Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) Der Dichter stammte aus gehobenem Stand und verbrachte fast sein ganzes Leben in Wien. Bereits in seiner Jugend beschäftigte er sichmit dem Wiener Kultur- und Geistesleben. Schon als Gymnasiasten gelangenihm formvollendete Gedichte. Weil er in dem Alter noch nicht veröffentlichendurfte, verwendete er die Pseudonym Loris Melikow und Theophil Morren.So veröffentlichte er das Sonett „Frage“ und dasDrama "Gestern". In der Öffentlichkeit wurde man sofort aufmerksamauf Hofmannsthal. Hofmannsthal wurde wegen dem Wohlklang seiner Stimme und den Einsatzaller sprachlichen Mittel oft nur als Sprachästhet gesehen. Fürihn zählen aber viel mehr Bildkraft und Musikalität. 1891 begegnete der junge Dichter zum ersten Mal Stefan George, in dessen "Blättern für die Kunst" viele seiner Gedichte veröffentlicht wurden. Diese Gedichte brachten Hofmannsthal in Deutschland und Österreich großen Ruhm. Während Hofmannsthal an der Universität in Wien Jura studierte, entstanden das lyrische Drama "Der Tod des Tizian" und "Der Thor und derTod". In seinen Werken beschäftigt sich Hofmannsthal vor allem mit Fragen nach der Wirklichkeit und dem Sinn des Lebens. Typisch für die frühen Dichtungen ist das ambivalente Lebensgefühl (einerseits: Leben erkennen, Schönheit genießen; andererseits: Bedrohung durch den Tod).Dieses Todesmotiv ist typisch für diese Epoche. In Hofmannsthals Werkenist der Tod Hoffnung und Schrecken zugleich. Der Mensch hat die Hoffnung,im Moment des Todes den wahren Sinn des Lebens zu erkennen. Ein anderes Motiv Hofmannsthals ist das Welttheater. Der Mensch wirdals Träger einer Rolle gesehen (in der Lyrik und auch im Theater).Jeder ist in seiner Rolle schicksalhaft bis zum Ende gefangen. Das wirdvor allem in seinem frühen Drama „Der Thor und der Tod“(1893), im „Jedermann“ (1912) und im „SalzburgerGroßen Welttheater“ (1922) deutlich. Die Rolle wird oft als tragisch erlebt, weil der Sinn des Lebens nicht erkennbar ist. Gott ist nicht mehr wie im frühen Mysterienspiel dergroße Regisseur. Wie aus einem Traum erwacht, hat der Mensch nochbruchstückhafte Erinnerung an den Sinn des Lebens. In der Kindheitist vielleicht noch ein Erkennen möglich, später geht es verloren. Hofmannsthal beschäftigt sich sowohl in der Lyrik als auch in den
Dramen mit folgenden Themen: Tod und Leben, das Ringen um den Sinn desLebens,
die Einsamkeit des Menschen, der aus seiner Individualitätnicht heraustreten
kann; der die Dinge und die Menschen nicht begreiftund sich ihnen nicht mitteilen
kann. Ballade des äußeren Lebens Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen, die von nichts wissen, wachsen auf und sterben, und alle Menschen gehen ihre Wege. Und süße Früchte werden aus den herben und fallen nachts wie tote Vögel nieder und liegen wenig Tage und verderben. Und immer weht der Wind, und immer wieder vernehmen wir und reden viele Worte und spüren Lust und Müdigkeit der Glieder. Und Straßen laufen durch das Gras, und Orte sind da und dort, voll Fackeln, Bäumen , Teichen,
und drohende, und totenhaft verdorrte . . . Wozu sind diese aufgebaut? und gleichen einander sie? und sind unzählig viele? Was wechselt Lachen, Weinen und Erbleichen? Was frommt das alles uns und diese Spiele, die wir doch groß und ewig einsam sind und wandernd nimmer suchen irgend Ziele? Was frommt’s, dergleichen viel gesehen haben? Und dennoch sagt der viel, der „Abend“ sagt, ein Wort, daraus Tiefsinn und Trauer rinnt wie schwerer Honig aus den hohlen Waben.
