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Jugoslawienkonflikt

1. Die politische Dimension des schweizerischen Engagements im
ehemaligen Jugoslawien

Mit dem Ausbruch des Krieges im ehemaligen Jugoslawien stellte sich auch für die Schweiz die Frage, in welcher Art und Weise sie zur Lösung des Konfliktes
beitragen sollte. Das politische Engagement der Schweiz hatte sich dabei am engen Handlungsspielraum eines neutralen Kleinstaates zu orientieren, der mit
Ausnahme der Mitgliedschaft in der OSZE in keine sicherheitspolitisch relevanten multilateralen Strukturen eingebunden ist. Entsprechend schwierig gestalteten
sich die Bemühungen der Schweiz um eine Vermittlerrolle im Jugoslawienkonflikt. In der Praxis vollzog der Bundesrat seine Politik gegenüber Jugoslawien dann
auch oft im Gleichschritt mit anderen europäischen Staaten und
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der EU. Immer wichtiger wurde dabei die Frage, in welcher Form sich die Schweiz an den
zivilen Aktionen der OSZE, der Uno und der EU im Rahmen friedensbildender Massnahmen und der Präventivdiplomatie beteiligen sollte.

1.1. Der aussenpolitische Handlungsspielraum des neutralen Kleinstaates

Jugoslawien wurde im öffentlichen Bewusstsein der Schweizer Bevölkerung lange Zeit in etwa gleich wahrgenommen wie Spanien: Rekrutierungsland für billige
Arbeitskräfte und beliebtes Urlaubsziel für Millionen sonnenhungriger Touristen aus ganz Europa. Die fehlenden historischen Beziehungen der Schweiz zum
zerfallenen Balkanstaat trugen mit dazu bei, dass die Öffentlichkeit mit einem distanzierten Unverständnis auf den Ausbruch des Nationalitätenkrieges im
ehemaligen Jugosla wien reagierte. Es manifestierten sich in der Bevölkerung aber auch Anteilnahme am Schicksal der Opfer, Hilfsbereitschaft und die
Aufforderung an die politisch Verantwortlichen, im Bereich des Möglichen für eine Lösung des Konfliktes aktiv zu werden.(13)

Nach dem Angriff der serbisch dominierten jugoslawischen Bundesarmee gegen Slowenien am 26. Juni 1991 übte sich die Schweiz - wie die meisten übrigen
europäischen Staaten auch - zunächst in Zurückhal tung und verurteilte weder die eine noch die andere Seite.(14) Aussenminister René Felber erklärte Anfang
Juli 1991, nur eine Woche nach dem Angriff der Bundesarmee gegen Slowenien, dass die Schweiz bereit sei, ihre guten Dienste in jeder gewünschten Weise
zur Verfügung zu stellen und damit zur Lösung der Probleme zwischen Slowenien und Jugoslawien beizutragen.(15) Konkret wurde zu diesem Zeitpunkt eine
Beteiligung an einer allfälligen Mission der OSZE (ehemals KSZE) nach Jugoslawien ins Auge gefasst, die zur Stabilisierung der Lage beitragen und die Parteien
bei einem politischen Dialog unterstützen sollte.(16)

Nachdem sich die jugoslawische Bundesarmee anfangs Juli 1991 aus Slowenien zurückgezogen hatte, eskalierte der Konflikt zwischen Serben und Kroaten in
der Krajina. Darauf trat der Bundesrat am 28. August 1991 erstmals mit einer Grundsatzerklärung zum Krieg auf dem Balkan an die Öffentlichkeit und
verurteilte in einer scharfen Ste llungnahme die serbische Aggression:

     Der Bundesrat hat mit Bestürzung davon Kenntnis genommen, dass serbische Kräfte, zusammen mit Einheiten der jugoslawischen Bundesarmee,
     ihren unakzeptablen Feldzug in Kroatien fortsetzen; sie sind damit für die zahlreichen Todesopfer, auch unter Zivilisten, direkt verantwortlich.

     Der Bundesrat stellt an die Adresse der serbischen Verantwortlichen mit aller Deutlichkeit fest, dass die Schweiz eine solche V eränderung von
     Grenzen mit roher Gewalt niemals akzeptieren wird und dass sich Serbien so ausserhalb unserer zivilisierten Gesellschaft begibt.(17)

Mit dieser scharf gehaltenen Formulierung grenzte sich die offizielle Schweiz von den zurückhaltenden Stellungnahmen der EU ab.(18) Die Rhetorik Felbers
war Ausdruck der Empörung über das gewaltsame Vorgehen der serbischen Seite, die mit ihren brutalen Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung die elementa
rsten Menschenrechte mit Füssen trat und mit ihrem Aggressionskrieg das Recht für sich in Anspruch nahm, bestehende Grenzen zu verändern. Der
Aussenminister liess mit seiner Stellungnahme keinen Zweifel an der antiserbischen Position der Schweiz aufkommen. Die Schweiz stellte sich damit - was die
Wortwahl von Felbers Stellungnahme betraf - an die Seite der slowenien- beziehungsweise kroatienfreundlichen Staaten um Deutschland und Österreich.

Aufgrund dieser klar gehaltenen V erurteilung des serbischen Feldzuges lief die Schweiz Gefahr, durch Parteinahme zugunsten einer Seite mittelfristig ihre
Position als Vermittlerin bei möglichen Verhandlungen zwischen den Akteuren einzubüssen. Aussenminister Felber anerkannte diese Einwände, stellte sich aber
auf den Standpunkt, dass eine "Leistung guter Dienste (...) nicht Schweigen zu grundsätzlichen Aspekten [bedeutet]; (...) nur durch klaren ethischen
Positionsbezug [kann] die minimale Vertrauensgrundlage zur allfälligen Vermittlung zwischen zwei Konfliktparteien geschaffen werden."(19)

Der antiserbische Positionsbezug des Bundesrats war angesichts der Neuartigkeit der damaligen Ereignisse verständlich: Europa sah sich unerwartet mit einem
Problem konfrontiert, das man nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges endgültig gebannt zu haben glaubte. Je deutlicher aber wurde, dass die
internationale Staatengemeinschaft den Konflikt ausschliesslich auf der Basis von Verhandlunge n zu lösen gewillt war, um so stärker mussten allfällige negative
Auswirkungen einer einseitigen Verurteilung für das Bemühen der Schweiz um eine Vermittlerrolle ins Gewicht fallen.

Das Beispiel des Krieges auf dem Balkan hat einmal mehr bestätigt, dass die Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft von denjenigen Ländern
bestimmt wird, die ihren Beschlüssen nötigenfalls durch Androhung des Einsatzes von Nato-Bombern Nachdruck verleihen kö nnen (ob die Androhung dann
auch wahrgemacht wird, ist eine andere Sache). Ein neutraler Kleinstaat wie die Schweiz muss nach anderen Wegen und Mitteln suchen, um seinen Beitrag an
die internationale Stabilität zu leisten. Die guten Dienste der Schweiz stellen auf der politischen Ebene im Grunde genommen die einzige Form dar, um dies in
einer - wenn auch bescheidenen - Weise tun zu können. Es muss daher immer wieder von neuem sorgfältig abgeklärt werden, inwieweit sich die Partei nahme
zugunsten einer Seite mit der Leistung allfälliger guter Dienste vereinbaren lässt.

Nach anfänglich klaren Worten wurde es um die diplomatischen Aktivitäten der Schweiz gegenüber dem ehemaligen Jugoslawien bis in den Sommer dieses
Jahres ruhiger. Die Äusserungen von Flavio Cotti, dem Nachfolger Felbers im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten, zum Krieg im
ehemaligen Jugoslawien waren von einer zurückhaltenderen Rhetor ik geprägt und gingen meist nicht über allgemein gehaltene Verurteilungen und Appelle an
die Räson der Kriegführenden hinaus. Inwieweit sich diese Zurückhaltung positiv auf den Handlungsspielraum Berns als Vermittler ausgewirkt hat, ist im
Einzelnen schwer zu sagen. Es hat sich aber gezeigt, dass die guten Dienste als Mittel des neutralen Kleinstaates nach dem Ende des kalten Krieges zwar an
Bedeutung verloren haben mögen, gleichwohl aber nicht überflüssig sind . Als es beispielsweise im September 1994 darum ging, innert kürzester Frist einen
Lufttransport von 135 internationalen Beobachtern von Genf nach Belgrad sicherzustellen, wirkte sich der Umstand günstig aus, dass das Land, welches die
Flugzeuge bereitstellte, als unparteiisch galt (österreichische Flugzeuge hätten kaum auf dem Flughafen von Belgrad landen dürfen) und über die Fähigkeit
verfügte, rasch und disponibel zu handeln.(20) Für diese Aufgabe war die Schweiz prädestiniert. In diesem Fall fiel ihr die Rolle eines Sekundanten der
internationalen Gemeinschaft zu.

Die Bemühungen der Schweiz um eine Vermittlerrolle

Obwohl der Jugoslawienkrieg im Gegensatz zum österreichischen oder deutschen Parlament in den Schweizer Räten weniger debattiert wurde, hatte der
Bundesrat nach der Eskalation des Krieges in Kroatien im Spätsommer 1991 zu einer Flut von parlamentarischen Vorstö ;ssen zur Lage im ehemaligen
Jugoslawien Stellung zu nehmen. Diese wiesen in ihrer Fragestellung alle in eine ähnliche Richtung: Was konnte und sollte die Schweiz zur Lösung der Krise auf
dem Balkan beitragen?(21)

In seiner Antwort auf die Interpellation Ruckstuhl - die hier stellvertretend herausgegriffen wird - hielt der Bundesrat fest, dass "die Möglichkeiten der Schweiz,
ja überhaupt von nichtjugoslawischen Parteien, dem Bürgerkrieg unmittelbar Einhalt zu gebie ten, (...) ausserordentlich beschränkt" sind und zur
Kriegsbeendigung eine "massive ausländische Truppenpräsenz im Krisengebiet" notwendig wäre.(22) Die Politik der Schweiz gegenüber dem ehemaligen
Jugoslawien hatte sich demgemäss in den engen Grenzen dessen zu definieren, was die Konstellation der äusseren Umstände zuliess und innenpolitisch
vertretbar war. Im Gegensatz zu den Aktionen der Schweiz im humanitären Bereich, welche schon kurz n ach Ausbruch des Krieges voll anliefen, kam der
Eidgenossenschaft trotz regen diplomatischen Aktivitäten ihres Aussenministers innerhalb der internationalen Bemühungen um eine friedliche Regelung des
Konfliktes nicht die anfänglich angestrebte Vermittlerrolle zuteil.

Aussenminister Felber bot die guten Dienste der Schweiz bei verschiedenen Gelegenheiten an. Einerseits strebte er eine Vermittlerfunktion im Rahmen der
Europäischen Union an.(23) Die Schweiz erhielt aber weder von der EU noch von der Uno je ein solches Mandat im Jugoslawienkrieg.(24) Als die EU
beschloss, Beobachter - wegen ihrer weissen Uniform unter dem Namen ice-cream men bekannt - zuerst nach Kroatien, dann nach Bosnien-Herzegowina zu
entsenden, wurden unter anderen die neutralen Staaten Österreich und Schweden um Teilnahme ersucht, nicht aber die Schweiz.(25)

Bundesrat Felber wandte sich andererseits auch mehrmals direkt an die Vertreter der Kriegsparteien, um ihnen im Rahmen d er guten Dienste eine
schweizerische Hilfestellung anzubieten, und lud diese auch zu Verhandlungen in die Schweiz ein. Im Herbst 1991 erklärten sich der kroatische Präsident
Tudjman und sein serbischer Gegenspieler Milosevic bereit, sich in der Schweiz zu Geheimgesprächen zu treffen. Das Treffen kam trotz Zusage beider Seiten
nie zustande.(26)

Es zeigte sich also, dass es für den neutralen Kleinstaat Schweiz schwierig war, Vermittlerfunktionen im Rahmen der Regelung des Kon fliktes im ehemaligen
Jugoslawien zu übernehmen. Bilateralen Verhandlungsangeboten fehlte das politische Gewicht, um realisiert zu werden. Bei den multilateralen Bemühungen um
eine politische Lösung des Konfliktes fiel dagegen die Nichtmitgliedschaft der Schweiz in der EU und der Uno negativ ins Gewicht. Abgesehen von den
Funktionen, die sie im Rahmen der OSZE wahrnehmen sollte, waren die guten Dienste der Schweiz nicht gefragt, wenn es um die Verteilung von
Vermittlermandaten ging.

Der Neutralitätsstatus ist im Gegensatz zu den Erfahrungen des kalten Krieges im Konflikt auf dem Balkan keine Voraussetzung für eine Vermittlerfunktion.
Vielmehr ist das Engagement von Staaten oder Staatengruppen gefragt, die in der internationalen Arena über Machtmittel und entsprechendes politisches
Gewicht verfügen. Dies findet seinen Ausdruck beispielsweise auch in der Zusammensetzung der sogenannten internationalen Kontaktgruppe, in der mit
Russland, Grossbritannien, Fra nkreich, Deutschland und den USA diejenigen Mächte vertreten sind, die auf die Entscheidungsfindung der internationalen
Gemeinschaft massgebenden Einfluss ausüben können.

Die schweizerische Jugoslawienpolitik heute: Dilemma zwischen innenpolitischer
Herausforderung und aussenpolitischer Machbarkeit

Der Kriegssommer 1995 war in Bosnien-Herzegowina und Kroatien vor allem von zwei Ereignissen geprägt: der Eroberung der Uno-Schutzzonen Srebrenica
und Zepa durch die bosnischen Serben im Juli und der Offensive der kroatischen Armee gegen die Krajina Anfang August. Der Krieg im ehemaligen
Jugoslawien erreichte in humanitärer Hinsicht einen neuen traurigen Höhepunkt. Erneut waren Zehntausende von Menschen gezwungen, ihre Heimat zu
verlassen. Die demographischen Verhältnisse haben sich damit ein weiteres Mal dramatisch verändert, was aus den beiden folgenden Karten deutlich
hervorgeht.

 

(Quelle: Neue Zürcher Zeitung vom 25. August 1995)

Durch die jüngsten Ereignisse - vor allem die erfolgreiche kroatische Rückeroberung der Krajina - wurde gleichzeitig eine Situation geschaffen, die Anlass zu
Hoffnung auf eine Stabilisierung der Region auf dem Verhandlungsweg gibt. Kroatien ist dank seiner militärischen Stärke zu einem wichtigen regionalen
Machtfaktor geworden. Zusammen mit den muslimischen Kräften in Bosnien-Herzegowin a dürfte damit auf längere Sicht ein Gegengewicht zur bislang
übermächtigen Position der bosnischen Serben geschaffen worden sein. Unter erstarkter Führung der USA hat die internationale Staatengemeinschaft denn
auch die Gunst der Stunde genutzt und eine neue diplomatische Offensive gestartet, um einen baldigen Friedensschluss herbeizuführen.

Nach der Eroberung der beiden Uno-Schutzzonen durch die bosnischen Serben, der vollständigen Vertreibung oder Ermordung der dortigen muslimischen
Zivilbevölkerung unter den Augen der Weltöffentlichkeit, stellte sich für den Bundesrat erneut die Frage, ob eine Politik der Unparteilichkeit aufgrund der
Zuspitzung der Lage noch angemessen war. Wenn immer deutlicher wird, dass eine Kriegspartei gar nicht gewillt ist, den Konflikt durch Verhandlungen zu
lösen, und sich die internationale Gemeinschaft als unfähig erweist, gewaltsame Auseinandersetzungen zu verhindern, dann müssen Bedenken hin sichtlich
negativer Rückwirkungen einer deutlichen Stellungnahme auf allfällige künftige Vermittlerdienste zumindest kurzfristig in den Hintergrund treten. Schliesslich
war eine vergleichbare Situation erreicht wie beim Kriegsausbruch im Sommer 1991, die eine klare Stellungnahme der Landesregierung - allein schon aufgrund
ihres Informationsauftrags gegenüber der Bevölkerung - geradezu herausforderte.

Angesichts der Ereignisse in Bosnien-Herzegowina sah sich der B undesrat in einer Erklärung vom 21. Juli 1995 denn auch zu einer scharfen Verurteilung der
bosnischen Serben veranlasst. Gleichzeitig stellte er aber einmal mehr die Ohnmacht der internationalen Staatengemeinschaft - und der Schweiz - gegenüber
dem Drama im ehemaligen Jugoslawien fest:

 

Die ganze Welt, alle Grossmächte, die internationale Staatengemeinschaft und auch die Schweiz müssen heute machtlos zusehen, wie in Bosnien-Herzegowina
Tausende von Menschen durch die Streitkräfte der bosnischen Serben vertrieben, erniedrigt und misshandelt werden und wie die elementaren Rechte der
Menschlichkeit mit brutaler Gewalt verletzt werden.

Zusammen mit dem Schweizer Volk ist der Bundesrat angesichts dieser dramatischen Ereignisse entsetzt und erschüttert. Vor dem Hintergrund dieser
menschlichen Leiden der Opfer des Krieges helfen Forderungen nach zusätzlichen Appellen und deklamatorischen Verurteilungen nicht weiter.

     Eine realistische und ehrliche Analyse der Lage gebietet, die gegenwärtige politische und militärische Ohnmacht diesen verbrecherischen
     Handlungen gegenüber festzustellen. Für die Schweiz steht somit heute die Fortsetzung der bereits beträchtlichen humanitären Hilfe zugunsten der
     Opfer dieses Krieges im Vordergrund.

     Selbst wenn eine politische Lösung in Bosnien-Herzegowina heute als aussichtslos erscheint, ist d er Bundesrat gewillt, auch in Zukunft zusammen
     mit der internationalen Staatengemeinschaft bei der Suche nach politischen Lösungen mitzuwirken.(27)

Aufgewühlt durch die Ereignisse im Zusammenhang mit der Eroberung der Uno-Schutzzonen rückte der Krieg im ehemaligen Jugoslawien für eine kurze Zeit
wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Bewusstseins in der Schweiz.(28) In emotionsgeladenen Auseinandersetzungen, die in Zeitungen und Fernsehen, auf
ö ffentlichen Kundgebungen und schliesslich auch auf parlamentarischer Ebene geführt wurden, offenbarte sich die sowohl in ihren inneren als auch in ihren
äusseren Rahmenbedingungen begrenzte Handlungsfähigkeit schweizerischer Aussenpolitik. Bei öffentlichen Diskussionen um die Möglichkeiten der Schweiz,
auf das tragische Geschehen im ehemaligen Jugoslawien Einfluss zu nehmen, ist oftmals zu beobachten, dass zwischen politischen und humanitären Fragen
sowie zwischen Ma chbarem und Erwünschtem nicht unterschieden wird.(29)

Von offizieller Seite wurde betont, dass sich das schweizerische Engagement im ehemaligen Jugoslawien in erster Linie am Machbaren innerhalb der gegebenen
politischen Rahmenbedingungen zu orientieren hat. Durch die Nichtmitgliedschaft in denjenigen Gremien, welche sich mit dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien
befassen, ist die Schweiz in ihrem aussenpolitischen Handlungsspielraum eingeschränkt. In einem Interview mit der "Schweizer Illustrierten" Anfang August
1995 machte Bundespräsident Kaspar Villiger denn auch unmissverständlich klar, dass die Schweiz, die weder bei der Uno noch bei der EU, noch bei der
Nato dabei ist, nicht legitimiert ist, "Zensuren zu verteilen und zu sagen, was die anderen falsch gemacht haben".(30)

Dem standen auf der Seite der betroffenen Öffentlichkeit eine lange Liste von Wünschen für ein stärkeres Engagement der Schweiz - insbesonder e im
humanitären Bereich - entgegen. Neben sinnvollen und konkreten Projektvorschlägen war der Ruf nach vermehrten schweizerischen Aktivitäten aber oftmals
zwar von viel gutem Willen, aber wenig Einsicht in die genannten Rahmenbedingungen der schweizerischen Aussenpolitik gekennzeichnet. Die im
Zusammenhang mit der jüngsten Eskalation der Ereignisse in Bosnien-Herzegowina von seiten der Medien, aber auch einzelner Parlamentarier und
Friedensbewegten erhobenen Forderungen, welche in Richtung grossangelegter diplomatischer Initiativen der Schweiz gehen, sind Ideen, die wenig Chancen
auf Erfolg haben und wohl nicht zuletzt das eigene Gewissen beruhigen sollen.(31) Es hilft den vom Krieg im ehemaligen Jugoslawien Betroffenen wenig, wenn
Aktivität mit einem zum Teil PR-orientierten Aktivismus verwechselt wird.

Dem berechtigten Druck der öffentlichen Meinung nach einer Reaktion der Schweiz auf die jüngsten Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien hat der Bundesrat
aber entsprochen. Neben der schon zitierten Erklärung vom 21. Juli 1995 zu Bosnien-Herzegowina drückte sich dies in der sofortigen Bereitstellung weiterer
zehn Millionen Franken für die Flüchtlingshilfe vor Ort aus sowie in der grundsätzlichen Bereitschaft, im Fall einer entsprechenden Anfrage des
Uno-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) zusätzliche Kriegsvertriebene aufzunehmen. Die Landesregierung forderte in diesem Zusammenhang die
Einberufung einer i nternationalen Konferenz, um unter den Aufnahmeländern einen Verteilschlüssel auszuhandeln.(32)

In diesem Zusammenhang ist schliesslich auch der Entscheid des Bundesrates zu sehen, einen Botschafter für Bosnien-Herzegowina zu ernennen. Anfang
August erging ein von 12'000 Personen unterzeichneter Appell an den Bundesrat, eine Botschaft in Sarajewo zu eröffnen und damit offiziell Unterstützung für
die Regierung von Bosnien-Herzegowina zu bekunden.(33) Bereits Ende Jun i 1995 hatte der Bundesrat den Entschluss gefasst, einen Botschafter für
Sarajewo zu ernennen. Am 3. August wurde bekannt, dass es sich um Adolf Lacher handelt, der gleichzeitig Botschafter der Schweiz in der Republik
Österreich ist.(34) Zu diesem Zeitpunkt wurde davon ausgegangen, dass Lacher seine Funktion als Botschafter für Bosnien-Herzegowina hauptsächlich von
Wien aus wahrnehmen, jedoch regelmässig nach Sarajewo reisen würde.

Am 18. September 1995 setzte der Bundesrat ein deutliches Zeichen, indem er die Errichtung einer ständigen Schweizer Vertretung in Sarajewo bekanntgab.
Zum Geschäftsträger der Botschaft vor Ort wurde Christian Hauswirth ernannt. Adolf Lacher bleibt Botschafter für Bosnien-Herzegowina mit Sitz in Wien.(35)
Neben dem künftigen Schweizer Vertreter residieren in Sarajewo nur die Botschafter der Kontaktgruppenländer Frankreich, Deutschland, USA und
Grossbritannien sowie diejenigen der Türkei un d Irans. Italien, Österreich und Schweden haben keine Botschaften eingerichtet, wickeln ihre Kontakte aber
über Beauftragte vor Ort ab.

Der Ernennung eines Botschafters für Bosnien-Herzegowina und der Errichtung einer ständigen diplomatischen Vertretung in Sarajewo kommt in zweifacher
Hinsicht eine Bedeutung zu. Zum einen ist der Entscheid des Bundesrates als ein Ausdruck der Solidarität mit der bedrängten bosnisch-herzegowinischen
Regierung zu verstehen. Die Lande sregierung bekundet damit offiziell ihre Unterstützung für diejenigen Kreise, die sich für einen multikulturellen Staat
Bosnien-Herzegowina und das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Gemeinschaften innerhalb dieser Republik aussprechen. Entsprechendes Gewicht
wird deshalb der Unterstützung der vor Ort tätigen nichtstaatlichen Organisationen zukommen, deren vielfältige Arbeit von der Pflege kultureller Kontakte
zwischen der Schweiz und Bosnien-Herzegowina & uuml;ber die Unterstützung unabhängiger Medien, bis hin zur Pflege und Betreuung kriegstraumatisierter
Frauen, Männer und Kinder reicht.(36) Vom Entscheid des Bundesrates darf auch international insofern eine Signalwirkung erhofft werden, als dass er die
Haltung anderer westeuropäischer Regierungen in der Frage der Einrichtung einer ständigen Vertretung in Sarajewo positiv beeinflussen könnte.

Zum andern ist die Ernennung eines offiziellen Vertreters im Hinblick au f die Vorbereitung der postkonfliktiven Phase des Krieges im ehemaligen Jugoslawien
von Bedeutung. Zur Vorbereitung der postkonfliktiven Phase gehört auch die frühzeitige Kontaktaufnahme mit den Konfliktparteien und der Aufbau eines
Informationsnetzes vor Ort. Sollte es in Bosnien-Herzegowina (beziehungsweise im ganzen ehemaligen Jugoslawien) zu einer friedlichen Regelung der
Konflikte kommen, so muss die Schweiz, welche 1996 die Präsidentschaft der OSZE übernimmt, o ptimal vorbereitet sein, um im Rahmen dieser Organisation
zu gegebener Zeit aktiv werden zu können.(37)

Ein Vergleich mit der österreichischen Politik

Nach Ausbruch des Krieges sah sich die österreichische Politik hinsichtlich einer allfälligen Rolle als Vermittlerin zwischen den Konfliktparteien vor ein ähnliches
Dilemma gestellt wie die Schweiz: Die Regierung hatte zwischen einer eindeutigen Parteinahme zugunsten einer Seite und den Rückwirkungen einer solchen
Politik abzuwägen. Im Vergleich mit der Schweiz verfolgte Österreich von Beginn weg eine kontinuierlich klar antiserbische Politik. Wenn sich der
österreichische Aussenminister Mock in seinen Äusserungen zum Geschehen auf dem Balkan zugunsten von Slowenien und Kroatien exponierte, so ist dies
aber in erster Linie aus der spezifischen Interessenlage Österreichs als unmittelbaren Nachbars dieser Länder heraus zu begreifen.

Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien löste in Österreich bedeutend grössere Emotionen aus als in der Schweiz. Bedingt war dies nicht nur durch die Nähe
Österreichs zum Krisengebiet. Auch die historischen Bande zu den Republiken Kroatien und Slowenien trugen zu dieser stärkeren Betroffenheit bei. Der
Aufbau eines guten Beziehungsnetzes zu den nördlichen Republiken des ehemaligen Jugoslawien war für die österreichische Regierung so wichtig, dass ein
gespanntes Ve rhältnis zu Belgrad in Kauf genommen wurde.

Der österreichische Aussenminister Mock stand schon ganz zu Beginn der Krise im ehemaligen Jugoslawien an vorderster diplomatischer Front, und zwar nicht
nur, um die Europäer über die Komplexitäten der dortigen Verhältnisse aufzuklären, sondern auch, um selber intensiv nach Lösungen zu suchen.(38) Einige der
Vorschläge Mocks, wie die Entsendung von Uno-Blauhelmen nach Bosnien-Herzegowina (zu einem Zeitpunkt , als der Krieg dort noch nicht ausgebrochen
war) oder die Idee zur Errichtung von sogenannten Uno-Schutzzonen, wurden von der internationalen Gemeinschaft aufgegriffen.

Die österreichische Diplomatie hat damit wohl zur Stabilisierung der Gesamtsituation beigetragen. Mit ihrer einseitigen Parteinahme verspielte sie aber die
Position einer Vermittlerin für den Fall, dass alle Konfliktparteien wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren gewillt sind.(39) Österreich entwicke lte
sich, zusammen mit Deutschland, zum eigentlichen Fürsprecher der sezessionswilligen Republiken Slowenien und Kroatien. Aufgrund seiner pointiert
antiserbischen Haltung wurde Österreich (sowie Deutschland und der Vatikan) von der Propaganda Belgrads zu "Feinden des serbischen Volkes" stilisiert.

