistischen auch sexistische Aspekte zutage fördert: Es
geschieht nicht selten, dass weisse Frauen, die sich normal und ohne
Vorurteile mit schwarzen Männern unterhalten, sich auf einmal
in die Rassistenecke gedrückt sehen, dann nämlich, wenn sie nicht
bereit sind,
aus einer normalen Unterhaltung mehr, wenn nicht gar eine Bettgeschichte
zu machen. Auch andere arglose Menschen haben sicher schon
ähnliches erlebt und sich auf einmal in einer Situation gesehen,
in der sie sich gegen übersetzte Forderungen wehren mussten, um dann
das
verletzende Etikett der Fremdenfeindlichkeit und des Rassenhassers
verpasst zu bekommen. Betrachtet man unsere Bundesräte (diese
Traurigkeit), dann traut sich keiner von ihnen, die gerechte Meinung
zu sagen, und sollte ihm doch einmal ein wahres Wort entschlüpfen,
wird es anderntags heftig dementiert (Ausbruch Jugoslawienkonflikt,
z.B.).
So muss sich die Menschheit also heute zweifach befreien, einerseits
von unhaltbarem rassistischem Gedankengut, und andererseits vom
falsch-humanen Denken, welches uns nur weiter in den Dreck zieht.
Geschärfter Blick auf Osteuropas
Kirchen
Seit 25 Jahren fordert das Institut "Glaube in der 2. Welt"
Religionsfreiheit für unterdrückte Ostkirchen. Seit der Wende
hat sich sein Engagement verstärkt.
Von Michael Meier
Im Jugoslawienkonflikt hat das Institut "Glaube in der 2. Welt" (G2W)
kontinuierlich über die Politik der katholischen wie auch der
serbisch-orthodoxen Kirche berichtet. Derzeit dokumentieren die
neun Mitarbeiter im Zolliker Institut intensiv die schwierige
Religionsgesetzgebung in Osteuropa. In Russland etwa, oder in
Rumänien und Bulgarien, wo sich die orthodoxe Kirche im Bestreben,
wieder Staatskirche zu werden, gegen die Gleichstellung anderer
Kirchen wehrt.
"Wir wollen aufklärend, konfessionskundlich über die Ostkirchen
berichten und so interkonfessionell befriedend wirken", sagt
Institutsleiter Erich Bryner, der auch als Titularprofessor an der
Zürcher Theologischen Fakultät osteuropäische Kirchengeschichte
doziert. Namentlich mit dem Periodikum G2W adressiert sich das
Institut an die hiesigen Kirchen und Hilfswerke, aber auch an
theologische Schulen und Lehrkräfte in Osteuropa selber. Der Titel
der Zeitschrift "Für Religionsfreiheit und Menschenrechte" stammt
noch aus der Zeit des Kalten Krieges.
Durch die Glaubensunterdrückung in der Sowjetunion alarmiert, hatte
der St. Moritzer Pfarrer Eugen Voss, selber aus einer Russlandschweizer
Familie stammend, 1972 das in Europa einzigartige Institut aufgebaut
und als Trägerinnen die katholische und die evangelische Kirche
gewonnen. "Die Gründung war in der Schweiz eher möglich als
in
Deutschland, wo die Polarisierung während des Kalten Krieges viel
schärfer und wegen der Nähe zur DDR Vorsicht geboten war",
sagt
der wissenschaftliche Mitarbeiter Gert Stricker.
Mit zur Wende beigetragen
Wenn die deutschen Kirchen etwas nicht zu publizieren wagten,
haben sie es in der Zeitschrift von Eugen Voss plaziert. Im Auftrag
von Kardinal Franz König hat das Institut die nicht öffentlichen
Tagungen mit Menschenrechtsexperten und KSZE-Diplomaten des
sogenannten Wiener Kreises organisiert. Das permanente Anprangern
von Menschenrechtsverletzungen hat laut Stricker mit zur Wende
beigetragen.
Seither hat sich die Menschenrechtsarbeit des Instituts freilich
verändert. Vor fünf Jahren konnte G2W eine Vertretung in
Moskau
einrichten. Dort kümmert sich Mitarbeiterin Franziska Rich zusammen
mit einer russischen Juristin um die zahlreichen Opfer von
Justizirrtümern und Todesurteilen. Rich inspiziert auch regelmässig
russische Gefängnisse und Straflager, schickt Seelsorger dorthin,
aber
auch Bibeln und Literatur. Die im Moskauer Büro koordinierte
Aufbauhilfe von G2W umfasst darüber hinaus
Medikamentenlieferungen und die Unterstützung verschiedener
Sozialprojekte an der Basis.