Hofmannsthal schrieb einige Terzinen (aus dem Italienischen stammende, dreizeilige Strophenform), die er in "PAN", einer Zeitschrift des Jugendstils, veröffentlichte. Als freier Schriftsteller ließ er sich in Rodaun bei Wien nieder. Er heiratete mit Gertrud Schlesinger, aus deren Ehe drei Kinder entstammen. Schon in seinen frühen Werken deutet Hofmannsthal darauf hin, dass
er seiner Meinung nach den Sinn des Lebens nicht deuten und nicht mitteilen
könnte. Um die Jahrhundertwende kommt es dann zu einer dichterischen
Krise. 1902 verfaßte er „Ein Brief“, oft auch„Chandos-Brief“
genannt. Der fiktive Brief des LordChandos an seinen Freund, den Philosophen
und Naturwissenschaftler FrancisBacon, thematisiert die Sprache als ästhetisches
und soziales Problem.Er drückt zum ersten Mal die für die moderne
Literatur charakteristischeSprachskepsis aus - ein Thema, das auch Hofmannsthals
spätere Komödienbestimmt. Mein Fall ist, in Kürze, dieser: Es ist mir völlig abhandengekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken oder zusprechen. Zuerst wurde es mir allmählich unmöglich, ein höheresoder allgemeineres Thema zu besprechen oder dabei jene Worte in den Mundzu nehmen, deren sich doch alle Menschen ohne Bedenken geläufig zubedienen pflegen. Ich empfand ein unerklärliches Unbehagen, die Worte„Geist“, „Seele“ oder Körper“nur auszusprechen. Ich fand es innerlich unmöglich, über dieAngelegenheiten des Hofes, die Vorkommnisse im Parlament oder was Sie sonstwollen, ein Urteil herauszubringen. Und dies nicht etwa aus Rücksichtenirgendwelcher Art, denn Sie kennen meinen bis zur Leichtfertigkeit gehendenFreimut: sondern die abstrakten Worte, deren sich doch die Zunge naturgemäßbedienen muß, um irgendwelches Urteil an den Tag zu geben, zerfielenmir im Munde wie modrige Pilze. [. . .] Mein Geist zwang mich, alle Dinge, die in einem solchen Gesprächvorkamen, in einer unheimlichen Nähe zu sehen: so wie ich einmal ineinem Vergrößerungsglas ein Stück von der Haut meines kleinenFingers gesehen hatte, das einem Blachfeld mit Furchen und Höhlenglich, so ging es mir nun mit den Menschen und ihren Handlungen. Es gelang mir nicht mehr, sie mit vereinfachenden Blick der Gewohnheitzu erfassen. Es zerfiel mir alles in Teile, die Teile wieder in Teile,und nichts mehr ließ sich mit einem Begriff umspannen. Die einzelnenWorte schwammen um mich; sie gerannen zu Augen, die mich anstarrten undin die ich wieder hineinstarren muß: Wirbel sind sie, in die hinabzusehen mich schwindelt, die sich unaufhaltsam drehen und durch die hindurch manins Leere kommt. (Ausschnitt aus dem Chandos-Brief) Nicht nur Hofmannsthal sah die Sprachkrise als Ende einer Entwicklungder ästhetischen Sprachform und der Wortmagie. Die Sprachskepsis wurdebesonders von den Autoren des 20. Jahrhunderts weitergeführt bis hinzur Gegenwartsliteratur. Die Sprachkrise beendete Hofmannsthals lyrischesSchaffen. Er wandte sich ganz denjenigen literarischen Formen zu, mit denen erdas Publikum stärker zu beeindrucken glaubte, dem Drama und der Erzählung. Er begann mit dem Regisseur Max Reinhardt und mit dem Komponisten Richard Strauss, der viele Bühnenwerke vertonte („Der Rosenkavalier“, „Arabella“, „Elektra“, „Die Frau ohne Schatten“) zusammenzuarbeiten. Die Abwendung von derLyrik führte zu einem Bruch der Freundschaft und Zusammenarbeit mitGeorge. 1920 gründete Hofmannsthal mit Leopold von Andrian und Max Reinhardt die Salzburger Festspiele. „Jedermann“ (1912) und „Das Salzburger Große Welttheater“ (1922), Erneuerungen desMysterienspiels, wurden für die Festspiele inszeniert. Nach dem Ersten Weltkrieg bemühte sich Hofmannsthal, das Kulturerbe der zerbrochenen österreich-ungarischen Monarchie in die neue Zeithinüberzuretten. Es entstanden die Komödien „Der Schwierige“(1921) und „Der Unbestechliche“ (1922). Hofmannsthal gestaltete auch einmal ein politisches Werk, „Der Turm“ (1925). In diesem Trauerspiel lehnt er absolut die Volksherrschaft ab, weil sie die Herrschaft des Pöbels sei. 1929 stirbt Hofmannsthals einige Tage nach dem Selbstmord seines ältesten
Sohnes. Melanie Urbanek |