Bezüglich der österreichischen Jugoslawienpolitik bestanden zwischen dem Aussenministerium und Bundeskanzler Franz Vranitzky seit Anfang des Krieges
erhebliche Differenz en. Die jüngste kroatische Offensive gegen die Krajina vom August 1995 hat in Wien alte Konfliktlinien wieder zum Vorschein gebracht.
Während Aussenminister Schüssel (der Nachfolger von Mock) lediglich seine Betroffenheit über die erneute Anwendung von Gewalt äusserte, verurteilte
Vranitzky das Vorgehen Zagrebs in scharfen Worten.(40)

Die Anerkennungsfrage und der Vollzug von Wirtschaftssanktionen gegen Restjugoslawien

Der bes chränkte Handlungsspielraum der Schweiz für die Verfolgung einer unabhängigen Politik kann durch den Hinweis veranschaulicht werden, dass unser
Land wichtige Fragen bezüglich Jugoslawien in der Praxis parallel zu den Entscheiden der EU und anderer europäischer Staaten vollzog. Als Beispiele sei hier
auf die Frage der Anerkennung und der Wirtschaftssanktionen gegen Restjugoslawien hingewiesen.

Als sich nach den Referenden in Slowenien und Kroatien eine überwälti gende Mehrheit der Bevölkerung für die Loslösung von Jugoslawien ausgesprochen
hatte, riefen die beiden Republiken am 25. Juni 1991 ihre Souveränität aus. Dem Beispiel der beiden selbsternannten Staaten folgend, reklamierten im
September 1991 Mazedonien, Ende Februar 1992 auch die Republik Bosnien-Herzegowina ihre Unabhängigkeit.

Bei der Frage der Anerkennung der neuen Staaten auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien preschte die Schweiz nicht vor, sondern v ollzog alle
Massnahmen im Gleichschritt mit den Beschlüssen der EU. Im Gegensatz zum österreichischen Aussenminister forderte Bundesrat Felber die anderen Staaten
nicht aktiv dazu auf, auf eine internationale Anerkennung der Republiken hinzuarbeiten. Er unterstrich aber die Bereitschaft der Schweiz, sich einer
Staatengruppe von signifikanter Grösse sofort anzuschliessen, welche die jungen Staaten gemeinsam anerkennen würde.(41) Gleichzeitig mit den meisten
anderen europäische n Staaten anerkannte die Schweiz die drei Republiken Kroatien, Slowenien und Bosnien-Herzegowina am 15. Januar 1992 respektive am
7. April 1992.(42)

Noch deutlicher wird die Selbstbeschränkung des eigenen Handlungsspielraums im Fall der Anerkennung der ehemaligen jugoslawischen Republik
Mazedonien: Obwohl die Republik gemäss dem Bericht von Robert Badinter (Präsident der von der EU eingesetzten schiedsgerichtlichen Kommission zur
Abklärung von Minoritäten- und Menschenre chtsfragen in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien) alle Kriterien für eine internationale
Anerkennung erfüllte, wurde das Land aufgrund des griechischen Widerstandes von den EU-Staaten vorläufig nicht anerkannt. Die Schweiz folgte dieser Politik
bis in den Sommer 1993, wenngleich die Beweggründe für die Haltung der Europäischen Union rein EU-interner Natur waren.(43) Die Eidgenossenschaft
begründete ihren Standpunkt dahingehend, dass sie ihre Politik be züglich der Anerkennung Mazedoniens mit der EU koordinieren wolle und der Republik ein
isoliertes Vorgehen ohnehin nicht viel nütze. Zudem sollte Griechenland nicht vor den Kopf gestossen werden.(44) Die Schweiz verzichtete damit - nicht zuletzt
aus Rücksicht auf die laufenden bilateralen Verhandlungen mit der EU - einmal mehr bewusst auf eine unabhängige Politik.

Auch bei der Anwendung der Wirtschaftssanktionen gegen Serbien und Montenegro war die Schweiz stiller Nachvollzi eher einer gesamteuropäischen Politik.
Der Bundesrat schloss sich am 8. November 1991 den am Vortag von der EU verhängten Wirtschaftssanktionen gegenüber Restjugoslawien vollumfänglich an
und wandte die entsprechenden Massnahmen autonom an.(45) Die immerhin so rasch erfolgte Entscheidung der Schweizer Behörden ist um so erstaunlicher,
als es sich bei der eidgenössischen Sanktionspolitik (wie aus jüngeren Beispielen hervorgeht) erfahrungsgemäss immer um eine zie mlich heikle Angelegenheit
handelte.

Die Genfer Jugoslawienkonferenz

Die Bemühungen der Schweiz um eine Vermittlerrolle im Jugoslawienkonflikt waren indirekt insofern erfolgreich, als die internationale Gemeinschaft Genf zum
Sitz der permanent tagenden "Internationalen Konferenz über das frühere Jugoslawien" bestimmte. Als Ende September 1992 die EU und die Uno Genf als
Tagungsort vorschlugen, hing diese Wahl nicht so sehr mit dem spezifi schen Neutralitätsstatus der Schweiz zusammen, sondern damit, dass Genf als eine Stadt
mit internationalem Ruf und guten verkehrstechnischen Verbindungen gegenüber anderen Standorten komparative Vorteile aufweist. Nicht zuletzt bedurfte es
für die Bereitschaft, Genf als Sitz zu wählen und die Schweiz als Beobachterin an der Konferenz teilnehmen zu lassen, auch einiger diplomatischer Bemühungen
von Schweizer Seite.(46)

Die "Internationale Konferenz über das fr& uuml;here Jugoslawien" sollte gemäss den Beschlüssen der vorangegangenen Londoner Konferenz (26. bis 28.
August 1992) solange tagen, bis die Probleme des früheren Jugoslawien eine Lösung gefunden haben. Die Genfer Jugoslawienkonferenz ist eigentlicher
Knotenpunkt für die Koordination der verschiedenen (vor allem präventivdiplomatischen) Missionen nach allen Ländern des ehemaligen Jugoslawien, welche
die OSZE und die Uno, zum Teil aber auch die EU, durchfü hren. Darüber hinaus setzen sich im Rahmen der Konferenz sechs Arbeitsgruppen vertieft mit
spezifischen Aspekten des Konfliktes auseinander. Die Schweiz stellte der Konferenz bislang in erster Linie logistische Unterstützung (Infrastruktur und
Flugmittel für Personentransporte für rund 600'000 Franken im Jahr) zur Verfügung.(47) Personell war die Schweiz lediglich durch Botschafter Armin Ritz an
der Arbeit der Arbeitsgruppen beteiligt, der eine Zeitlang in der Gruppe "M inderheiten" mitwirkte.(48)

1.2. Der Beitrag der Schweiz im Rahmen der zivilen Aktionen der OSZE, der Uno und der
EU

Aufgrund des äusserst begrenzten unabhängigen Handlungsspielraums der Schweiz kam der Frage erhöhte Bedeutung zu, in welcher Art und Weise sich unser
Land an den zivilen Aktionen der OSZE, der Uno und der EU im Rahmen friedensbildender Massnahmen und der Präventivdiplomatie beteiligen sollte. Es lag
in der Sache begrü ndet, dass sich das Aktionsfeld der Schweiz wegen der Nichtmitgliedschaft in der Uno und der EU auf Aktivitäten im Rahmen der OSZE
verdichten würde.

Aktivitäten im Rahmen der OSZE

Angesichts zunehmender Instabilitäten in Europa wurde Ende Juni 1991 auf dem Berliner Treffen des OSZE-Aussenministerrates ein
Dringlichkeitsmechanismus geschaffen, der in schwerwiegenden und dringlichen Situationen politische Konsultationen aller OSZE-Staaten v orsieht, die
durch ihre Empfehlung zur Lösung des Konfliktes beitragen sollen.(49) Dieser sogenannte "Berliner-Mechanismus" gelangte im Fall von Jugoslawien zweimal
zur Anwendung, Anfang Juli 1991 auf Initiative Luxemburgs und im Mai 1992 auf österreichischen Vorstoss hin.(50)

Neben diesem politischen Mechanismus bestand seit 1990 auch ein militärischer Mechanismus ("Wiener-Mechanismus"), der im Fall "ungewöhnlicher
militärischer Aktivitäten " von den Teilnehmerstaaten angerufen werden kann.(51) Im Fall des ehemaligen Jugoslawien gelangte der Mechanismus dreimal zur
Anwendung. Zur ersten Dringlichkeitssitzung kam es am 1. Juli 1991: Österreich und Italien forderten von Belgrad Aufklärung über die Situation in Slowenien
und richteten einen Appell an alle Kriegsparteien, die Kampfhandlungen einzustellen. Wegen Unstimmigkeiten zwischen Ungarn und der restjugoslawischen
Regierung kam es anfangs September 1991 (Verletzung des ungarischen Luftraumes durch die jugoslawische Armee) respektive im April 1994 (Behauptung
seitens der jugoslawischen Regierung, dass Ungarn serbisch-montenegrinische Truppen angegriffen habe) zur wiederholten Aktivierung des militärischen
Mechanismus gemäss dem Wiener Dokument.

Die Krisenmechanismen gelangten zwar mustergültig zur Anwendung, die auf den OSZE-Treffen erhobenen Forderungen nach Einstellung der
Kampfhandlungen hatten aber keine Wirkung auf das Kriegsgeschehen. Auch Vermittlungsangebote der OSZE an die Kriegsparteien wurden, meist von der
serbischen Seite, abgelehnt.

Eine sehr lebhafte Beteiligung von Schweizer Seite erfuhren die nach den verschiedenen ehemaligen jugoslawischen Republiken entsandten Missionen der
OSZE. Deren Aufgaben sind vielfältig. Solche Missionen sind schon deshalb notwendig, weil die Markierung internationaler Präsenz eine stabilisierende
Wirkung in Krisengebieten haben kann. OSZE-Delegationen haben zum Ziel, den Dialog zwischen Regierungsstellen, Oppositions- oder Minderheitengruppen
und einzelnen Bürgern zu fördern, sie holen Informationen ein und sorgen für eine objektive Berichterstattung über Vorfälle aller Art. Zum Teil unterstützen und
beraten sie auch die lokalen Behörden bei der friedlichen Bewältigung von Konflikten.

An den meisten der von der OSZE unternommenen Missionen nach dem ehemaligen Jugoslawien war die Schweiz mit eigenem Personal beteiligt, d rei
Missionen leitete sie gar.(52) Die erste Mission der OSZE nach dem ehemaligen Jugoslawien wurde von der Schweiz organisiert und geleitet. Im Dezember
1991 brach eine Expertengruppe unter der Leitung des Staatsrechtlers Thomas Fleiner für mehrere Wochen in die Republiken des ehemaligen Jugoslawien auf,
um Bericht über die Einhaltung der Menschenrechte und die Situation der Minderheiten zu erstatten. Zwei Monate später kam es in der gleichen personellen
Besetzung zu einer Nachfolgemi ssion, welche sich nochmals für einige Tage nach dem Balkan aufmachte.(53) In seinem Bericht schlug Fleiner unter anderem
die Einsetzung einer Langzeitmission für Serbien und Montenegro vor. Im September 1992 wurde dieses Vorhaben realisiert. Die Aktion musste Ende Juni
1993 aber abgebrochen werden, weil die serbischen Behörden die zwanzig Missionsmitglieder nicht länger auf ihrem Territorium duldeten.

Auch an der Abklärungsmission der OSZE nach dem Kosovo vom 27. Mai 1992 und der OSZE-Mission vom 29. August 1992 nach Bosnien-Herzegowina,
welche die internationale Kontrolle über die Kriegsgefangenenlager verstärken sollte, nahm die Schweiz mit eigenem Personal teil.(54)

Für die Langzeitmissionen der OSZE nach dem ehemaligen Jugoslawien ordnete der Bundesrat bislang vier Personen ab. Zwei gehörten der 1993 von Belgrad
zum Rückzug gezwungenen Mission in Serbien und Montenegro an, eine Person arbeitete von November 1994 bis April 1995 i n der Mission in Sarajewo,
und seit Mai 1994 ist auch ein Schweizer im Rahmen einer OSZE-Langzeitmission in Mazedonien tätig. Die Mission in Sarajewo wurde vom Schweizer Hans
Peter Kleiner geleitet.(55)

Die Schweiz erklärte sich zudem bereit, gemeinsam mit der Genfer Jugoslawienkonferenz und der OSZE die Mission zur Überwachung der Sanktionen
gegen Serbien und Montenegro mit Zollbeamten zu unterstützen. Seit Frühjahr 1993 ist sie mit sieben Zollbeamten an der &Uu ml;berwachungsmission
vertreten, an der insgesamt 180 Beamte aus verschiedenen Mitgliedstaaten teilnehmen.(56) Als weitere Geste an die Bemühungen der internationalen
Staatengemeinschaft um eine Regelung des Konfliktes ist in diesem Zusammenhang auch der von der Schweiz im Herbst 1994 organisierte und finanzierte
Lufttransport von 135 internationalen Beobachtern der Kontaktgruppe zu nennen, welche an der serbisch-bosnischen Grenze postiert wurden.(57)

Im Rahmen der OSZE nahm die Schweiz auc h in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien Funktionen wahr. Auf eine Einladung der OSZE hin
reisten am 14. Oktober 1994 sechs schweizerische Wahlbeobachterinnen und
-beobachter nach Mazedonien, um den Verlauf der Wahlen zu verfolgen. Zu den Nachwahlen, welche am 30. Oktober 1994 stattfanden, stiessen nochmals
sechs schweizerische Wahlbeobachterinnen und -beobachter hinzu.(58) Als eine weitere Präventivmassnahme in der ehemaligen jugoslawischen Republik
Mazedonien ist die finanz ielle Unterstützung eines Fernsehstudios für Minderheiten zu sehen. Dies allerdings war ein Projekt der Internationalen
Jugoslawienkonferenz in Zusammenarbeit mit der RTV Mazedonien. Der schweizerische Beitrag belief sich auf 550'000 Franken, hinzu kam eine finanzielle
Unterstützung von seiten Dänemarks in Höhe von 420'000 Franken.(59)

Welche Rolle für die OSZE auf dem Balkan?

Im Vergleich zu den Tätigkeiten der Uno und der EU fr istet die OSZE im ehemaligen Jugoslawien ein Aussenseiterdasein. Da der Organisation jegliche
Sanktionsmöglichkeiten fehlen, ist sie stärker als die anderen internationalen Organisationen von der Kooperationsbereitschaft und dem guten Willen der
Kriegsparteien abhängig. Solange daher auch nur eine Seite auf die militärische Karte zur Erreichung bestimmter Ziele setzt, ist eine Tätigkeit der OSZE
schwierig und bewegt sich - wie etwa in Sarajewo - in sehr engen Grenzen.

Wirksame Arbeit kann die Organisation in Regionen leisten, wo latente Spannungen zwischen einzelnen Volksgruppen noch nicht in "heisse" Kriege
umgeschlagen sind. Das Hauptfeld der Tätigkeit der OSZE auf dem Balkan ist deshalb derzeit sinnvollerweise auf Mazedonien ausgerichtet, wo es in erster
Linie gilt, den Abbau der Spannungen zwischen der albanisch sprechenden Minderheit und der mazedonischen Mehrheit zu fördern. Daneben hat die Präsenz
der OSZE (und der Uno) in Mazedonie n den Zweck, ein Ausgreifen des Krieges auf diese Republik unwahrscheinlicher zu machen.

Präventivdiplomatie wäre aber gerade auch innerhalb Restjugoslawiens (Kosovo, Wojwodina und dem Sandschak) dringend vonnöten. In diesen Gebieten
betreibt Belgrad eine massive Repressionspolitik gegenüber den nichtserbischen Minderheiten, um deren Rechte und Freiheiten es schlecht bestellt ist. Dass die
OSZE dort nicht wirken darf, hat sie sich zum Teil selber zuzuschreiben. Im Juli 1992 beschlossen die Teilnehmerstaaten der OSZE angesichts der wachsenden
Frustration über die Wirkungslosigkeit der Appelle zur Einhaltung der Grundprinzipien des humanitären Völkerrechts, Restjugoslawien aus der Organisation
auszuschliessen. Im Rückblick ist diese Handlungsweise als ein Ausdruck politischer Schwäche zu bedauern. Der Abbruch aller Brücken zu Serbien und
Montenegro erschwerte die Durchführung künftiger Missionen nach den Krisenregionen innerhalb Re stjugoslawiens. Zusätzlich manövrierte sich die OSZE
durch diesen Entscheid als mögliches Forum für die Aufnahme eines politischen Dialoges über eine zukünftige Gesamtfriedensordnung auf dem Balkan ins
Abseits.

Gerade der OSZE könnte wegen ihrer Mitgliederstruktur (sie ist die einzige sicherheitspolitische Organisation in Europa, in der in loser Verbindung alle west-
und osteuropäischen Staaten vereinigt sind) bei einer politischen Stabilisierung der Reg ion und, damit verbunden, dem Abbau der überdimensionierten
Rüstungspotentiale der Kriegsparteien eine wichtige Rolle zukommen.(60) In diesem Sinne gab beispielsweise der kroatische Vertreter an einem OSZE-Treffen
im Frühjahr 1995 bekannt, dass Kroatien einer Ausweitung und Stärkung eines OSZE-Mandates zur Überwachung der international anerkannten Grenzen
Kroatiens positiv gegenüberstehe. Nach den Worten des kroatischen Vertreters ist die OSZE die einzige "Sicherhei tsorganisation, an der Kroatien
vollberechtigt teilnehme".(61) In Bosnien-Herzegowina geniesst die OSZE ganz im Gegensatz zur Uno oder der EU in den Augen derjenigen Kreise, die sich
für die Erhaltung eines multikulturellen Staates einsetzen, weiterhin ein hohes Ansehen.

Beitrag der Schweiz an die friedenserhaltende Mission der Uno

Am 21. Februar 1992 fasste der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Beschluss, ein erstes Kontingent von 13'000 Uno-B lauhelmen (UNPROFOR)
innerhalb Kroatiens, an der Frontlinie zu der durch die Serben okkupierten Krajina, zu stationieren. Die friedenserhaltende Mission der Uno auf dem
Territorium des ehemaligen Jugoslawien ist bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf gegen 43'000 Personen angewachsen. Über die Hälfte der Uno-Blauhelme
befindet sich in Bosnien-Herzegowina. Ein kleines Kontingent von wenigen hundert Mann ist schliesslich in Mazedonien stationiert.

Der Beitrag der Schweiz an die friede nserhaltende Operation der Uno im ehemaligen Jugoslawien fiel kärglicher aus als ursprünglich erwartet. Da parallel zur
anlaufenden Uno-Mission im ehemaligen Jugoslawien ein Gesetz über schweizerische Truppen für friedenserhaltende Massnahmen erst in Vorbereitung war und
daher der Uno keine bewaffneten Blauhelme zur Verfügung gestellt werden konnten, entschloss sich der Bundesrat, die UNPROFOR durch verschiedene
andere Massnahmen zu unterstützen.(62) Unbewaffnete Dienst leistungen im Rahmen der Uno und der internationalen Friedenssicherung führte die
Eidgenossenschaft schon seit Jahren aus.(63) Ende Februar 1992 erklärte sich der Bundesrat auf eine entsprechende Anfrage des Uno-Generalsekretariates
hin bereit, die friedenserhaltende Operation der UNPROFOR mit der Entsendung von höchstens dreissig Zivilpolizisten und fünf Militärbeobachtern zu
unterstützen, die vor allem um die Überwachung des Waffenstillstandes besorgt sein sollten .(64) Da der Bund über kein eigenes nationales Polizeikorps
verfügt, war er auf die Unterstützung der Kantone angewiesen. Weil die 26 Kantone nur gerade etwa 8 Mann freizustellen gewillt waren, konnte die
schweizerische Mitarbeit nicht in der geplanten Form durchgeführt werden.(65)

Für die Überwachung der Grenze zu Serbien und Montenegro stellte die Schweiz der Uno, neben den schon erwähnten sieben Beamten, welche sie zum
gleichen Zweck im Rahmen der OSZE entsa ndte, sechs Militärbeobachter zur Verfügung.(66) Hinzu sind noch sechs Schweizer Grenzwachtbeamte zu zählen,
die seit Juni 1993 in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien stationiert sind, um dort eine Polizei- und Beobachtermission im Rahmen eines
Beitrages zur präventiven Diplomatie der UNPROFOR zu erfüllen.(67)

Ein weiterer Beitrag zum Peacekeeping der UNPROFOR stellte die Entsendung von Brigadier Peter Arbenz und dessen Mitarbeiter Manuel Bessler nach dem
ehemaligen Jugoslawien dar. Als Antwort auf eine entsprechende Anfrage des Uno-Beauftragten für Ex-Jugoslawien, Jasushi Akashi, stellte der Bundesrat
Brigadier Peter Arbenz für den Posten des Generalinspektors der UNPROFOR für eine Zeit von sechs Monaten zur Verfügung. Für das Amt des
Generalinspektors war nicht ein Neutraler, sondern in erster Linie ein Unparteiischer gesucht. Da die Schweiz keine bewaffneten Blauhelmtruppen stellte, schien
ein Schweizer für diese Aufg abe prädestiniert zu sein.(69)

Im Gegensatz zur personellen Unterstützung gestaltete sich der Beitrag der Schweiz an die friedenserhaltenden Massnahmen der Uno in Form logistischer
Unterstützungsmittel und finanzieller Beiträge weniger problematisch. Die Eidgenossenschaft übergab den Uno-Truppen 40 von der schweizerischen Armee
ausgemusterte Unimog und zwei gepanzerte Geländefahrzeuge. Zusätzlich unterstützte die Schweiz die Uno-Entminungsaktion vom Somme r 1994 mit über
einer halben Million Franken.(69) Insgesamt belief sich der finanzielle Aufwand der Schweiz für die Unterstützung der Mission der Uno im ehemaligen
Jugoslawien zwischen Frühjahr 1992 und März 1994 auf gegen drei Millionen Franken.(70) Im Mai dieses Jahres kam der Uno-Mission von seiten der
Schweizer Regierung nochmals ein Betrag über 1,5 Millionen Franken zugute.(71)

Beteiligung an der EU-Verwaltung der Stadt Mostar

Nach der Unterzeichnung des Föderationsabkommens zwischen bosnischen Kroaten und Muslimen am 18. März 1994, mit dem ein Schlussstrich unter den
einjährigen Konflikt zwischen den beiden Volksgruppen gezogen wurde, kamen die ehemaligen Kriegsgegner überein, der EU das Mandat für die Verwaltung
der vom Krieg stark in Mitleidenschaft gezogenen Stadt Mostar (Hauptstadt der Herzegowina) anzuvertrauen. Innerhalb von zwei Jahren sollte unter der
Leitung des ehemaligen Bürg ermeisters von Dresden, Hans Koschnik, die Wiedervereinigung einer multikulturellen Stadtverwaltung herbeigeführt werden.

Auf Wunsch von Koschnik ist auch ein Schweizer, Hans Birchler, seit Ende September 1994 in offizieller Mission des EDA als Rechtsberater für die
EU-Administration von Mostar tätig.(72) Die Aufgabe des Rechtsberaters ist es, eine Stadtverfassung für Mostar und ein Wahlrecht im Hinblick auf die
Gemeindewahlen zu erarbeiten sowie ein Polizeireglement abzufas sen. Begleitet wird diese konkrete Form der Hilfe vor Ort mit einem starken humanitären
Engagement im Bereich der Wiederaufbauhilfe. Mostar ist neben Tuzla eine Schwerpunktregion der humanitären Hilfe des Bundes.(73)

Zusammenfassung

Inwieweit kam die Schweiz dem sicherheitspolitischen Ziel "Beitrag zur internationalen Stabilität, vor allem in Europa" im Fall des ehemaligen Jugoslawien
entgegen? Mit dem Ende des kalten Krieges und dem Zerfall der Machtblöcke in Ost und West hat sich der aussenpolitische Handlungsspielraum des neutralen
Kleinstaates wohl eher verkleinert denn vergrössert. Die Neutralität ist in einer multipolaren und interdependenten Welt keine Voraussetzung für die Übernahme
einer Vermittlerrolle in aktuellen Konflikten. Die Bemühungen um eine Konfliktlösung in Jugoslawien konzentrierten sich in erster Linie auf die Grossmächte, die
ihre Vorgehensweise in internationale n Organisation wie der Uno und der EU aufeinander abzustimmen versuchten.

Für das Angebot einer schweizerischen bilateralen Vermittlertätigkeit interessierten sich die Konfliktparteien daher kaum. Vielmehr strebten sie mit erster
Priorität danach, die Grossmächte und die internationalen Organisationen für ihre Zwecke zu gewinnen oder gar gegeneinander auszuspielen. Aber auch die
Uno und die EU wandten sich bei der Verteilung von Vermittlermandaten nicht in erster Linie an die Schweiz. Die mit Schweizer Beteiligung in Gang
gekommenen OSZE-Krisenmechanismen wiederum sind wegen fehlenden Sanktionsmöglichkeiten auf das Kriegsgeschehen in Kroatien und
Bosnien-Herzegowina ohne jeden Einfluss geblieben.

Die Schweiz als Nichtmitglied der Uno und der EU, den beiden wichtigsten Akteuren in den diplomatischen Bemühungen um eine Lösung der Krise auf dem
Balkan, muss nach Nischen suchen, um ihren Beitrag zur Stabilität in Europa leisten zu kö ;nnen. Spektakuläre diplomatische Initiativen sind nur selten ihre
Sache. Die guten Dienste der Schweiz sind auch in der Zeit nach dem kalten Krieg nicht obsolet geworden. Nur werden die Bedürfnisse nicht mehr einfach von
aussen an unser Land herangetragen, sondern wir müssen uns selber aktiv und initiativ darum bemühen, unseren Beitrag mit demjenigen der internationalen
Gemeinschaft abzustimmen. Im Bereich der Präventivdiplomatie beteiligte sich die Schweiz de nn auch an den Missionen der OSZE und nahm daneben
punktuell an den zivilen Aktionen der Uno und der EU teil.

Ist somit der aussenpolitische Spielraum der Schweiz ohnehin begrenzt, muss Bern darüber hinaus auch der innenpolitischen Stimmungslage Rechnung tragen.
Ein grosser Teil der schweizerischen Bevölkerung reagiert empfindlich auf ausgreifende aussenpolitische Aktionen. In dieser Situation drängte es sich auf, die
Hauptaktivitäten nicht im politischen Bereich, sondern im Bereich der humanitären Hilfe oder allenfalls (auf einer mehr konzeptionellen Ebene) bei der Stärkung
des internationalen humanitären Völkerrechts zu entwickeln.
 
 
 

95.088
Asylgesetz und Anag.
Änderung

Loi sur l'asile et LSEE.
Modification

Vierte Sitzung - Quatrième séance Mittwoch, 4. Juni 1997 - Mercredi 4 juin 1997
15.00 h
 

 Koller Arnold, Bundespräsident: Sie haben es alle gehört - auf jeden Fall jene, die im Saal waren -: Der asylpolitische Konsens, den es auch in
 diesem Rat einmal gegeben hat, ist inzwischen in alle Richtungen verflogen.

 Im Jahre 1990, als wir uns in einer viel schwierigeren asylpolitischen Lage befanden - damals hatten wir jedes Jahr 50 Prozent mehr
 Asylgesuche, damals hatten wir über 60 000 Pendenzen, und man sagte uns über 100 000 Pendenzen voraus -, rauften sich die verschiedenen
 politischen Lager zusammen, um unsere humanitäre Asyltradition aufrechtzuerhalten und erkannte Mängel unseres Asylverfahrens tatsächlich
 auszumerzen.

