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Genetik

 

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Genetik ist die Wissenschaft von der Vererbung, der Weitergabe von Merkmalen in Biochemie, Körperbau und Verhalten von Eltern auf ihre Nachkommen. Der Begriff wurde 1906 von dem britischen Biologen William Bateson geprägt. Genetiker untersuchen die Vererbungsmechanismen, die dafür verantwortlich sind, dass Nachkommen bei sexueller Fortpflanzung nicht genau ihren Eltern gleichen, obwohl Unterschiede und Ähnlichkeiten von Generation zu Generation weitergegeben werden. Die Erforschung dieser Gesetzmäßigkeiten führte zu einigen der interessantesten Entdeckungen der modernen Biologie.

 

Die Entstehung der Genetik

Die Wissenschaft der Genetik geht auf das Jahr 1900 zurück. Damals wurden einige Pflanzenzüchter unabhängig voneinander auf die Arbeiten des österreichischen Botanikers Gregor Mendel aufmerksam, die schon 1866 veröffentlicht worden waren, ohne dass man jedoch ihre Bedeutung erkannt hatte. Mendel hatte sich mit Gartenerbsen beschäftigt und die Gesetzmäßigkeiten der Vererbung anhand von sieben Paaren gegensätzlicher Merkmale beschrieben, die bei verschiedenen Varianten der Erbsenpflanzen auftraten. Er beobachtete, dass die Merkmale als getrennte, voneinander unabhängige Einheiten vererbt werden. Er zog daraus den Schluss, dass jedes Elternteil Eigenschaftspaare besitzt, wobei jeweils nur eine dieser beiden Eigenschaften auf die Nachkommen weitergegeben wird. Diesen Einheiten, die Mendel beschrieb, gab man später den Namen Gene.

 

Die stoffliche Grundlage der Vererbung

Schon bald nach der Wiederentdeckung der Mendel’schen Gesetze erkannte man, dass die von Mendel beschriebenen Vererbungsprinzipien eine Parallele im Verhalten der Chromosomen während der Zellteilung aufweisen. Daraus entstand die Vermutung, Mendels Erbeinheiten, die Gene, befänden sich in den Chromosomen. Die Folge war, dass man sich eingehend mit der Zellteilung beschäftigte.

Jede Zelle entsteht durch die Teilung einer bereits vorhandenen Zelle. Alle Zellen eines Menschen gehen z. B. aus vielen aufeinander folgenden Teilungen einer einzigen Zelle hervor, nämlich der Zygote, die durch die Vereinigung von Ei- und Samenzelle entsteht. Die Zellen, die sich durch die Teilungen der Zygote bilden, sind untereinander, was den Aufbau des genetischen Materials angeht, in ihrer großen Mehrzahl völlig gleich, und ebenso gleichen sie der Zygote (vorausgesetzt, es finden keine Mutationen statt; siehe unten). Jede Zelle eines höheren Lebewesens besteht aus einer geleeartigen Masse, dem Cytoplasma, in das verschiedene kleinere Strukturen eingelagert sind. Dieses Cytoplasmamaterial umschließt einen größeren Körper, den Zellkern, der eine bestimmte Anzahl kleiner, fadenartiger Chromosomen enthält. Einfacher gebaute Lebewesen wie Bakterien haben keinen Zellkern, sondern ihr einziges Chromosom liegt frei im Cytoplasma.

Chromosomen unterscheiden sich in Größe und Form und kommen gewöhnlich paarweise vor. Die beiden Chromosomen eines solchen Paares, homologe Chromosomen genannt, sehen sich sehr ähnlich. Fast alle Zellen des menschlichen Körpers enthalten jeweils 23 solche Chromosomenpaare, bei der Essigfliege Drosophila sind es vier Paare, und das Bakterium Escherichia coli besitzt ein einziges, ringförmiges Chromosom. Wie man heute weiß, liegen in jedem Chromosom viele Gene, von denen jedes einen ganz bestimmten Platz (Locus) einnimmt.

Den Vorgang der Zellteilung, durch den eine neue Zelle mit derselben Chromosomenzahl wie in der Ausgangszelle entsteht, nennt man Mitose. Bei der Mitose spaltet sich jedes Chromosom in zwei gleiche Teile, die zu entgegengesetzten Enden der Zelle wandern. Nach der Zellteilung hat dann jede der beiden Tochterzellen dieselbe Zahl von Chromosomen und Genen wie die ursprüngliche Zelle. Alle Zellen, die durch diesen Vorgang entstehen, weisen also dasselbe genetische Material auf. Durch Mitose vermehren sich die einfach gebauten Einzeller und manche vielzelligen Arten; außerdem ist dies der Vorgang, durch den kompliziertere Lebewesen wachsen und verbrauchtes Gewebe ersetzen.

Höhere Organismen, die sich sexuell fortpflanzen, entstehen durch die Vereinigung zweier besonderer Geschlechtszellen, der Keimzellen oder Gameten. Diese werden in der Meiose gebildet, dem Teilungsvorgang der Keimzellen. Sie unterscheidet sich vor allem in einem wichtigen Punkt von der Mitose: In der Meiose wird nur ein Chromosom eines jeden Paares aus der ursprünglichen Zelle an die Tochterzellen weitergegeben. Die Gameten enthalten also jeweils nur halb so viele Chromosomen wie die übrigen Körperzellen. Wenn sich väterliche und mütterliche Gamete bei der Befruchtung vereinigen, erhält die dabei entstehende Zelle (Zygote) wieder den vollständigen, doppelten Chromosomensatz. In der Regel stammt somit von jedem Elternteil eine Hälfte des genetischen Materials.