Wichtiges Bein der Projektarbeit ist die Bücher- und Literaturhilfe.
Kurz vor der Wende hat G2W die Reihe "Das internationale
theologische Buch" lanciert und seither gegen zwei Laufmeter Bücher
für den Osten publiziert, Übersetzungen westlicher Werke
oder
Arbeiten von einheimischen Autoren. Früher "konnten sich die
Kirchen den Luxus einer theologischen Diskussion nicht leisten", sagt
Bryner. Die aktuellen reaktionären Tendenzen in den Ostkirchen
zeigten, wie wichtig es sei, sie theologisch à jour zu bringen.
Spaltungstendenzen bei Orthodoxen
So bricht der traditionellerweise in der Kirche verwurzelte russische
Patriotismus heute wieder verstärkt in fundamentalistischen
Strömungen auf. Ein G2W-Heft thematisiert die unheimliche Liaison
dieses Nationalismus mit dem Antisemitismus. Guten Nährboden
findet er bei den antijudaistischen Kirchenvätern wie Johannes
Chrysostomos, deren Theologie speziell auch in den Klöstern ganz
oben rangiert.
Im Westen, sagt Stricker, habe man vor der Wende die unter der
Oberfläche schwelenden konfessionellen Probleme nicht erkannt.
Die
dort praktizierte Ökumene sei in Wahrheit eine durch sowjetischen
Druck erzwungene Ökumene gewesen. Erst mit dem
Auseinanderbrechen der Vielvölkerstaaten Russland oder
Jugoslawien seien auch die konfessionellen Verfeindungen sichtbar
geworden. Und zugleich auch die antiwestliche und antiökumenische
Haltung der russischen Orthodoxie.
Mit der Zulassung der griechisch-katholischen (unierten) Kirche in der
Ukraine hat Gorbatschow das Moskauer Patriarchat erheblich
geschwächt und dessen Ressentiments gegen das immer stärker
nach
Osten missionierende Rom verschärft. Mit der These vom
Kanonischen Territorium, wonach auf dem sowjetischen Gebiet von
einst nur die russische Orthodoxie heimatberechtigt ist, versucht es
auch die aus dem Westen eindringenden Sekten abzuwehren. Diese
werden laut Stricker gemeinhin mit dem Protestantismus identifiziert,
so dass auch das orthodox-protestantische Verhältnis stark lädiert
sei.
Gegensätze heute offensichtlicher
Angetrieben von nationalistischen Kräften, ist vor kurzem die
georgisch-orthodoxe Kirche aus dem Weltkirchenrat in Genf
ausgetreten. Auch der russische Patriarch Alexi marschiert unter dem
Druck der Traditionalisten immer weiter nach rechts, um eine
Spaltung seiner Kirche zu verhindern. Die Abspaltung der
prowestlichen und ökumenefreundlichen Orthodoxen ist für
Experten
eine existentielle Gefahr. Kurz: Der kirchliche Ost-West-Gegensatz
ist
mit dem Mauerfall erst recht manifest geworden. Und G2W fühlt
sich
gemäss Bryner in seinem Informationsauftrag um so mehr in die
Pflicht
genommen.
Die Stellung des Souveräns in der grenzüberschreitenden sicherheitspolitischen
Zusammen-arbeit
Nationalrat Dr. Ulrich Schlüer, Flaach
Ein Staat, der sich in seiner Verfassung zur direkten Demokratie bekennt,
gibt mit diesem Bekenntnis seinem Willen
Ausdruck, auch Sachenscheide - sowohl innenpolitischer wie aussenpolitischer
Natur - grundsätzlich mit dem Souverän,
niemals im Widerspruch zur Mehrheit von Volk und gegebenenfalls auch
Ständen zu fällen.
Dieses - aus Schweizer Sicht lapidar erscheinende - Bekenntnis überbindet
den Verantwortungsträgern auf allen Stufen
des Staates die Aufgabe und Pflicht, für Sachentscheidungen, die
persönlich als richtig eingestuft und deshalb angestrebt
werden, die Zustimmung dieses Souveräns durch entsprechende Überzeugungsarbeit
zu suchen. Aber es verpflichtet die
Verantwortungsträger auch dazu, Entscheide des Souveräns
zu respektieren und ehrlich mit vom Souverän getroffenen
Weichenstellungen umzugehen - auch mit solchen, die aussenpolitische
Prinzipien betreffen.