 Heute ist von diesem politischen Willen offensichtlich nicht mehr viel zu spüren, und ich frage mich als verantwortlicher Departementschef, ob
 uns das Wasser wirklich bis zum Halse stehen muss, bis wir uns in einer derart wichtigen Frage wieder zusammenraufen können.

 Ich möchte ein Wort Ihrer Kommissionspräsidentin aufnehmen: Frau Fankhauser hat gesagt, dass der Bundesrat in seiner Botschaft zum
 Asylgesetz ausgeführt habe, dass die Schweiz ein klassisches Asylland sei. Wir nehmen das auch heute für uns in Anspruch. Ich muss daher
 all jene Ausführungen, die dahin gehen, dass wir mit den verschiedenen Ayslgesetzrevisionen unser Asylrecht fortwährend ausgehöhlt hätten,
 entschieden zurückweisen. Das Gegenteil ist der Fall.

 Wir haben über all die Jahre hinweg alle unsere völkerrechtlichen Verpflichtungen gewissenhaft eingehalten, und zwar auch in schwierigster
 Lage. Wir müssen uns unserer Asylpolitik wirklich nicht schämen. Das zeigen auch einige Zahlen: Wenn Sie bedenken, dass wir allein im
 Jugoslawienkonflikt 48 000 Menschen in unserem Lande Schutz gewährt haben, dass wir über 20 000 Familien in unserem Lande Schutz
 gewährt haben, dass wir zurzeit noch rund 17 000 Türken - darunter sehr vielen Kurden, bei denen es heute noch teilweise eine
 Anerkennungsquote von rund 40 Prozent gibt - in unserem Lande Schutz gewähren und sie zu einem schönen Teil auch als Flüchtlinge
 anerkannt haben, dann kann man doch nicht sagen, dass wir unser Asylrecht fortwährend aushöhlen würden. Davon kann keine Rede sein.

 Aber eines ist natürlich festzuhalten: Die asylpolitische Landschaft hat sich in den Jahren seit der Beratung des ersten Asylgesetzes ganz
 zentral geändert. Ich erinnere mich noch sehr wohl - ich war damals im Nationalrat - an die damalige Lage: Ende der siebziger Jahre hatten wir
 pro Jahr weniger als 1000 Asylgesuche. Es waren vor allem Asylgesuche aus dem Osten Europas, und die Anerkennungsquote lag bei über 90
 Prozent. Heute haben wir natürlich eine vollständig andere asylpolitische Landschaft, weil immer mehr Asylgesuchsteller aus der Dritten Welt zu
 uns kommen. Den Höhepunkt der Zahl der Asylgesuche haben wir bekanntlich Anfang der neunziger Jahre erreicht. Zugleich ist die
 Anerkennungsquote damals auf unter 5 Prozent gefallen.

 Aber mit dem dringlichen Bundesbeschluss über das Asylverfahren (AVB) aus dem Jahre 1990 haben wir die Probleme, vor die uns diese ganz
 neue asylpolitische Landschaft gestellt hat, weitestgehend in den Griff bekommen, Herr Keller. Auch Sie können nicht wegreden, dass wir seit
 dem Jahre 1992 auf der Basis dieses dringlichen Bundesbeschlusses und auch, weil wir den Mut hatten, sowohl das Bundesamt wie die
 Rekurskommission personell aufzustocken, die Zahl der Asylgesuche um mehr als die Hälfte reduzieren konnten; wir sind von 42 000 auf etwa
 16 000 heruntergekommen. Natürlich gibt es nach wie vor Schwankungen. Sie wissen auch, dass die Zunahme der Zahl von Asylgesuchen der
 ersten Monate dieses Jahres damit zu tun hat, dass Jugoslawien die eigenen Staatsangehörigen immer noch völkerrechtswidrig nicht
 zurücknimmt. Das ist der Grund für diese Zunahme. Es ist nicht so, dass unser Asylverfahren Mängel aufweisen würde.

 Deshalb geht es einfach nicht an, so zu tun, als ob wir nicht klare Erfolge erzielt hätten. Angesichts des drastischen Rückgangs der
 Asylgesuche und des Abbaus der Pendenzen von über 62 000 auf heute noch gut 20 000 in beiden Instanzen - wobei das Gros von den Tamilen
 gestellt wird - kann man nicht so tun, als ob der Bundesrat zusammen mit dem Parlament und dem Volk in der Asylpolitik nicht entscheidende
 Erfolge erzielt hätte.

 Deshalb ist es ein Hauptanliegen dieser Totalrevision, diesen sehr bewährten dringlichen, aber zeitlich begrenzten Bundesbeschluss über das
 Asylverfahren nun ins ordentliche Recht überzuführen.

 Es sind übrigens gerade diese unbestreitbaren Erfolge in der Asylpolitik gewesen, die es uns überhaupt ermöglicht haben, im
 Jugoslawienkonflikt eine grosszügige Aufnahmepolitik zu betreiben. Wenn wir diese Erfolge mit dem dringlichen Bundesbeschluss über das
 Asylverfahren nicht realisiert hätten, dann hätten wir während des Jugoslawienkonflikts nie 48 000 Menschen in unserem Lande Schutz
 gewähren können.

 Wir geben aber zu - das habe ich übrigens auch während der letztjährigen Abstimmungskampagne immer klargemacht -, dass es zu schön
 wäre, wenn wir keine Probleme mehr hätten. Wir haben Probleme. Wir haben sie vor allem beim Vollzug der Wegweisungen, und zwar zum
 einen gegenüber der Bundesrepublik Jugoslawien. Wir hoffen zwar, dass es mit dem Abkommen demnächst zu einem Durchbruch kommt; das
 ist ein eminentes und für den Bundesrat zurzeit das grösste Anliegen. Deshalb konzertieren wir auch im Bundesrat unsere Politik gegenüber der
 Bundesrepublik Jugoslawien, damit die Bundesrepublik dieses Abkommen nun wirklich unterzeichnet. Zum anderen haben wir wegen des immer
 wieder aufflackernden Bürgerkriegs auch Probleme bei der Rückführung nach Sri Lanka. Diese Probleme hängen aber nicht mit der Unfähigkeit
 unserer Asylpolitik zusammen, sondern entweder mit der politischen Lage in diesen Ländern oder - wie im Falle der Bundesrepublik Jugoslawien
 - mit klaren Völkerrechtsverletzungen. Darin liegt übrigens auch der einzige Grund, weshalb wir trotz starkem Rückgang der Zahl der
 Asylgesuche immer noch steigende Kosten aufzuweisen haben. Es ist uns einfach nicht in ausreichendem Masse gelungen, negative
 Asylentscheide auch tatsächlich zu vollziehen, vor allem in bezug auf die beiden genannten Länder.

 Warum eine Totalrevision? Eine Totalrevision schien uns nötig, weil wir - wie gesagt - erstens einmal den zeitlich begrenzten, sehr bewährten
 Bundesbeschluss über das Asylverfahren und den Bundesbeschluss über Sparmassnahmen im Asyl- und Ausländerbereich unbedingt ins
 ordentliche Recht überführen müssen. Im übrigen mussten wir bei der Vorbereitung feststellen, dass das Asylgesetz aus dem Jahre 1981 infolge
 von fünf Revisionen sehr unübersichtlich geworden und nicht mehr transparent ist. Ein unübersichtliches, nicht mehr transparentes Asylgesetz
 auf einem Gebiet, das bekanntlich auch bei unseren Bürgerinnen und Bürgern sehr viele Emotionen weckt, ist ein schlechtes Recht.

 Ich möchte nicht auf alle Neuerungen in diesem totalrevidierten Gesetz eingehen, sondern möchte mich nur noch kurz mit der Hauptneuerung,
 der Schaffung eines besonderen Status der vorübergehenden Schutzgewährung, auseinandersetzen:

 Herr Leuba hat zu Recht gesagt: Das sagt einem ja wirklich der "bon sens", also der gesunde Menschenverstand, dass auf diesem Gebiete
 etwas nicht mehr stimmt. Wenn Sie bedenken, dass im geltenden Recht diese kollektive oder auch die individuelle vorläufige Aufnahme nur eine
 Ersatzvornahme ist, wenn nach negativem Asylentscheid eine Rückführung nicht möglich, nicht zumutbar oder zulässig ist, dann macht es
 doch keinen Sinn, für Zehntausende von Leuten ein individuelles Asylverfahren durchzuführen, obwohl man von vornherein weiss, dass man die
 negativen Entscheide nicht vollziehen kann. Es begreift wirklich niemand, dass man im Bundesamt eine Wegweisungsverfügung erlässt und
 beinahe im gleichen Moment sagen muss, die Leute könnten natürlich trotzdem hierbleiben. Das ist doch ein kafkaesker Leerlauf, den wir hier
 betreiben! Ich darf das noch durch einige Zahlen untermauern: Bedenken Sie, dass seit Ausbruch des Krieges in Ex-Jugoslawien etwa 34 000
 Personen ein solches individuelles Asylverfahren durchlaufen haben, wobei wir immer von vornherein wussten, dass wir sie nicht zurückschicken
 konnten. Das hat doch mit effizienter Verwaltungsführung überhaupt nichts mehr zu tun. Daraus ersehen Sie auch, das vor allem in diesem
 Punkt eine grundlegende Gesetzesänderung unbedingt nötig ist.

 Wir haben festgestellt, dass seit dem Jahre 1986 bis heute etwa zwei Drittel aller Asylsuchenden aus Jugoslawien, der Türkei, Sri Lanka und
 Libanon stammten - also immer aus Ländern, wo Krieg oder Bürgerkrieg herrschte. Wir wussten, dass wir diese Leute - ganz unabhängig vom
 Resultat des individuellen Asylverfahrens - nachher nicht zurückschicken konnten. Deshalb macht eben dieser neue Status der vorübergehenden
 Schutzgewährung eminenten Sinn.

 Ich bin überzeugt: Unser Volk - das haben übrigens auch Abstimmungen gezeigt; ich komme nachher darauf zurück - will an der humanitären
 Asylpolitik festhalten. Aber unser Volk hat keinerlei Verständnis für Missbräuche, und es hat keinerlei Verständnis für administrative Leerläufe
 auf diesem Gebiet. Das ist das Anliegen dieser Revision.

 Aus diesem Grunde muss ich Sie dringend bitten, alle Rückweisungsanträge, die dieses totalrevidierte Gesetz nun auftrennen möchten,
 zurückzuweisen.

 Wenn wir in einem Land derartige Probleme haben wie im Asylbereich, dann müssen Sie als Gesetzgeber Ihre Verantwortung übernehmen und
 dann können Sie beispielsweise die Frage eines vorübergehenden Schutzes nicht einfach auf die lange Bank schieben. Wir kennen das
 Problem, wir haben jetzt lange genug Erfahrungen gemacht; jetzt müssen wir die Verantwortung übernehmen und entscheiden.

 Deshalb möchte ich Sie bitten, sowohl den Antrag de Dardel wie den Antrag Vollmer, aber auch den Antrag Steffen abzulehnen.

 Herr Steffen, selbst wenn man aus Ihrer als ungültig erklärten Initiative die Verletzungen des zwingenden Völkerrechtes herausnimmt, bleiben
 noch mehrere Dinge, die inakzeptabel sind. Wenn beispielsweise künftig nach Annahme dieser Initiative der Bund für den ganzen Vollzug der
 Wegweisungen hätte zuständig werden müssen, dann wären wir dazu schlicht nicht in der Lage gewesen. Wir hätten einen Riesenaufwand
 hinsichtlich der Rekrutierung von neuen Beamten betreiben und beim Bund eine eigene Vollzugsbehörde bereitstellen müssen; das hätte ja nicht
 der Sinn sein können, nachdem die Kantone bereits über die entsprechenden Verwaltungseinheiten verfügen. Kommt dazu, dass die Gemeinden
 künftig nicht mehr verpflichtet wären, ihren proportionalen Anteil an Asylbewerbern zu übernehmen; auch das würde in die Anarchie führen. Wir
 leben im Flüchtlingsbereich von dieser Solidarität aller Kantone und Gemeinden.

 Die Anliegen dieser Totalrevision des Asylgesetzes sind nämlich sehr leicht überschaubar. Es geht erstens um die Überführung des bewährten
 AVB ins ordentliche Recht, und es geht zweitens um eine beschränkte Zahl von Neuerungen. Die wichtigsten sind das neue Institut der
 vorübergehenden Schutzgewährung, die Einführung der notwendigen Datenschutzbestimmungen, die durchgehende Pauschalierung im
 Fürsorgebereich, damit wir möglichst Kosten sparen können, und die ausdrückliche Regelung des Flughafenverfahrens aufgrund eines
 Entscheides des Europäischen Gerichtshofes in Strassburg. Allgemein geht es um bessere Transparenz und Lesbarkeit dieses Gesetzes, das
 infolge von fünf Revisionen jede Übersichtlichkeit verloren hat.

 Natürlich war mir bewusst, dass man das Rad auch wieder neu erfinden kann, wenn man ein Gesetz totalrevidiert. Aber ich hoffe, Sie haben die
 Gnade, dass Sie das bewährte Recht in der Detailberatung nicht in Frage stellen, sondern dass Sie sich vor allem mit diesen rechtspolitischen
 Neuerungen auseinandersetzen.

 Ich komme auf den verflogenen asylpolitischen Konsens zurück: Mein Eindruck ist, dass der Konsens im Volk grösser ist als in diesem Rat,
 und zwar aufgrund zweier Abstimmungen, die wir hatten. Das Volk hat doch in den letzten beiden Jahren zwei ganz klare Signale gegeben: Das
 Volk hat anlässlich der Abstimmung über die SVP-Initiative gezeigt, dass es die humanitäre Asylpolitik aufrechterhalten will. Es hat mit der
 Annahme des Bundesgesetzes über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht ebenso klar gezeigt, dass Missbräuche konsequent bekämpft
 werden müssen. Halten Sie sich bitte als Vertreter des Volkes an diese Leitplanken; dann wird auch dieses Gesetz durchaus eine Chance
 haben.

 In diesem Sinne bitte ich Sie, auf die Vorlage einzutreten.

 Eintreten wird ohne Gegenantrag beschlossen

 L'entrée en matière est décidée sans opposition

 Erste Abstimmung - Premier vote

 Für den Antrag der demokratischen Fraktion 3 Stimmen

 Dagegen 147 Stimmen

 Zweite Abstimmung - Deuxième vote

 Für den Antrag de Dardel 40 Stimmen

 Dagegen 101 Stimmen

 Dritte Abstimmung - Troisième vote

 Für den Eventualantrag Vollmer 35 Stimmen

 Dagegen 107 Stimmen

 Präsidentin: Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben per Ordnungsantrag beschlossen, bis höchstens 19 Uhr zu tagen. Unter diesen
 Umständen ist es nicht sinnvoll, mit der Detailberatung eines solch umfassenden Gesetzes wie des Asylgesetzes zu beginnen. Wir werden die
 Detailberatung in der Herbstsession durchführen. Die OSZE-Präsidentschaft 1996:
Eine Herausforderung für die schweizerische Aussenpolitik

von Andreas Wenger und Christoph Breitenmoser

Anlässlich des Budapester Gipfeltreffens vom 5. Dezember 1994 wurde die Schweiz in die Führungstroika der Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vormals Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) gewählt.
Damit unterstützte unser Land in diesem Jahr zusammen mit Italien Ungarn in der Wahrnehmung der Präsidialverantwortung. Per 8.
Dezember 1995 wurde der Vorsitz für das kommende Jahr offiziell an die Schweiz übertragen. Mit dieser Aufgabe setzt unser Land sein
traditionelles Engagement im Rahmen dieser Organisation fort. Die OSZE ist für die Schweiz um so wichtiger, als sie die einzige
sicherheitspolitisch relevante Institution darstellt, in der unser Land gleichberechtigt partizipieren kann.

Das Mandat des Amtierenden Vorsitzenden überträgt der Schweiz die "Gesamtverantwortung für die ausführenden Tätigkeiten", das
heisst, unser Land übernimmt Steuerungs- und Lenkungsaufgaben innerhalb dieser gesamteuropäischen Sicherheitsorganisation. Die
Präsidentschaft der OSZE stellt nicht zuletzt deshalb eine besondere Herausforderung für die schweizerische Aussenpolitik dar, weil sich die
OSZE mitten in einem Institutionalisierungsprozess befindet.

Der epochale Umbruch 1989/1991 und die damit verbundene Überwindung der Konfrontation zwischen Ost und West sowie die
Bereitschaft der Schweiz zur Übernahme der OSZE-Präsidentschaft rücken sowohl den OSZE-Prozess an sich als auch die eigenen
Möglichkeiten der Schweiz im Rahmen dieser Organisation vermehrt in den Blickpunkt der aussenpolitischen Aufmerksamkeit.

Der vorliegende Artikel schildert in einem ersten deskriptiven Teil die Entwicklung von der "alten" KSZE zur "neuen" OSZE mit den
heutigen Institutionen. In einem zweiten analytischen Teil wird einerseits die Bedeutung der OSZE für die Schweiz erläutert und
andererseits auf die mit der Präsidentschaft im Jahr 1996 verbundenen Herausforderungen für die schweizerische Aussenpolitik
eingegangen. Namentlich soll dabei untersucht werden, welche Rahmenbedingungen vorgegeben sind und welche Handlungsfelder der
schweizerischen OSZE-Präsidentschaft offenstehen.(1)

1. Die "alte" KSZE Von multilateraler Konferenzdiplomatie zum KSZE-Prozess

Der Entwicklungsverlauf der KSZE/OSZE, ihre Form und Thematik lassen sich nicht von der Entwicklung des Ost-West-Konfliktes
trennen. Der Helsinki-Prozess widerspiegelt die politischen Verhältnisse, die in den letzten zwanzig Jahren die europäische Politik
grundlegend verändert haben. Eine kurze Darstellung der historischen Dimension des KSZE-Prozesses von seinen Ursprüngen bis zur
heutigen Ausgestaltung der OSZE sei daher der Diskussion künftiger Entwicklungsoptionen vorangestellt.

Im Verlauf der sechziger Jahre stiegen die Chancen für die Verwirklichung einer europäischen Neuordnung. Mit der Auflockerung der durch
den Kalten Krieg akzentuierten Interessenblockade zwischen den beiden in Europa engagierten Supermächten, der Sowjetunion und den
Vereinigten Staaten, deuteten sich Möglichkeiten der Überwindung des Konfrontationssystems zugunsten blockübergreifender, kooperativ
angelegter Strukturen im Sinne einer "antagonistischen Kooperation" an. Das Projekt einer Europäischen Sicherheitskonferenz war ab
Mitte der sechziger Jahre über ein Jahrzehnt lang das wichtigste Instrument multilateraler Entspannungspolitik in Europa. Im Beitrag der
einzelnen Akteure spiegelten sich jedoch unterschiedliche Motive und Interessen.(2)

Die Idee einer gesamteuropäischen Sicherheitskonferenz stammte ursprünglich von der Sowjetunion, die 1954 eine Initiative zur
Aushandlung eines kollektiven Sicherheitsvertrages lancierte. Weitere Vorstösse folgten in den sechziger Jahren mit der Bukarester
Deklaration des Warschauer Paktes (1966) und im Budapester Appell der Ostblockstaaten (1969). Das Hauptmotiv Moskaus für diese
diplomatischen Vorstösse war es, den territorialen Status quo, wie er sich nach dem Zweiten Weltkrieg herausgebildet hatte, zu
konsolidieren. Die westliche Seite blieb gegenüber diesen Initiativen anfänglich skeptisch: Sie sah in den sowjetischen Aktionen den
Versuch, die USA von ihren europäischen Verbündeten abzukoppeln. Auf der neuen konzeptionellen Grundlage des Harmel-Berichtes
über die künftigen Aufgaben der Nato (1967) der neben der Wahrung militärischer Stärke auch eine aktive Entspannungspolitik
propagierte begann die Nordatlantische Allianz die Frage einer europäischen Sicherheitskonferenz gleichwohl ernsthaft zu prüfen. Das
Signal von Tiflis (1971), in dem die östliche Seite die Bereitschaft zu den von den USA gewünschten Gesprächen über beiderseitige und
ausgewogene Truppenreduzierungen (MBFR)(3) erkennen liess, erfüllte eine wichtige Vorbedingung des Westens betreffend der
Gespräche über die konventionelle Abrüstung. Nach Abschluss der deutschen Ostverträge, des Grundlagenvertrages zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der DDR, des Vier-Mächte-Abkommens über Berlin und der erfolgreichen bilateralen Gespräche
zwischen den Grossmächten über die Begrenzung strategischer Rüstungen (SALT I)(4) in der Phase der Entspannung der frühen siebziger
Jahre konnten nach mehrjährigen bilateralen Sondierungen zwischen Ost und West nun die multilateralen Vorbereitungen zur Konferenz
über Sicherheit und Zusammenarbeit mit der Aussenministerkonferenz im Juli 1973 in Helsinki offiziell beginnen.

Die wichtigste Phase des beginnenden KSZE-Prozesses fand anschliessend von September 1973 bis Juli 1975 in Genf statt. In
langwierigen Kommissionsverhandlungen wurde um die Formulierung der KSZE-Schlussakte gerungen. Diese multilateralen Gespräche
waren geprägt vom Gegensatz zwischen den westlichen Staaten der Nordatlantischen Allianz und den Ländern des Warschauer Paktes.
Standen bei der UdSSR die Absicherung ihres Machtbereiches und die Entwicklung blockübergreifender Wirtschaftsbeziehungen im
Vordergrund, legten die westlichen Vertreter ihr Schwergewicht auf die Verankerung der Menschen- und Grundrechte und auf mehr
Freizügigkeit für Menschen und Information. Die Gruppe der Neutralen und Nichtpaktgebundenen Staaten (N+N), in welcher die
Schweiz eine zentrale Rolle innehatte, übernahm eine wichtige, in einigen Fragen mittels ihrer Kompromissvorschläge gar entscheidende
Katalysator-Funktion zwischen den beiden Blöcken. Ebenso wurden diesen Staaten gewisse Koordinationsaufgaben in den
KSZE-Verhandlungen zugewiesen. Die N+N-Staaten waren aber kein homogener Block zwischen Ost und West, sondern eine
nicht-institutionalisierte Gruppe zur Vertretung gemeinsamer Interessen. Der Charakter der N+N-Gruppe prägte sich je nach Sujet
unterschiedlich aus.(5)

Diese ersten Verhandlungen zwischen dem Osten und dem Westen über die verschiedensten Aspekte europäischer Sicherheit und
Zusammenarbeit führten schliesslich vor zwanzig Jahren am 1. August 1975 zur feierlichen Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki
durch die Staats- und Regierungschefs der beteiligten 35 europäischen Staaten. Die Schlussakte gilt als Basisdokument des
KSZE-Prozesses. In ihrer Systematik ist sie in vier Themenbereiche, die sogenannten "Körbe"(6), aufgeteilt: Korb I: Fragen der Sicherheit
in Europa; Korb II: Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Technik sowie Umwelt(7); Korb III:
Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen; Korb IV: Folgen der Konferenz. Das Herzstück der Schlussakte bildet aber
die Prinzipienerklärung der sogenannte "Dekalog" , auf deren Grundlage die Teilnehmerstaaten ihre Beziehungen zu gestalten versichern.(8)
Die Konferenzprinzipien der gleichberechtigten Teilnahme und der Beschlussfassung im Konsens(9)verliehen der Schlussakte erhebliches
politisches Gewicht, wenngleich der KSZE-Prozess bis heute keine unmittelbare völkerrechtliche Verbindlichkeit beinhaltet.(10) Die
eigentliche Leistung der Schlussakte lag in ihrer Konstruktion: In ihr wurden mit Ausnahme der Abrüstung und Rüstungskontrolle alle
gesamteuropäischen Konfliktthemen aufgelistet. Mit diesem Dokument wurde erstmals auf der Basis gemeinsam beschlossener normativer
Werte ein Konsenspapier über Form und Ziele der Entspannungspolitik ausgearbeitet, dem beide Seiten des geteilten Europas zustimmten.
Im Dokument über Vertrauensbildende Massnahmen wurden zudem erste konkrete Umsetzungen erreicht. Rückblickend erwies sich die
Schlussakte als brauchbarer Ausgangspunkt für weiterführende beiderseitige Annäherungen. Der Abschluss dieser ersten Etappe des
KSZE-Prozesses bildete 30 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges einen Höhepunkt der multilateralen Entspannungspolitik.

Auf der Grundlage der Helsinki-Schlussakte entwickelte sich fortan ein dynamischer Prozess mit Folgetreffen, an denen die Erfüllung der
Helsinki-Verpflichtungen überprüft und neue KSZE-Regeln verabschiedet wurden. Es folgten Konferenzen und Expertentreffen namentlich
über militärische Vertrauens- und Sicherheitsbildende Massnahmen und Abrüstung, über friedliche Streitbeilegung sowie über die
Menschliche Dimension. Während des ersten KSZE-Folgetreffens in Belgrad (1977-1978) konnte kein Konsens über die Fortschreibung
der Schlussakte erreicht werden. Hauptsächlich beschäftigte man sich mit dem wichtigsten politischen Aspekt, der Menschlichen Dimension,
hatte doch diese Frage an Brisanz gewonnen, da die KSZE für viele Menschenrechtsgruppierungen im Osten zum Symbol für ihren Einsatz
zugunsten der Menschenrechte und Grundfreiheiten geworden war.(11)

Die Verschlechterung der Ost-West-Beziehungen gegen Ende der siebziger Jahre (Afghanistan-Krieg; Kriegsrecht in Polen; Aufrüstung in
Ost und West) überschattete das zweite KSZE-Folgetreffen in Madrid (1980-1983). Nicht zuletzt dank der Bemühungen der
N+N-Staatengruppe konnte dennoch ein Teilerfolg erzielt werden: Das "Mandat von Madrid" begründete die Konferenz über Vertrauens-
und Sicherheitsbildende Massnahmen und Abrüstung in Europa (KVAE) in Stockholm (1984-1986).

Im Klima der "Perestroika" in der UdSSR und der sich verbessernden amerikanisch-sowjetischen Beziehungen zeichnete sich allmählich eine
Wende im politischen Handeln des Ostblocks ab, welche das Ergebnis des dritten KSZE-Folgetreffens in Wien (1986-1989) nachhaltig
beeinflusste und den Helsinki-Prozess mit einer neuen Dynamik versah. In allen drei Körben konnten wesentliche Fortschritte erzielt werden.
Erwähnenswert ist namentlich die Schaffung des Mechanismus der Menschlichen Dimension(12), mittels dessen die Einhaltung der
KSZE-Menschenrechtsverpflichtungen überprüft werden kann. Im Bereich der militärischen Sicherheit einigte man sich nicht nur auf weitere
Verhandlungen über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Massnahmen (VVSBM) zwischen allen Teilnehmerstaaten, sondern nahm
auch erstmals im KSZE-Rahmen Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa (VKSE) unter Beteiligung der
Mitgliedstaaten von Nato und Warschauer Pakt auf. Diese Verhandlungen resultierten 1990 schliesslich im Vertrag über konventionelle
Streitkräfte in Europa (KSE I), der die Nato und den Warschauer Pakt zu festen Obergrenzen wesentlicher Hauptwaffensysteme
verpflichtete, und 1992 in der Abschliessenden Akte der Verhandlungen über Personalstärken (KSE Ia), welche die Mannstärke der
Vertragspartner festsetzte. Überdies wurden anlässlich des Wiener Folgetreffens weitere Konferenzen und Expertentreffen zu verschiedenen
Themen anberaumt (Menschliche Dimension; Information; Friedliche Streitbeilegung; Wirtschaftliche Zusammenarbeit; Umweltschutz;
Mittelmeerraum).