 

Die Weitergabe der Gene

Durch die Vereinigung der Gameten kommen zwei Gensätze zusammen, die von den beiden Eltern stammen. Jedes Gen – d. h. jede abgegrenzte Stelle auf einem Chromosom, die ein bestimmtes Merkmal beeinflusst – liegt also in zwei Exemplaren vor – eines stammt von der Mutter und das andere vom Vater (Ausnahmen von dieser Regel werden im Abschnitt über Geschlecht und Geschlechtskopplung beschrieben; siehe unten). Diese beiden Gene liegen in den Chromosomenpaaren der Zygote jeweils an der gleichen Stelle. Sind die beiden Genkopien genau gleich, bezeichnet man das Lebewesen als homozygot für dieses Gen. Wenn sie sich aber unterscheiden, d. h. wenn jeder Elternteil eine andere Variante (Allel) des gleichen Gens zur Verfügung gestellt hat, nennt man den Organismus heterozygot. Im genetischen Material eines Lebewesens sind beide Allele vorhanden, aber wenn eines davon dominant ist, prägt sich das andere nicht aus. Wie jedoch bereits Mendel nachwies, kann dieses zweite, rezessive Merkmal in späteren Generationen wieder zum Vorschein kommen (nämlich bei Individuen, die für dieses Allel homozygot sind).

Ein Beispiel ist die Fähigkeit, Pigmente in Haut, Haaren und Augen zu bilden; sie ist abhängig von einem bestimmten Allel (A), und ihr Fehlen, Albinismus genannt, entsteht durch ein anderes Allel (a) des gleichen Gens. (Der Übersichtlichkeit halber bezeichnet man Allele oft mit einem einzelnen Buchstaben; dominante Allele werden dabei groß, rezessive klein geschrieben.) A ist in seiner Wirkung dominant, a ist rezessiv. Deshalb haben heterozygote Menschen (Aa) ebenso wie homozygote (AA) für das Pigmentierungsallel eine normale Haut- und Haarfarbe. Wer jedoch für das Allel, das zum Fehlen des Pigments führt, homozygot ist (aa), wird zum Albino. Bei zwei heterozygoten Eltern (Aa) besteht für jedes Kind eine Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent, homozygot AA zu sein. Die Wahrscheinlichkeit für den heterozygoten Zustand Aa beträgt 50 Prozent, und für die homozygote Kombination aa ist sie wiederum 25 Prozent. Nur Personen mit der Allelkombination aa sind Albinos. Für jedes Kind besteht also eine Chance von 25 Prozent, vom Albinismus betroffen zu sein. Das heißt aber nicht unbedingt, dass in einer solchen Familie ein Viertel der Kinder Albinos sind. Im genetischen Material der heterozygoten Nachkommen werden beide Allele weitergetragen; die Gameten dieser Personen tragen jeweils eines der beiden Allele. Man unterscheidet zwischen der äußerlichen Erscheinung eines Lebewesens und den Genen bzw. Allelen, die es in sich trägt. Die beobachtbaren Eigenschaften machen den Phänotyp eines Lebewesens aus, die genetische Ausstattung bildet den Genotyp.

Nicht immer ist ein Allel dominant und das andere rezessiv. Die Wunderblume kann z. B. rote, weiße oder rosafarbene Blüten haben. Pflanzen mit roten Blüten besitzen zwei Exemplare des Allels R für die rote Blütenfarbe, d. h., sie sind homozygot RR. Solche mit weißen Blüten haben das Allel r für die weiße Färbung und sind demnach homozygot rr. Blumen mit je einem der beiden Allele, also mit der heterozygoten Kombination Rr, sind rosa, weil sich die Farbanteile der beiden Allele mischen.

Nur selten prägen Gene sich einfach aus, indem ein einziges Gen ein einziges Merkmal bestimmt. Viele Gene steuern mehrere Merkmale, und umgekehrt ist ein einzelnes Merkmal häufig von vielen Genen abhängig. So sind z. B. mindestens zwei dominante Gene erforderlich, damit bei der Gartenwicke das Pigment für dunkelrote Blüten entsteht. Die Wirkung eines Gens hängt also unter Umständen auch davon ab, welche anderen Gene vorhanden sind.

 

Quantitative Vererbung

Eigenschaften, die sich quantitativ ausprägen, wie z. B. Gewicht, Körpergröße oder Stärke der Pigmentierung, sind meist sowohl von vielen Genen als auch von Umwelteinflüssen abhängig. Oft sieht es so aus, als ob sich die Wirkungen mehrerer Gene addieren, d. h., jedes Gen scheint unabhängig von den anderen Genen eine geringfügige Zu- oder Abnahme zu bewirken. Angenommen, die Größe einer Pflanze wird von den vier Genen A, B, C und D bestimmt, und Exemplare mit dem Genotyp aabbccdd sind im Durchschnitt 25 Zentimeter hoch. Wenn man weiterhin unterstellt, dass jeder Austausch gegen ein Paar dominanter Allele die Durchschnittsgröße um zehn Zentimeter wachsen lässt, ist eine Pflanze mit dem Genotyp AABBccdd 45 Zentimeter groß, und ein Exemplar mit der Allelkombination AABBCCDD misst 65 Zentimeter. In der Praxis sind die Verhältnisse selten so einfach. Die einzelnen Gene tragen zum Gesamtergebnis unterschiedlich viel bei, und manche von ihnen treten untereinander so in Wechselwirkung, dass der Beitrag des einen von der Anwesenheit des anderen abhängt. Wenn quantitative Merkmale von mehreren Genen bestimmt werden, spricht man von polygener Vererbung.

 

Genkopplung und Genkartierung

Mendels Prinzip, wonach Gene, die verschiedene Eigenschaften bestimmen, unabhängig voneinander vererbt werden, gilt nur dann, wenn diese Gene auf unterschiedlichen Chromosomen liegen. Der amerikanische Genetiker Thomas Morgan und seine Mitarbeiter konnten in einer umfangreichen Versuchsreihe an Essigfliegen (die sich schnell vermehren) zeigen, dass die Gene auf einem Chromosom hintereinander aufgereiht sind und dass solche Gene eines Chromosoms auch gemeinsam vererbt werden, solange das Chromosom unversehrt bleibt. Gene, die in dieser Weise weitergegeben werden, bezeichnet man als gekoppelt.

