Interpretation


In „Der Kübelreiter“ von Franz Kafka geht es um einen Mann, dem seit geraumer Zeit die Kohle ausgegangen ist. Es ist jedoch Winter und er entschließt sich auf seinem leeren Kübel zum Kohlehändler zu reiten um sich ein wenig Kohle zu erbetteln, da er kein Geld hat. Dort kann nur der Kohlehändler den Kübelreiter hören, kann ihn infolge einer Krankheit jedoch nicht bedienen. Seine Frau, die der Kohlehändler schickt, scheint jedoch den Kübelreiter nicht wahrzunehmen, denn auch als sie ihn entdeckt gibt sie vor, niemanden zu sehen. Ohne die Kohle bekommen zu haben, entschwindet dieser dann in die Ewigkeit.

Der erste Textabschnitt bis Z. 17 ermöglicht einen Überblick über die bedrängte und verzweifelte Situation dieses Menschen, der kurz vor dem Kältetod steht und darum bei einem hartherzigen Kohlenhändler Hilfe suchen muß.

Im zweiten Abschnitt bis Z. 29 reitet der Hilfebedürftige auf seinem Kohlenkübel beim Händler vor, um zu zeigen, dass der Kübel schon so leer ist, dass man auf ihm fliegen kann.

Der dritte Teil bis Z. 53 beinhaltet die wiederholten Bitten des Suchenden nach Kohle vor dem Laden des Händlerehepaares; während der Mann immer wieder seine Stimme zu vernehmen scheint, stellt dessen Frau zweimal fest, dass niemand da ist.

Im vierten Textabschnitt bis Z. 73 entschließt sich der Händler, vor dem Laden nachzusehen, wird aber von seiner Frau zurückgehalten. Noch als sie selbst nachschaut und den Bedürftigen entdeckt, gibt sie vor, niemanden zu sehen.

Der fünfte Abschnitt bis zum Textende schließlich zeigt den unglücklichen Ausgang: Die Frau treibt den Notleidenden auf dem Kübel mit der Schürze davon, versagt ihm damit die lebensrettende Kohle und lässt ihn in der Kälte zurück.

Die Geschichte ist aus der Sicht des Erzählers und in Präsens geschrieben. Zu Beginn wird nur erzählt, dann jedoch erfolgt im dritten Textteil die wörtliche Rede, welche jedoch auch durch kurze Beschreibungen unterbrochen wird. Auch am Ende erwähnt der Ich-Erzähler nur kurz, was er gerade tut, dann ist die Geschichte zu Ende.

Im ersten Teil fallen in der Einleitung direkt die Satzteile auf, die nur durch ein Semikolon getrennt sind. Durch diese schnelle, abgehackte Folge der Satzteile will Kafka scheinbar die bedrängte, bedrohliche Situation des Erzählers verdeutlichen. Denn er steht unter Zeitdruck, weil er in der Zeit, die noch bis zum Erfrieren bleibt, Kohle finden muss. Zudem beschreiben die Adverben die die trostlose und aussichtslose Situation. Auffällig ist auch, dass Kafka praktisch von innen nach außen beschreibt. Erst Kohle, dann Kübel, Schaufel, Ofen, dann erwähnt er das ganze „Zimmer“ und erzählt dann von draußen mit den „Bäumen vor dem Zimmer“ und dem „Himmel über den Bäumen“.

In Zeile 2 sind dann Metaphern durch „Kälte atmend der Ofen“ und „das Zimmer vollgeblasen von Frost“ vorhanden. Leblose werden hier beatmet, vielleicht bedeuten die Metaphern auch, dass sie mit Leben angehaucht werden, jedoch ohne Hoffnung auf Hilfe. In Zeile 3 ist mit „der Himmel, ein silberner Schild gegen den, der von ihm Hilfe holen will“ noch eine Metapher zu erkennen. Durch das Schild wird also selbst die Hilfe aus dem Himmel versperrt. „Hinter mir der erbarmungslose Ofen, vor mir der Himmel ebenso“ in Zeile 5 und 6 verdeutlichen nochmal die Bedrohung und Einengung des Erfrierenden.

Im folgenden geht der Ich-Erzähler näher auf seine Konsequenz ein, beim Kohlenhändler Hilfe zu suchen und beschreibt die Hartherzigkeit von diesem. Dazu verwendet Kafka erst eine Hyperbel („kein einziges Kohlenstäubchen mehr“, Z. 10) und zudem eine Metapher („geradezu die Sonne am Firmament“, Z. 11). Diese beinhaltet auch die Wärme und das Licht, die im Gegensatz zur Situation des Erzählers stehen. Zur Beschreibung der Hartherzigkeit des Händlers benutzt der Autor den Vergleich „wie der Bettler“ (Z. 12); derselbe Satz beinhaltet zudem das einen nahenden Tod ankündigende Partizip „röchelnd vor Hunger“ (Z. 12). Die Unbarmherzigkeit kommt im Vergleich besonders dadurch zum Ausdruck, dass der Bettler nur mit Kaffeebodensatz abgespeist wird - und das wahrscheinlich nur, damit er nicht auf der Schwelle des Herrschaftshauses stirbt. Dies bezieht Kafka wiederum auf die Situation des Erzählers: Der Kohlenhändler gibt dem Kübelreiter nur widerwillig von den Kohlen (deutlich durch das Verb „schleudern“, Z. 17), aber nicht aus freiwilliger Hilfe, sondern nur, um dem Imperativ des Gebotes „Du sollst nicht töten!“ (Z. 16) zu gehorchen.