2. Die "neue" KSZE Institutionalisierung nach dem strategischen Umbruch

Als Forum des Dialogs zwischen Ost und West leistete die KSZE einen wesentlichen Beitrag zur Überwindung der Blockkonfrontation und
zum Wandel in Mittel- und Osteuropa seit 1989.(13) Ihre ursprüngliche Aufgabe des Brückenschlages zwischen Ost und West war durch
die Wende erfüllt. Welche Rolle der OSZE im neuen europäischen Sicherheitsarrangement im Umfeld der sich gegenseitig verstärkenden
Sicherheitsinstitutionen heute zukommt, ist noch nicht definiert. Dafür sind die Einschätzungen der Teilnehmerstaaten zu verschieden. Die
Weiterentwicklung hängt indes nicht nur von der OSZE allein ab, sondern auch von der Dynamik anderer sicherheitspolitisch relevanter
Organisationen in Europa. Mit der Eindämmung inner- und zwischenstaatlicher Konflikte, dem Aufbau demokratischer Strukturen, einem
wirksamen Minderheitenschutz und der kollektiven Sicherheit befassen sich auch die Uno, die Nato mit dem Nordatlantischen
Kooperationsrat (NACC) und der Initiative "Partnerschaft für den Frieden" (PfP), die EU und die WEU.

Aussagen von der angeblichen Bedeutungslosigkeit der OSZE heute basieren auf der Prämisse der "Militarisierung" des politischen Denkens
in einem von militärischen Konflikten beherrschten Umfeld, die im Zuge des Jugoslawienkonfliktes neuen Auftrieb erhalten hat. Das
Leistungsprofil der OSZE, welche das Schwergewicht ihrer operativen Tätigkeiten auf die von aussen so wenig nachvollziehbare stille
Diplomatie legt, wird dadurch ignoriert. Die OSZE ist kein Instrument der Macht- oder Interessenprojektion. Sie setzt auf Stabilisierung von
innen mittels "weicher" Instrumente wie Diplomatie, Gute Dienste, Wirtschaftskooperation und Hilfe beim Aufbau demokratischer,
rechtlicher, marktwirtschaftlicher und sozialer Strukturen. Sie ist ein Forum des Dialogs oder wie sie auch bezeichnet wird, eine "Schule der
Empathie".(14)

Mit der Charta von Paris für ein neues Europa (1990) bekräftigten die 34 KSZE-Teilnehmerstaaten(15)die einschneidenden
Veränderungen in Europa. Die Charta betont die Gemeinsamkeit der Werte, die von "Vancouver bis Wladiwostok" Gültigkeit besitzen. Sie
widerspiegelt als zeitgemässe Fortsetzung der Schlussakte von Helsinki den Optimismus der Wende: Das Dokument erklärt die
Konfrontation zwischen Ost und West für beendet. Die Mitgliedstaaten bekennen sich darin zur Achtung der Menschenrechte, zur
pluralistischen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, zur Förderung freundschaftlicher Beziehungen untereinander und zur Marktwirtschaft.
Eine massvolle Institutionalisierung des KSZE-Prozesses nahm in Paris ihren Anfang. Zwei politische Organe wurden in Form des
KSZE-Rates der Aussenminister (heute: Ministerrat) und des Ausschusses Hoher Beamter geschaffen; als permanente Institutionen wurden
ein Sekretariat in Prag, das Büro für freie Wahlen in Warschau (heute: Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte) sowie
das Konfliktverhütungszentrum in Wien errichtet. In der Charta von Paris sprechen sich die Regierungen auch für die Einrichtung einer
Parlamentarischen Versammlung aus.

Der Teilnehmerkreis der KSZE wurde im Gefolge der gewaltigen Umwälzungen in Europa, namentlich der Auflösung der Sowjetunion, seit
1990 beträchtlich erweitert auf heute 53 Mitgliedstaaten: Albanien trat 1991 als letztes europäisches Land, das sich seit den Anfängen der
Sicherheitskonferenz ferngehalten hatte, der KSZE bei; ebenfalls 1991 wurden die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen
nach Erlangung ihrer Unabhängigkeit zu neuen Mitgliedern; Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Slowenien wurden nach der Auflösung
des jugoslawischen Staatenverbandes 1992 neu aufgenommen; Mazedonien nahm erst vor kurzem, im Oktober 1995, als Teilnehmerstaat
Einsitz; Restjugoslawien (Serbien-Montenegro) ist seit 1992 suspendiert; die zwölf Nachfolgestaaten der UdSSR nehmen seit 1992 an der
KSZE teil: Russland, Ukraine, Weissrussland, Moldawien, die Kaukasusstaaten Georgien, Armenien und Aserbeidschan und die
zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan; und seit der Auflösung der CSFR per
1993 nehmen neu die Tschechische Republik und die Slowakische Republik teil.(16)

Grundsätzlich waren sich die Teilnehmerstaaten nach dem Umbruch 1989/91 bald einmal einig, dass die KSZE über die Funktion eines
Dialogforums hinaus eine politische Führungsaufgabe in bezug auf die Sicherheit in Europa übernehmen sollte. Gleichwohl waren aber für
eine angemessene Antwort auf den ausbrechenden Jugoslawienkonflikt noch keine operationellen Mittel vorhanden. Vor dem Hintergrund
zunehmender Krisen und Konflikte in Europa, vor allem im ehemaligen Jugoslawien, aber auch im Kaukasus, verstärkte die KSZE auf ihrem
Folgetreffen von Helsinki (1992) ihre operationellen Instrumente in den Bereichen vorbeugende Massnahmen, Konfliktverhütung,
politische Krisenbewältigung einschliesslich Erkundungs- und Berichterstattermissionen sowie Friedenserhaltung und friedliche
Streitbeilegung. Überdies schuf sie die Möglichkeit, eigene Peacekeeping-Operationen durchzuführen. So besteht nun ein ganzes Set von
Mechanismen bezüglich der Konfliktprävention, des Konfliktmanagements und der Konfliktlösung. Weiter erklärten die Staats- und
Regierungschefs die KSZE zu einer "regionalen Abmachung" der Vereinten Nationen gemäss Kapitel VIII der Uno-Charta, um so den
Charakter der KSZE als wichtiges Bindeglied zwischen europäischer und globaler Sicherheit zu betonen und eine Zusammenarbeit mit der
Uno im Bereich der Verhütung und Beilegung von Konflikten anzustreben. Die bisher getrennt verlaufenen Verhandlungen zur
Rüstungskontrolle und Abrüstung, zur Konfliktverhütung sowie zu Vertrauens- und Sicherheitsbildenden Massnahmen wurden
zusammengeführt. Damit verbindet die OSZE in diesen Bereichen heute alle Teilnehmerstaaten, nachdem an den VKSE nur Nato- und
Warschauer Pakt-Staaten teilgenommen haben. Die begonnene Institutionalisierung wurde mit der Einsetzung eines Hochkommissars für
nationale Minderheiten, der Schaffung eines Forums für Sicherheitskooperation und der Bildung eines Vergleichs- und
Schiedsgerichtshofes weitergeführt.

In der gegenwärtigen Phase wird die Konferenz konfrontiert mit neuen sicherheitspolitischen Risiken und gesamteuropäischen Ansprüchen
anderer sicherheitspolitischer Organisationen. An der Budapester Überprüfungskonferenz (1994) wurden die Strukturen konsolidiert, was
augenscheinlich auch in der neuen Namengebung zum Ausdruck kommt: Seit dem 1. Januar 1995 nennt sie sich Organisation für Sicherheit
und Zusammenarbeit (OSZE). Eine weitergehende institutionelle Stärkung konnte hingegen nicht erreicht werden. Die Erklärung zum
Bosnien-Krieg endete im Streit um die Bezeichnung des Aggressors. Grundsätzlich beschlossen wurde aber eine Peacekeeping-Einheit für
Nagorny-Karabach. Falls diese entsendet wird, würde die OSZE neben ihren traditionellen Schwerpunkten Konfliktverhütung und
Präventivdiplomatie auch im Bereich des Krisenmanagements aktiv.

2.1. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

Ursprünglich aus unregelmässig durchgeführten Konferenzen, Expertentreffen und Seminaren entstanden, bildet die OSZE heute eine
übernationale Organisation mit festen Institutionen und Verfahren. Dabei sind drei verschiedene Organe zu unterscheiden: politische,
administrative und spezialisierte Institutionen.

Höchste Instanz der politischen Organe sind die Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs, wo die politischen Richtlinien und die
prioritären Aufgaben der OSZE festgelegt werden. Sie markieren den abschliessenden Höhepunkt der alle zwei Jahre stattfindenden etwa
dreimonatigen Folgetreffen seit 1992 "Überprüfungskonferenzen" genannt , an denen die Aktivitäten der OSZE überprüft und weitere
Schritte zur Stärkung des OSZE-Prozesses in Aussicht gestellt werden. Die Ergebnisse werden in einem Schlussdokument festgehalten. Das
nächste Treffen der Staats- und Regierungschefs ist für 1996 in Lissabon vorgesehen. Der Ministerrat (ehemals KSZE-Rat der
Aussenminister) stellt das zentrale Beschluss- und Leitungsgremium dar und bildet ein Forum für politische Konsultationen. In der Regel tritt
er einmal jährlich auf der Ebene der Aussenminister zusammen. Alle zwei Jahre bestreitet der Ministerrat die Überprüfungskonferenz. Der
Hohe Rat besteht aus leitenden Beamten der Aussenministerien aller Mitgliedstaaten, die für die Leitung und Koordination der
OSZE-Geschäfte zwischen den Ministerratstagungen verantwortlich sind. Im gesamten System der Frühwarnung, der vorbeugenden
Diplomatie, der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung kommt diesem eine besondere Rolle zu. Von ihm werden auch die
Haushaltsrichtlinien festgelegt. Er tritt mindestens zweimal jährlich in Prag und vor den Sitzungen des Ministerrats zusammen. Als zentrales
permanentes Forum dient der 1993 geschaffene, wöchentlich tagende Ständige Rat in Wien. Für die täglichen operativen Aufgaben bildet
er das zuständige Gremium für politische Konsultationen und operationelle Beschlüsse. Diese reichen von der Frühwarnung über das
Ergreifen präventiver Massnahmen, das Krisenmanagement und die Entsendung von Langzeitmissionen bis hin zu praktischen, auch
administrativen Fragen.

                                                   Als Verwaltungsorgan zur Unterstützung der politischen Gremien ist in
                                                   Wien ein Sekretariat unter der Leitung eines für drei Jahre gewählten
                                                   Generalsekretärs (seit Mai 1993 der deutsche Diplomat Wilhelm
                                                   Höynck) geschaffen worden. Dieser ist höchster Verwaltungsbeamter
                                                   und handelt als Vertreter des Vorsitzenden der OSZE. Seine
                                                   Hauptaufgabe besteht insbesondere darin, den Amtierenden
                                                   Vorsitzenden administrativ zu unterstützen. Das Sekretariat umfasst unter
                                                   anderem eine Abteilung "Unterstützung" für das OSZE-Präsidialland.
                                                   Ferner unterhält es als Aussenstelle in Prag ein Büro. Im Gegensatz zu
                                                   anderen internationalen Organisationen spielt die Bürokratie der OSZE
                                                   keine eigene politische Rolle.

                                                   Daneben existieren verschiedene spezialisierte Organe: Das Büro für
                                                   Demokratische Institutionen und Menschenrechte in Warschau ist die
                                                   Hauptinstitution für die Menschliche Dimension. Es überwacht die
                                                   menschenrechtlich relevanten OSZE-Verpflichtungen, organisiert
                                                   Wahlbeobachtungen und führt Seminare zu menschenrechtlichen Fragen
                                                   der Demokratisierung und der Konsolidierung des Rechtsstaates durch.
                                                   Der Hochkommissar für nationale Minderheiten arbeitet unter der
                                                   Ägide des Hohen Rates und befasst sich in stiller Diplomatie mit
                                                   Minderheitenkonflikten im OSZE-Raum. Er unterhält ein kleines
                                                   Sekretariat in Den Haag. Das Forum für Sicherheitskooperation in
                                                   Wien dient als Plattform im militär- und sicherheitspolitischen Bereich,
                                                   namentlich für Rüstungskontrolle, Abrüstung und Vertrauens- und
                                                   Sicherheitsbildung, Fragen der Rüstungskonversion, Regelung über
                                                   Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen und Waffentransfer.
                                                   Das Konfliktverhütungszentrum in Wien wirkt bei der Durchführung
                                                   der Vertrauens- und Sicherheitsbildenden Massnahmen mit und darf
                                                   Ermittlungs-, Berichterstatter- und Beobachtermissionen durchführen. In
                                                   Zukunft können dem Konfliktverhütungszentrum auch Aufgaben im
                                                   Hinblick auf Streitschlichtungsverfahren und im Zusammenhang mit der
                                                   Beilegung von Streitfällen übertragen werden.

                                                   Der Vergleichs- und Schiedsgerichtshof mit Sitz in Genf hat in
                                                   Weiterentwicklung der Mechanismen der friedlichen Regelung von
Streitigkeiten(17)die Aufgabe, ihm vorgelegte zwischenstaatliche Streitigkeiten mittels eines Vergleichs- und Schiedsverfahren zu
bearbeiten.

Die Parlamentarische Versammlung mit 245 Mitgliedern aller OSZE-Teilnehmerstaaten soll die Umsetzung der Prinzipien bewerten und
Vorschläge erarbeiten, die sie mit Mehrheit beschliesst. Sie tagt seit Mitte 1992 jährlich, hat aber bisher keine Entscheidungsbefugnisse.

2.2. Instrumentarium im Bereich der Konfliktverhütung und Friedenserhaltung

Die OSZE erachtet ihre Verpflichtung, Streitigkeiten unter den Teilnehmerstaaten mit friedlichen Mitteln zu regeln und den Frieden zu
wahren, als einen Eckstein ihrer Tätigkeit. Entsprechend widmet sie ein grosses Mass ihrer Aufmerksamkeit der Bereitstellung
diesbezüglicher Instrumentarien.

Bis zum Ende des Ost-West-Gegensatzes waren die Möglichkeiten der KSZE-Mitgliedstaaten, auf zwischenstaatliche Krisen und Konflikte
zu reagieren, bescheiden. Die sicherheitspolitische Dimension der "alten" KSZE war auf den "Wohlverhaltenskodex" des Prinzipienkatalogs
und die Vereinbarungen von Vertrauens- und Sicherheitsbildenden Massnahmen beschränkt. Obwohl die Vereinbarungen über VSBM in
den Wiener Dokumenten von 1990, 1992 und 1994 noch weiter verfeinert wurden und eigens auch ein Militärischer
Krisenmechanismus(18)geschaffen wurde, haben diese Instrumente in der heutigen veränderten Konfliktlandschaft an Bedeutung
eingebüsst.

Anlässlich des Helsinki II-Folgetreffens von 1992 wurden Instrumente für die Konfliktverhütung und die Friedenserhaltung der OSZE
geschaffen. Die für den OSZE-Raum vorgesehenen Konzepte beinhalten einen breiten Zugriff auf verschiedene Mittel. Im Sinne von
präventiven Massnahmen und Frühwarnung sind für Situationen, die ein Konfliktpotential in sich bergen, folgende Instrumente
vorgesehen: Aktivitäten des Hochkommissars für nationale Minderheiten, der unparteiisch, vertraulich und eng mit den Parteien
zusammenarbeitet; regelmässige politische Konsultationen; Treffen zur Überprüfung der Einhaltung von OSZE-Verpflichtungen und die
Erforschung der Ursachen von Spannungen im OSZE-Raum. Auch die Mechanismen der friedlichen Streitbeilegung sind Teil der
präventivdiplomatischen Mittel.

Verschärft sich die Lage weiter, werden durch die politischen Instanzen Hoher Rat und Ständiger Rat Massnahmen der politischen
Krisenbewältigung ergriffen, um die Voraussetzung für eine friedliche Lösung des Streitfalles zu schaffen. Hierzu dienen die Errichtung eines
Verhandlungsrahmens wie "Runde Tische", Wahrnehmung Guter Dienste, Förderung von Vermittlungsverfahren und namentlich die
Entsendung von Berichterstatter- und Erkundungsmissionen, kurzzeitig oder auf der Basis von Langzeitmissionen.(19) Aufgabe der
Langzeitmissionen ist es, für eine objektive Berichterstattung über Vorfälle aller Art zu sorgen, den Dialog zwischen den beteiligten Akteuren
sicherzustellen sowie diese namentlich im Bereich der Menschenrechte zu beraten. In enger Zusammenarbeit mit der EU setzt die OSZE
auch in Form der Sanktionsüberwachungs-Mission(20)die Blockade gegenüber Serbien-Montenegro durch, indem sie die Behörden der
Nachbarstaaten Restjugoslawiens bei der Durchsetzung der Uno-Sanktionen unterstützt.

In "schwerwiegenden und dringlichen Situationen" kommt der politische Dringlichkeitsmechanismus(21)zur Anwendung. Er sieht
politische Konsultationen vor, die durch Empfehlungen zur Lösung des Konfliktes beitragen sollen.

Schliesslich sind auch friedenserhaltende Massnahmen unter der operativen Leitung der OSZE vorgesehen, welche die politischen
Lösungsbemühungen ergänzen. Sie bestehen in der Entsendung von zivilem oder militärischem Personal und umfassen das Spektrum von
Erkundungs- und Berichterstattermissionen über Beobachter- und Überwachungsmissionen bis zum Einsatz grösserer Streitkräfte.
Aufgabengebiete sind die Überwachung von Waffenstillständen und Truppenrückzügen, die Unterstützung bei der Wahrung von Recht und
Ordnung sowie die Leistung humanitärer Hilfe und Betreuung von Flüchtlingen. Zwangsmassnahmen sind keine vorgesehen.(22)

Eine brisante Weiterentwicklung erfuhr das friedenserhaltende Instrumentarium durch die Initiative Russlands im Jahre 1993, seine im "nahen
Ausland", sprich auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR stehenden Truppen als Peacekeeping-Truppen der OSZE anerkennen zu lassen.
Anlässlich des Römer Ministerratstreffens (1993) erklärte sich die OSZE unter verschiedenen Bedingungen bereit, Drittparteien die
Durchführung von friedenserhaltenden Massnahmen zu übertragen. Die vorgesehene Grundsatzvereinbarung konnte aber am Budapester
Gipfeltreffen im vergangenen Jahr nicht verabschiedet werden.

2.3. Das Mandat des Amtierenden Vorsitzenden

Die zunehmenden operationellen Aktivitäten der OSZE erforderten ein Handlungszentrum, das die notwendigen Steuerungs- und
Lenkungsaufgaben übernimmt. Erstmals erwähnt wurde diese Funktion in Form des sogenannten "Amtierenden Vorsitzenden"
(Chairman-in-Office) 1990 in Paris vor dem Hintergrund des beginnenden Institutionalisierungsprozesses. Dieses Präsidialmandat wird
jeweils während eines Kalenderjahres vom Aussenminister des Vorsitzlandes ausgeübt. So wie die OSZE gesamthaft seit Anfang der
neunziger Jahre einem verstärkten institutionalisierten Entwicklungsverlauf unterliegt, hat sich auch der Aufgabenbereich des Vorsitzenden
gewandelt. Dabei hat das Mandat laufend an Profil und Gewicht gewonnen, so dass heute von einer umfassenden Kompetenz- und
Gestaltungsfülle seitens des Amtierenden Vorsitzenden gesprochen werden kann. Die Definition des Präsidentschaftsmandates hat in der
Erklärung des Budapester Gipfeltreffens (1994) den vorläufigen Höhepunkt erreicht, indem die "Gesamtverantwortung für die
ausführenden Tätigkeiten der OSZE" an den Amtierenden Vorsitzenden delegiert worden ist. Grundsätzlich obliegen dem Vorsitzenden
drei spezifische Aufgabenbereiche, die ihn politisch in den Mittelpunkt des OSZE-Geschehens rücken:

     Erstens nimmt er im Falle eines drohenden oder akuten Konfliktes die wichtige, aber auch schwierige Rolle des Vermittlers wahr.
     Dabei kommt ihm insofern eine Schlüsselrolle zu, als er die ersten Initiativen in Richtung einer Konfliktbearbeitung ergreifen sowie im
     Namen der Gesamtorganisation Erklärungen abgeben und persönliche Vertreter in das Konfliktgebiet entsenden kann. Er spielt auch
     eine wichtige Rolle bei der Durchführung der OSZE-Mechanismen (insbesondere dem Berliner Dringlichkeitsmechanismus). Im
     Bereich der Präventivdiplomatie sind der Präsidentschaft die operationelle Verantwortung für die OSZE-Missionen und die
     präventivdiplomatischen Massnahmen übertragen. Diese Freiheit des Handelns im Bereich der Konfliktverhütung und
     Krisenbewältigung ist um so wertvoller, als der multilaterale Prozess der OSZE eine gewisse Zeit braucht, um konsensreife
     Aktivitäten zu entfalten.
     Zweitens beinhaltet die Funktion des Vorsitzenden die Leitung und Koordination der gesamten Tätigkeiten der Organisation. Der
     Vorsitz ist für alle politischen Konsultationen innerhalb der OSZE Dreh- und Angelpunkt: So werden die wichtigen Gremien
     Ministerrat, Hoher Rat und Ständiger Rat vom Amtierenden Vorsitzenden geleitet. Dabei ist er für die Meinungsbildung, Herstellung
     und Konsolidierung des Konsenses innerhalb der Gemeinschaft zuständig. Ebenfalls zeichnet er für die Vorbereitung der
     OSZE-Konferenzen und die Erarbeitung langfristiger Arbeitsprogramme verantwortlich.
     Drittens ist das Präsidialland für die Repräsentation der OSZE nach aussen zuständig. Einerseits sind die Beziehungen zu den
     Partnern (internationale Organisationen, nichtteilnehmende Drittstaaten und NGOs) der OSZE sicherzustellen. Andererseits gehört
     der äusserst wichtige Kontakt zu den Medien und der Öffentlichkeit in das Pflichtenheft des Vorsitzenden.(23)

In Ausübung dieser Aufgaben wird das Präsidialland vom Vorgänger und Nachfolger, die zusammen die Troika bilden, und vom
Generalsekretariat begleitet. Die Troika wurde auf dem Helsinki-Gipfel (1992) geschaffen. Sie hat an Bedeutung gewonnen, stellt sie doch
nicht nur ein Beratungsforum des Präsidenten dar, sondern ihre Mitglieder handeln auch gemeinsam als Repräsentanten der OSZE bei
Kontakten mit anderen Organisationen und geben zuweilen sogar gemeinsame politische Erklärungen ab. Im Bereich der Konfliktverhütung,
der Krisenbewältigung und der Lösung von Streitfällen wird der Amtierende Vorsitzende ferner von Ad hoc-Lenkungsgruppen unterstützt,
die im Bedarfsfall vom Ministerrat oder vom Hohen Rat eingesetzt werden können. Das Präsidialland kann zu seiner Unterstützung und auf
seine Verantwortung persönliche Vertreter mit einem präzisen Mandat für einzelne Krisen oder Konflikte beauftragen.

Die Institution des Vorsitzenden hat sich in den vergangenen vier Jahren ausgesprochen konstruktiv weiterentwickelt. Die grosszügige
Umschreibung des Mandates erlaubt es dem jeweiligen Vorsitzenden, sein Amt mit Eigeninitiative und Gestaltungswillen auszufüllen. Die
äusseren Umstände erforderten bei der ersten von Deutschland ausgeübten Präsidentschaft (1991) ein aktives Handeln. Diese Phase war
denn auch gekennzeichnet durch Erfahrungen mit dem Berliner Krisenmechanismus in Jugoslawien und durch politische Konsultationen im
Zusammenhang mit der Ausdehnung des Mitgliederkreises der KSZE insbesondere durch die Aufnahme der GUS-Staaten. Im
tschechoslowakischen Vorsitzjahr (1992) wurden Beobachtermissionen in neue Mitgliedstaaten durchgeführt und umfassende Aufgaben im
Bereich des Krisenmanagements übernommen. Im Schlussdokument von Helsinki II (1992) wurde der Verantwortungsbereich des
Vorsitzenden näher definiert. Mit der Umschreibung der Aufgaben "Koordination und Konsultation über laufende KSZE-Angelegenheiten"
wurde die Institutionalisierung der Präsidialverantwortung ausgeweitet. Schweden setzte 1993 den so erweiterten Handlungsspielraum der
Präsidialfunktion mit grossem Engagement in den folgenden Bereichen um: Unterstützung der Feldmissionen; Kontakt mit der Uno und
anderen internationalen Organisationen; Koordination des politischen Konsultationsprozesses und Vorbereitung von Entscheidungen;
Integration der neuen Teilnehmerstaaten. Der italienische Vorsitz (1994) übernahm die Verantwortung der Aussenkontakte zu
Nicht-Teilnehmerstaaten und sprach ein gewichtiges Wort mit bei der Bestellung von höheren OSZE-Beamten. Diese Präsidentschaft
mündete schliesslich in die oben genannte Gipfelerklärung von Budapest, mit der die "Gesamtverantwortung für die ausführenden
Tätigkeiten" an den Amtierenden Vorsitzenden übergeben wurde. Die ungarischen Mandatsträger nutzten die erweiterten Möglichkeiten
1995 geschickt aus, im speziellen in bezug auf das Krisenmanagement. Für die Lancierung einer Initiative zur Konfliktbewältigung dient die
Vorgehensweise des gegenwärtigen Vorsitzenden Ungarn bezüglich des Krieges in Tschetschenien als gutes Beispiel.

3. Leistungsprofil der OSZE

Grundsätzlich herrscht unter den Teilnehmerstaaten der OSZE weitgehender Konsens über die komparativen Vorteile dieser
Sicherheitsorganisation, wenngleich die Einschätzungen über die zukünftige Rolle der OSZE in der europäischen Sicherheitsarchitektur
unterschiedlich ausfallen.

Auf der Seite der Stärken ist die Tatsache zu nennen, dass die OSZE eine Wertegemeinschaft von 53 Staaten darstellt, die ihre
Beziehungen auf der Grundlage demokratischer Normen zu gestalten gewillt sind. Aus sicherheitspolitischer Sicht ist namentlich zu betonen,
dass der OSZE ein umfassendes Sicherheitsverständnis zugrunde liegt, das auf militärischem Vertrauen, wirtschaftlicher Entwicklung,
sozialer Gerechtigkeit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie auf der Achtung der Menschenrechte und dem Schutz der Minderheiten
basiert. Weiter stellt die OSZE institutionell das einzige paneuropäische Kooperations- und Konsultationsforum dar, das alle Staaten
von Vancouver bis Wladiwostok umfasst und insbesondere Russland in die europäische Sicherheitsstruktur einbindet. Ferner ist sie
grundsätzlich als regionale Abmachung der Uno im Sinne des Kapitels VIII der Charta der Vereinten Nationen anerkannt.

Bezüglich ihrer operativen Tätigkeiten hat die OSZE Konzepte, Methoden und Mechanismen entwickelt mit dem Ziel, den Ausbruch
bewaffneter Konflikte durch präventivdiplomatische Massnahmen zu verhüten. Mit der Anwendung eines breiten Sets an Instrumenten
sollen politische Krisen bewältigt werden und die Voraussetzungen für eine friedliche Lösung von Konflikten geschaffen werden. Dabei
erfährt die OSZE mit den im Konsensprinzip gefällten Beschlüssen und der gleichberechtigten Teilnahme aller Mitgliedstaaten eine
besondere Legitimation.(24) Auch besitzt die OSZE eine schlanke bürokratische Struktur, die eine flexible Aktivierung der
operationellen Mittel gewährleistet.