Wie Morgan und seine Kollegen aber ebenfalls feststellten, ist die Kopplung kaum einmal vollständig. Bei manchen Nachkommen werden die typischen Genkombinationen der Eltern durcheinandergewürfelt. In der Meiose können die Chromosomen eines homologen Paares Material austauschen – ein Vorgang, den man Rekombination oder Crossing-over nennt. (Die Wirkung des Crossing-over kann man im Mikroskop als X-förmige Verbindung zwischen den beiden Chromosomen erkennen.) Das Crossing-over ereignet sich mehr oder weniger zufällig irgendwo auf der Länge der Chromosomen. Die Häufigkeit der Rekombination zwischen zwei Genen hängt also von ihrem Abstand auf dem Chromosom ab. Liegen sie relativ weit auseinander, werden sie häufig rekombiniert. Bei den Nachkommen, die aus solchen Gameten entstehen, zeigt sich das Crossing-over als neue Kombination erkennbarer Merkmale. Je mehr Rekombinationsereignisse stattfinden, desto größer ist der Anteil der Nachkommen mit neuen Merkmalskombinationen. Deshalb kann man mit entsprechend geplanten Kreuzungsexperimenten die Lageverhältnisse der Gene entlang des Chromosoms ermitteln.

In den letzten Jahrzehnten hat man bei Bakterien, einzelligen Pilzen, Viren und anderen Organismen, die in kurzer Zeit eine Riesenzahl von Nachkommen hervorbringen, auch sehr seltene Rekombinationsereignisse nachgewiesen. Damit konnte man Karten von Genen aufstellen, die sehr dicht nebeneinander liegen. Die in Morgans Labor entwickelte Methode wurde bis heute so weit verfeinert, dass man auch Abweichungen innerhalb eines einzigen Gens kartieren kann. Wie solche Karten gezeigt haben, liegen die Gene nicht nur linear hintereinander auf dem Chromosom, sondern sie sind auch selbst lineare Gebilde. Mit Hilfe seltener Rekombinanten kann man Strukturen aufspüren, die so klein sind, dass man sie auch mit den leistungsfähigsten Mikroskopen nicht erkennt.

Wie Untersuchungen an Pilzen und in jüngster Zeit auch an Essigfliegen gezeigt haben, kann Rekombination manchmal auch ohne wechselseitigen Austausch zwischen den Chromosomen stattfinden. Wenn sich in einer heterozygoten Zelle zwei unterschiedliche Formen des gleichen Gens befinden, kann eine davon "korrigiert" werden, so dass sie der anderen entspricht. Derartige Korrekturen gibt es in beiden Richtungen (das Allel A kann z. B. zu a werden oder umgekehrt). Diesen Vorgang nennt man Genkonversion. Gelegentlich machen auch mehrere benachbarte Gene gemeinsam die Genkonversion durch. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies bei zwei bestimmten Genen geschieht, ist wiederum abhängig von ihrem Abstand. Damit hat man eine weitere Methode, um die Lageverhältnisse der Gene auf den Chromosomen zu kartieren.

 

Geschlecht und Geschlechtskopplung

Einen weiteren wichtigen Beitrag zur Genetik leistete Morgan 1910: Er beobachtete Unterschiede in der Vererbung von Merkmalen nach einem Prinzip, das man heute Geschlechtskopplung nennt.

Das Geschlecht wird in der Regel durch ein einziges Chromosomenpaar bestimmt. Anomalien im endokrinen System und andere Störungen können zwar die Ausprägung der sekundären Geschlechtsmerkmale verändern, aber sie führen fast nie zu einem völligen Wechsel des Geschlechts. Frauen besitzen 23 Chromosomenpaare, wobei die Chromosomen jedes Paares sich sehr ähnlich sehen. Männer besitzen 22 Paare solcher gleichartiger Chromosomen; die beiden Chromosomen des 23. Paares sind in Größe und Aufbau sehr unterschiedlich. Die 22 Chromosomenpaare, die bei Männern und Frauen gleich sind, nennt man Autosomen, die beiden restlichen bezeichnet man bei Männern und Frauen als Geschlechtschromosomen. Die beiden gleichartigen Geschlechtschromosomen der Frau sind die X-Chromosomen; eines der männlichen Geschlechtschromosomen ist ebenfalls ein X-Chromosom, aber das andere, das viel kleiner ist, wird Y-Chromosom genannt. Wenn sich die Gameten bilden, erhält jede Eizelle, welche die Frau produziert, ein X-Chromosom, aber die Samenzellen des Mannes können entweder ein X- oder ein Y-Chromosom enthalten. Vereinigt sich nun die Eizelle, die immer ein X-Chromosom besitzt, mit einer Samenzelle, in der sich ebenfalls ein X-Chromosom befindet, entsteht eine Zygote mit zwei X-Chromosomen: Das Kind wird ein Mädchen. Trägt die befruchtende Samenzelle dagegen ein Y-Chromosom, entsteht ein Junge. In abgewandelter Form findet man dieses Prinzip bei vielen Tier- und Pflanzenarten.

Das menschliche Y-Chromosom hat etwa ein Drittel der Länge des X-Chromosoms und scheint, abgesehen von seiner Bedeutung für die Bestimmung des männlichen Geschlechts, genetisch nicht aktiv zu sein. Die meisten Gene des X-Chromosoms haben also auf dem Y-Chromosom kein Gegenstück. Diese Gene, die man als geschlechtsgekoppelt bezeichnet, werden nach einem charakteristischen Prinzip vererbt. Hämophilie (Bluterkrankeit) wird z. B. meist durch ein geschlechtsgekoppeltes rezessives Gen (h) hervorgerufen. Frauen mit dem Genotyp HH oder Hh sind gesund. Nur der Genotyp hh führt zur Krankheit. Männer sind nie heterozygot für dieses Gen, denn sie erben nur eine Kopie davon mit ihrem X-Chromosom. Ein Mann mit H ist gesund; mit h entsteht die Bluterkrankheit. Wenn ein gesunder Mann (H) und eine heterozygote Frau (Hh) Kinder haben, sind die Töchter gesund, aber die Hälfte von ihnen trägt das Gen h: Zwar hat keine von ihnen den Genotyp hh, aber die Hälfte ist heterozygot Hh. Die Söhne erben nur das Gen H oder h; deshalb erkrankt die Hälfte von ihnen an Hämophilie. Unter normalen Umständen gibt also eine weibliche Genüberträgerin die Krankheit an die Hälfte ihrer Söhne weiter, und auch die Hälfte der Töchter erhält das rezessive Gen h, so dass diese wiederum zu Überträgerinnen für die Hämophilie werden. Auch viele andere Störungen, so die Rotgrünblindheit, die erbliche Kurzsichtigkeit, die Nachtblindheit und die Ichthyose (eine Hautkrankheit) sind, wie man heute weiß, geschlechtsgekoppelt.