Er erfüllt diese Pflicht - wenn wir die Neutralität als Beispiel
wählen - zweifellos nicht, wenn er die Neutralität betont
pflichtschuldig als zwar ® im Prinzip¯ noch gültig anerkennt,
aber gleichzeitig politische Anstrengungen unterstützt und
verfolgt, die eine ® Ausdünnung¯ der Neutralität
- dieses Wort wurde schon von einem Bundesrat verwendet - bezwecken,
die die Neutralität aushöhlen, gegen innen und aussen zunehmend
als unglaubwürdig erscheinen lassen. Zwar ist
Neutralitätspolitik auch in der Schweiz nicht sakrosankt und alles
andere als ein Mythos - aber Abstrichen an der
Neutralitätspolitik muss zwingend ein Grundsatzentscheid des Souveräns
vorausgehen. Wird ein Prinzip unserer
Aussenpolitik vom Gewicht der Neutralität ohne Befragung oder
gar im Gegensatz zum Souverän - und sei es auch nur
schrittweise - ® ausgedünnt¯ und abgebaut, dann werden
in der direkten Demokratie Gräben aufgeworfen - Gräben
zwischen Regierung und Souverän, Gräben, die über kurz
oder lang den Staat selber in eine tiefe Krise stürzen.
In der direkten Demokratie ist die politische Macht nach dem Willen
des Souveräns nun einmal dezentralisiert, liegt das
letzte Wort beim Souverän, dem sich die Verantwortungsträger
zu unterziehen haben. So hat es dieser Souverän in der
Verfassung festgelegt.
So viel zur - zweifellos nicht mehr ganz selbstverständlichen -
Rangord-nung, wie sie in der direkten Demokratie eigentlich
Geltung hat.
Nun gibt es Stimmen, welche die direkte Demokratie als zunehmend untauglich
erachten, den grossen Herausforderungen
unserer Zeit problemgerecht zu begegnen - insbesondere auch in aussenpolitischen
Fragen, wenn es
grenzüberschreitende Probleme zu lösen gilt, wenn eine international
gültige Friedens-ordnung zu schaffen ist. Dieser
Frage der Gewährleistung einer soliden internationalen Friedensordnung
gilt im heutigen Zusammenhang unser
Hauptaugenmerk.
Europa steht seit nunmehr bald fünf Jahren im Banne eines anhaltenden,
besonders blutig, besonders gewalttätig
ausgetragenen Konflikts. Jugoslawien wurde für Europa zum Fanal,
wo feierlich beschworene Grundsätze der
Gewährleistung kollektiver Sicherheit im Rahmen einer gemeinsamen
europäischen Aussen- und Sicherheitspolitik, im
Rahmen kollektiver Verantwortung zunehmend unerbittlich an der Realität
gemessen werden. Ist die Probe bestanden
worden?
Was für Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen dieses multinationalen
Konflikt-Managements hat ein sich zur direkten
Demokratie bekennender europäischer Kleinstaat zu ziehen ?
Er stellt zunächst fest, dass die dem Prinzip der kollektiven Sicherheit
unterstellten Befriedungsaktionen in Ex-Jugoslawien
zu keinem Zeitpunkt auch nur einen hinlänglich spürbaren
Willen sichtbar werden liessen, einen auf Gerechtigkeit
ausgerichteten Frieden herbeizuführen. In der Realität hat
sich die multinationale «Friedenstruppe» zu jedem Zeitpunkt
des Konflikts jenen Spielregeln gefügt, welche ihr von der jeweils
stärksten Konfliktpartei diktiert wurden. Der Stationierung
von UNO-Blaumhelmtruppen im ehemaligen Jugoslawien im Anschluss an
die Eroberung von Teilen Kroatiens durch die
serbische Armee ging bekanntlich eine vertragliche Einigung voraus,
wonach der UNO-Einsatz ausdrücklich die
Wiederherstellung der territorialen Integrität der beteiligten
Konfliktparteien bewirken müsse. Ohne diese
Vertragsbestimmung hätte Kro-atien der Stationierung von Blauhelmen
in seinem Land nie zugestimmt. Wohl niemand
dürfte heute behaupten wollen, die UNO habe zu irgend einem Zeitpunkt
auch nur ansatzweise ernsthafte Anstrengungen
entwickelt, dieses ihr übertragene Mandat auch zu erfüllen.