Als Schwächen der OSZE sind folgende Einschränkungen anzuführen, welche die Aktionsfähigkeiten dieser internationalen Organisation
zum Teil entscheidend hemmen: Die OSZE verfügt über keine eigenen Macht- und Sanktionsmittel, mit denen sie ihren Forderungen
Nachdruck verleihen könnte. Der OSZE werden gegenwärtig auch zuwenig finanzielle und personelle Ressourcen(25)zugestanden, da
der politische Wille der Mehrheit der Mitgliedstaaten fehlt, die OSZE zu einer machtvollen Institution auszugestalten. Zu stark sind noch die
unterschiedlichen Meinungen der Teilnehmerstaaten über die zukünftige Rolle der OSZE im Verbund der europäischen
Sicherheitsorganisationen. Die OSZE kann also nur so stark sein, wie es ihre Mitglieder, die zugleich auch in anderen Organisationen mit Sitz
und Stimme vertreten sind, zulassen. Die Wahrnehmung des umfangreichen Aufgabenkataloges hängt wesentlich von der politischen
Unterstützung durch die Teilnehmerstaaten ab. Trotz der Intensivierung der Kontakte und der Zusammenarbeit mit anderen Organisationen
fehlt gerade auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik eine feinere Abstimmung mit den anderen für Europa relevanten Institutionen. Und
schliesslich: Da die Mittel und Methoden der OSZE wenig spektakulär, das heisst wenig "telegen" sind, wird die OSZE von der
Öffentlichkeit nur marginal wahrgenommen.

4. Bedeutung der OSZE für die schweizerische Aussenpolitik

4.1. Aktives Engagement der Schweiz seit den Anfängen

Für die Aussenpolitik der Schweiz stellte die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa schon zu Beginn des
Helsinki-Prozesses eine Herausforderung dar.(26) Insofern kann die heutige Situation durchaus mit der aussenpolitischen Konstellation
Anfang der siebziger Jahre verglichen werden. Damals erfuhr die Einstellung der Schweiz gegenüber der KSZE im Kontext einer
allgemeinen Dynamisierung ihrer Aussenbeziehungen einen merklichen Wandel: Von einer anfänglich skeptischen Grundhaltung vor der
Einberufung der Sicherheitskonferenz zu einem aktiven Engagement innerhalb des Helsinki-Prozesses. Diese aktive Teilnahme kann als
herausragendes Element der schweizerischen Aussenpolitik der siebziger Jahre bezeichnet werden. Die Schweiz wirkte als Teilnehmerstaat
und als Gastgeberin für einzelne Treffen massgeblich mit am KSZE-Prozess. Ihr Beitrag bestand einerseits in konkreten Vorschlägen zu
einzelnen Themen, andererseits in ihrer Vermittler- und Koordinationsfunktion als Mitglied der N+N-Gruppe.

Bereits in der Schlussakte von Helsinki 1975 figurieren zwei auf schweizerische Initiative zurückgehende Vorschläge. Zum einen anerkennt
das Prinzip I unter anderem ausdrücklich das Recht der Teilnehmerstaaten auf Neutralität. Zum anderen fand in Prinzip V die
schweizerische Initiative für ein System der friedlichen Streitbeilegung Aufnahme. Dieser Politikbereich stellt bis heute ein hauptsächliches
Aktionsfeld der schweizerischen KSZE-Politik dar. Dabei handelt es sich um eine Konstante der schweizerischen Aussenpolitik, ist die
Schweiz doch stets für Verfahren der friedlichen Streiterledigung im bi- und multilateralen Rahmen eingetreten, die den Beizug einer
Drittpartei vorsehen.(27) Funktion solcher Verfahren ist es, das Gewaltverbot komplementär zu ergänzen; wenn die Anwendung von
Gewalt zur Regelung von Konflikten verboten ist, so ist es unabdingbar, den Staaten Mechanismen zu deren friedlichen Beilegung zur
Verfügung zu stellen.

Obwohl der sogenannte "Bindschedler-Vorschlag"(28) der Schweiz in den Verhandlungen zur Schlussakte von Helsinki wegen des
schiedsgerichtlichen Obligatoriums als zu weitgehend beurteilt wurde, diente er als Richtlinie für die nachfolgenden Bemühungen zur
Verwirklichung dieses Prinzips: Expertentreffen in Montreux (1978) und Athen (1984), Valetta-Mechanismus (1991) und Genfer
Expertentreffen (1992) sowie die darauffolgende Implementierung des Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren
innerhalb der KSZE (Konvention von Stockholm 1992).(29) Der entsprechende Vergleichs- und Schiedsgerichtshof hat sich in diesem
Jahr in Genf konstituiert. Er ist die erste OSZE-Institution mit Sitz in der Schweiz.(30) Nicht zuletzt dank der hartnäckigen schweizerischen
Diplomatie konnte nach knapp zwanzigjährigem Ringen das Prinzip der friedlichen Streitbeilegung nun verwirklicht werden.

Ein zweites wichtiges Tätigkeitsfeld der Schweiz war von Anfang an die Menschliche Dimension. So setzte sich unser Land in neuerer Zeit
insbesondere am Berner Treffen über Menschliche Kontakte (1986) mit anderen neutralen Staaten für Familienzusammenführungen und
für Kontakte im religiösen Bereich ein. Ebenso befürwortete die Schweiz einen regeren Informationsaustausch und namentlich bessere
Arbeitsbedingungen für Journalisten im Ausland. Ebenfalls auf eine schweizerische Initiative zurück geht das Expertentreffen über
nationale Minderheiten in Genf (1991).

Die Beteiligung der Schweiz an den sicherheitspolitischen Bemühungen der OSZE um Vertrauensbildung und Schaffung von Sicherheit und
Stabilität in Europa gibt ihr die Gelegenheit zur Darstellung ihrer Sicherheitspolitik. So hob die Schweiz im Rahmen der
KVAE-Verhandlungen (1984-1986) die Besonderheiten des Milizsystems hervor. Sie setzte sich überdies für ein Verifikationssystem sowie
für den Informationsaustausch über das militärische Dispositiv in Europa ein. Die Mitarbeit als dauernd neutraler und bewaffneter Staat in
der N+N-Gruppe sicherte der Schweiz wesentliche Einflussmöglichkeiten und Freiräume. Heute arbeitet die Schweiz ferner aktiv an der
Durchführung von VSBM mit. Im Rahmen eines institutionalisierten Informationsaustauschs liefert sie Daten über die Wehrstruktur und
Bewaffnung der Schweizer Armee, nimmt an Truppenbesuchen im Ausland teil und organisiert selber Überprüfungsbesuche bei
Militäreinheiten in der Schweiz.

Im weiteren wirkt die Schweiz bei der Entwicklung der Instrumente für die Konfliktvorbeugung und das Peacekeeping konzeptionell und
praktisch mit. In diesem Zusammenhang nahm sie an verschiedenen KSZE-Missionen teil, die sie zum Teil sogar leitete. Auch in
Langzeitmissionen ist unser Land präsent, hat die Schweiz doch Personal für die Missionen in Serbien-Montenegro, Moldawien und
Mazedonien zur Verfügung gestellt. Zwei Schweizer haben die Missionen in Sarajewo und Kiew geleitet.(31) Für die
Sanktionsüberwachung gegen Restjugoslawien hat die Schweiz Zollexperten nach Bulgarien (heute nicht mehr aktiv), Mazedonien,
Albanien und in die Brüsseler Koordinationszentrale beordert. Ferner unterhält sie bei den Vereinten Nationen in New York ein
Verbindungsbüro.

4.2. Die OSZE als Brücke zur Mitgestaltung des europäischen Umfeldes

Die Übernahme des Mandats des Amtierenden Vorsitzenden 1996 gibt der Schweiz die Möglichkeit, aus ihrer Isolationsstellung in Europa
teilweise herauszutreten, um in der Funktion des OSZE-Präsidenten bei der Ausgestaltung der europäischen Sicherheitsarchitektur ihren
Beitrag zu leisten. Dies ist für die Schweiz um so relevanter, als sich der aussenpolitische Handlungsspielraum des neutralen Kleinstaates
nach dem Ende des Kalten Krieges verkleinert hat. In einem Umfeld ohne klare Fronten und strategische Gleichgewichte im überkommenen
Sinn hat der Bedarf nach Guten Diensten durch den Neutralen abgenommen. Entscheidend für den Erfolg der schweizerischen Aussenpolitik
ist heute, inwieweit es unserer Regierung gelingt, aktiv und initiativ in neuen aussenpolitischen Handlungsfeldern tätig zu werden und dieses
Engagement gleichzeitig innenpolitisch abzustützen. In bezug auf diese Bemühungen ist die OSZE insofern von entscheidender Bedeutung, als
sie das einzige sicherheitspolitische Gremium darstellt, in dem die Schweiz als gleichberechtigter Teilnehmer Partizipations- und
Mitgestaltungsrechte besitzt.

Um aber die Möglichkeiten dieses für die Schweiz entsprechend wichtigen Gebildes als Mittel einer nachhaltig positiven Entwicklung
auszuschöpfen und die Ziele, Methoden und das Wirken der OSZE über einen kleinen Kreis politischer Eliten hinaus besser verständlich zu
machen, gilt es vordringlich, eine Kommunikationsstrategie zu entwerfen. Aus einer schweizerischen Perspektive enthält die Ausarbeitung
einer Kommunikationsstrategie eine wichtige innenpolitische Dimension. Bedingt durch die politischen Realitäten ablehnende
Volksentscheide in aussenpolitischen Fragen (Uno 1986; EWR 1992; Blauhelme 1994) kommt der Abstützung der Aussen- in der
Innenpolitik hohe Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang sind die folgenden grundsätzlichen Überlegungen anzustellen:

Einerseits empfiehlt es sich, im Sinne einer Handlungsanleitung für eine PR-Strategie zu betonen, dass die Schweiz das Präsidialamt nicht
aufgrund ihrer Neutralität zugesprochen bekommen hat, sondern weil sie sich im Rahmen ihrer bisherigen KSZE-Politik als zuverlässiger,
konsensorientierter und aktiver Partner erwiesen hat. Nicht die Sonderstellung der Schweiz ist hervorzuheben, sondern die aktive Mitarbeit
in dieser Organisation, die in der Vergangenheit bereits verschiedene Erfolge aufweisen konnte.

Andererseits scheint es gerade im Fall dieser sicherheitspolitischen Organisation wichtig, die Übernahme von zusätzlicher Verantwortung in
Form der Präsidentschaft mit den nationalen Sicherheitsinteressen der Schweiz zu begründen, um so mehr, als der OSZE ebenfalls ein
umfassender Sicherheitsbegriff zugrunde liegt, wie dies auch in der offiziellen schweizerischen Sicherheitspolitik ("Bericht 90") postuliert
wird. Ebenso kann auf eine Kongruenz in der Wahl und im Einsatz der Mittel hingewiesen werden, liegt doch auch in der schweizerischen
Aussenpolitik das Schwergewicht auf vermittelnder, präventiver Diplomatie. Bei dem aktiven Beitrag der schweizerischen Diplomatie
handelt es sich daher nicht um eine Pflicht, um einen "autonomen Nachvollzug" sozusagen, sondern um die Dynamisierung der
Aussenbeziehungen in einem Bereich, der für dieses Land von sicherheitspolitischem Interesse ist.

Mit Blick auf die innenpolitische Dimension einer Kommunikationsstrategie sind aber die folgenden Einschränkungen zu machen: An die
Hoffnung, dass sich die OSZE-Präsidentschaft gar als Vehikel für einen Stimmungswandel der Bevölkerung in der Frage der Öffnung
gegenüber Europa nutzen lässt, sollten keine allzu grossen Erwartungen geknüpft werden. Aufgrund des unspektakulären Charakters der
Tätigkeiten dieser Sicherheitsorganisation wird dem schweizerischen Engagement im Rahmen der OSZE wohl nur wenig Widerstand von
denjenigen Kreisen erwachsen, die sich generell gegen eine erhöhte Aktivität unseres Landes in multilateralen Gremien sträuben. Ebenso
begrenzt wird daher aber auch der positive Effekt der Präsidentschaft zur Förderung eines neuen aussenpolitischen Selbstverständnisses
sein.

Für die Verantwortlichen stellt die Aufgabe, die Bedeutung der OSZE-Präsidentschaft für die schweizerische Aussenpolitik darzulegen, eine
doppelte innenpolitische Herausforderung dar. Zum einen gilt es, die Notwendigkeit der Arbeit der OSZE im heutigen diffusen
strategischen Umfeld und im Rahmen einer unübersichtlich gewordenen Sicherheitsstruktur in Europa mit Nachdruck zu erklären sowie den
Stellenwert der Organisation explizit für die schweizerische Aussenpolitik aufzuzeigen. In diesem Zusammenhang sollte insbesondere
betont werden, dass die OSZE allein schon deshalb ein ideales Aktionsfeld für die schweizerische Aussenpolitik darstellt, weil sich die
präventivdiplomatischen Aufgabenbereiche der OSZE weitgehend mit den friedenspolitischen Absichten der Eidgenossenschaft decken.
Zum anderen muss aber der auch heute noch beschränkte Handlungsspielraum der Organisation beispielsweise etwa gegenüber dem
Konflikt im ehemaligen Jugoslawien erläutert und davon ausgehend aufgezeigt werden, dass die Tätigkeit im Rahmen der OSZE keine
"Rückfallposition" darstellen kann und daher kein Ersatz für die Übernahme von Verantwortung in anderen multilateralen Gremien
wie der Uno, der EU/WEU und der Nato sein darf.

5. Die Debatte über die Rolle der OSZE in der europäischen
Sicherheitsarchitektur

5.1. Sicherheitsmodell für Europa im 21. Jahrhundert

Hinter dem vordergründigen Konsens der OSZE-Teilnehmerstaaten über die komparativen Vorteile der Organisation bestehen in bezug auf
die künftige konzeptionelle Rolle im Geflecht der sich gegenseitig verstärkenden Sicherheitsinstitutionen(32)grundsätzliche Differenzen. Die
unterschiedlichen Positionen werden namentlich im Dialog über ein "Gemeinsames und umfassendes Sicherheitsmodell für Europa im
21. Jahrhundert" ersichtlich. Am Budapester Gipfeltreffen 1994 wurde von der russischen Seite eine diesbezügliche Diskussion innerhalb
der OSZE vorgeschlagen. Der noch im Anfangsstadium befindliche Dialog soll einen Beitrag zu der nach dem Kalten Krieg weiterhin
ungefestigten Sicherheitsarchitektur in Europa leisten, eine neue Teilung Europas verhindern und in Richtung vermehrter kooperativer
Sicherheit zielen.

Dabei werden aber sehr unterschiedliche Vorstellungen bezüglich der Rolle der OSZE im grösseren Rahmen der Sicherheitsinstitutionen in
Europa greifbar, namentlich seitens der Hauptakteure Russland und USA.

In der russischen Perspektive kommt der OSZE eine zentrale Rolle für die Stabilisierung in Europa zu. Dabei soll die OSZE für die
Koordination der diesbezüglichen Bemühungen der Mitgliedstaaten und regionaler Institutionen wie GUS, EU, WEU, Europarat, Nato und
NACC sorgen. Russland möchte auf die Verrechtlichung der OSZE, das heisst auf deren Formalisierung und Transformation in eine voll
funktionsfähige, auf völkerrechtlichem Fundament stehende regionale Organisation hinwirken.(33)

Demgegenüber steht die traditionell kritische und abwartende Haltung der USA unter dem Motto "let the OSCE be the OSCE".
Amerikanische Stimmen warnen insbesondere vor einer Überforderung der OSZE, da sich die Organisation gleich in zweifacher Hinsicht in
einem Spannungsfeld befindet. Ein erstes Spannungsfeld eröffnet sich aus dem Widerspruch zwischen den einzigartigen Möglichkeiten
und den begrenzten Mitteln der OSZE. Da in der amerikanischen Perspektive das herausragende Merkmal der OSZE ihr breiter
sicherheitspolitischer Ansatz ist, der die politisch-militärische, menschliche und ökonomische Dimension umfasst, soll der Schwerpunkt
entsprechend auch in Zukunft bei vertrauensbildenden Konzepten liegen. Der Versuch, die Mittel und Methoden der OSZE zu verändern,
würde, bedingt durch die Überdehnung ihrer Fähigkeiten, das Ende dieser Organisation bedeuten. Die OSZE soll deshalb keine
institutionalisierte, mit völkerrechtlicher Verbindlichkeit ausgestattete Gemeinschaft werden. Das Sicherheitsmodell im Rahmen der OSZE
darf in amerikanischer Perspektive die bestehenden Sicherheitsorganisationen, sprich die Nato, nicht in Frage stellen. Als zweites
Spannungsfeld wird auf den Widerspruch zwischen der Erhaltung der "grassroots function" und der offiziellen Dimension der OSZE
aufmerksam gemacht. Die OSZE soll ein offenes Gefäss bleiben für Initiativen von der Basis, namentlich auch von NGOs, für die sie ein
wertvoller Ansprechpartner darstellt. Die Organisation würde viel von ihrer Anziehungskraft für diese nichtstaatlichen Organisationen
verlieren, wenn sie sich zu einem rein diplomatischen Zirkel entwickeln würde.(34)

Verständlicherweise reagierten die osteuropäischen Staaten anfänglich zurückhaltend auf die Diskussion um das Sicherheitsmodell. Die
Nato-Osterweiterung soll nicht vom mächtigen russischen Nachbarn beeinflusst werden können, befinden sich doch namentlich die
mittelosteuropäischen Visegrad-Staaten in einem Prozess der Annäherung zur transatlantischen Verteidigungsgemeinschaft. Entsprechend
sind diese darauf bedacht wie dies namentlich auch im Budapester Dokument 1994 in den Beschlüssen des Kapitels VII festgehalten wurde
, dass das Sicherheitsmodell das Recht auf den Beitritt zur Nato nicht beeinträchtigt.

5.2. Akzentverlagerung in Richtung Peacekeeping?

Die grundlegenden Differenzen der Teilnehmerstaaten hinsichtlich der künftigen Rolle der OSZE in der europäischen Sicherheitsarchitektur
widerspiegeln sich auch in der Debatte um ihre operative Rolle. Die Frage nach dem Schwerpunkt der Tätigkeiten der OSZE wird im
Verlauf der schweizerischen Präsidentschaft auf eine Entscheidung hin drängen. Konkret geht es darum, zu bestimmen, inwieweit die
Aktivitäten im Rahmen der Präventivdiplomatie in der Praxis durch friedenserhaltende Massnahmen ergänzt werden sollen.

Die meisten westlichen Staaten messen präventivdiplomatischen Aktivitäten grössere Chancen bei als umfassenden friedenserhaltenden
Massnahmen. Diese Einschätzung basiert zum einen auf der Wahrnehmung der begrenzten personellen und finanziellen Ressourcen der
OSZE. Zum anderen lässt sich für präventivdiplomatische Aktivitäten die Kooperation mit anderen Organisationen einfacher sicherstellen als
beim Peacekeeping. Die beschränkten Mittel der OSZE erlauben es der Organisation nur, in der prä- und allenfalls in der postkonfliktiven
Phase aktiv zu werden. Für die Durchführung von friedenserhaltenden Massnahmen verfügt die OSZE bildlich gesprochen schlicht weder
über "Zuckerbrot noch Peitsche". Aufgrund dieser Analyse dürfte eine Schwergewichtsbildung der OSZE-Operationen auf
Präventivdiplomatie und allenfalls auf postkonfliktive friedensbildende Massnahmen angezeigt sein.

Allerdings sei vor allzu hohen Erwartungen an die Möglichkeiten der OSZE im Rahmen der Konfliktprävention gewarnt. Dies erstens daher,
weil auch in Zukunft kleinere und mittlere Länder (Dänemark; Polen; Kanada) für die OSZE-Präsidentschaft vorgesehen sind und damit das
Ressourcenproblem in ähnlicher Weise wiederkehren dürfte, da das Präsidentenmandat für die Durchführung diesbezüglicher Aktivitäten
eine zentrale Stellung einnimmt. Zweitens wird auch in Zukunft das Problem darin bestehen, dass sich kein Mitgliedstaat für die Auslösung
der Krisenmechanismen mobilisieren lässt, bevor ein Konflikt manifest wird.

Im Gegensatz dazu wird von östlicher Seite, namentlich von Russland, die Bedeutung friedenserhaltender Massnahmen der OSZE für die
zahlreichen regionalen Konflikte auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR betont und eine Akzentverlagerung von der Konfliktprävention hin
zum Konfliktmanagement und zur Konfliktlösung gefordert. In der heutigen Situation soll nicht die Weiterentwicklung der
Instrumentarien der Konfliktprävention im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, sondern die Auseinandersetzung mit den aktuellen
Konflikten. Die OSZE ist allein schon deshalb herausgefordert, weil keine andere internationale Organisation im "nahen Ausland" auf dem
Gebiet der ehemaligen UdSSR aktiv werden kann.

Der russischen Befindlichkeit ist insofern Verständnis entgegenzubringen, als sich die meisten derzeitigen Konflikte in der Tat in der
(ehemaligen) russischen Einflusssphäre abspielen und daher die nationalen Interessen Russlands direkt tangieren. Russland macht
entsprechend geltend, dass seine in den Krisenregionen stehenden Truppen der Friedenssicherung dienen und folglich als
Peacekeepingtruppen von der OSZE anerkannt werden sollen.

6. Herausforderungen für die schweizerische OSZE-Präsidentschaft

Einleitend muss darauf hingewiesen werden, dass sich die Ausgangslage für das Schweizer Präsidialjahr 1996 schwierig gestaltet, stehen
doch die Diskussionen über die Rolle der OSZE in einer engen Wechselbeziehung zu politischen Vorgängen in anderen Bereichen. Neben
der Nato-Osterweiterung sind vor allem die Regierungskonferenzen zwecks Überprüfung des Maastrichter Vertrages und des Vertrages
über die konventionellen Streitkräfte in Europa zu nennen. Ebenfalls 1996 stehen wichtige Präsidentschaftswahlen in Russland und
den USA an. Schliesslich wird sich die OSZE auch im nächsten Jahr intensiv mit den aktuellen Krisen in Tschetschenien, in
Nagorny-Karabach und im ehemaligen Jugoslawien auseinanderzusetzen haben.

6.1. Augenmerk auf die GUS und neue Rolle im ehemaligen Jugoslawien

Auf die Gebiete Russlands und der GUS wird auch im schweizerischen Präsidentschaftsjahr das Hauptaugenmerk zu richten sein. Im
Zentrum steht dabei das Verhältnis Russlands zu seinen als "nahes Ausland" deklarierten Nachbarn. Hier steht die allfällige Durchführung der
anlässlich des Budapester Gipfeltreffens (1994) grundsätzlich beschlossenen OSZE-Peacekeeping-Mission in Nagorny-Karabach im
Vordergrund. Damit würde in den OSZE-Aktivitäten erstmals eine Akzentverlagerung in Richtung aktives Krisenmanagement offenbar.
Aber auch weitere Gebiete wie Tschetschenien, Tadschikistan, Georgien, Ukraine und Moldawien erfordern die Aufmerksamkeit der
OSZE und insbesondere die des Amtierenden Vorsitzenden.(35)

Auf dem Balkan gilt es, die bestehenden präventivdiplomatischen Missionen (Mazedonien; Sarajewo) zur Stabilisierung des Umfeldes in
bewährter Weise weiterzuführen. Weit wichtiger sind aber die der OSZE bei der Umsetzung einer Friedensregelung in
Bosnien-Herzegowina erwachsenden Aufgaben. Die Organisation wird im Rahmen dieser Friedensbemühungen - das in Dayton (Ohio)
paraphierte Friedensabkommen wird voraussichtlich am 14. Dezember 1995 in Paris unterzeichnet werden - als "lead agency"(36) eine
neue Rolle übernehmen, nachdem sie sich 1992 de facto aus dem Jugoslawienkonflikt abgemeldet hat. Damit wird der OSZE in Zukunft ein
grosses potentielles Aufgabengebiet im ehemaligen Jugoslawien erwachsen. An der OSZE-Aussenministerkonferenz vom 7./8. Dezember
1995 in Budapest, anlässlich derer die Schweiz offiziell den Vorsitz übernimmt, wird ein entsprechendes Mandat im Detail formuliert.

Neben der Überwachung von Wahlen ist die Überprüfung der Einhaltung der Menschenrechte von grosser Wichtigkeit. Nachdem ein
politischer Lösungsprozess absehbar ist, soll der Fokus der OSZE-Tätigkeiten deshalb auf dem Schutz der Minderheitenrechte liegen.
Dies ist aus schweizerischer Perspektive insofern interessant, als unser Land über einige Erfahrung im Bereich des Minderheitenschutzes
verfügt. Zusätzlich ist die Reintegration Restjugoslawiens (Serbien und Montenegro) in die internationale Gemeinschaft anzustreben, um
auch in diesen Gebieten aktiv werden zu können. Die OSZE ist aufgrund ihrer Mitgliederstruktur geradezu dafür prädestiniert, für die
Wiederaufnahme Serbien-Montenegros in die Staatengemeinschaft zu sorgen. Präventivdiplomatie zum Schutz der Minderheiten ist
innerhalb Restjugoslawiens (Kosovo, Wojwodina und dem Sandschak) dringend vonnöten, betreibt doch Belgrad in diesen Regionen eine
massive Repressionspolitik gegenüber den nichtserbischen Minderheiten.(37) Schliesslich ist auch auf die Notwendigkeit eines
Rüstungskontrollregimes für den Balkan aufmerksam zu machen. Der Abbau der Rüstungspotentiale muss parallel zur politischen
Stabilisierung der Region an die Hand genommen werden. Hier sind Vorbereitungen für die spätere Einbindung in den Vertrag über
konventionelle Streitkräfte in Europa zu treffen.

Eine Verstärkung der Rolle der OSZE hinsichtlich des Konfliktes im ehemaligen Jugoslawien über die derzeitige Stabilisierung der
umliegenden Gebiete hinaus bedingt sorgfältige Vorbereitungen für die Entsendung von Feldmissionen. Hier muss eine frühzeitige
Kontaktaufnahme mit den Konfliktparteien erfolgen und muss am Aufbau eines Informations- und Kommunikationsnetzes vor Ort gearbeitet
werden. Im Sinne einer optimalen Vorbereitung gilt es daher zu überlegen, inwieweit die Kontakte zu den Konfliktparteien bereits heute
auszubauen sind, um diese dann zu gegebener Zeit im Rahmen der OSZE erfolgreich zu aktivieren.

6.2. Sicherheitsmodell und Menschliche Dimension

Die Schweiz wird auch bei der Mitgestaltung des Sicherheitsmodells für Europa im 21. Jahrhundert gefordert sein. Dabei ist den
unterschiedlichen Vorstellungen der Grossmächte Russland, USA und EU bezüglich der Rolle der OSZE im Geflecht der sich gegenseitig
verstärkenden Sicherheitsinstitutionen in Europa Rechnung zu tragen. Bei der Formulierung ihrer Position soll sich die Schweiz nicht auf die
politisch-militärischen Aspekte der Sicherheit beschränken, sondern ihrer Tradition gemäss einen breiten sicherheitspolitischen Ansatz
anstreben, der auch wirtschaftliche Zusammenarbeit, Fragen der Menschlichen Dimension, aber auch Teilthemen wie Umweltschutz umfasst.
Als konkreten Beitrag zur Debatte um die Ausgestaltung des Sicherheitsmodells kann die Schweiz auf die Notwendigkeit einer
umfassenden Risikoanalyse hinweisen, besitzt sie doch auf diesem Gebiet wissenschaftliche Expertise.