 

Genwirkung: DNA und der Code des Lebens

Noch 50 Jahre nachdem man die Wissenschaft der Genetik gegründet und die Gesetzmäßigkeiten der Vererbung durch Gene aufgeklärt hatte, blieben die wichtigsten Fragen unbeantwortet: Wie werden die Chromosomen und ihre Gene vervielfältigt und von Zelle zu Zelle weitergegeben, und wie steuern sie den Aufbau und das Verhalten der Lebewesen? Auf einen der ersten wichtigen Hinweise stießen die amerikanischen Genetiker George Wells Beadle und Edward Lawrie Tatum Anfang der vierziger Jahre. Bei ihren Untersuchungen an den Pilzen Neurospora und Penicillium stellten sie fest, dass Gene den Aufbau der Enzyme aus ihren chemischen Bausteinen dirigieren. Jede derartige Moleküleinheit (ein Polypeptid) wird von einem bestimmten Gen produziert. Diese Befunde lösten neue Untersuchungen zur chemischen Natur der Gene aus und trugen dazu bei, dass sich das Wissenschaftsgebiet der Molekulargenetik bildete.

Dass Chromosomen fast ausschließlich aus zwei Arten chemischer Verbindungen aufgebaut sind, nämlich aus Proteinen und Nucleinsäuren, wusste man schon lange. Die enge Verbindung von Genen und Enzymen (die Proteine sind) war einer der Gründe, warum man anfangs die Proteine für die Grundsubstanz der Vererbung hielt. 1944 konnte der kanadische Bakteriologe Oswald Theodore Avery jedoch nachweisen, dass in Wirklichkeit die Desoxyribonucleinsäure (DNA) diese Aufgabe erfüllt. Er reinigte die DNA aus einem Bakterienstamm und schleuste sie in Bakterien eines anderen Stammes ein. Damit erwarb dieser zweite Stamm nicht nur die Eigenschaften des ersten, sondern er gab sie auch an die Nachkommen weiter. Damals wusste man bereits, dass DNA aus jenen Molekülbausteinen zusammengesetzt ist, die man Nucleotide nennt. Jedes Nucleotid besteht aus einer Phosphatgruppe, einem Zucker namens Desoxyribose und einer von vier stickstoffhaltigen Basen. Diese vier Basen tragen die Namen Adenin (A), Thymin (T), Guanin (G) und Cytosin (C).

1953 gelang es den Genetikern James Dewey Watson aus den USA und Francis Harry Compton Crick aus Großbritannien, auf der Grundlage aller bis dahin gewonnenen chemischen Erkenntnisse die Struktur der DNA aufzuklären. Als man diese kannte, war auch sofort klar, wie die Erbinformation vervielfältigt wird. Wie Watson und Crick herausfanden, besteht das DNA-Molekül aus zwei langen Strängen, und diese Stränge sind ähnlich wie eine verdrehte Strickleiter in Form der berühmten Doppelhelix umeinander gewunden. Die beiden Stränge, sozusagen die Seile der Leiter, setzen sich aus abwechselnd angeordneten Phosphat- und Zuckermolekülen zusammen. Die stickstoffhaltigen Basen bilden, paarweise angeordnet, die Leitersprossen. Jede Base ist an eines der Zuckermoleküle gebunden und über Wasserstoffbrücken mit einer komplementären Base im gegenüberliegenden Strang verknüpft. Adenin bindet sich immer an Thymin, und Guanin verbindet sich stets mit Cytosin. Damit eine neue, identische Kopie des Moleküls entsteht, brauchen die beiden Stränge sich nur zu entwinden und zwischen den Basen (die nur schwach aneinander haften) zu trennen: Wenn in der Zelle freie Nucleotide vorhanden sind, können sich nun mit jedem der beiden Einzelstränge neue komplementäre Basen verbinden, so dass zwei Doppelhelices entstehen. Lautet die Abfolge (Sequenz) der Basen beispielsweise in einem Strang AGATC, enthält der neue Strang die komplementäre oder spiegelbildliche Sequenz TCTAG. Da jedes Chromosom ein einziges langes, doppelsträngiges DNA-Molekül enthält, bilden sich durch dieses Kopieren der Doppelhelix auch zwei identische Chromosomen.

Die DNA ist erheblich länger als ein Chromosom und liegt darin in dicht verknäuelter Form vor. Wie man heute weiß, erfolgt dieses Verpacken mit Hilfe winziger Proteinpartikel, der Nucleosomen, die man mit den stärksten Elektronenmikroskopen gerade noch erkennen kann. Die DNA ist um die einzelnen Nucleosomen herumgewunden, so dass sich insgesamt eine perlenkettenähnliche Struktur ergibt. Diese Kette ist dann noch weiter gefaltet, so dass die Perlen sich zu regelmäßigen Spiralen zusammenlagern. Die DNA ist also zu einer Art "Doppelwendel" gefaltet wie der Leuchtfaden einer Glühbirne.

Nach der Entdeckung von Watson und Crick blieb die Frage offen, wie die DNA für die Entstehung der Proteine sorgt, jener Verbindungen, die für alle Lebensvorgänge entscheidend sind. Proteine sind nicht nur die wichtigsten Bestandteile der meisten Strukturen in den Zellen, sondern sie steuern auch praktisch alle chemischen Reaktionen, die in Lebewesen ablaufen. Damit ein Protein als Strukturbaustein dienen oder als Enzym die Geschwindigkeit einer bestimmten chemischen Reaktion beeinflussen kann, müssen seine Moleküle eine charakteristische Form haben, und diese Form hängt ihrerseits vom Aufbau des Proteins ab. Jedes Protein besteht aus einer oder mehreren Untereinheiten, den Polypeptiden, und diese Moleküle sind aus Bausteinen zusammengesetzt, die man Aminosäuren nennt. In der Regel kommen in den Polypeptiden 20 verschiedene Aminosäuren vor. Zahl, Art und Reihenfolge der Aminosäuren in der Molekülkette bestimmen letztlich über Struktur und Funktion des Proteins, zu dem die Kette gehört.