Die Stationierung der UNO-Truppen erfolgte ja ausgerechnet an der formell
eigentlich illegalen Grenze. Die Blauhelme
schützten den Eroberer vor Rückeroberungen durch den in der
ersten Kriegsphase Unterlegenen. Der eigentliche Auftrag
der Blauhelme wurde - zwecks Tarnung der faktischen Unterwerfung unter
das Diktat des Aggressors - einseitig auf einen
rein humanitären beschränkt, wobei auch dieser Auftrag, wenn
der Realität unvoreingenommen ins Auge geblickt wird,
nicht bloss ausnahmsweise zu einem eigentlichen Erfüllungswerk
der vom Aggressor diktierten ethnischen Säuberungen
verkam - durch Vollzug der räumlichen Trennung unterschiedlicher
Bevölkerungsteile, kultureller und religiöser Gruppen,
wie das dem Willen der serbischen Eroberer entsprach. Dass diesen Aktionen
von den Medien nicht die einzig
zutreffende Bezeichnung - Apartheid - gegeben wurde, zeigt höchstens,
dass auch die Medien im Rahmen dieser
multinationalen Konfliktstrategie versagt haben.
Inzwischen haben sich die Gewichte auf dem Schlachtfeld grundlegend
verschoben - und diese Verschiebung der
Kräfteverhältnisse veränderte auch die Einsatzdoktrin
der multinationalen Friedenstruppe: Sobald Kroatien auf dem
Schlachtfeld vollendete Tatsachen zu schaffen vermochte, sobald es
seine militärische Überlegenheit gegenüber dem
seinerzeitigen Angreifer bewiesen hatte, wechselte die UNO gleichsam
über Nacht ihre Einsatzdoktrin. Lufteinsätze mit
Kampfflugzeugen, zuvor während Jahren als militärisch undurchführbar
und unwirksam verworfen, wurden plötzlich
angeordnet. Erst als von den Kroaten Geschlagene wurde den serbischen
Einheiten auch noch von den internationalen
Friedens-truppen Schläge zugefügt. Das Kriegsglück hat
sich offensichtlich gewendet, und in seinem Schatten auch die
Einsatzdoktrin der Friedens-truppe.
Es wäre verfehlt, einfach die in Ex-Jugoslawien eingesetzten Blauhelme
pauschal als Versager hinzustellen. Das
Versagen resultiert aus dem den Blauhelmtruppen erteilten Auftrag,
der ein Auftrag war, der militärisch nicht erfüllbar ist.
Das in Jugoslawien während Jahren verfolgte politische Ziel, auf
der Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners
einen wenigstens minimalen Konsens zwischen allen Konfliktparteien
zu erzielen, verunmöglichte von allem Anfang an
erfolgreiches militärisches Operieren. Daran - und nicht an der
Qualität der eingesetzten Blauhelmsoldaten - ist der
Blauhelmeinsatz in Jugoslawien gescheitert. Die politisch Verantwortlichen
schoben die Blauhelme in die Rolle
uniformierter Sozialarbeiter, die - mangels eindeutiger militärischer
Aufträge - vor militärischen Ansprüchen zwangsläufig
versagen mussten. Denn die UNO-Verantwortlichen - denken Sie an die
unselige Figur des Herrn Akashi - hatten sich zu
keinem Zeitpunkt die Lösung des Konflikts vorgenommen, sie bürokratisierten
den Konflikt vielmehr. Und wo das Zepter
den Bürokraten überlassen wird, wird die Verewigung eines
Problems unausweichlich. Gleichzeitig lieferten sich die
Konflikt-Manager mit der Ziellosigkeit ihrer Aktionen den Medien aus:
An jenen Schauplätzen, von denen die Medien
grauenerregende Bilder in die ganze Welt übertragen konnten, entstand
ebenso unverzüglich wie punktuell
Handlungsbedarf. Es musste der Öffentlichkeit demonstriert werden,
dass die Handlungsfähigkeit noch hinlänglich
gewährleistet war - so etwas wie ein Gesamtkonzept, wie eine Strategie
kam - wenn es je eine gegeben hat - dabei
gänzlich abhanden. Als Einsatzmittel wurde gewählt, was die
Bildschirm-Öffentlichkeit am ehesten zu überzeugen
versprach - militärischer Nutzen hin oder her.
