Stundenprotokoll der Deutsch- LK Stunde vom 26.8.99
 

Thema der Stunde: Friedrich Schillers Gedicht "Die Kindsmörderin" im Sinne eines Sturm

und Drang Textes.
 
 

Der Topos der Kindsmörderin wurde in der Epoche des Sturm und Drang häufig in literarischen Texten verwendet, wie es auch in Schillers Gedicht der Fall ist. Es ist daher nichts Außergewöhnliches, dass Schiller, der ja ein Stürmer und Dränger war, diesen Topos gewählt hat.

Nachdem wir diese Information von Herrn Turowski erhalten hatten, kamen wir zur Hausaufgabenbesprechung. Wir sollten typische Merkmale eines Gedichtes der Sturm und Drang Zeit aus Schillers Gedicht heraussuchen und diese benennen.

Florian hatte folgende Punkte in seiner Hausaufgabe aufgeführt:

Das Gedicht handelt von einer enttäuschten Liebe, ein typisches Thema dieser Epoche, und auch dass Worte wie "Herz" und "Liebe" häufig verwendet werden ist ein sicheres Merkmal für ein Sturm und Drang Gedicht. Durch die vielen Ausrufe wie "Joseph! Joseph" (V.41) oder "Hölle, Hölle" (V.81), verbunden mit Interpunktionen, werden die Gefühle und die Verzweiflung des lyrischen Ichs, also Louisens, ausgedrückt und hervorgehoben. Die verwendeten Inversionen, z. B. in Vers 33 "Mein vergessen dieses Schlangenherz", wird die Wut des lyrischen Ichs zum Ausdruck gebracht. Florian stellte außerdem die These auf, dass das sich lyrische ICH in einer Art Rauschzustand befände, doch der Rest des Kurses fand das sei nicht der Fall, da die Erinnerungen von Louise doch sehr präzise sind und sie diese sogar noch analysiert. Ein besser Ausdruck sei hingegen ‚emotionsgeladen‘ oder ‚gefühlsbetont‘.

‚Emotionsgeladen‘ lässt sich auch sehr gut begründen. Da sind zum einen die Ausrufe, die oben bereits genannt wurden, dann werden auch Adjektive wie ‚grimm‘, ‚kalt‘, ‚grass‘ und ‚blutig‘ (V.90 ff.) verwendet, die Louisens Abscheu ihrem Geliebten gegenüber deutlich machen und es werden Bilder benutzt, wie in den Versen 94 und 95 "dir des Kindes grasser Sterbeblick/(...) begegne dir im blutgen Schmucke" , die ebenfalls diesen Hass verdeutlichen und deren Vorstellungen den Geliebten ein Leben lang verfolgen sollen.

Wie will sie sich durch den Mord ihres Kindes am Geliebten rächen?

Wir sind zu dem Schluss gekommen, das sie sich nicht durch den Mord rächen will, sondern aus Verzweiflung so gehandelt hat. Besonders deutlich wird diese Verzweiflung ab Vers 65: "Weib, wo ist mein Vater? Lallte / seiner Unschuld Donnersprach, / Weib, wo ist dein Gatte? Hallte / jeder Winkel meines Herzens nach". Sie fühlt sich außerdem "Einsam (...) in dem All der Welt" (V.74) und alle Ängste und Komplexe die plötzlich hervorkommen projiziert sie auf den geliebten mit Hilfe der oben genannten Bilder.

Warum hat sie ihr Kind ermordet?

Gründe dafür sind zum einen die unendliche Verzweiflung von Louise und zum anderen der Gedanke an die Zukunft, die sie und das Kind gehabt hätten.

Sie ist Verzweifelt, weil sie sich von ihrem Geliebten verraten fühlt und nennt ihn in Vers 49 auch ausdrücklich einen "Verräter", der bereits die nächsten Mädchen verführt. Außerdem wird sie durch das Kind ewig an den "Verräter" erinnert, denn "den beklommnen Mutterbusen wiegen / Liebe und – Verräterei" und somit würde ihr Leid niemals enden.

Es ist ausserdem von Dingen die Rede, die normalerweise jede Mutter glücklich machen würden, für sie aber nur Qual bedeuten: "Durstet ewig an der Freudenquelle, / die dein Anblick fürchterlich vergällt, / ach, in jedem Laut von dir erwachet, / toter Wonne Qualerinnerung, / jeder deiner holden Blicke fachet / die unsterbliche Verzweifelung" (V.75 ff.).
 