Mit der Übernahme des Präsidialmandates 1996 wird die Schweiz für die Weiterentwicklung des Sicherheitsmodells verantwortlich
zeichnen. Im Beratungsprozess wird sie neben der Wahrung ihrer eigenen nationalen Interessen und der Lancierung eigener Initiativen auch
die Funktion eines Moderatoren auszufüllen haben. Dabei kann sie als "Drittpartei" in bewährter stiller Diplomatie Vermittlungstätigkeiten
zwischen den divergierenden Interessen der Hauptakteure Russland, USA und EU wahrnehmen. Anlässlich des Ende 1996 stattfindenden
OSZE-Gipfeltreffens in Lissabon werden die erzielten Resultate durch die schweizerischen Vertreter schliesslich vorzulegen sein.

Der stärkeren Integration und Implementierung der Menschlichen Dimension in den politischen Alltag, wie sie im Geiste der Treffen
von Wien, Kopenhagen und Moskau im Sinne einer umfassenden Verpflichtung bei den Menschenrechten und den Minoritätenrechten
deklariert worden ist, wird unser Land ebenfalls hohe Priorität beizumessen haben. Für die Schweiz, die sich traditionellerweise für die
Kodifizierung der Menschlichen Dimension eingesetzt hat, wird die konkrete Durchsetzung dieser Standards zu einer besonderen
Herausforderung werden, steht zurzeit nämlich nicht die Weiterentwicklung bestehender Normen und Mechanismen im Vordergrund,
sondern deren Anwendung und Durchsetzung.

6.3. Aussenbeziehungen und interne Feinabstimmung der OSZE

Zum Aufgabenbereich des Amtierenden Vorsitzenden gehören die Aussenbeziehungen der OSZE zu anderen internationalen Akteuren und
die Sicherstellung der inneren Funktionsfähigkeit der Organisation. Bezüglich beider Aufgaben bestehen konkrete Herausforderungen für die
schweizerische Präsidentschaft.

So ist insbesondere die Notwendigkeit einer verstärkten koordinierten Zusammenarbeit mit anderen internationalen Gremien zu
betonen. Die regulären Treffen mit dem Europarat und die Beziehungen zur Nato (Beobachterstatus im NACC/PfP) entwickeln sich zwar
befriedigend. Hingegen gestalten sich die Kontakte zur Uno als schwierig. Entsprechend ist die Zusammenarbeit mit der Uno zu fördern.
Ferner ist auf die Bedeutung der Sicherstellung guter Kontakte zur GUS/Russland hinzuweisen. Dies drängt sich insbesondere angesichts der
aktuellen Konflikte auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR auf.

Im Zusammenhang mit der Betonung der "grassroots function" der OSZE ist auch auf die Beziehungen mit nichtstaatlichen
Organisationen aufmerksam zu machen. Die Koordination mit NGOs ist entscheidend, da deren Aktionskreis oft in denselben Gebieten
liegt wie derjenige der OSZE.

Im Bereich der internen institutionellen Feinabstimmung der OSZE ist die Konsolidierung der bestehenden Institutionen und Mechanismen
vordringlich. Dabei stellen sich dem Amtierenden Vorsitzenden zwei grundsätzliche administrative Herausforderungen. Wie können die
bestehenden exekutiven Ressourcen genutzt werden, ohne die Kontrolle über die Gesamttätigkeiten der Organisation zu verlieren? Und wie
soll das politische Management der anfallenden Aufgaben in zwei Zentren (Wien/Bern) koordiniert werden?

Ferner ist als Schlüsselfaktor zur Sicherstellung der inneren Funktionsfähigkeit der OSZE die enge Zusammenarbeit zwischen dem
Präsidialland und dem Generalsekretariat zu nennen. Hier ist die Idee prüfenswert, ob die Beziehungen zwischen dem Amtierenden
Vorsitzenden und dem Generalsekretär durch die Abordnung eines ständigen Vertreters des Generalsekretärs an das jeweilige
Aussenministerium nicht verbessert werden könnten.(38) Überdies ist ein enger Kontakt zu den anderen Mitgliedern der Führungstroika
bei der Durchführung bestehender und der Planung allfälliger neuer Aktivitäten durch die Schweiz wichtig. Ein vermehrter Rückgriff des
Vorsitzenden auf die Führungstroika ist überlegenswert, um die Troikapartner noch enger in den Willensbildungsprozess einzubinden und
die Entscheidungen gegen aussen besser abzustützen.

Im weiteren wird die Konsolidierung der Zusammenarbeit mit dem Hochkommissariat für nationale Minderheiten in Den Haag wichtig
sein, da im Bereich der Präventivdiplomatie eine enge Kooperation mit dem Hochkommissar unabdingbar ist.

Bei den spezialisierten Organen ist auf die Notwendigkeit der institutionellen Stärkung des Büros für Demokratische Institutionen und
Menschenrechte in Warschau hinzuweisen. Ebenso drängt sich eine stärkere Berücksichtigung der Parlamentarischen Versammlung auf.

Mit Blick auf weitere Aktivitäten im administrativen Bereich bleibt schliesslich festzuhalten, dass die alle zwei Jahre stattfindende
Überprüfungskonferenz und das anschliessende Treffen der Staats- und Regierungschefs in das schweizerische Präsidialjahr fallen. Die
Vorbereitung des Lissabonner Gipfels 1996 wird einige administrative und organisatorische Kräfte binden, um eine sorgfältige
Vorbereitung zu gewährleisten.

Grundsätzlich muss aber bei aller Vorausschau betont werden, dass auch die schweizerische OSZE-Agenda wesentlich durch die
Ereignisse bestimmt werden wird. Entsprechend bedingt dies eine sorgfältige Vorbereitung der eigenen Organisation im Aussenministerium.
Die strukturellen, personellen und auch materiellen Vorkehrungen in EDA und EMD müssen den Anforderungen bestehender
OSZE-Aktivitäten genügen und wichtiger noch Raum für künftige Unwägbarkeiten lassen. Die Notwendigkeit flexibler
Führungsstrukturen gründet auf den gemachten Erfahrungen der bisherigen Troikamitglieder.

7. Schlussfolgerungen

Die Übernahme der OSZE-Präsidentschaft 1996 gibt der Schweiz die Chance, die Tätigkeiten im Rahmen dieser Organisation als Brücke
zur Mitgestaltung des europäischen Umfeldes zu nutzen. Das Mandat des Amtierenden Vorsitzenden ist für die schweizerische Aussenpolitik
allein schon deshalb bedeutend, weil die Aktivitäten im Rahmen der OSZE für die Schweiz zur Zeit die alleinige Möglichkeit darstellen, um
sowohl eigene sicherheitspolitische Interessen wahrzunehmen als gleichzeitig auch einen sinnvollen Beitrag zur Stabilität in Europa zu leisten.
Der Wert der positiven Mitgestaltungsmöglichkeit ist gerade deshalb besonders hoch einzuschätzen, weil sich der aussenpolitische
Aktionsradius des neutralen Kleinstaates nach dem Ende des Kalten Krieges verkleinert hat. In einer zunehmend multipolaren und
interdependenten Welt steigt gerade für den Kleinstaat die Bedeutung von Handlungsfeldern im multilateralen Rahmen. Diesbezüglich bietet
sich die Gestaltungs- und Kompetenzfülle des Mandates des Amtierenden Vorsitzenden geradezu an, um mit Kreativität ausgefüllt zu
werden. Die Gesamtverantwortung für die ausführenden Tätigkeiten erlaubt es der Schweiz, ihre traditionellen aussenpolitischen
Aktionsfelder weiter zu verfolgen und sich gleichzeitig neue Handlungsspielräume zu schaffen. Bei der Formulierung eines schweizerischen
Aktionsprogrammes müssen allerdings auch eine ganze Reihe von einschränkenden Rahmenbedingungen berücksichtigt werden.

7.1. Gestaltungs- und Kompetenzfülle versus Handlungseinschränkungen

Das Mandat des Amtierenden Vorsitzenden eröffnet dem Präsidialland mit der im Vergleich zum Vorsitz anderer internationaler
Organisationen einmaligen Kompetenz- und Gestaltungsfülle breiten Raum für politische Initiativen. Die neutrale Schweiz kann hier,
bedingt durch ihre Unabhängigkeit und Ungebundenheit im Urteil und im Handeln, komparative Vorteile verzeichnen, indem sie ohne
aufwendige Feinabstimmung mit Bündnispartnern der OSZE Vorschläge unterbreiten kann. Grundsätzlich besitzt der Vorsitz jedoch letztlich
nur so viel Gewicht, wie ihm das Land an Bedeutung zuzumessen gewillt ist. Die Möglichkeiten des Präsidialmandates sind im einzelnen
oben dargelegt worden; nachfolgend sei daher abschliessend auf einschränkende Faktoren hingewiesen.

Bei der Annahme dieser Herausforderung ist die Schweiz gebunden an aktuelle Konflikt- und Krisenfälle, an laufende und geplante
Missionen und an den bestehenden Gesamt-Acquis der OSZE (Verpflichtungen und Vereinbarungen; Strukturen und Institutionen;
finanzielle und personelle Beschränkungen). Das Prinzip des Konsenses bildet die wichtigste De-facto-Beschränkung der exekutiven
OSZE-Kompetenz. Es ist daher unerlässlich, dass sich die Schweiz bei ihren Vorstössen der Unterstützung der bestimmenden Akteure
(USA; Russland; EU) versichert. Als weiteres Erschwernis ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Schweiz bei der
Informationsbeschaffung für Gebiete, in denen sie aufgrund fehlender nationaler Interessen und begrenzter Ressourcen nur über ein
grobmaschiges Informationsnetz verfügt, auf die Mithilfe durch andere Mitgliedstaaten angewiesen ist. Überdies könnten sich der Schweizer
Diplomatie die negativen Folgen unseres Abseitsstehens in den sicherheitspolitisch entscheidenden Organisationen (Uno; EU/WEU;
Nato/NACC/PfP) in einem Kommunikationsdefizit zeigen. Der schweizerische "Sonderfall" bringt mit sich, dass unser Land über wenig
Erfahrung in multilateraler Diplomatie verfügt. Nicht zuletzt sei auch an die beschränkten finanziellen und personellen Ressourcen in der
schweizerischen Verwaltung erinnert, welche die Ausgestaltung der nötigen Führungsstrukturen erschweren.

Als allgemeine Herausforderung an die schweizerische Präsidentschaft ist auf ein mögliches Dilemma zwischen der Verfolgung
institutioneller und nationaler Interessen hinzuweisen. Für kleine, unabhängige Staaten kann es problematisch sein, Aktivitäten auch in
solchen Fällen, in denen keine nationalen Interessen im Spiel sind, zu ergreifen und dafür kritisiert zu werden. Trotzdem muss sich der
Amtierende Vorsitzende im Rahmen seiner Gesamtverantwortung für die ausführenden Tätigkeiten auch in diesen Situationen um die
politische Initiative bemühen. Bedingt durch das zeitlich kurze Mandat ergibt sich damit verbunden ein weiteres grundsätzliches
Spannungsfeld. Die Schweiz ist gefordert, ihre Tätigkeiten sowohl auf die kurzfristige Perspektive der einjährigen Präsidentschaft als auch
auf die für die Organisation notwendige langfristige Perspektive auszurichten.

7.2. Eine besondere Herausforderung: Kommunikationsstrategie

Die OSZE ist als strategisches Instrument im modernen sicherheitspolitischen Umfeld unverzichtbar. Als Forum des Dialogs kann sie
entscheidend zur Stabilität in Europa beitragen. Ihre Stärken liegen bei Aktivitäten der stillen Diplomatie, die notwendigerweise
unspektakulär sind und entsprechend in der Öffentlichkeit nur ungenügend wahrgenommen werden. Es ist daher unerlässlich, dass die
Möglichkeiten der OSZE als Mittel einer nachhaltig positiven Entwicklung, ihre Ziele und Arbeitsweisen einer breiteren Öffentlichkeit besser
verständlich gemacht werden.

Die Aufgabe, eine Kommunikationsstrategie für die OSZE zu formulieren, ist Teil des Pflichtenheftes des Amtierenden Vorsitzenden. Bei der
Entwicklung einer Handlungsstrategie für die schweizerische OSZE-Präsidentschaft 1996 ist dem Element Kommunikation daher hohe
Priorität beizumessen.(39) Diese Aufgabe wird allerdings dadurch erschwert, dass die Schweiz in ihrer Rolle als Präsidialland einerseits die
OSZE-Aktivitäten gegenüber der internationalen Gemeinschaft zu vertreten hat. Andererseits müssen die politischen Verantwortlichen aber
auch die spezifisch schweizerischen Kommunikationsbedürfnisse im Auge behalten. Diesbezüglich gilt es, neben der Verdeutlichung des
Stellenwertes der OSZE für die Sicherheit Europas und insbesondere der positiven Einwirkungsmöglichkeiten für die Schweiz durch die
Übernahme der Präsidentschaft gleichzeitig darzulegen, dass die schweizerischen Tätigkeiten im Rahmen der OSZE kein Ersatz für die
Übernahme von Verantwortung in anderen multilateralen Gremien sein kann.