Der zweite Teil nun ist ähnlich wie der erste aufgebaut: Die nur durch ein Semikolon getrennten Sätze verdeutlichen die noch immer bestehende tödliche Bedrohung. Kafka verwendet aber in diesem Teil viele Verben (wie: reiten, aufsteigen, hochheben, schweben u. a., Z.18-26)., um die Aktivität während der Reise zum Kohlenhändler darzustellen, in der sich auch die aufkommende Hoffnung des Erzählers wiederspiegelt.

Es ist ein Gegensatz zu finden in der Feststellung, im Hause seien Bewegungen noch „beschwerlich“ (Z. 20), auf der Straße aber stiege der Kübel prächtig auf (Z. 21). Trotz Eile und Bedrängnis beschreibt der Autor die Reise des Erzählers auf dem Kübel als beschwerdefrei und losgelöst von den durch die Kälte existierenden Problemen: Das Adverb „prächtig“ (Z. 21) wird wiederholt, das Aufsteigen des Kübels wertet der Erzähler bildlich noch höher als das „Sich-Erheben“ von Kamelen (Z. 22), die Flughöhe wird kontrastierend der Enge der Gasse und der - oben erwähnten - Beschwerlichkeit im Haus gegenübergestellt (aufsteigen, Z.21; „werde ich bis zur Höhe der ersten Stockwerke gehoben; niemals sinke ich bis zur Haustüre hinab“, Z. 24-26). Durch diesen Kontrast wird aber am Ende des zweiten Abschnitts auch die in jeder Hinsicht zutreffende Entfernung vom Kohlenhändlerehepaar deutlich: „außergewöhnlich hoch“ - „tief unten“ (Z. 26/27).

Ein weiterer Gegensatz zum Erzähler liegt auch in der Finalkonstruktion „um die übergroße Hitze abzulassen, hat er die Tür geöffnet“ (Z. 28 f.): Während der eine zum Leben nichts nötiger bräuchte als ein wenig Wärme, hat der andere so Überfluß davon, dass er sie sinnlos verschwenden kann.





Im dritten Textteil beginnt nun die wörtliche Rede: Es kommt ein Paradoxon „mit vor Kälte hohlgebrannter Stimme“ (Z. 30) bzw. „in Rauchwolken [...] gehüllt“ (Z. 31) zum Vorschein; die Atemlosigkeit des Kübelreiters wird deutlich durch die Änderung in den Sätzen innerhalb der Bitte, die einem Vortrag gleicht: Die kurzen Sätze sind nun durch Punkte getrennt. Mit dem Satz „Sobald ich kann, bezahle ich's“ (Z. 33) in Verbindung mit den übrigen Bitten wird die Aufmerksamkeit des Händlers geweckt, doch seine Frau merkt scheinbar nichts. Die Situation im Haus der Kohlenhändler steht der im Haus des Erzählers gegenüber: Die auf der warmen Ofenbank strickende Frau (Z. 35) stellt ein Sinnbild der Gemütlichkeit dar; sie ist „wohlig im Rücken gewärmt“ (Z. 38). Bezeichnenderweise verwendet Kafka auch hier wiederum Atemmetaphorik, allerdings in gegensätzlicher Bedeutung zum ersten Textteil („ruhig aus- und einatmend“, Z. 37). Die Reaktion des Händlers lässt beim Erzähler erneut Hoffnung aufkommen, was man an dem „O ja!“ (Z. 39) erkennen kann, doch dann reiht der Kübelreiter wieder Beteuerungen aneinander - kurze Sätze, durch Semikolon getrennt. Der Händler bekräftigt seine Meinung, jemanden gehört zu haben, durch die Wiederholung „es ist, es ist jemand“ (Z. 41) und die Klimax „eine alte, eine sehr alte Kundschaft“ (Z. 42 f.). Doch die scheinbar träge und gemütliche Frau („[...] drückt, einen Moment ausruhend, die Handarbeit an die Brust“, Z. 44 f.) beruhigt ihren Mann („alle unsere Kundschaft...“, Z. 46).

Der Hilfesuchende sieht seine Hoffnung schwinden, so dass die Frage besteht, ob seine „gefühllosen Tränen der Kälte“ (Z. 48 f.) wirklich vom Gefühl her entstehen oder nur von der beißenden Kälte kommen.