Das Prinzip der kollektiven Verantwortung für die kollektive Sicherheit
hat in Jugoslawien in einem Ausmass versagt, wie
es gravierender kaum vorstellbar ist - Tausende von Opfern, von Getöteten,
von Entehrten, von Vergewaltigten, von
Verstümmelten als Zeugen des Versagens eines künstlich hochgehaltenen
Prinzips zurücklassend.
Gäbe es denn eine Alternative? Sicher nicht eine, die den Jugoslawienkonflikt
über Nacht einer Friedensordnung zuführen
würde. Aber es gibt eine alternative Strategie, die, langfristig
und zäh verfolgt, wohl bessere Ergebnisse bewirken würde.
Sie geht von einer Erkenntnis aus, welche wohl vor allem in direkten
Demokratien wachsen kann: Eine einigermassen
friedliche Lösung in einem Konflikt kann - vor allem dann, wenn
unterschiedliche Bevölkerungs-, Religions-,
Sprachgruppen in den Konflikt verwickelt sind - nur dann gefunden werden,
wenn die unmittelbar am Geschehen
Beteiligten die Ordnung, in der sie miteinander auszukommen haben,
selber in unmittelbarer Mitbeteiligung und
Mitverantwortung auch in allen Einzelaspekten erarbeiten können.
Mit andern Worten: Während zentralistische
Bürokratisierung einen Konflikt regelmässig verlängert,
ja verewigt und zementiert, kann aus der weitestgehenden
Dezentralisierung der politischen Macht mittelfristig ein Fundament
entstehen, auf welchem sich gerechte Lösungen Schritt
für Schritt zu entwickeln beginnen können. Längst hat
doch die weltweite politische Erfahrung gezeigt: Je breiter politische
Verantwortung verteilt ist, je unmittelbarer der Einzelne in der Demokratie
mitwirken kann, je konsequenter politische
Macht dezentralisiert ist, desto defensiver, desto bewahrender wird
Politik entfaltet. Wer selbst in der Mitverantwortung für
die geltende Ordnung steht, verhält sich offensichtlich weit zurückhaltender,
diese Ordnung mutwillig über den Haufen zu
werfen als jener, der eine Ordnung, für die er sich nicht verantwortlich
fühlt, als oktroyiert und damit rasch auch als
ungerecht empfindet.
Sie mögen mir hier nun vorwerfen, diese Betrachtungsweise sei etwas
allzu stark auf die direkte Demokratie, auf
schweizerische Erfahrungswelt fokussiert. Ich lasse diese Kritik durchaus
gelten - weise aber auch daraufhin, dass sich
die direkt demokratische Staatsordnung mit unmittelbarer Mitverantwortung
des Souveräns an der Ausgestaltung auch
des staatlichen Alltags als weit soliderer - wenn auch nicht besonders
spektakulär zu inszenierender - Beitrag an den
Weltfrieden erwiesen hat als jede im Rahmen internationaler Konflikt-Büro-kratisierung
noch so glänzend abgewickelte
Weltkonferenz.
Freilich: Der in direkter Verantwortung stehende, an der staatlichen
Ordnung laufend mitgestaltende souveräne Bürger
lässt sich in aller Regel von Schlagworten, wie sie zur Beschwörung
kollektiver Sicherheit derzeit besonders häufig
formuliert werden, seinen nüchternen Blick auf die Realitäten,
auf die realen Kräfteverhältnisse und Kräftespiele in dieser
Welt kaum verstellen. Er begegnet jenen verführerisch formulierten
Ideen von der Schaffung einer neuen Weltordnung, vom
Ende der Geschichte, vom definitiven Ausbruch des Zeitalters multinationaler
kollektiver Sicherheit mit jenem gesunden
Misstrauen, welches im selbstgestalteten, in internationalen Stürmen
rasch akut gefährdeten Kleinstaat als Frucht
politischer Erfahrung von Generationen gewachsen ist.
Er weiss, dass die Menschheit gerade heute in einer Phase ihrer Geschichte
lebt, wo die politischen Gewichte in dieser
Welt neu gesetzt werden. Und er ist sich darüber im klaren, dass
hinter all den wohlklingenden Formeln - "Partnership for
Peace" -, die an internationalen Konferenzen beschwörend in den
Rang allgemein gültiger Prinzipien erhoben werden,
schliesslich nackte, egoistische Interessenpolitik, nacktes Machtstreben
das Ringen um die zukünftige eigene Stellung
jeder Macht auf der Weltbühne entscheiden wird.
Julian Lichtsteiner
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