Der genetische Code

Nachdem man wusste, dass Proteine die Produkte von Genen sind und dass jedes Gen einen Abschnitt eines DNA-Moleküls darstellt, war auch klar, dass es einen genetischen Code geben muss, durch den die Reihenfolge der Basen in den Nucleotiden der DNA die Reihenfolge der Aminosäuren in den Polypeptiden festlegt. Mit anderen Worten: Es musste einen Vorgang geben, durch den die Nucleotide die Information zur Steuerung der Proteinsynthese übermitteln. Dieser Vorgang würde erklären, wie die Gene über Form und Funktion der Zellen, Gewebe und Organismen bestimmen. Da in der DNA nur vier Typen von Nucleotiden vorkommen, während die Proteine aus 20 verschiedenen Aminosäuren zusammengesetzt sind, konnte der genetische Code nicht so aussehen, dass jeweils ein Nucleotid eine Aminosäure festlegt. Auch Kombinationen aus zwei Nucleotiden können höchstens 16 (42 = 16) Aminosäuren codieren. Der Code musste also aus Einheiten von jeweils mindestens drei Nucleotiden bestehen. Die Reihenfolge dieser Dreiergruppen, auch Tripletts oder Codons genannt, konnte die Anordnung der Aminosäuren im Polypeptid bestimmen.

Zehn Jahre nachdem Watson und Crick die DNA-Struktur beschrieben hatten, war der genetische Code aufgeklärt und wissenschaftlich bewiesen. Diesen Erfolg erreichte man u. a. durch die intensive Erforschung von Nucleinsäuren eines anderen Typs, der Ribonucleinsäuren (RNA). Wie sich nämlich herausstellte, steuert die DNA das Zusammensetzen der Polypeptide indirekt über Botenmoleküle, die man Messenger-RNA (mRNA) nannte (englisch messenger: Bote). Ein Abschnitt der DNA windet sich auseinander, und die beiden Stränge trennen sich in diesem Teilstück. Einer davon dient als Matrize für die Bildung der mRNA (bei der ein Enzym namens RNA-Polymerase mitwirkt). Der Vorgang ähnelt stark der Synthese des komplementären DNA-Stranges bei der Verdoppelung der Doppelhelix; die RNA enthält jedoch anstelle des Thymins das Uracil (U) als eine ihrer vier Basen, und das Uracil (das chemisch dem Thymin sehr ähnlich ist), verbindet sich bei der Ausbildung der komplementären Basenpaare mit Adenin. Die Sequenz Adenin-Guanin-Adenin-Thymin-Cytosin (AGATC) im codierenden Strang der DNA lässt also in der mRNA die Sequenz Uracil-Cytosin-Uracil-Adenin-Guanin (UCUAG) entstehen.

Transkription

Die Synthese eines Messenger-RNA-Moleküls an einer bestimmten DNA-Sequenz nennt man Transkription. Noch bevor sie beendet ist, löst sich der Anfang jeder mRNA von der DNA. Ein Ende des langen, dünnen mRNA-Moleküls wird in ein Ribosom "eingefädelt", ein kleines Körperchen im Cytoplasma, das nun auf der mRNA sitzt wie eine Perle auf dem Faden. Wenn sich die Ribosomen-"Perle" am RNA-Faden entlangbewegt, kann an dessen Anfang ein zweites Ribosom aufspringen usw. Mit einem sehr leistungsfähigen Mikroskop und besonderen Färbemethoden kann man solche mRNA-Moleküle mit den daranhängenden Ribosomen photographieren.

Ribosomen bestehen aus Proteinen und RNA. Eine Gruppe von Ribosomen, die durch die mRNA verbunden sind, nennt man Polyribosom oder Polysom. Während ein Ribosom an der mRNA entlangläuft, liest es den Code ab, also die Sequenz der Basen in den Nucleotiden der mRNA. Bei diesem Ablesen, Translation genannt, wirkt ein dritter Typ von RNA-Molekülen mit, die Transfer-RNA (tRNA), die an einem anderen Abschnitt der DNA gebildet wird. Auf einer Seite jedes tRNA-Moleküls befindet sich eine Stelle, an die sich eine Aminosäure anheften kann. Auf der anderen liegt ein Nucleotidtriplett, das zu einer anderen Nucleotid-Dreiergruppe (dem Codon) in der mRNA komplementär ist. Deshalb kann das Triplett der tRNA (das man auch Anticodon nennt) das Codon in der mRNA erkennen und sich daran festheften. Die Sequenz Uracil-Cytosin-Uracil (UCU) in der mRNA zieht beispielsweise das Anticodon Adenin-Guanin-Adenin (AGA) in der tRNA an.

Jedes der tRNA-Moleküle, die sich auf dem Ribosom an die mRNA heften, trägt eine Aminosäure. Die Sequenz der Codons in der mRNA bestimmt also, in welcher Reihenfolge die Aminosäuren von der tRNA zum Ribosom transportiert werden. Am Ribosom werden die Aminosäuren dann chemisch zu einer Kette verknüpft, so dass ein Polypeptid entsteht. Wenn die neue Molekülkette fertig ist, löst sie sich vom Ribosom und faltet sich zu einer charakteristischen Form, die durch die Aminosäurensequenz vorgegeben ist. Die Form eines Polypeptids und seine elektrischen Eigenschaften, die ebenfalls durch die Reihenfolge der Aminosäuren bestimmt sind, sorgen einerseits dafür, dass es entweder ein Einzelmolekül bleibt oder sich mit anderen Polypeptiden verbindet, und andererseits versetzen sie es in die Lage, innerhalb des Organismus eine ganz bestimmte Aufgabe zu erfüllen.

Bei Bakterien und Viren liegt das Chromosom frei im Cytoplasma; bei diesen Lebewesen beginnt die Translation häufig schon, bevor die Transkription (d. h. die mRNA-Synthese) abgeschlossen ist. In den Zellen höherer Organismen liegen die Chromosomen jedoch abgegrenzt im Zellkern, während sich die Ribosomen ausschließlich im Cytoplasma befinden. Hier kann die Translation der mRNA in Protein erst stattfinden, nachdem die RNA sich von der DNA gelöst hat und ins Cytoplasma gewandert ist.