Fussnoten

   1.Für die kritische Durchsicht des Manuskriptes danken die beiden Autoren den Herren Dr. Martin Dahinden, Stefan Klötzli, Thomas
     Köppel und Robert Fabrin.
   2.Zur Geschichte des KSZE-Prozesses vgl. grundsätzlich: Ljubivoje Acimovic. Problems of Security and Cooperation in Europe.
     Alphen aan den Rijn 1981; Victor-Yves Ghebali. La diplomatie de la détente: la CSCE d'Helsinki à Vienne (1973-1989).
     Brüssel 1989; Wilfried von Bredow. Der KSZE-Prozess: Von der Zähmung zur Auflösung des Ost-West-Konfliktes. Darmstadt
     1992.
     Vgl. für ausgezeichnete Analysen und Dokumentationen des ursprünglichen KSZE-Prozesses in den siebziger und achtziger Jahren
     die umfassenden Werke: Friedrich-Karl Schramm, Wolfram-Georg Riggert, Alois Friedel (Hg.). Sicherheitskonferenz in Europa:
     Dokumentation 1954-1972: Die Bemühungen um Entspannung und Annäherung im politischen, militärischen,
     wirtschaftlichen, wissenschaftlich-technologischen und kulturellen Bereich. Frankfurt am Main 1972; Hans-Adolf Jacobsen,
     Wolfgang Mallmann, Christian Meier (Hg.). Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE): Analyse und Dokumentation,
     Band I. Dokumente zur Aussenpolitik II. Köln 1973; Dies. (Hg.). Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE): Analyse
     und Dokumentation, Band II. Dokumente zur Aussenpolitik II/2. Köln 1978; Herrmann Volle, Wolfgang Wagner (Hg.). KSZE
     Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Beiträgen und Dokumenten aus dem Europa-Archiv. Bonn
     1976; Dies. (Hg.). Das Belgrader KSZE-Folgetreffen. Der Fortgang des Entspannungsprozesses in Europa in Beiträgen und
     Dokumenten aus dem Europa-Archiv. Bonn 1978; Dies. (Hg.). Das Madrider KSZE-Folgetreffen. Der Fortgang des
     KSZE-Prozesses in Europa in Beiträgen und Dokumenten aus dem Europa-Archiv. Bonn 1984.
     Einen umfassenden Überblick über die zahlreiche Literatur zu allen Aspekten des KSZE-Prozesses bieten Günter Schwarz, Dieter S.
     Lutz. Sicherheit und Zusammenarbeit: Eine Bibliographie zu MBFR, SALT und KSZE. Militär, Rüstung, Sicherheit 2.
     Baden-Baden 1980.
   3.Anlässlich des amerikanisch-sowjetischen Gipfeltreffens im Mai 1972 in Moskau fiel die Entscheidung, die MBFR-Verhandlungen
     (Mutual and Balanced Force Reductions) und die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit getrennt, aber zeitlich parallel
     durchzuführen. Dies ist der Grund, warum innerhalb des KSZE-Prozesses nur am Rande über militärische Problembereiche
     gesprochen wurde. Damit soll aber die Leistung der KSZE auf dem Gebiet der Vertrauens- und Sicherheitsbildenden Massnahmen
     nicht geschmälert werden, war doch deren inhaltliche Ausweitung und Systematisierung eine Errungenschaft der KSZE. Die
     MBFR-Konferenz wurde von 19 Teilnehmerstaaten im Oktober 1973 in Wien eröffnet. Sie zog sich mehr als 15 Jahre hin und wurde
     erst 1989 durch die im Rahmen der KSZE stattfindenden Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa (VKSE)
     zwischen Nato und Warschauer Pakt abgelöst.
   4.Die Abkürzung steht für Strategic Arms Limitation Talks, welche seit November 1969 zwischen den USA und der Sowjetunion
     geführt worden waren.
   5.Die Abkürzung "N+N" steht für Neutral and Non-Aligned States. (Neutrale: Österreich, Schweden, Finnland, Schweiz;
     Nichtpaktgebundene: Jugoslawien, Zypern, Malta, Liechtenstein, San Marino).
     Mit der Auflösung der Blöcke Anfang der neunziger Jahre büsste die Mittlerfunktion aber an Bedeutung ein. Auch wurden keine
     Kompromisstexte mehr von der N+N-Gruppe ausgearbeitet. Die Bedeutung dieser Staatengruppe nahm mit dem Übertritt einzelner
     neutraler und blockfreier Staaten in die Europäische Union, die ihrerseits eine gewichtige Rolle innerhalb der KSZE spielt, ab. Begriff
     und Institution der N+N-Gruppe sind heute verschwunden.
     Zur Rolle der N+N-Staaten vgl. allgemein: Michael Zielinski. Die neutralen und blockfreien Staaten und ihre Rolle im
     KSZE-Prozess. Nomos Universitätsschriften 13. Diss. Baden-Baden 1990; Hanspeter Neuhold (Hg.). CSCE: N+N Perspectives:
     The Process of the Conference on Security and Cooperation in Europe from the Viewpoint of the Neutral and Non-Aligned
     Participating States. The Laxenburg Papers 8. Wien 1987.
   6.Die Aufteilung in die seither gebräuchlichen vier Körbe geht auf ein der schweizerischen Delegation anlässlich der vorbereitenden
     Konsultationen von Dipoli (November 1972) erteiltes Mandat zurück, eine Sammlung und Sortierung der von den einzelnen Staaten
     eingebrachten Vorschläge in Form einer Synopse vorzunehmen.
   7.Während des kalten Krieges konnte die wirtschaftliche Zusammenarbeit aufgrund der zu unterschiedlichen Wirtschaftssysteme in
     Ost und West als drittes Standbein neben der sicherheitspolitischen und menschlichen Dimension keine grösseren Erfolge
     verzeichnen. Erst seit Ende des Ost-West-Antagonismus wurde mit dem Bekenntnis zur Marktwirtschaft und zum Privateigentum ein
     Durchbruch erzielt. Der Beitrag der OSZE zur Unterstützung des Übergangs zur Marktwirtschaft findet heute im Rahmen der jährlich
     in Prag durchgeführten OSZE-Wirtschaftsforen statt. Im Gegensatz zu den zahlreichen internationalen Wirtschaftsorganisationen
     verfügt die OSZE aber über keine Kompetenz, die es ihr erlauben würde, sich in Wirtschaftsfragen operationell zu engagieren.
   8.Die 10 Prinzipien lauten: souveräne Gleichheit der Staaten, Gewaltverzicht, Unverletzlichkeit der Grenzen, territoriale Integrität der
     Staaten, friedliche Regelung von Streitigkeiten, Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, Achtung der Menschenrechte und
     Grundfreiheiten, Gleichberechtigung und Selbstbestimmungsrecht der Völker, Zusammenarbeit zwischen den Teilnehmerstaaten und
     Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen nach Treu und Glauben.
   9.Als oberster Grundsatz der Arbeitsmethoden der KSZE gilt bis heute, dass alle Staaten "souverän" und "unabhängig" sowie unter der
     Bedingung der "vollen Gleichheit" am KSZE-Prozess teilnehmen und dass Beschlüsse im Konsens gefasst werden. Diese Grundsätze
     wurden bereits 1972/73 anlässlich der Vorverhandlungen, den Konsultationen in Dipoli (Helsinki), in den Schlussempfehlungen dem
     sogenannten "Blauen Buch" fixiert.
  10.Dabei ist zu beachten, dass die KSZE/OSZE-Dokumente aber insofern eine rechtliche Bedeutung besitzen, als sie bestehende
     völkerrechtliche Normen oder Grundsätze des Völkergewohnheitsrechtes bekräftigen (so bestätigen die Prinzipien als
     Verhaltenskodex einzelne Bestimmungen der Uno-Charta). Im weiteren schaffen sie eine moralische Verpflichtung, die gemeinsam
     angenommenen Werte und Normen namentlich im Bereich der Gewährleistung der Menschenrechte und Grundfreiheiten innerstaatlich
     umzusetzen.
  11.Die in der Schlussakte enthaltene explizite Bestätigung des Anspruches des Individuums, seine Rechte und Pflichten im Bereich der
     Menschlichen Dimension ausüben zu können, führte ab 1976 zur Gründung zahlreicher Helsinki-Gruppen. Im Osten entstanden
     organisierte Dissidentengruppierungen zur Überwachung der Helsinki-Verpflichtungen; im Westen bildeten sich entsprechende
     Vereinigungen, um Menschenrechtsverletzungen in Osteuropa in Erfahrung zu bringen und öffentlich anzuprangern.
  12.Dieser Mechanismus später auch CHD-Mechanismus (Conference on the Human Dimension) genannt wurde auf dem Kopenhager
     Treffen (1990) und auf dem Moskauer Treffen (1991) über die Menschliche Dimension weiter verfeinert. Er erlaubt jedem
     Teilnehmer, bei einem anderen OSZE-Staat Informationen über Menschenrechtsverletzungen einzuholen. Es können auch bilaterale
     Treffen zur Klärung von Menschenrechtsverletzungen beantragt werden. Die Ergebnisse solcher Treffen können auf
     KSZE-Folgekonferenzen und Aussenministertreffen sowie auf Treffen des Hohen Rates zur Sprache gebracht werden. Wenn die
     Resultate unbefriedigend ausfallen, kann gegen das Votum des betroffenen Staates eine Mission von KSZE-Berichterstattern zur
     Tatsachenfeststellung auf das Territorium des Staates in die Wege geleitet werden. Vgl. zum Mechanismus der Menschlichen
     Dimension: Peter Schlotter, Norbert Ropers, Berthold Meyer. Die neue KSZE: Zukunftsperspektiven einer regionalen
     Friedensstrategie. Analysen Politik, Gesellschaft, Wirtschaft 44. Opladen 1994. 42-45 (Schaubild 8).
     Dieser Moskauer Mechanismus wurde bisher viermal ausgelöst: Menschenrechtsberichterstatter-Mission nach Ex-Jugoslawien
     (1991/1992) unter der Leitung des Schweizer Staatsrechtlers Thomas Fleiner; Expertenmission nach Kroatien und
     Bosnien-Herzegowina (1992); Expertenmission nach Estland (1992); Expertenmission nach Moldawien (1993). Die geplante
     Expertenmission nach Serbien-Montenegro (1993) scheiterte am Widerstand Belgrads. Ebenso misslangen Versuche auch durch die
     Schweiz (1995) , Expertenmissionen in den Südosten der Türkei zu entsenden, da die Unterstützung der erforderlichen Anzahl
     Staaten versagt blieb.
  13.Rückblickend nennt Ghebali für den gesamten KSZE-Prozess während der Phase des kalten Krieges folgende drei Vorteile der
     KSZE: "The CSCE was a permanent channel of communication, a normative code of conduct, a long-term programme of
     cooperation covering all dimensions of security (...). It filled a vacuum and addressed a deficiency in East-West relations which had
     existed since the beginning of the Cold War and, perhaps, since the 1917 Bolshevik October Revolution." Vgl. Victor-Yves Ghebali,
     Brigitte Sauerwein. European Security in the 1990s: Challenges and Perspectives. UNIDIR-Publications 2/1995. New
     York-Genf 1995. 143.
  14.Zur aktuellen Entwicklung der KSZE/OSZE vgl. grundsätzlich: Stefan Lehne. The CSCE in the 1990s: Common House or
     Potemkin Village. Wien 1991; Ian M. Cuthbertson (Hg.). Redefining the CSCE: Challenges and Opportunities in the New
     Europe. New York 1992; Michael Staak (Hg.). Aufbruch nach Gesamteuropa: Die KSZE nach der Wende im Osten.
     Forschungsberichte Internationale Politik 15. Münster 1992; Vojtech Mastny. The Helsinki Process and the Reintegration of
     Europe 1986-1991: Analysis and Documentation. London 1992; Michael R. Lucas (Hg.). The CSCE in the 1990s:
     Constructing European Security and Cooperation. Baden-Baden 1993; Alexis Heraclides. Helsinki II and its Aftermath: The
     Making of the CSCE into an International Organization. London/New York 1993; Peter Schlotter, Norbert Ropers, Berthold
     Meyer. Die neue KSZE: Zukunftsperspektiven einer regionalen Friedensstrategie. Analysen Politik, Gesellschaft, Wirtschaft 44.
     Opladen 1994; Berthold Meyer, Bernhard Moltmann (Hg.). Konfliktsteuerung durch die Vereinten Nationen und die KSZE.
     Frankfurt am Main 1994.
     Als neue Bibliographie zum KSZE/OSZE-Prozess: Henrik Holtermann (Hg.). CSCE: From Idea to Institution: A Bibliography.
     Kopenhagen 1993.
     Die KSZE/OSZE-Dokumente werden unter anderem leicht greifbar laufend veröffentlicht in: Ulrich Fastenrath (Hg.). KSZE:
     Dokumente der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Neuwied 1992. (Loseblattsammlung, fortlaufend).
     Das erste Jahrbuch zur OSZE existiert seit diesem Jahr: Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität
     Hamburg (Hg.). OSZE-Jahrbuch 1995: Jahrbuch zur Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
     Baden-Baden 1995.
     Für einen ersten Überblick sei auf das kürzlich erschienene IAP-Schwerpunktheft verwiesen: Von der KSZE zur OSZE: Die
     Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Hg. IAP-Dienst Sicherheitspolitik, 5/1995. Bonn 1995.
     Eine ausgezeichnete Einführung in die OSZE bietet auch: OSZE-Vademecum: Eine Einführung über die Organisation für
     Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Hg. OSZE-Dienst des Eidgenössischen Departementes für auswärtige
     Angelegenheiten. Bern 1995.
     Als Lehrmittel für die Aus- und Weiterbildung ist kürzlich erschienen: OSZE - Sicherheit in Europa. Hg. Eidgenössisches
     Departement für auswärtige Angelegenheiten. Bern 1995.
  15.Nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten schied die DDR 1990 als Mitgliedstaat aus.
  16.Das seit 1994 unabhängige Andorra gehört der OSZE (noch) nicht an.
     Ferner ist zu beachten, dass die KSZE auch Kontakte zu Nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) und zu Drittstaaten pflegt:
     Das Hauptaugenmerk bei den Kontakten zu NGOs liegt auf der Menschlichen Dimension. Im Rahmen der Fragen der Sicherheit und
     Zusammenarbeit im Mittelmeerraum bestehen auch Bindungen zu den Mittelmeeranrainerstaaten Algerien, Ägypten, Israel, Marokko
     und Tunesien. Seit dem Helsinki II-Gipfel (1992) wird Japan an gewisse Treffen eingeladen. Einen ähnlichen Status besitzt Südkorea.
  17.Die Mechanismen der friedlichen Streitbeilegung haben in jüngster Zeit eine dynamische Weiterentwicklung erfahren: Der sogenannte
     "Valetta-Mechanismus" (KSZE-Expertentreffen über die friedliche Regelung von Streitfällen in La Valetta 1991) sieht bei einem
     Streitfall die obligatorische Hinzuziehung einer Drittpartei vor. Der Mechanismus kann auch einseitig angerufen werden. Die
     OSZE-Schlichter können vertrauliche Hinweise und Ratschläge erteilen, ob Verhandlungen eingeleitet werden sollen oder ob ein
     anderes Verfahren besser geeignet sei. Die Kompetenzen der Schlichter sind also sehr klein. Um den Mechanismus zu straffen,
     wurde auf dem Aussenministertreffen in Stockholm 1992 eine KSZE-Vergleichskommission beschlossen. Unter der Bedingung der
     Gegenseitigkeit können die Vorschläge der Kommission als bindend anerkannt werden. Der Hohe Rat kann eine "Schlichtung auf
     Anordnung" verfügen, ohne dass die Parteien einverstanden sind (Ausnahmen bilden Fragen der territorialen Integrität und
     Verteidigungsfragen). Damit wurde das Konsensprinzip zugunsten der Formel "Konsens minus zwei" weiter aufgeweicht. Der
     Grundpfeiler des ebenfalls in Stockholm 1992 geschaffenen völkerrechtlichen Übereinkommens über Vergleichs- und
     Schiedsverfahren innerhalb der OSZE schliesslich bildet ein obligatorisches Vergleichsverfahren vor einer Ad
     hoc-Vergleichskommission. Deren Empfehlungen sind indes nicht zwingend. Das fakultative Schiedsverfahren kann nur eingesetzt
     werden, wenn ein Vergleichsverfahren nicht zum Erfolg gelangt ist. Der Schiedsspruch ist rechtlich bindend. Vgl. zur Friedlichen
     Streitbeilegung: Schlotter, Neue KSZE, 37-42 (Schaubilder 5, 6, 7).
  18.Der im Wiener Dokument über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Massnahmen (1990) geschaffene Krisenmechanismus ist zur
     Erörterung "militärisch bedeutsamer Aktivitäten der Streitkräfte ausserhalb der normalen Friedensstandorte" vorgesehen. Er beinhaltet
     ein kurzfristiges Nachfragerecht und Konsultationen auf Verlangen. Zusätzlich verpflichtet sich jeder OSZE-Staat, bei gefährlichen
     militärischen Zwischenfällen unverzüglich zu informieren. Vgl. zum Militärischen Krisenmechanismus: Schlotter, Neue KSZE,
     34-36 (Schaubild 4).
     Im Zusammenhang mit dem Jugoslawienkrieg wurde der Wiener Mechanismus bisher dreimal ausgelöst von Österreich und Italien
     betreffend Slowenien (1991), von Ungarn aufgrund von Luftraumverletzungen durch Restjugoslawien (1991) und von
     Serbien-Montenegro wegen eines angeblichen Angriffes auf sein Territorium von Ungarn aus (1992).
  19.Präventivdiplomatische Missionen der OSZE sind zur Zeit in acht verschiedenen Krisengebieten tätig: Serbien-Montenegro (seit
     September 1992; im Juli 1993 von Belgrad nicht mehr verlängert); Mazedonien (seit September 1992); Georgien/Südossetien (seit
     Dezember 1992); Estland (seit Februar 1993); Moldawien (seit April 1993); Lettland (seit November 1993); Tadschikistan (seit
     Februar 1994); Bosnien-Herzegowina (Sarajewo) (seit Oktober 1994); Ukraine (seit November 1994).
     Überdies beteiligt sich die OSZE seit der vereinbarten Waffenruhe vom Mai 1994 im Rahmen der "Minsker Gruppe" an den
     Verhandlungen über einen Friedensplan betreffend Nagorny-Karabach (Armenien/Aserbeidschan). Auf dem Budapester
     Überprüfungstreffen wurde die Vorentscheidung für die Entsendung einer multinationalen Friedenstruppe nach Bergkarabach
     getroffen. Es ist ein Verband von 3'300 Personen vorgesehen, der nach Abschluss einer politischen Vereinbarung über die Einstellung
     des bewaffneten Konfliktes zwischen Armenien und Aserbeidschan zum Einsatz gelangen könnte. Aufstellung und Einsatz dieser
     Friedenstruppe werden für die weitere Entwicklung der Sicherheitskooperation und die militärische Zusammenarbeit vor allem mit
     Blick auf die Einbindung Russlands von erheblicher Bedeutung sein.
     Als neuste Entwicklung ist darauf hinzuweisen, dass Anfang 1995 OSZE-Delegationen, unter anderem eine Gruppe von
     Menschenrechtsexperten unter der Leitung des Schweizer Diplomaten Lorenzo Amberg, die Lage in Tschetschenien erkundeten.
     Seit April 1995 ist eine OSZE-Assistenzgruppe in Grosny aktiv.
  20.Gegenwärtig sind sieben Sanktionsunterstützungs-Missionen in folgenden Nachbarstaaten Restjugoslawiens im Einsatz: Albanien (seit
     April 1993); Bulgarien (seit Oktober 1992); Kroatien (seit Januar 1993); Mazedonien (seit November 1992); Rumänien (seit
     Oktober 1992); Ukraine (seit Februar 1993); Ungarn (seit Oktober 1992).
  21.Der politische Krisenmechanismus wurde anlässlich des Treffens der Aussenminister in Berlin (1991) geschaffen. Ein Teilnehmerstaat
     kann vom betroffenen Staat eine Klarstellung über Zwischenfälle, die ein Prinzip der Schlussakte verletzen oder den "Frieden, die
     Sicherheit oder die Stabilität" gefährden, verlangen. Bleibt die Situation weiterhin ungelöst, kann eine Dringlichkeitssitzung des Hohen
     Rates oder des Ständigen Rates einberufen werden. Diese kann Empfehlungen oder Schlussfolgerungen vereinbaren oder ein
     besonderes Ratstreffen anberaumen. Vgl. zum Politischen Krisenmechanismus: Schlotter, Neue KSZE, 34 (Schaubild 3).
     Der Berliner Mechanismus wurde bisher zweimal in bezug auf die Lage in Jugoslawien (1991/1992) und einmal betreffend
     Nagorny-Karabach (1993) ausgelöst.
  22.Als Grundsätze für das OSZE-Peacekeeping werden im Helsinki II-Dokument genannt: Anordnung und Leitung durch Konsens;
     keine Zwangsmassnahmen; Zustimmung der direkt betroffenen Parteien; unparteiische Durchführung; zeitlich begrenzt, da kein Ersatz
     für eine Verhandlungslösung; alle OSZE-Staaten sind zur Teilnahme berechtigt, sofern sie nicht von den betroffenen Parteien
     zurückgewiesen werden; OSZE kann bestehende Organisation (EU; Nato; WEU; GUS) ersuchen, Ressourcen für Peacekeeping
     unter der politischen Leitung der OSZE zur Verfügung zu stellen.
  23.Für eine schweizerische Perspektive des Aufgabenbereiches des Amtierenden Vorsitzenden vgl. Botschafter Benedikt von Tscharner
     (Ständiger Vertreter der Schweiz bei der OSZE und bei den internationalen Organisationen in Wien). "Die OSZE als
     Herausforderung für die Schweiz und ihre Diplomatie". In: Neue Zürcher Zeitung vom 13. Februar 1995; Interview mit Botschafter
     Benedikt von Tscharner: "Konkrete Schritte statt Luftschlösser". In: Der Bund vom 3. November 1995; Interview mit Botschafter
     Raymund Kunz (Chef des Koordinationsstabes der OSZE im EDA): "Die gesamteuropäische sicherheitspolitische Kooperation
     vertiefen". In: Chance Schweiz 3 (1995): 3-8; Josef Schärli (Delegierter des Generalstabschefs für Rüstungskontrolle und
     Friedenssicherung). "Zur OSZE-Präsidentschaft der Schweiz 1996". In: Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 10 (1995):
     12f; Interview mit Bundesrat Flavio Cotti: "Es ist unsere ethische Pflicht, etwas für den Frieden in Europa zu tun". In: Tages-Anzeiger
     vom 21. November 1995.
  24.Allerdings ist zu beachten, dass Konsens nicht Einstimmigkeit bedeutet. Konsens ist gegeben, wenn kein Staat einen Einwand
     erhebt und einen solchen als Hindernis für die anstehende Beschlussfassung qualifiziert. Anlässlich des Prager Ratstreffens (1992)
     wurde die "Konsens minus eins"-Formel eingeführt. Demnach können "in Fällen von eindeutigen, groben und nicht behobenen
     Verletzungen einschlägiger OSZE-Verpflichtungen" angemessene Massnahmen auch ohne die Zustimmung des betroffenen Staates
     getroffen werden. Dem traditionellen Souveränitätsdenken wurde jedoch noch insofern Rechnung getragen, als sich Beschlüsse nach
     dieser Formel nur auf "politische Erklärungen" oder andere "politische Schritte" beschränken, die "ausserhalb des Territoriums des
     betreffenden Staates anwendbar sind". Mit der Suspendierung Restjugoslawiens (Serbien-Montenegro) wurde ein entsprechendes
     Präjudiz geschaffen.
  25.Der revidierte Haushalt betrug für das Jahr 1994 knapp 36 Millionen Schweizer Franken. Die grössten Posten entfielen auf die
     Missionen und die Aufgaben des Sekretariates. Davon hatte die Schweiz gemäss Verteilschlüssel 2,30 Prozent mitzutragen (1994: ca.
     830'000.- Franken). Allerdings muss festgehalten werden, dass ein Grossteil der OSZE-Aktivitäten im Feld (Missionen und
     Langzeitmissionen) auf freiwilligen Beiträgen der Teilnehmerstaaten beruht. So leistete die Schweiz im Rechnungsjahr 1994 über den
     ordentlichen Haushalt hinaus weitere freiwillige Beiträge für die schweizerischen Teilnehmer an OSZE-Missionen und
     Sanktionsüberwachungsmissionen im Gesamtumfang von knapp 1 Million Franken. (Zahlenangaben gemäss: OSZE-Vademecum,
     14.)
  26.Zur Bedeutung der KSZE/OSZE für die Schweiz vgl. grundsätzlich: Werner Hübscher. Die Schweiz und die Konferenz über
     Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. SAD-Arbeitsheft W 9. Zürich 1973; Alois Riklin et al. Die Schweiz und die KSZE:
     Stand 1977. SAD-Arbeitsheft W 12. Zürich 1977; Edouard Brunner. "La CSCE, Véhicule de Politique Etrangère pour la Suisse?".
     In: Emanuel Diez et al. (Hg.). Festschrift für Rudolf Bindschedler. Bern 1980. 611-616; Matthias Erzinger et al.
     Menschenrechts-Vorbild Schweiz? Zum "humanitären" KSZE-Engagement der Schweiz. Hg. Schweizerischer Friedensrat.
     Zürich 1986; Urs Stemmler. Die Konferenz über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Massnahmen und Abrüstung in Europa
     als Mittel der schweizerischen Sicherheitspolitik. 2 Bde. Diss. New York 1989; Marianne von Grünigen. "Konferenz über
     Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) und Neutralität". In: Bewaffnete Neutralität heute: Beilage zur Allgemeinen
     Schweizerischen Militärzeitschrift 1992. 47-56; Marianne von Grünigen, Josef Schärli. "Die Schweiz und der Prozess der
     Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE)". In: Alois Riklin, Hans Haug, Raymond Probst (Hg.). Neues
     Handbuch der schweizerischen Aussenpolitik. Schriftenreihe der Schweizerischen Gesellschaft für Aussenpolitik 11.
     Bern/Stuttgart/Wien 1992. 569-588; Jean-Daniel Ruch. "La CSCE et la Suisse". In: Bulletin zur schweizerischen
     Sicherheitspolitik 2 (1992): 56-70; Hans-Jörg Renk. "Vor 20 Jahren: Schlussakte von Helsinki: Die Rolle der Schweiz bei der
     Entstehung der KSZE". In: Neue Zürcher Zeitung vom 31. Juli 1995; Benedikt von Tscharner. "Die Schweiz und die OSZE". In:
     René Rhinow (Hg.). Die schweizerische Sicherheitspolitik im internationalen Umfeld. Basel 1995. 73-86.
  27.Lucius Caflisch, Blaise Godet. "La Suisse et le règlement pacifique des différends internationaux". In: Riklin, Neues Handbuch der
     schweizerischen Aussenpolitik, 957-971. Über die friedliche Streitbeilegung im Rahmen der KSZE fand 1993 ein Seminar der
     Zentralstelle für Gesamtverteidigung (ZGV) statt. Die entsprechende Tagungsauswertung ist erschienen als: Zentralstelle für
     Gesamtverteidigung (Hg.). Friedliche Streitbeilegung. Info Gesamtverteidigung 10. Bern 1993.
  28.CSCE II/B/1, Entwurf der Delegation der Schweiz für einen Vertrag über ein europäisches System der friedlichen Beilegung von
     Streitigkeiten (18. September 1973). In: Europa-Archiv 2 (1976): D 38-52.
     Professor Dr. Rudolf Bindschedler, Rechtsberater des Eidgenössischen Politischen Departementes (Heute: EDA) und Leiter der
     Schweizer Delegation während der Genfer Verhandlungsphase, war spiritus rector des Vertragsentwurfes.
  29.Vgl. Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend das Übereinkommen über Vergleichs- und Schiedsverfahren
     innerhalb der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) sowie die Vergleichs- und Schiedsverträge mit
     Polen und Ungarn (19. Mai 1993). In: BBl 1993 II 1153.
     Es handelt sich beim Übereinkommen über Vergleichs- und Schiedsverfahren neben dem aus dem KSZE-Prozess
     hervorgegangenen Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa und dem Vertrag über den Offenen Himmel um die
     einzige völkerrechtlich bindende Verpflichtung im Rahmen der KSZE/OSZE.
  30.Am 29. Mai 1995 fand die konstituierende Sitzung des neuen Vergleichs- und Schiedsgerichtshofes in Genf statt. Zum Vorsitzenden
     wurde der französische Völkerrechtler und frühere Präsident des Pariser Verfassungsgerichts Robert Badinter gewählt. Sein
     Stellvertreter ist der vormalige deutsche Aussenminister Hans-Dietrich Genscher. Die Schweiz ernannte Professor Lucius Caflisch
     und alt Bundesrichter Rolando Forni zu Streitschlichtern. Die Professoren Christian Dominicé und Daniel Thürer gehören dem
     Gremium als Schiedsrichter an.
  31.Es handelt sich dabei um die Journalisten Hanspeter Kleiner (Sarajewo) und Andreas Kohlschütter (Kiew).
  32.Für eine neuere Übersicht zum Thema der sich gegenseitig verstärkenden Sicherheitsinstitutionen in Europa vgl. James B. Steinberg.
     "Overlapping Institutions, Underinsured Security: The Evolution of the Post-Cold War Security Order". In: Bernard von Plate (Hg.).
     Europa auf dem Wege zur kollektiven Sicherheit? Konzeptionelle und organisatorische Entwicklungen der
     sicherheitspolitischen Institutionen Europas. Internationale Politik und Sicherheit 38. Baden-Baden 1994. 49-69.
  33.Andrey Zagorski. "Russland und die OSZE: Erwartungen und Enttäuschungen". In: OSZE-Jahrbuch 1995, 109-120.
  34.Jonathan Dean. "Die Vereinigten Staaten und die OSZE: Im Wechsel von Förderung und 'wohlwollender Vernachlässigung'". In:
     OSZE-Jahrbuch 1995, 99-108.
  35.Vgl. Michael Lucas, Oliver Mietzsch. The OSCE and Security in Russia and the CIS: Decisions in Budapest and the Challenge of
     their Effective Implementation. Arbeitspapiere der Schweizerischen Friedensstiftung 23. Bern 1995.
  36.Vgl. die diesbezüglichen Ausführungen anlässlich des OSZE-Troika-Treffens in Genf am 19. Oktober 1995. Neue Zürcher Zeitung
     vom 24. Oktober 1995; und die Äusserungen von Mitarbeitern des EDA anlässlich der Medienkonferenz vom 20. November 1995.
     Neue Zürcher Zeitung vom 21. November 1995.
     Wie Bundesrat Flavio Cotti im Anschluss an ein Treffen mit dem amerikanischen Aussenminister Warren Christopher am 9.
     November 1995 bekanntgab, wurde der Schweizer Brigadier Peter Arbenz, ehemaliger Generalinspektor der Uno-Truppen in
     Ex-Jugoslawien (Unprofor), zum Mitglied der OSZE-Expertengruppe ernannt, welche die technischen Aspekte des OSZE-Mandates
     in Bosnien vorbereitet.
  37.Vgl. zur bisherigen schweizerischen Jugoslawienpolitik: Andreas Wenger, Jeronim Perovic. Das schweizerische Engagement im
     ehemaligen Jugoslawien: Über Grenzen und Möglichkeiten der Aussenpolitik eines neutralen Kleinstaates. Zürcher Beiträge zur
     Sicherheitspolitik und Konfliktforschung 36. Zürich 1995.
  38.Pále Dunay. "Zusammenarbeit in Konflikten: Der Amtierende Vorsitzende und der Generalsekretär: Ein künftiges Problem?". In:
     OSZE-Jahrbuch 1995, 399-410.
  39.Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten hat sich in diesem Zusammenhang dazu entschlossen, die
     Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation als zusätzliches Instrument zur Multiplikation von Information zu nutzen. Es hat die
     Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse an der ETH Zürich damit beauftragt, eine Homepage "Die schweizerische
     OSZE-Präsidentschaft" auf dem Internet anzubieten (Adresse: http://www.fsk.ethz.ch/osze/).
     Vgl. auch den Artikel "Die Auswirkungen der Informationsrevolution auf die schweizerische Aussen- und Sicherheitspolitik:
     Offene Fragen und erste Lösungsansätze" im vorliegenden Bulletin zur schweizerischen Sicherheitsp
 
 
 

Die mörderischen Dinger müssen weg!

In Oslo wird über die Ächtung der Antipersonenminen
verhandelt, ein Vertrag ist auf Dezember versprochen. Ob
China und Russland ihn unterzeichnen werden, ist indessen
fraglich.

Von Pierre Simonitsch, Genf

Ab heute wird in Oslo über ein Verbot von Antipersonenminen
verhandelt. Schon vor Beginn der entscheidenden Verhandlungsrunde
konnte die Kampagne für ein Verbot der Landminen, die vom
Internationalen Komitee vom Roten Kreuz geführt wird, einen
Teilerfolg verbuchen: Nach langem Zögern beschlossen die USA, am
sogenannten Ottawa-Prozess teilzunehmen. Diese von 17
Industriestaaten eingeleiteten Verhandlungen sollen bis Jahresende zu
einem Verbot der Antipersonenminen führen. Es wird bestenfalls zu
einem Etappensieg auf dem langen Weg dahin reichen. Die grössten
Minenexporteure der Welt, unter ihnen China und Russland, zeigen
dem Ottawa-Prozess nämlich die kalte Schulter.

Auch die Motive Bill Clintons sind nicht über jeden Verdacht
erhaben. Hat die US-Administration in der Minenfrage tatsächlich
eine Wende vollzogen, oder tritt sie dem Ottawa-Prozess als Bremser
bei? Jedenfalls ist eine der Bedingungen, welche der US-Präsident
stellt, kaum zu erfüllen. Er fordert, dass die Demarkationslinie
zwischen Nord- und Südkorea vom Minenverbot ausgenommen
wird. Begründung: Die konventionelle Übermacht der
nordkoreanischen Streitkräfte. Mit dem gleichen Argument könnten
Dutzende von Staaten die Verminung ihrer Grenzen rechtfertigen.

Washington vertrat bislang die Meinung, nur ein weltweites Verbot
der Antipersonenminen sei sinnvoll. Die über weite Gebiete Asiens
und Afrikas verstreuten Minen seien kein US-Problem. Weder
gehöre Amerika zu den Lieferanten dieser wahllos tötenden Waffen,
noch würde es diese anwenden.

Es stimmt, dass die in Afghanistan, Angola oder Kambodscha
massenhaft verstreuten Minen zumeist russischer und chinesischer
Herkunft sind. Doch haben einige europäische Staaten zum
Minenproblem beigetragen, bis sie sich vor einigen Jahren auf ein
Exportverbot verständigten. Der Jugoslawienkonflikt hat die
Minenfelder nach Europa zurückgebracht. Nach Angaben der
bosnischen Regierung verseuchen 500 000 bis 700 000 Minen
anderhalb Millionen Quadratmeter Bosnien-Herzegowinas.

Ein Minenverbot ohne die Teilnahme Russlands, Chinas, Indiens und
einiger anderer Dittweltproduzenten hätte tatsächlich wenig Wirkung.
Die USA setzen daher auf ein Abkommen im Rahmen der Genfer
Abrüstungskonferenz, in der alle globalen und regionalen
Militärmächte vertreten sind. Der Ottawa-Prozess ist für sie nur ein
Nebengeleise.

Derweil spielt sich in Genf seit einem Jahr ein makabres Schauspiel
ab. Die 61 Konferenzmitglieder können sich auf kein
Arbeitsprogramm einigen. Obwohl die Uno-Generalversammlung der
Abrüstungskonferenz aufgetragen hat, ein Minenverbot und einen
Produktionsstopp für Kernsprengstoff zu erwirken, blockieren einige
Drittweltländer unter Führung Indiens die Verhandlungen. Die Inder
fordern vorab die Einsetzung eines Ausschusses für allgemeine
atomare Abrüstung. Dem widersetzen sich die USA.

Der Ottawa-Prozess ist ein Versuch, die Genfer Abrüstungskonferenz
zu umgehen. Die Erosion des 1960 gegründeten Verhandlungsorgans
wird in Kauf genommen. Ziele des Ottawa-Prozesses sind ein
bindender Verzicht auf Anwendung, Herstellung und Ausfuhr von
Antipersonenminen sowie die Vernichtung der Bestände. 98 Staaten
unterstützen das. Von den grossen Minenproduzenten und -kunden
haben sich aber erst die USA der Initiative angeschlossen.

Dass sich in der Minenfrage so wenig bewegt, ist ein Skandal.
Obwohl heute weltweit 115 Millionen Landminen herumliegen,
werden noch immer mehr verlegt als geräumt. Die Dinger sind billig zu
erwerben. Eine handflächengrosse Plastikmine von der Form eines
Schmetterlings kostet drei Dollar. Da sie kein Metall enthält, ist sie mit
Detektoren nicht auffindbar. Über die farblosen Sprengkörper wächst
Gras, der Wind weht Sand darüber. Bis eines Tages - oft lange nach
Kriegsende - ein spielendes Kind oder ein Bauer drauftritt.

Meistens töten die Minen nicht, sondern verletzen. Die Verletzungen
sind aber so schwerwiegend, dass oft nur die Amputation des ganzen
Beins oder Arms übrigbleibt. Hunderttausende von Krüppeln sind
Zeugen des Skandals. Auch die wirtschaftlichen Folgen sind
einschneidend, weil weite Landstriche nicht mehr genutzt werden
können. Das Geld für Minenräumung fliesst spärlich - die Reichen
wollen nicht für die Armen zahlen.

Die Ersetzung der "dummen" Minen durch "smarte", die einen
Selbstzerstörungsmechanismus besitzen, löst das Problem nicht. Die
Antiminenkampagne verdient die Unterstützung aller, denn es gibt nur
eine Lösung: Das Zeug muss weg!
 
 
 

Rassismus

 

von Christina Gasser, Schweiz

Rassismus, Imperialismus und Kolonialismus sind alles Ideologien, die zur Absicherung von Machtansprüchen benutzt werden, wobei unter
Rassismus die Gesamtheit der Theorien und politischen Lehren zu verstehen ist, die Zusammenhänge zwischen anthropologischen
Merkmalen von Menschenrassen und Kulturentwicklungen behaupten und dabei kulturelle Fähigkeiten und historische Entwicklungslinien
nicht auf politische und soziale, sondern auf biologische Ursachen zurückführen. Im engeren Sinne sind unter Rassismus alle Lehren zu
verstehen, die aus solchen Zusammenhängen eine Über- bzw. Unterlegenheit einer menschlichen Rasse gegenüber einer anderen behaupten.
Der Rassismus liefert daher innenpolitisch die Begründung für Diskriminierung, Unterprivilegierung oder Unterdrückung ethnischer Gruppen
(oft Minderheiten), die als Vertreter anderer Rassen bezeichnet werden. Aussenpolitisch wird der Rassismus zur Rechtfertigung von
Imperialismus und Kolonialismus herangezogen.

Unter Imperialismus wird heute ein politisch-ökonomisches Herrschaftsverhältnis verstanden mit dem Ziel, die Bevölkerung eines fremden
Landes mit politischen, diplomatischen, kulturellen und ideologischen Mitteln zu beeinflussen, auszubeuten, abhängig zu machen und direkt
oder indirekt zu beherrschen.

Kolonialismus ist eine wirtschaftliche Expansion, die in Form politischer Beherrschung einer unterlegenen Zivilisation abgesichert wird. Der
neuzeitliche Kolonialismus begann im Zeitalter der ‹Entdeckungen› im 15. Jahrhundert in einer Verbindung von Rohstoffausbeutung und
Missionsgedanken und bestimmte seither in mehreren Schüben das Verhältnis der europäischen Staaten zu den überseeischen Gebieten.
Zugleich suchten die Mächte durch Kolonialexpansion auch ihren europäischen Führungsanspruch materiell und politisch abzustützen.

Bis anhin wurden rassistische Denkrichtungen wissenschaftlich unterstützt durch die Behauptung, dass die verschiedenen Menschengruppen
charakteristische Genkombinationen besitzen würden. Doch neueste Forschungsergebnisse entziehen nun diesen Ideologien, wenigstens was
die biologischen Hintergründe betrifft, jegliche fundierte Grundlage.

In einem Zeitungsartikel (Tages-Anzeiger, Mittwoch 1. Februar 1995) über den Populationsgenetiker André Langaney findet sich folgender
Absatz:

«Der genetische Unterschied zwischen einzelnen ethnischen Gruppen ist über alle Regionen hinweg sehr viel kleiner als
zwischen Individuen innerhalb einer Ethnie. «Alle sind verwandt, jeder ist verschieden», lautet die Erkenntnis aus 25 Jahren
moderner Populationsgenetik am Menschen. Sie entzieht jeglichem Rassismus den Nährboden. Dass sich Menschengruppen
etwa in der Hautfarbe oder in Gesichtszügen voneinander unterscheiden, hat mit den Völkerwanderungen über die
Jahrzehntausende und mit der Anpassung an Umweltfaktoren zu tun.»

Dieser in verschiedener Hinsicht sehr interessante Artikel hat wieder einmal gezeigt, dass alles zwei Seiten hat. Für viele Menschen, die eher
mit Besorgnis die Erzeugnisse der ‹DNS-Mechaniker› verfolgen, ist es sicher tröstlich zu sehen, dass ganz annehmliche Nebenprodukte
dieses Wissenschaftszweiges zu verzeichnen sind.

Die Genforschung und Gentechnologie werden uns in Zukunft noch viele Überraschungen bereiten und Beweise liefern für Annahmen, die
erst bei einer Handvoll denkender Menschen Gestalt angenommen haben.

Auch Nicht-Wissenschaftler geben immer wieder wertvolle Gedankenanstösse. So drückt z.B. nachfolgender Text des türkischen Poeten
Nacim Hikmet ähnliches aus, wie die wissenschaftliche Erkenntnis des obgenannten Genetikers.