 
 
 
 
 
 
 

Der Gedanke an die Zukunft ist mit Sicherheit ein mindestens genauso entscheidender Faktor für den Mord, auf jeden Fall für Louise selbst. Sie ist nicht verheiratet, also wird ihr nicht nur der Mann, sondern dem Kind auch der Vater fehlen. Da ihr Kind ein uneheliches ist, wird es genauso geächtet und verstoßen sein, wie sie und sie dafür hassen: "Wirst der Stunde unsrer Wollust fluchen, / wenn dich einst der Name Bastard schwärzt". Und genau in diesem Punkt sieht Louise die Begründung oder Rechtfertigung für den Mord. Sie glaubt fest daran, dass ihr Kind sowieso nicht leben will und sie ihn durch den Mord vor Schande bewahrt.

Warum verzeiht sie ihm?

In Vers 106 steht: "Dir verzeiht die Sünderin". Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass sie ihm aus zwei Gründen verzeiht: Da wäre einmal die Tatsache, dass sie sich an ihm gerächt hat und sich nun überlegen fühlt, "Glücklich! Glücklich! Seine Briefe lodern, / Seine Eide frißt ein siegen Feu’r" ( V.109 f.).

Der andere Punkt ist der, dass sie sich selbst einen Teil der Schuld eingestanden hat, denn "Schönheit war die Falle meiner Tugend" "Und Empfindung soll mein Richtschwert sein" (V.115 / V.30). Sie hätte ihn also auch abweisen können, ließ ihren Gefühlen aber freien Lauf und ist deshalb aus der Sicht der Stürmer und Dränger unschuldig.

Diese Gefühl der Unschuld trägt sie auch weiterhin in sich, obwohl sie gleichzeitig eine Teilschuld eingesteht, denn als der Henker sie töten muss, spricht sie "Henker, kannst du keine Lilie knicken?" ( V.119), wobei die Lilie für die Unschuld steht: "Der Unschuld Lilien" (V.26). Obwohl sie an ihre Unschuld glaubt fordert sie den Henker ganz entschieden auf sie zu töten: "Bleicher Henker zittre nicht !" ( V.120).

Was will das Gedicht über mit dem Topos der Kindsmörderin aussagen?

Schiller übt mit seinem Gedicht Kritik an der Gesellschaft und kritisiert folgende Punkte:

Er kritisiert die bürgerliche Moral.

Er kritisiert, dass man Menschen bestraft, weil sie Gefühle haben und nach diesen handeln.

Er kritisiert, dass man Verführbarkeit als Schwäche ansieht.

Und er kritisiert die Rangordnung des Mannes, da dieser keine Strafe erhält, obwohl er ebenfalls eine Schuld an der Tragödie trägt.

Weiteres Merkmal des Gedichtes als ein Sturm und Drang Text

Schiller wendet Neologismus und gleichzeitig Oxymora (sing. Oxymoron) an.

Neologismus ist die Bildung neuer Wörter und Oxymora sind zusammengesetzte Wörter, die gegensätzlich und unlogisch in ihrer Kombination sind. Diese beiden Stilmittel wendet er beispielsweise in Vers 61 an, mit dem Wort "tödlichlieblich", oder in Vers 66 wo von "stumme(r) Donnersprach" die rede ist.

Indem er diese Stilmittel anwendet verdeutlicht er erneut die Verzweiflung und die Zerrissenheit von Louise. In Vers 61 sind zwei gegensätzliche Eigenschaften des Kindes in einem zusammengefasst. Auf der einen Seite ist es Tödlich, auf der anderen lieblich. In Vers 66 geht er sogar noch weiter, denn indem er das Oxymoron verwendet verdeutlicht er, dass das Schweigen des Kindes, welches sie bereits als Verurteilung empfindet, wesentlich schlimmer für Louise ist, als wenn das Kind mit ihr darüber reden könnte.

Anmerkungen zum Blatt: Die literarische Epoche des Sturm und Drang

Unter der Überschrift: Persönlichkeitsideal steht, dass der ganzheitliche Mensch mit "Herz und Kopf" das ideale Menschenbild darstellt. Es geht also nicht nur um Gefühle, sondern auch um den Kopf, das selbstständige Denken.

Poetik ist die Theorie über Dichtkunst, also wie sie ist oder wie sie zu sein hat. Sie ist in jeder Epoche anders.

Sind Klassiker überholt?

Die Mehrheit des Kurses meint nicht, weil man viel über die Denk- und Lebensweisen der damaligen zeit lernen kann.

Saskia Verstege