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Titel: Wunschloses Unglück
Autor: Peter Handke
Der Erzähler liest zufällig in der Kärntner Volkszeitung
den Vermerk, daß seine Mutter Suizid verübt hat. Er hat nach
einer gewissen Zeit das Bedürfnis über sie eine Biographie zu
schreiben, da er meint dies besser zu können wie ein unpersönlicher
Journalist. Er ist sich aber der Schwierigkeit bewußt, nicht in Kitsch
und Klischee zu verfallen:
Seine Mutter wuchs in einer ländlichen Gegend auf, wo fast noch
die Zustände zur Zeit der Leibeigenschaft herrschten. Sein Großater,
slowenischer Abstammung und Zimmermann war war einer der ersten die sich
einen gewissen Besitz erworben hatten. Doch der Gedanke etwas zu besitzen
war so befreiend für ihn, daß er noch mehr besitzen wollte,
und so sparte. Er verlor das Ersparte durch die Inflation, was ihn nicht
hinderte weiter zu sparen. Sein Sohn, als Vertreter der nächsten Generation,
investierte, und amüsierte sich mehr. Die Frauen in der Zeit hatten
aber keine Zukunft - sie waren verdammt in den Dorf zu bleiben wo sie aufgewachsen
sind - Bildung war für Frauen eine unbedeutende Nebensache. Seine
Mutter war eine sehr begabte Schülerin, und eine fröhliche Person.
Da sie ihr Vater nicht weiterlernen ließ, ging sie mit 15 von zu
Hause weg, in ein Hotel wo sie bald Hauptköchin wurde. Sie wurde umschwärmt,
genoß zum ersten Mal das Stadtleben, war sogar im Ausland. Da sie
sich nicht für Politik interessierte genoß sie den Jubel, die
Feste, beim Anschluß Österreichs an Deutschland. Sie genoß
die GEMEINSCHAFTSERLEBNISSE - selbst das automatische Arbeiten wurde sinnvoll
als Fest. Der Rhythmus artete zum Ritual aus, "Gemeinsinn geht vor Eigensinn",
so war man plötzlich überall zu Hause, hatte viele neue Bekannte.
Sie war nun zum ersten Mal stolz, weil alles was man tat irgendwie wichtig
war.In dieser Zeit wurde sie selbstständig - selbst der beginnende
Krieg brachte zuerst nur das Erlebnis von Entfernungen und einer sagenhaften
Welt. Und so verliebte sie sich in einen verheirateten Zahlmeister, leistete
ihm Gesellschaft. Er war viel älter als sie, klein, glatzköpfig.
Von ihm bekan sie auch schließlich Peter. Vor der Entbindung heiratete
sie eine UO der Deut. Wehrmacht. Sie wollte ihn nicht, brauchte aber einen
legitimen Vater. Während des Krieges lebte sie wieder auf dem Land;
mußte ihr Eigenleben aufgeben. Die Gesellschaft lebte jeden nur alles
zum Beispielnehmen vor. Nach dem Krieg fuhr sie wieder nach Berlin zu ihrem
Mann, der sich ihrer gar nicht mehr entsinnen konnte. Sie lebten aber wieder
zusammen, sie gingen aus, ihre alte Selbstständigkeit kam wieder.
Sie lebte auf, wurde aber trotzdem nichts. Sie trieb sich zwei Kinder ab.
Schließlich verläßt die Familie (2Kinder) den Ostsektor
ohne Papiere. Die Probleme mit den russischen Grenzern wendet die slowenisch
sprechende Mutter ab. Schließlich sind sie in Österreich bei
ihrer Familie. Ihr Mann wird eingestellt, sie selber bekommt ihr drittes
Kind. Die Leute im Dorf werden als unpersönliche Menschen beschrieben,
wo jede Individualität Luxus war. Die Menschen gingen in einem Gemisch
aus Tradition, Brauchtum, gue Sitten und Riten der Religion auf, waren
schließlich erwartungslos. Mehr war schon eine Art Unwesen.
Selbst zu Weihnachten überraschte man sich gegenseitig mit dem Notwendigsten
- und meinte man habe sich gerade das gewünscht. Der Mann schlug sie
mittlerweile - sie lachte ihn aus. Die Familie war arm - doch das eigenartige
ist, daß alle Menschen in der Gegend arm waren, sich trotzdem genierten.
Dieses Verhalten wurde schon den Kindern in der Schule beigebracht - die
Armut sollte reinlich und formvoll sein. Proletarier die wenigstens ein
Selbstbewußtsein entwickelt hatten gab es in dieser Gegend nicht.
Als sich schließlich moderne Haushaltsgeräte durchsetzten, war
wußte man zuerst gar nicht was man mit der Mehrzeit tun sollte. Die
Mutter jedenfalls fand langsam wieder zu sich zurück, sie las Bücher
mit Peter, lernte so über sich zu reden. Sie interessierte sich auch
zunehmends für Politik. Sie hatte weiters keine Hobbys, wurde schließlich
schwer depressiv, verstört. Schließlich fuhr sie zu einem Nervenarzt,
dieser stellte einen Nervenzusammenbruch fest, verschrieb ihr eine Medizin,
Abwechslung eine Reise. Sie fuhr nach Jugoslawien.Danach verfiel sie wieder:
Das bloße Existieren wurde zu einer Tortur. Sie dachte zwar öfters
ans Sterben, doch grauste ihr gleichzeitig davor. Kurz vor ihrem Selbstmord
schrieb sie allen ihren Angehörigen Abschiedsbriefe, besorgte sich
Schlaftabletten. Sie mischte ihre Schlaftabletten mit ihren restlichen
Antidepressiva...