Der Händler will zu Anfang des vierten Teils endlich tätig werden, doch seine Schwäche und Unterlegenheit gegenüber seiner Frau zeigen sich, z. B. im Adverb „kurzbeinig“ (Z. 54) und der Handlung der Frau, die ihn festhält („aber die Frau...“, Z. 55). In ihrem Gesprächsanteil nun findet wiederum eine Änderung des Satzbaus statt: Ihre kurzen, knappen Anweisungen und Hinweise sind durch Punkte abgetrennt; sie ist sich der Überlegenheit über ihren Mann ganz sicher - so ist die Aussage „Du bleibst“ (Z. 56) im Indikativ formuliert.

Das Auftauchen der Kohlenhändlerin auf der Gasse um selbst nachzusehen, bedeutet für den Hilfebedürftigen die letzte Hoffnung: Dies zeigt sich in der hastig hervorgestoßenen knappen Satzreihung. Die Hoffnung geht hervor aus der Beobachtung des „Kübelreiters“, dass die Frau ihn sofort bemerkt habe (Z. 62 f.).

Im fünften Textteil schließlich erreichen Widersprüche, die sich in der Person der Händlerin vereinigen, ihren Gipfel („sie sieht nichts und hört nichts; aber dennoch löst sie das Schürzenband und versucht mich mit der Schürze fortzuwehen“, Z. 74 f.). Der bedürftige Erzähler resigniert daraufhin („leider gelingt es“, Z. 76) und drückt sein Entsetzen nur in einer hilflosen und nutzlosen Wiederholung aus („du Böse!“, Z. 79 u. 81), die an die eines hilflosen Kindes erinnert.

Am Schluß ist der Leidende endgültig alleingelassen, er wurde mit der Hand vertrieben. Und die unendliche Eiseskälte, die ihn empfängt, spiegelt sich wider in den „Regionen der Eisgebirge“ (Z. 83), die so unendlich sind, dass der Erzähler sich für immer und ewig darin verliert (Z. 83 f.).

Zusammen gefasst geht es also um ein allein stehendes Individuum, das auf der Suche nach innerer Wärme und Geborgenheit ist, die ihm aber - trotz immer wieder aufkommender, leiser Hoffnung - von überragenden Mächten versagt bleiben; das Individuum bleibt trostlos zurück, ohne sein Ziel erlangt zu haben, und geht an Gefühlskälte zugrunde.

Zur Bedeutung auf Kafkas Leben bezogen, könnte man sagen, dass Kafka selbst sein ganzes Leben lang auf der Suche nach Wärme, Geborgenheit und Anerkennung war. Diese blieben ihm jedoch schon in der Familie versagt, da sein Vater nie bereit war, den Sohn anzuerkennen; kindliche Freude wurde höhnisch abgetan, selbst in die Wahl einer Frau durch den Sohn hatte der Vater kein Vertrauen. Möglicherweise meint Kafka ihn, als er beschreibt, wie man einem Bettler gleich vor dem Kohlenhändler angekrochen kommen müsse, der nur widerwillig, und um seinen guten Ruf nicht zu beschmutzen, hilft. Auch Wärme in einer von ihm selbst gegründeten Familie fand Kafka nie, da ihn die Abhängigkeit von seinem Vater stets davon abhielt zu heiraten; auch hatte er stets Angst, er könne in der Ehe scheitern. Dieser Widerspruch zwischen Zweifel und Hoffnung findet man auch im Verhalten des Erzählers der vorliegenden Parabel wieder.

Zudem bezieht sich Kafka vielleicht auf seine eigene negative Einstellung zu den Menschen. Von den Menschen ist keine Hilfsbereitschaft zu erwarten, selbst in noch so schweren Situationen wird man alleine gelassen. Um so negativer wird dieses Bild dadurch, dass man über keine eigene Schuld der Figur erfährt. Sie kann nichts für ihre Situation, sondern die Menschen die sie umgeben sind böse und schlecht.

Ich persönlich fand die Geschichte nach dem ersten Lesen total verwirrend und musste erst noch einige Male nachlesen, um zu verstehen, was Kafka vielleicht mit dem Inhalt und den rhetorischen Mitteln ausdrücken wollte. Da ich mittlerweile weiß, dass man bei Kafka ungefähr jedes Wort interpretieren kann, habe ich dies anhand dieses Beispiels versucht und hoffentlich richtig interpretiert.

Im Nachhinein finde ich die Geschichte zwar vom oberflächlichem Lesen her unrealistisch, aber nach mehrmaligem Lesen und Interpretationsversuchen entwickelt sie sich zu einer realistischen Situation, in der damals einige Menschen steckten und mit der auch noch heute vielleicht ein paar zu kämpfen haben. Da die Geschichten von Kafka meist auf sein eigenes Leben bezogen sind, war es spannend für mich herauszufinden, was wohl in dieser Geschichte auf die Biografie Kafkas schließen würde.