Introns

Ende der siebziger Jahre machte man die unerwartete Entdeckung, dass die Gene höherer Organismen nicht fortlaufend aneinandergereiht sind. In vielen Fällen ist eine Nucleotidsequenz, die ein Polypeptid codiert, ein- oder mehrmals von nichtcodierenden Sequenzen unterbrochen. Manche Gene enthalten über 50 derartige Zwischensequenzen, die man auch Introns nennt. Bei der Transkription werden die Introns zusammen mit den codierenden Sequenzen in RNA umgeschrieben, so dass besonders große RNA-Moleküle entstehen. Anschließend werden die Abschnitte, die den Introns entsprechen, von besonderen Enzymen im Zellkern sehr exakt aus der RNA herausgeschnitten. So entsteht schließlich die mRNA, die ins Cytoplasma transportiert wird.

Ob die Introns eine Funktion haben und wenn ja, welche, weiß man nicht; es gibt allerdings Vermutungen, die Weiterverarbeitung der RNA mit dem Herausschneiden der Zwischensequenzen könne dazu beitragen, die Menge des an dem Gen gebildeten Polypeptids zu regulieren. Introns hat man auch in Genen gefunden, die besondere RNA-Moleküle codieren, z .B. die RNA-Bestandteile der Ribosomen.

Sequenzwiederholungen

Wie sich bei eingehenden Untersuchungen der DNA ebenfalls herausstellte, kommen bei höheren Organismen manche Nucleotidsequenzen vielfach wiederholt überall im genetischen Material vor. Manche dieser Sequenzwiederholungen sind mehrfache Kopien von Genen, die Polypeptide oder besondere RNA-Typen codieren. So liegen z. B. die Gene, welche die RNA-Bestandteile der Ribosomen codieren, fast immer in vielen Kopien vor. Andere Sequenzwiederholungen codieren offenbar weder Polypeptide noch RNA; ihre Funktion kennt man nicht. Manche dieser Sequenzen können innerhalb eines Chromosoms oder zwischen den Chromosomen von einer Stelle zur anderen springen. Solche Transposons oder transponierbaren Elemente können in Genen, die in der Nähe ihrer Ausgangs- oder Zielstelle liegen, Mutationen hervorrufen (siehe unten).

 

Genregulation

Nachdem man wusste, wie Proteine hergestellt werden, konnte man auch verstehen, wie Gene gezielt Wirkungen auf Struktur und Funktion eines Organismus ausüben. Damit ist aber noch nicht erklärt, wie Lebewesen sich an wechselnde Umweltbedingungen anpassen oder wie eine einzige Zygote all die verschiedenen Gewebe und Organe hervorbringt, die einen Menschen ausmachen. Die meisten Zellen in diesen Geweben und Organen enthalten genau die gleiche Genausstattung – und dennoch produzieren sie unterschiedliche Proteine. Offensichtlich sind in den Zellen jedes Gewebes und Organs einige Gene aktiv, während andere ruhen. In den einzelnen Geweben ist jeweils eine andere Kombination von Genen aktiv. Die Erklärung für die Entwicklung eines kompliziert gebauten Lebewesens muss also zum Teil in der Art liegen, wie Gene gezielt aktiviert werden.

Bei höheren Organismen sind die Mechanismen der Genaktivierung bis heute nicht vollständig aufgeklärt, aber über die entsprechenden Vorgänge bei Bakterien weiß man durch die Arbeiten der französischen Genetiker François Jacob und Jacques Lucien Monod eine ganze Menge. Neben fast jedem Bakteriengen liegt ein DNA-Abschnitt, den man als Promotor bezeichnet. Dort heftet sich die RNA-Polymerase, das Enzym für die Synthese der RNA, an die DNA und beginnt mit der Transkription. Zwischen Promotor und Gen liegt oft noch ein weiterer Abschnitt, der Operator, an den sich ein anderes Protein (der Repressor) anlagern kann. Wenn der Repressor an den Operator gebunden ist, hindert er die RNA-Polymerase daran, an der DNA entlangzuwandern und RNA zu produzieren; deshalb ist das Gen inaktiv. Bestimmte chemische Substanzen in der Zelle können aber dafür sorgen, dass der Repressor sich von der DNA löst, so dass das Gen aktiv wird. Andere Stoffe können das Ausmaß der Genaktivität beeinflussen, indem sie die Fähigkeit der RNA-Polymerase zur Bindung an den Promotor verändern. Das Repressorprotein wird von einem Gen gebildet, das man Regulator nennt.

Bei Bakterien werden häufig mehrere Gene gleichzeitig von einem Promotor und von einem oder mehreren Operatoren reguliert. Ein solches System heißt Operon. In komplizierter gebauten Lebewesen kommen Operons offensichtlich nicht vor; hier hat höchstwahrscheinlich jedes Gen sein eigenes System von Promotoren und Operatoren; auch Introns und Sequenzwiederholungen dürften eine Rolle spielen.

 

Cytoplasmatische Vererbung

Nicht nur der Zellkern, sondern auch manche anderen Bestandteile der Zelle enthalten DNA, insbesondere die Mitochondrien, kleine Körperchen im Cytoplasma, die der Energieproduktion dienen, sowie die Chloroplasten der Pflanzen, in denen die Photosynthese stattfindet. Diese Gebilde pflanzen sich selbst fort. Ihre DNA verdoppelt sich ähnlich wie die im Zellkern, und sie enthält auch Gene, die transkribiert und in Proteine translatiert werden. 1981 hat man die gesamte Nucleotidsequenz in der DNA eines Mitochondriums ermittelt; ihr genetischer Code unterscheidet sich geringfügig von dem im Zellkern.

Die Eigenschaften, die in der cytoplasmatischen DNA codiert sind, werden vielfach eher von der Mutter als vom Vater weitervererbt (beim Menschen sogar ausschließlich von der Mutter), weil Samenzellen und Pollen meist weniger Cytoplasma enthalten als die Eizelle. In manchen Fällen war eine scheinbar mütterliche Vererbung aber auf Viren zurückzuführen, die über das Cytoplasma der Eizelle von der Mutter auf die Nachkommen weitergegeben wurde.