Peter war schließlich stolz weil sie dazu stark genug war, sich
nicht von den Menschen, der Tradition, fertigmachen ließ, sondern
ausbrach. Da sie keine andere Möglichkeit mehr hatte wählte sie
dieses Mittel.
Diese Frauenbiographie deren literarischer Geschmack am Realismus orientiert
ist, läßt meinen daß ein avantgardistischer Autor wie
Handke, sich rückentwickelt hat. Näher betrachtet bemerkt man,
daß Handke Person und Struktur, persönliches Erzählen und
Reflexion auf Sprache als gesellschaftliche Form, auf Strukturen des Sprechens,
vom einfachen Satz bis zur literarischen Gattung verbindet, und damit eine
gewisse Dialektisierung gegeben ist.
Trotz des unpersönlichen Titels erhält die Mutter und ihr
Selbstmord Eigengewicht. Die Tatsachen sind so übermächtig, die
Mutter keine Kunstfigur. Am Ende bekennt der Erzähler, daß ihm
die sonst gewohnte "ästhetische Befreiung", die schreibende Bewältigung
zur "Kunstfigur" nicht gelungen ist.
Am Anfang hält sich Handke noch an die Muster konventionellen
biographischen Erzählens: Ort - Familie - Mutter. Dann aber reißt
der rote Faden ab, bestimmend wird der Rhythmus von Anpassung und Auflehnung:
Eigenwille/Einordnung - erste Liebe/Pflichtehe - Stolz im Elend in Berlin/Anpassung
daheim - mögliche Hauptperson einer einmaligen Geschichte/typisiertes,
klischeehaftes Leben - kleine Trostfetische/Schema bürgerlicher Lebensführung
- Lesen, Entdeckung des "Ich"/Krankheit beschädigtes, zerbrochenes
Leben - Schreiben, Selbstformulieren/der große Fall, Selbstmord.
In diesem Wechsel zeichnet sich eine ansteigende Linie der Emanzipation,
wenngleich die Linie des zerbrechenden Lebens proportional absteigt. Gleichzeitig
bringt der Erzähler gewisse Individualität in den Text ein, da
es ja seine Mutter ist. Durch diese Balance aus individuellen und verallgemeinernden
Erzählen entsteht eine Parabel. (vgl. "Kaspar" und "Das Mündel
will Vormund sein") Handke zeigt wie Sprache "Lebensform", d.h. Form des
Denkens, Handelns ist, und damit gesellschaftliche Herrschaftsform, ausgeübte
und erlittene Beherrschung ist. Hanke zeigt das indem er mit Klischees
aus der Sprache der Schulaufsätze und Werbung spielt. (die heimeligen
Beiwörter sind unheimliche Signale der sprachlichen und menschlichen
Entfremdung)
Als die Mutter zu lesen und literarisch zu vergleichen beginnt, hält
ein literarischer Vergleich ihre Situation und das Verhältnis des
Sohnes zu ihr prägnant fest: (Bsp.: Sie Heizer, Er: Rossmann; in Kafka)
Der Sohn hat ihr, wie Rossman, geholfen, spricht auch für sie, aber
alles war irgendwie erfolglos. Diese Stelle verbindet den Schlussatz "Später
werde ich genaueres schreiben", da der Sohn zum literarischen Erben gemacht
wird, da er ihr bei den literarischen Befreiungsversuchen assistiert hat,
ohne sich dabei entlastet zu fühlen.
Es ergibt sich ein funktionaler Zusammenhang zwischen Inhalt und Schreibstil:
So entsteht eine Schreibweise zwischen formalen Realismus und den nicht
zu Ende geführte Versuch auszubrechen(seitens der Mutter, bzw. des
Schreibstils). Das Werk soll weiters nicht nur Mitleid erregen, sondern
zeigt behinderte und verschüttete Möglichkeiten der Selbstverwirklichung.
Zu Problematik Realismus kontra Formalismus (arealistisch):
Die weiterentwickelten Theorien Brechts und Lukacs (Verfremdung, Weiterentwicklung
der Form) zeigen nur, daß man den Realismus im Sinne der ästhetischen
Erfassung unbedingt weiter entwickeln muß. So meint auch Handke,
daß er sich in jedem literarischem Werk neue Information, bzw. eine
Veränderung, Erweiterung seines Bewußtseins erwartet. Deswegen
ist er auch überzeugt, daß er andere Menschen ändern kann
- als Autor reichen ihm die bekannten Möglichkeiten die Welt darzustellen
nicht mehr. Aber er betont die Bedeutung der individuellen Abweichung und
Veränderung, was ihm den Vorwurf der "deutschen Innerlichkeit" eingebracht
hat. So verwischen sich schließlich die Grenzen zwischen Formalismus
und Realismus.
Wunschloses Unglück liefert ein Beispiel, daß das was sich
Realismus nennt, oft weit vom realen Anlaß entfernt ist. Der Realismus-Anspruch
besteht nicht allzu oft vor allem in feiner Übereinstimmung mit einer
vorgegebener, dogmatischen Ideologie. Und das, was schließlich formalistisch
bezeichnet und verurteilt wird, ist oft dem realen Anlaß, einer erstarrten
und doch veränderbaren, einer geschlossenen und sich öffnenden
Wirklichkeit näher.
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