                                                  Leben
                                              einzeln und frei
                                               wie ein Baum
                                              und brüderlich
                                               wie ein Wald
                                            ist unsere Sehnsucht

Es ist erfreulich, dass heute wieder das verbindende Element unter den Menschen gesucht wird und nicht mehr das trennende. Die
zunehmende Spezialisierung in sämtlichen Wissensgebieten hat die Forscher an gewisse Grenzen stossen lassen. Verschiedene kluge Köpfe
haben die Zeichen der Zeit jedoch erkannt, und es werden in einigen Forschungsprojekten die aus Borniertheit und Selbstüberschätzung
gezogenen Trennungslinien wieder aufgeweicht und Fäden verknüpft, die bisher zwangsläufig ins Leere führten.

Diese Entwicklung ist um so erfreulicher, weil, geschürt durch die Auswirkungen der Überbevölkerung, ein überholt geglaubter Rassismus
sich wieder zu verbreiten beginnt; gepaart mit Ausländerhass, Asylantenhass und Fremdenhass. Dieser neu aufgeflammte Rassismus, der aus
krankem und falschem Denken heraus entsteht und in seiner letztendlichen Auswirkung nur zum Nächstenhass und schlussendlich zum
Selbsthass führt, muss in seiner lebensfeindlichen Unlogik aufs schärfste angeprangert werden. Denn viel weitläufiger noch, als gemeinhin
angenommen wird, ist alles miteinander verbunden und voneinander abhängig; die Menschen untereinander ebenso, wie das Gesamtgefüge
von Fauna und Flora und alles was dieses Universum betrifft und darüber hinaus. So gesehen kann Rassenhass nichts anderes sein als
Zerstörung und somit auch Selbstzerstörung, was sich in diesem Fall auf die Menschheit dieses Planeten bezieht.

So unglaublich es auch im ersten Moment klingen mag: Gerade jene Menschen sind indirekt Förderer des Rassismus, die sich frei davon
glauben und meinen, nur ‹gute Werke› zu tun. Sie haben den Überblick verloren über die Zusammenhänge der einzelnen Systeme und
verursachen durch ihr falsch-humanes Denken und Handeln gegenwärtige und kommende Fehlentwicklungen. Dies sowohl in der
Entwicklungshilfe wie auch in der Ausländer- und Asylpolitik. Aus früher begangenen Fehlern (siehe z.B. Kolonialismus) ist bei vielen
Europäern ein tiefverwurzeltes schlechtes Gewissen entstanden, aus dem heraus unlogische Handlungen resultieren, wie
überbevölkerungsfördernde Hilfeleistungen usw. In der heutigen Zeit aber, in der die Überbevölkerung das Grundübel Nr. 1 ist, dürfen die
sogenannten Hilfsorganisationen nicht mehr unterstützt werden, weil diese nicht darauf ausgerichtet sind, unser aller Hauptanliegen
anzugehen; nämlich, die Überbevölkerung zu stoppen. Das Hungerproblem nämlich kann nicht mit falschhumanistischen Hilfsaktionen aus
der Welt geschafft werden, sondern nur durch folgerichtiges, logisches Denken und Handeln. Und das logische Denken sollte uns eigentlich
schon lange sagen, spätestens aber seit wir wissen, dass die Lebensmittelproduktion nicht mit der Bevölkerungsexplosion mithalten kann,
dass wir die weltweiten Katastrophen verschiedenster Natur nur durch einen rigorosen und radikalen Stopp der ‹wundersamen›
Vermehrung in den Griff bekommen werden. (Siehe Überbevölkerungsschriften der FIGU.)

Im neu-aufbrodelnden Fremden- und Rassenhass des dichtbesiedelten Europa hat sich die Überlebensangst-Komponente wirtschaftlicher
Natur wesentlich verschärft. Dort nämlich, wo Platz und Verdienstmöglichkeiten immer knapper werden und zwangsläufig der
Konkurrenzkampf immer härter wird, wo materielle und bewusstseinsmässige Armut um sich greifen und jeder jedem die Luft zum Atmen
vergönnt, überall dort verlieren die Menschen die Achtung voreinander. Der Nächste ist nicht mehr der Nächste, sondern der am nächsten
stehende Feind, und wenn an ihm eine vermeintliche Andersartigkeit oder Bevorzugung entdeckt wird, erwachen Hass, Neid und Missgunst.
Schwache, dumme und in ihrem Denken kranke Menschen greifen dann gern zu ‹bewährten› alt-überlieferten Hassmustern, um ihr
‹Mütchen› an unschuldigen und meist wehrlosen Mitmenschen zu kühlen. Sie sind zu feige, sich dem eigenen inneren Feind, den sie in sich
tragen, zu stellen und ihn zu bekämpfen. Sie haben Angst, das Übel (Dummheit) in sich selbst zu entdecken und greifen lieber zu
propagierten Feindbildern. Diesen kriminellen Individuen stehen völlig unfähige Machthaber und unsichere Bürger gegenüber, die sich auch
noch in verschiedene Lager spalten: Die einen, welche sich heimlich über die ‹bombigen› Denkzettel freuen, die den Fremden, Ausländern,
Asylanten, Sintis oder Romas usw. erteilt werden, und die anderen, welche selbst noch gefangen sind von Geschehen der Vergangenheit,
geplagt von einem schlechten Gewissen und nicht unterscheiden könnend zwischen übersetzten Forderungen und gesundem
Menschenverstand, wobei die vergangenen Ungerechtigkeiten und Ungeheuerlichkeiten durch neue Greueltaten usw. ersetzt werden; so z.B.
geschehen in Palästina. Doch so weit muss man nicht suchen, um die Verwundbarkeit des mitteleuropäischen Volkes in seiner Gewissensnot
aufzuzeigen. Skrupellose Menschen haben diese Schwachstelle längst entdeckt und erpressen hierzulande mit moralischem Druck und durch
untergeschobenes rassistisches Gedankengut Zugeständnisse, die sie selbst nie zu geben bereit wären.

Täglich kann leider auch beobachtet werden, dass sich Menschen anderer Völker und Rassen untereinander selbst harmen und hassen und
sich über ihre Diskriminierung als Fremde und als Ausländer beklagen. Sie selbst aber sind auch keinen Deut besser und finden immer noch
jemanden, der ‹weit unter ihnen steht›. Das ‹hierarchische› Gefälle sieht dann etwa so aus: Italiener - Spanier - Türken - Jugoslawen -
Tamilen usw. Selbst unter den eigenen Landsleuten gibt es strenge Abstufungen; so betrachten z.B. die Norditaliener die Süditaliener
gewissermassen als ‹Neger›, mit denen sie sich nicht an den gleichen Tisch setzen wollen. Dies ist sicher eines der harmloseren Beispiele des
alltäglichen Wahnsinns, wenn man an Jugoslawien, Irland, Südafrika und an die Türkei und an die Kurden usw. denkt.

Um noch einmal auf erpresserische Methoden gewissenloser Existenzen zurückzukommen, ein Beispiel, das noch näher ins Detail geht und
nebst rassistischen auch sexistische Aspekte zutage fördert: Es geschieht nicht selten, dass weisse Frauen, die sich normal und ohne
Vorurteile mit schwarzen Männern unterhalten, sich auf einmal in die Rassistenecke gedrückt sehen, dann nämlich, wenn sie nicht bereit sind,
aus einer normalen Unterhaltung mehr, wenn nicht gar eine Bettgeschichte zu machen. Auch andere arglose Menschen haben sicher schon
ähnliches erlebt und sich auf einmal in einer Situation gesehen, in der sie sich gegen übersetzte Forderungen wehren mussten, um dann das
verletzende Etikett der Fremdenfeindlichkeit und des Rassenhassers verpasst zu bekommen. Betrachtet man unsere Bundesräte (diese
Traurigkeit), dann traut sich keiner von ihnen, die gerechte Meinung zu sagen, und sollte ihm doch einmal ein wahres Wort entschlüpfen,
wird es anderntags heftig dementiert (Ausbruch Jugoslawienkonflikt, z.B.).

So muss sich die Menschheit also heute zweifach befreien, einerseits von unhaltbarem rassistischem Gedankengut, und andererseits vom
falsch-humanen Denken, welches uns nur weiter in den Dreck zieht.
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Geschärfter Blick auf Osteuropas
Kirchen

Seit 25 Jahren fordert das Institut "Glaube in der 2. Welt"
Religionsfreiheit für unterdrückte Ostkirchen. Seit der Wende
hat sich sein Engagement verstärkt.

Von Michael Meier

Im Jugoslawienkonflikt hat das Institut "Glaube in der 2. Welt" (G2W)
kontinuierlich über die Politik der katholischen wie auch der
serbisch-orthodoxen Kirche berichtet. Derzeit dokumentieren die
neun Mitarbeiter im Zolliker Institut intensiv die schwierige
Religionsgesetzgebung in Osteuropa. In Russland etwa, oder in
Rumänien und Bulgarien, wo sich die orthodoxe Kirche im Bestreben,
wieder Staatskirche zu werden, gegen die Gleichstellung anderer
Kirchen wehrt.

"Wir wollen aufklärend, konfessionskundlich über die Ostkirchen
berichten und so interkonfessionell befriedend wirken", sagt
Institutsleiter Erich Bryner, der auch als Titularprofessor an der
Zürcher Theologischen Fakultät osteuropäische Kirchengeschichte
doziert. Namentlich mit dem Periodikum G2W adressiert sich das
Institut an die hiesigen Kirchen und Hilfswerke, aber auch an
theologische Schulen und Lehrkräfte in Osteuropa selber. Der Titel
der Zeitschrift "Für Religionsfreiheit und Menschenrechte" stammt
noch aus der Zeit des Kalten Krieges.

Durch die Glaubensunterdrückung in der Sowjetunion alarmiert, hatte
der St. Moritzer Pfarrer Eugen Voss, selber aus einer Russlandschweizer
Familie stammend, 1972 das in Europa einzigartige Institut aufgebaut
und als Trägerinnen die katholische und die evangelische Kirche
gewonnen. "Die Gründung war in der Schweiz eher möglich als in
Deutschland, wo die Polarisierung während des Kalten Krieges viel
schärfer und wegen der Nähe zur DDR Vorsicht geboten war", sagt
der wissenschaftliche Mitarbeiter Gert Stricker.

Mit zur Wende beigetragen

Wenn die deutschen Kirchen etwas nicht zu publizieren wagten,
haben sie es in der Zeitschrift von Eugen Voss plaziert. Im Auftrag
von Kardinal Franz König hat das Institut die nicht öffentlichen
Tagungen mit Menschenrechtsexperten und KSZE-Diplomaten des
sogenannten Wiener Kreises organisiert. Das permanente Anprangern
von Menschenrechtsverletzungen hat laut Stricker mit zur Wende
beigetragen.

Seither hat sich die Menschenrechtsarbeit des Instituts freilich
verändert. Vor fünf Jahren konnte G2W eine Vertretung in Moskau
einrichten. Dort kümmert sich Mitarbeiterin Franziska Rich zusammen
mit einer russischen Juristin um die zahlreichen Opfer von
Justizirrtümern und Todesurteilen. Rich inspiziert auch regelmässig
russische Gefängnisse und Straflager, schickt Seelsorger dorthin, aber
auch Bibeln und Literatur. Die im Moskauer Büro koordinierte
Aufbauhilfe von G2W umfasst darüber hinaus
Medikamentenlieferungen und die Unterstützung verschiedener
Sozialprojekte an der Basis.

Wichtiges Bein der Projektarbeit ist die Bücher- und Literaturhilfe.
Kurz vor der Wende hat G2W die Reihe "Das internationale
theologische Buch" lanciert und seither gegen zwei Laufmeter Bücher
für den Osten publiziert, Übersetzungen westlicher Werke oder
Arbeiten von einheimischen Autoren. Früher "konnten sich die
Kirchen den Luxus einer theologischen Diskussion nicht leisten", sagt
Bryner. Die aktuellen reaktionären Tendenzen in den Ostkirchen
zeigten, wie wichtig es sei, sie theologisch à jour zu bringen.

Spaltungstendenzen bei Orthodoxen

So bricht der traditionellerweise in der Kirche verwurzelte russische
Patriotismus heute wieder verstärkt in fundamentalistischen
Strömungen auf. Ein G2W-Heft thematisiert die unheimliche Liaison
dieses Nationalismus mit dem Antisemitismus. Guten Nährboden
findet er bei den antijudaistischen Kirchenvätern wie Johannes
Chrysostomos, deren Theologie speziell auch in den Klöstern ganz
oben rangiert.

Im Westen, sagt Stricker, habe man vor der Wende die unter der
Oberfläche schwelenden konfessionellen Probleme nicht erkannt. Die
dort praktizierte Ökumene sei in Wahrheit eine durch sowjetischen
Druck erzwungene Ökumene gewesen. Erst mit dem
Auseinanderbrechen der Vielvölkerstaaten Russland oder
Jugoslawien seien auch die konfessionellen Verfeindungen sichtbar
geworden. Und zugleich auch die antiwestliche und antiökumenische
Haltung der russischen Orthodoxie.

Mit der Zulassung der griechisch-katholischen (unierten) Kirche in der
Ukraine hat Gorbatschow das Moskauer Patriarchat erheblich
geschwächt und dessen Ressentiments gegen das immer stärker nach
Osten missionierende Rom verschärft. Mit der These vom
Kanonischen Territorium, wonach auf dem sowjetischen Gebiet von
einst nur die russische Orthodoxie heimatberechtigt ist, versucht es
auch die aus dem Westen eindringenden Sekten abzuwehren. Diese
werden laut Stricker gemeinhin mit dem Protestantismus identifiziert,
so dass auch das orthodox-protestantische Verhältnis stark lädiert sei.

Gegensätze heute offensichtlicher

Angetrieben von nationalistischen Kräften, ist vor kurzem die
georgisch-orthodoxe Kirche aus dem Weltkirchenrat in Genf
ausgetreten. Auch der russische Patriarch Alexi marschiert unter dem
Druck der Traditionalisten immer weiter nach rechts, um eine
Spaltung seiner Kirche zu verhindern. Die Abspaltung der
prowestlichen und ökumenefreundlichen Orthodoxen ist für Experten
eine existentielle Gefahr. Kurz: Der kirchliche Ost-West-Gegensatz ist
mit dem Mauerfall erst recht manifest geworden. Und G2W fühlt sich
gemäss Bryner in seinem Informationsauftrag um so mehr in die Pflicht
genommen.
 
 
 

Die Stellung des Souveräns in der grenzüberschreitenden sicherheitspolitischen
Zusammen-arbeit

Nationalrat Dr. Ulrich Schlüer, Flaach

Ein Staat, der sich in seiner Verfassung zur direkten Demokratie bekennt, gibt mit diesem Bekenntnis seinem Willen
Ausdruck, auch Sachenscheide - sowohl innenpolitischer wie aussenpolitischer Natur - grundsätzlich mit dem Souverän,
niemals im Widerspruch zur Mehrheit von Volk und gegebenenfalls auch Ständen zu fällen.

Dieses - aus Schweizer Sicht lapidar erscheinende - Bekenntnis überbindet den Verantwortungsträgern auf allen Stufen
des Staates die Aufgabe und Pflicht, für Sachentscheidungen, die persönlich als richtig eingestuft und deshalb angestrebt
werden, die Zustimmung dieses Souveräns durch entsprechende Überzeugungsarbeit zu suchen. Aber es verpflichtet die
Verantwortungsträger auch dazu, Entscheide des Souveräns zu respektieren und ehrlich mit vom Souverän getroffenen
Weichenstellungen umzugehen - auch mit solchen, die aussenpolitische Prinzipien betreffen.

Er erfüllt diese Pflicht - wenn wir die Neutralität als Beispiel wählen - zweifellos nicht, wenn er die Neutralität betont
pflichtschuldig als zwar ® im Prinzip¯ noch gültig anerkennt, aber gleichzeitig politische Anstrengungen unterstützt und
verfolgt, die eine ® Ausdünnung¯ der Neutralität - dieses Wort wurde schon von einem Bundesrat verwendet - bezwecken,
die die Neutralität aushöhlen, gegen innen und aussen zunehmend als unglaubwürdig erscheinen lassen. Zwar ist
Neutralitätspolitik auch in der Schweiz nicht sakrosankt und alles andere als ein Mythos - aber Abstrichen an der
Neutralitätspolitik muss zwingend ein Grundsatzentscheid des Souveräns vorausgehen. Wird ein Prinzip unserer
Aussenpolitik vom Gewicht der Neutralität ohne Befragung oder gar im Gegensatz zum Souverän - und sei es auch nur
schrittweise - ® ausgedünnt¯ und abgebaut, dann werden in der direkten Demokratie Gräben aufgeworfen - Gräben
zwischen Regierung und Souverän, Gräben, die über kurz oder lang den Staat selber in eine tiefe Krise stürzen.

In der direkten Demokratie ist die politische Macht nach dem Willen des Souveräns nun einmal dezentralisiert, liegt das
letzte Wort beim Souverän, dem sich die Verantwortungsträger zu unterziehen haben. So hat es dieser Souverän in der
Verfassung festgelegt.

So viel zur - zweifellos nicht mehr ganz selbstverständlichen - Rangord-nung, wie sie in der direkten Demokratie eigentlich
Geltung hat.

Nun gibt es Stimmen, welche die direkte Demokratie als zunehmend untauglich erachten, den grossen Herausforderungen
unserer Zeit problemgerecht zu begegnen - insbesondere auch in aussenpolitischen Fragen, wenn es
grenzüberschreitende Probleme zu lösen gilt, wenn eine international gültige Friedens-ordnung zu schaffen ist. Dieser
Frage der Gewährleistung einer soliden internationalen Friedensordnung gilt im heutigen Zusammenhang unser
Hauptaugenmerk.

Europa steht seit nunmehr bald fünf Jahren im Banne eines anhaltenden, besonders blutig, besonders gewalttätig
ausgetragenen Konflikts. Jugoslawien wurde für Europa zum Fanal, wo feierlich beschworene Grundsätze der
Gewährleistung kollektiver Sicherheit im Rahmen einer gemeinsamen europäischen Aussen- und Sicherheitspolitik, im
Rahmen kollektiver Verantwortung zunehmend unerbittlich an der Realität gemessen werden. Ist die Probe bestanden
worden?

Was für Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen dieses multinationalen Konflikt-Managements hat ein sich zur direkten
Demokratie bekennender europäischer Kleinstaat zu ziehen ?

Er stellt zunächst fest, dass die dem Prinzip der kollektiven Sicherheit unterstellten Befriedungsaktionen in Ex-Jugoslawien
zu keinem Zeitpunkt auch nur einen hinlänglich spürbaren Willen sichtbar werden liessen, einen auf Gerechtigkeit
ausgerichteten Frieden herbeizuführen. In der Realität hat sich die multinationale «Friedenstruppe» zu jedem Zeitpunkt
des Konflikts jenen Spielregeln gefügt, welche ihr von der jeweils stärksten Konfliktpartei diktiert wurden. Der Stationierung
von UNO-Blaumhelmtruppen im ehemaligen Jugoslawien im Anschluss an die Eroberung von Teilen Kroatiens durch die
serbische Armee ging bekanntlich eine vertragliche Einigung voraus, wonach der UNO-Einsatz ausdrücklich die
Wiederherstellung der territorialen Integrität der beteiligten Konfliktparteien bewirken müsse. Ohne diese
Vertragsbestimmung hätte Kro-atien der Stationierung von Blauhelmen in seinem Land nie zugestimmt. Wohl niemand
dürfte heute behaupten wollen, die UNO habe zu irgend einem Zeitpunkt auch nur ansatzweise ernsthafte Anstrengungen
entwickelt, dieses ihr übertragene Mandat auch zu erfüllen.

Die Stationierung der UNO-Truppen erfolgte ja ausgerechnet an der formell eigentlich illegalen Grenze. Die Blauhelme
schützten den Eroberer vor Rückeroberungen durch den in der ersten Kriegsphase Unterlegenen. Der eigentliche Auftrag
der Blauhelme wurde - zwecks Tarnung der faktischen Unterwerfung unter das Diktat des Aggressors - einseitig auf einen
rein humanitären beschränkt, wobei auch dieser Auftrag, wenn der Realität unvoreingenommen ins Auge geblickt wird,
nicht bloss ausnahmsweise zu einem eigentlichen Erfüllungswerk der vom Aggressor diktierten ethnischen Säuberungen
verkam - durch Vollzug der räumlichen Trennung unterschiedlicher Bevölkerungsteile, kultureller und religiöser Gruppen,
wie das dem Willen der serbischen Eroberer entsprach. Dass diesen Aktionen von den Medien nicht die einzig
zutreffende Bezeichnung - Apartheid - gegeben wurde, zeigt höchstens, dass auch die Medien im Rahmen dieser
multinationalen Konfliktstrategie versagt haben.

Inzwischen haben sich die Gewichte auf dem Schlachtfeld grundlegend verschoben - und diese Verschiebung der
Kräfteverhältnisse veränderte auch die Einsatzdoktrin der multinationalen Friedenstruppe: Sobald Kroatien auf dem
Schlachtfeld vollendete Tatsachen zu schaffen vermochte, sobald es seine militärische Überlegenheit gegenüber dem
seinerzeitigen Angreifer bewiesen hatte, wechselte die UNO gleichsam über Nacht ihre Einsatzdoktrin. Lufteinsätze mit
Kampfflugzeugen, zuvor während Jahren als militärisch undurchführbar und unwirksam verworfen, wurden plötzlich
angeordnet. Erst als von den Kroaten Geschlagene wurde den serbischen Einheiten auch noch von den internationalen
Friedens-truppen Schläge zugefügt. Das Kriegsglück hat sich offensichtlich gewendet, und in seinem Schatten auch die
Einsatzdoktrin der Friedens-truppe.

Es wäre verfehlt, einfach die in Ex-Jugoslawien eingesetzten Blauhelme pauschal als Versager hinzustellen. Das
Versagen resultiert aus dem den Blauhelmtruppen erteilten Auftrag, der ein Auftrag war, der militärisch nicht erfüllbar ist.
Das in Jugoslawien während Jahren verfolgte politische Ziel, auf der Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners
einen wenigstens minimalen Konsens zwischen allen Konfliktparteien zu erzielen, verunmöglichte von allem Anfang an
erfolgreiches militärisches Operieren. Daran - und nicht an der Qualität der eingesetzten Blauhelmsoldaten - ist der
Blauhelmeinsatz in Jugoslawien gescheitert. Die politisch Verantwortlichen schoben die Blauhelme in die Rolle
uniformierter Sozialarbeiter, die - mangels eindeutiger militärischer Aufträge - vor militärischen Ansprüchen zwangsläufig
versagen mussten. Denn die UNO-Verantwortlichen - denken Sie an die unselige Figur des Herrn Akashi - hatten sich zu
keinem Zeitpunkt die Lösung des Konflikts vorgenommen, sie bürokratisierten den Konflikt vielmehr. Und wo das Zepter
den Bürokraten überlassen wird, wird die Verewigung eines Problems unausweichlich. Gleichzeitig lieferten sich die
Konflikt-Manager mit der Ziellosigkeit ihrer Aktionen den Medien aus: An jenen Schauplätzen, von denen die Medien
grauenerregende Bilder in die ganze Welt übertragen konnten, entstand ebenso unverzüglich wie punktuell
Handlungsbedarf. Es musste der Öffentlichkeit demonstriert werden, dass die Handlungsfähigkeit noch hinlänglich
gewährleistet war - so etwas wie ein Gesamtkonzept, wie eine Strategie kam - wenn es je eine gegeben hat - dabei
gänzlich abhanden. Als Einsatzmittel wurde gewählt, was die Bildschirm-Öffentlichkeit am ehesten zu überzeugen
versprach - militärischer Nutzen hin oder her.

Das Prinzip der kollektiven Verantwortung für die kollektive Sicherheit hat in Jugoslawien in einem Ausmass versagt, wie
es gravierender kaum vorstellbar ist - Tausende von Opfern, von Getöteten, von Entehrten, von Vergewaltigten, von
Verstümmelten als Zeugen des Versagens eines künstlich hochgehaltenen Prinzips zurücklassend.

Gäbe es denn eine Alternative? Sicher nicht eine, die den Jugoslawienkonflikt über Nacht einer Friedensordnung zuführen
würde. Aber es gibt eine alternative Strategie, die, langfristig und zäh verfolgt, wohl bessere Ergebnisse bewirken würde.
Sie geht von einer Erkenntnis aus, welche wohl vor allem in direkten Demokratien wachsen kann: Eine einigermassen
friedliche Lösung in einem Konflikt kann - vor allem dann, wenn unterschiedliche Bevölkerungs-, Religions-,
Sprachgruppen in den Konflikt verwickelt sind - nur dann gefunden werden, wenn die unmittelbar am Geschehen
Beteiligten die Ordnung, in der sie miteinander auszukommen haben, selber in unmittelbarer Mitbeteiligung und
Mitverantwortung auch in allen Einzelaspekten erarbeiten können. Mit andern Worten: Während zentralistische
Bürokratisierung einen Konflikt regelmässig verlängert, ja verewigt und zementiert, kann aus der weitestgehenden
Dezentralisierung der politischen Macht mittelfristig ein Fundament entstehen, auf welchem sich gerechte Lösungen Schritt
für Schritt zu entwickeln beginnen können. Längst hat doch die weltweite politische Erfahrung gezeigt: Je breiter politische
Verantwortung verteilt ist, je unmittelbarer der Einzelne in der Demokratie mitwirken kann, je konsequenter politische
Macht dezentralisiert ist, desto defensiver, desto bewahrender wird Politik entfaltet. Wer selbst in der Mitverantwortung für
die geltende Ordnung steht, verhält sich offensichtlich weit zurückhaltender, diese Ordnung mutwillig über den Haufen zu
werfen als jener, der eine Ordnung, für die er sich nicht verantwortlich fühlt, als oktroyiert und damit rasch auch als
ungerecht empfindet.

Sie mögen mir hier nun vorwerfen, diese Betrachtungsweise sei etwas allzu stark auf die direkte Demokratie, auf
schweizerische Erfahrungswelt fokussiert. Ich lasse diese Kritik durchaus gelten - weise aber auch daraufhin, dass sich
die direkt demokratische Staatsordnung mit unmittelbarer Mitverantwortung des Souveräns an der Ausgestaltung auch
des staatlichen Alltags als weit soliderer - wenn auch nicht besonders spektakulär zu inszenierender - Beitrag an den
Weltfrieden erwiesen hat als jede im Rahmen internationaler Konflikt-Büro-kratisierung noch so glänzend abgewickelte
Weltkonferenz.

Freilich: Der in direkter Verantwortung stehende, an der staatlichen Ordnung laufend mitgestaltende souveräne Bürger
lässt sich in aller Regel von Schlagworten, wie sie zur Beschwörung kollektiver Sicherheit derzeit besonders häufig
formuliert werden, seinen nüchternen Blick auf die Realitäten, auf die realen Kräfteverhältnisse und Kräftespiele in dieser
Welt kaum verstellen. Er begegnet jenen verführerisch formulierten Ideen von der Schaffung einer neuen Weltordnung, vom
Ende der Geschichte, vom definitiven Ausbruch des Zeitalters multinationaler kollektiver Sicherheit mit jenem gesunden
Misstrauen, welches im selbstgestalteten, in internationalen Stürmen rasch akut gefährdeten Kleinstaat als Frucht
politischer Erfahrung von Generationen gewachsen ist.

Er weiss, dass die Menschheit gerade heute in einer Phase ihrer Geschichte lebt, wo die politischen Gewichte in dieser
Welt neu gesetzt werden. Und er ist sich darüber im klaren, dass hinter all den wohlklingenden Formeln - "Partnership for
Peace" -, die an internationalen Konferenzen beschwörend in den Rang allgemein gültiger Prinzipien erhoben werden,
schliesslich nackte, egoistische Interessenpolitik, nacktes Machtstreben das Ringen um die zukünftige eigene Stellung
jeder Macht auf der Weltbühne entscheiden wird.

Julian Lichtsteiner