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Demian - Eine Buchanalyse
1. Einleitung
Ich möchte Euch heute das Buch "Demian, die Geschichte von Emil
Sinclairs Jugend" von Hermann Hesse vorstellen. Schon als ich dieses Buch
das erste Mal las, war ich sehr begeistert. Warum, dass ist schwer zu sagen,
Tatsache ist, dass sich das Buch periodisch grosser Beliebtheit erfreut.
Besonders bei der Erstveröffentlichung war dies der Fall. Thomas Mann
erklärt dies wie folgt: "Unvergesslich ist die elektrisierende Wirkung,
welche gleich nach dem Ersten Weltkrieg der "Demian" jenes mysteriösen
Sinclair hervorrief, eine Dichtung, die mit unheimlicher Genauigkeit den
Nerv der Zeit traf und eine ganze Jugend, die wähnte, aus ihrer Mitte
sei ihr ein Künder ihres tiefsten Lebens entstanden, zu dankbaren
Entzücken hinriss."
Wenn man dieses Buch mit 26 Jahren liest, dann ist das natürlich
viel zu spät, denn dieses Buch will, unter anderem, einem auf dem
Weg der Selbstfindung helfen. Deshalb kann ich nur raten, dass ihr, solltet
Ihr es lesen wollen, dies bald tut!
Zum historischen Umfeld des Romans
Als Hermann Hesse begann "Demian" zu schreiben, tobte in Europa und
auf der ganzen Welt ein Krieg, wie er schrecklicher nicht sein konnte.
Nämlich der erste Weltkrieg. Und so schreibt Hesse denn auch in seinem
Vorspann: "Was das ist, ein wirklich lebender Mensch, das weiss man heute
allerdings weniger als jemals, und man schiesst denn auch die Menschen,
deren jeder ein kostbarer, einmaliger Versuch der Natur ist, zu Mengen
tot. Wären wir nicht noch mehr als
einmalige Menschen, könnte man jeden von uns wirklich mit einer
Flintenkugel ganz und gar aus der Welt schaffen, so hätte es keinen
Sinn mehr, Geschichten zu erzählen."
2. Hermann Hesse - Sein Leben und wie dieses Buch entstand
Hermann Hesse wurde am 2. Juli 1877 in Calw im Schwarzwald geboren.
Als Sohn eines pietistischen Missionspfarrers besuchte er das maulbronner
Seminar, trat dann in eine kaufmännische Lehre und war, seit 1904,
freier Schriftsteller. Als Gehilfe in einer Buchhandlung in Bastel tätig,
veröffentlichte Hesse seine erste grössere Arbeit: "Hinterlassene
Schriften und Gedichte". Mit seinem 1906 erschienen Werk "Unterm Rad" begann
Hesses dichterische Auseinandersetzung mit den Spannungen zwischen den
seelisch-geistigen Energien des künstlerischen Menschen und den pervertierenden
und lähmenden Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft.
Im Jahre 1911 reiste er nach Indien; ein Land, dessen Lebensphilosophie
ihn stark prägte. Während des ersten Weltkrieges beginnt er,
nachdem er sich schon zu Beginn des Krieges von der allgemeinen Kriegsbegeisterung
distanziert hat mit seinem Roman Demian, auf dessen Entstehungsgeschichte
ich jetzt ein bisschen näher eingehen möchte.
Unter dem Titel "Demian, Die Geschichte einer Jugend. Von Emil Sinclair"
erscheint der Roman im Jahre 1919 zunächst als Vorabdruck in der "Neuen
Rundschau", später beim Fischer Verlag. Entstanden ist er allerdings
schon in den Jahren 1916/17. Bei den Verhandlungen über den Druck
tritt Hesse zunächst als Sachwalter eines jungen Mannes - eben Emil
Sinclairs - auf, der diesem die Mühe des Abschreibens des Manuskriptes
abgenommen habe, damit der Todgeweihte nicht behelligt werde.
Der Dichter wird in dieser Zeit durch das Zerbrechen seiner 1904 geschlossenen
Ehe mit Maria Bernoulli gezwungen, eine Neuorientierung seiner Existenz
vorzunehmen. So hatte sich der mit dem Umzug nach Bern im Jahre 1912 versuchte
familiäre Neubeginn als vergebliche Hoffnung erwiesen. Die sich bereits
vorher abzeichnende Entfremdung Hesses von seiner Frau Maria nimmt unaufhaltsam
zu. Dazu kommt ein plötzlich auftretendes Nervenleiden seines jüngsten
Sohnes Martin. Der plötzliche Tod seines Vaters am 8. März 1916,
zu dem Hesse in den vorhergehenden Jahren eine stärkere Bindung entwickelt
hatte, löst dann eine ganz persönliche Krise aus.