 

Mutationen

Die Verdoppelung der DNA läuft zwar sehr präzise ab, aber völlig fehlerfrei ist sie nicht. Gelegentlich schleichen sich Fehler ein, so dass der neu gebildete DNA- Abschnitt veränderte Nucleotide enthält. Solche Fehler, Mutationen genannt, können an jeder Stelle in der DNA auftreten. Geschieht das in einer Nucleotidsequenz, die ein bestimmtes Polypeptid codiert, kann sich in diesem Molekül eine Aminosäure verändern, und durch einen solchen Wechsel können sich die Eigenschaften des betreffenden Proteins tief greifend wandeln. So unterscheiden sich z. B. die Hämoglobinmoleküle bei gesunden Menschen und bei Personen mit Sichelzellenanämie nur in einer einzigen Aminosäure. Tritt bei der Entstehung der Gameten eine Mutation auf, wird sie an die folgenden Generationen weitergegeben.

Genmutationen

Die ersten Berichte über Mutationen stammen aus dem Jahre 1901 von dem niederländischen Botaniker Hugo De Vries, einem der Wiederentdecker Mendels. Im Jahre 1929 stellte der amerikanische Biologe Hermann Joseph Muller fest, dass man die Mutationshäufigkeit durch Behandlung mit Röntgenstrahlen stark steigern kann. Wie sich später herausstellte, können auch andere Arten von Strahlung sowie hohe Temperaturen und verschiedene Chemikalien Mutationen auslösen. Ebenso steigt die Mutationshäufigkeit, wenn manche Gene (Mutator-Gene genannt) in Form bestimmter Allele vorliegen. Diese Allele verursachen offenbar in einigen Fällen Fehler in den Mechanismen, die für die Genauigkeit der DNA-Verdoppelung verantwortlich sind. Bei anderen handelt es sich möglicherweise um Transposons (siehe oben).

Die meisten Genmutationen sind für das betroffene Lebewesen schädlich, denn die Funktion komplexer Systeme wie z. B. eines Proteins wird durch Zufallsveränderungen eher beeinträchtigt als verbessert. Die Zahl der Individuen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes mutiertes Gen tragen, wird also von zwei entgegengesetzten Kräften bestimmt: Die Fortpflanzung von Individuen mit einer neuen Mutation lässt sie ansteigen – und da diese mutierten Individuen in der Regel weniger gut als ihre nichtmutierten Artgenossen in der Lage sind, zu überleben und sich zu vermehren, nimmt sie andererseits ab. In jüngerer Zeit haben menschliche Aktivitäten wie die medizinische Verwendung von Röntgenstrahlen sowie der Einsatz radioaktiven Materials und mutationsauslösender Chemikalien dazu beigetragen, dass die Zahl der Mutanten gestiegen ist.

Mutationen sind in der Regel rezessiv, so dass ihre schädliche Wirkung nur dann zum Tragen kommt, wenn zwei von ihnen in homozygoter Form zusammentreffen. Das geschieht am leichtesten durch Inzucht, die Paarung eng verwandter Lebewesen, die möglicherweise von einem gemeinsamen Vorfahren das gleiche Gen mit der rezessiven Mutation geerbt haben. Deshalb treten genetisch bedingte Erkrankungen bei Kindern, deren Eltern Cousin und Cousine sind, häufiger auf als in der Gesamtbevölkerung.

Chromosomenmutationen

Der Austausch eines Nucleotids gegen ein anderes ist nicht die einzige Art von Mutationen. Manchmal geht ein Nucleotid auch völlig verloren, oder es kommt eines hinzu. Darüber hinaus sind auch größere, deutlich zu erkennende Umordnungen in der DNA möglich, und manchmal ändern sich sogar Form und Zahl der Chromosomen. Ein Chromosomenabschnitt kann sich z. B. abspalten, umdrehen und sich verkehrt herum an derselben Stelle wieder anheften. Eine solche Veränderung nennt man Inversion. Verbindet sich der abgebrochene Abschnitt mit einem anderen Chromosom oder mit einer anderen Stelle des ursprünglichen Chromosoms, spricht man von einer Translokation. Manchmal geht ein Stück eines Chromosoms in einem homologen Paar verloren und wird von dem anderen Chromosom des Paares "eingefangen". Dann sagt man, das eine Chromosom habe eine Defizienz und das andere eine Duplikation. Defizienzen sind im homozygoten Zustand in der Regel tödlich, und das Gleiche gilt oft auch für Duplikationen. Organismen mit Inversionen und Translokationen sind in einem größeren Teil der Fälle lebensfähig. Die meisten derartigen Chromosomenumordnungen sind vermutlich die Folge von Fehlern beim Crossing-over.

Mutationen eines anderen Typs treten auf, wenn sich die beiden Chromosomen eines homologen Paares in der Meiose nicht trennen; in einem solchen Fall entstehen Gameten – und damit auch Zygoten – mit überzähligen oder fehlenden Chromosomen. Bei überzähligen Chromosomen spricht man von Trisomie, den Zustand eines fehlenden Chromosoms nennt man Monosomie. Beim Menschen verlaufen beide Defekte in den meisten Fällen tödlich. Wenn die Betroffenen überleben, leiden sie an schweren Behinderungen. Das Down-Syndrom hat seine Ursache z. B. in einer Trisomie, bei der das Chromosom Nummer 21 in drei Kopien vorliegt.

Manchmal trennt sich in der Meiose der gesamte Chromosomensatz nicht, so dass eine Gamete mit dem Doppelten der normalen Chromosomenzahl entsteht. Vereinigt sich eine solche Keimzelle mit einer zweiten, welche den normalen Chromosomensatz trägt, besitzen die Nachkommen nicht zwei, sondern drei homologe Exemplare von jedem Chromosom. Diesen Zustand mit mehreren Chromosomensätzen nennt man Polyploidie. Sie ist der einzige bekannte Mechanismus, durch den in einer einzigen Generation neue biologische Arten entstehen können. Lebensfähige, fruchtbare polyploide Organismen findet man fast ausschließlich bei zwittrigen Arten, z. B. bei den meisten Blütenpflanzen und manchen wirbellosen Tieren. Polyploide Pflanzen sind in der Regel größer und widerstandsfähiger als ihre normalen, diploiden Vorfahren. Auch beim Menschen kommen manchmal polyploide Feten vor, aber sie sterben schon in einem frühen Stadium der Schwangerschaft und werden als Fehlgeburt abgestoßen.

 

Gene in Populationen

Die Populationsgenetik, die sich mit der Ausbreitung der Gene in Populationen von Lebewesen beschäftigt, erhielt ihre solide wissenschaftliche Grundlage durch die Arbeiten des englischen Mathematikers Godfrey H. Hardy und des deutschen Frauenarztes Wilhelm Weinberg. Sie formulierten 1908 unabhängig voneinander ein Prinzip, das heute unter dem Namen Hardy-Weinberg-Gesetz bekannt ist. Es besagt folgendes: Wenn ein Gen auf einem Autosom in einer Population in zwei Allelen (A und a) vorkommt, wobei die Häufigkeit ihres Auftretens (dezimal ausgedrückt) p und q beträgt (p + q = 1), und wenn zudem die Paarung zwischen den Individuen im Hinblick auf dieses Gen zufällig erfolgt, dann treten die Genotypen AA, Aa und aa nach einer Generation mit den Häufigkeiten p2, 2pq, und q2 auf. Anschließend bleiben diese Häufigkeiten von Generation zu Generation konstant, solange keine Störungen auftreten. Jede Änderung, die auf entwicklungsgeschichtlichen Wandel hinweist, muss also auf Störungen zurückgehen. Solche Störungen sind z. B. Mutationen, natürliche Selektion, Populationswanderungen und Paarungen innerhalb sehr kleiner Populationen, bei denen bestimmte Allele zufällig verloren gehen, sowie Gendrift.

Vielen Hinweisen zufolge sind die meisten Populationen genetisch weitaus variabler, als man zunächst angenommen hatte. Wie man aus Untersuchungen an den Polypeptidprodukten der Gene weiß, ist die Häufigkeit der genetischen Varianten bei einem Drittel von ihnen höher, als man es aufgrund des Gleichgewichts zwischen ihrer Entstehung durch Mutationen und dem Selektionsnachteil der Mutanten erwarten sollte. Das führte zu einem erheblichen Interesse an der Frage, wie unterschiedliche Allele aktiv im Gleichgewicht gehalten werden, so dass keines von ihnen das andere verdrängt. Ein solcher Ausgleichsmechanismus besteht darin, dass heterozygote Individuen häufig besser lebensfähig sind als homozygote. Ein weiterer Mechanismus, frequenzabhängige Selektion genannt, beruht auf dem relativen Überlebensvorteil seltener Varianten, beispielsweise in Populationen, die von natürlichen Feinden dezimiert werden. Feinde konzentrieren sich oft auf die häufigste Variante und beachten seltenere Formen nicht. Eine Abweichung kann also vorteilhaft sein, solange sie selten ist, aber sie verliert diese bevorzugte Stellung, wenn ihre Verbreitung durch die natürliche Selektion zunimmt. Jetzt töten die natürlichen Feinde auch die zuvor begünstigte Variante, bis sich in der Population zumindest ein Gleichgewicht zwischen den Allelen einstellt. Ähnlich wirken häufig auch Parasiten: Sie spezialisieren sich jeweils auf die häufigste Variante ihres Wirtsorganismus und sorgen so für die Aufrechterhaltung der genetischen Vielfalt in den Populationen dieser Art.

 

Vererbung beim Menschen

Die meisten körperlichen Eigenschaften der Menschen werden sowohl von mehreren genetischen Faktoren als auch von der Umwelt beeinflusst. Bei manchen Merkmalen, z. B. bei der Körpergröße, ist der genetische Anteil relativ hoch. Andere, so das Körpergewicht, werden zu einem großen Teil von der Umwelt bestimmt. Wieder andere Merkmale, beispielsweise Blutgruppen sowie Antigene, die für die Abstoßung verpflanzter Organe verantwortlich sind, beruhen offenbar ausschließlich auf genetischen Faktoren: Man kennt keinen Umwelteinfluss, durch den sich diese Eigenschaften ändern könnten. Die Transplantationsantigene hat man in jüngerer Zeit besonders eingehend untersucht, weil sie medizinisch von großem Interesse sind. Die wichtigsten derartigen Proteine werden von einer Gruppe gekoppelter Gene produziert, die unter dem Namen HLA-Komplex bekannt ist. Diese Gene bestimmen nicht nur darüber, ob der Organismus ein transplantiertes Organ annimmt oder abstößt, sondern sie spielen auch für die Abwehrkräfte des Körpers gegenüber verschiedenen Krankheiten eine Rolle (z. B. gegen Allergien, Diabetes und Arthritis).

Auch die Anfälligkeit für andere Krankheiten hat einen wichtigen genetischen Anteil. Zu diesen Krankheiten gehören Schizophrenie, Tuberkulose, Malaria, mehrere Arten von Krebs, Migräne und Bluthochdruck. Viele seltene Krankheiten entstehen durch rezessive Gene, und einige werden auch von dominanten Genen verursacht.

Die Identifizierung und Untersuchung von Genen ist einerseits von großem Interesse für Biologen, andererseits ist sie aber auch medizinisch bedeutsam, wenn ein bestimmtes Gen mit einer Krankheit zu tun hat. Das menschliche Genom umfasst etwa 50 000 bis 100 000 Gene, und ungefähr 4 000 davon könnten zu Krankheiten beitragen. Mit einem weltweiten Forschungsprogramm, dem Human-Genom-Projekt, versucht man seit 1990, das gesamte Erbmaterial des Menschen zu analysieren. Mit diesem Vorhaben verfolgt man vor allem das Ziel, verschiedene Karten des Genoms zu erstellen und seine gesamte Nucleotidsequenz zu ermitteln. Äußerst nützlich sind dabei die neuen Methoden zur Klonierung großer DNA-Abschnitte für die weitere Analyse sowie die Automatisierung von Verfahren wie der DNA-Sequenzanalyse.

 

Christoph Barth