Diese seelische Verfassung Hesses führt zu einer schweren Nervenkrise
die er durch Kuren in Locarno und Brunnen zu überwinden sucht. Im
Mai 1916 geht Hesse dann in das Kurhaus Sonnmatt, in dem er sich einer
psychoanalytischen Behandlung durch den Therapeuten Josef Bernhard Lang
unterzieht.
Der Roman wird, wegen den kriegsbedingten Papierverhältnissen,
erst nach dem Kriege veröffentlicht, und der unbekannte Verfasser
Emil Sinclair erhält noch im gleichen Jahr den Fontane Preis für
seine "Erstveröffentlichung". Sofort nach dem Erscheinen des Werkes
setzt ein großes Rätselraten um die Person des Verfassers ein,
zu dessen Lösung der Fischerverlag nicht beitragen kann. Im Juni 1920
schließlich wird Hesse aufgrund einer Analyse der Ähnlichkeiten
von Inhalt und Stil zwischen den bekannten Erzählungen Hesses und
dem "Demian" zum ersten Mal als dessen Autor angesprochen. Die direkte
Aufforderung an Hesse 9 Tage
später, sich zum "Demian" als seinem Werk zu bekennen, führt
dann dazu, daß Hesse schließlich die Autorschaft zwar bestätigt,
die Gründe für das Verschleiern seines Namens allerdings zunächst
verschweigt. Erst später hat er als Erklärung angeführt,
er habe das Pseudonym Emil Sinclair benutzt, "um nicht die Jugend durch
den bekannten Namen eines alten Onkels abzuschrecken". Hesse hat nach der
Preisgabe des Pseudonyms den Fontane-Preis zurückgegeben und veranlaßt,
daß die 17. Auflage unter dem Titel "Demian. Die Geschichte von Emil
Sinclairs Jugend von Hermann Hesse" erschien.
Im Erscheinungsjahr von Demian zieht Hesse schliesslich nach Montagnola
im Tessin, wo er neben dem Schreiben noch zu malen beginnt und oft in seinem
Garten arbeitet..
Hesse letzter grosser Roman "Das Glasperlenspiel" ist die grosse "Summe"
seines Lebens. Im Glasperlenspiel, einer höchsten Form der geistigen
Kombinatorik und Meditation, in der sich Musik, Mathematik, alle Künste
und Wissenschaften verbinden, wird die immer bewegliche, kaum noch greifbare
aber verpflichtende Funktion der Ordnung symbolisch gestaltet. Neben der
Leistung des Erzählers und einer Fülle von feinsinnigen, liedhaften
Gedichten stehen Hesse Tagebücher, Reiseberichte, Briefe und Betrachtungen,
in denen, trotz aller Skepsis gegenüber dem zeitgenössischen
Leben, ein kritisches Existenzverständnis spürbar wird. Bei der
Verleihung des Nobelpreises im Jahre 1946 für sein Gesamtwerk hiess
es, dass "sein inspiriertes dichterisches Schaffen in seiner kühnen
und tiefgehenden Entwicklung Ideale des klassischen Humanismus ebenso repräsentierte
wie die hohe
Kunst des Stils".
Am 9. August 1962 starb Hesse in Montagnola im Tessin, im Alter von
85 Jahren.
4. Eine Zusammenfassung des Buches
"Ich wollte ja nichts als das zu leben versuchen, was von selber aus
mir heraus wollte. Warum war das so sehr schwer?" Mit diesen Worten beginnt
"Demian". Man könnte diesen einen Satz auch als Zusammenfassung des
Buches betrachten, denn er ist für das ganze Leben Emil Sinclairs,
das Hesse in diesem Buch beschreibt, charakteristisch. Die von Hesse geschriebene
Biographie Sinclairs ist nämlich eine Suche nach dem eigenen Ich.
Und eben diese Suche macht er zum zentralen Thema seines Buches. Es ist
sehr schwer, ja für mich unmöglich, den Zauber dieses Buches,
der auch in der Sprache liegt, in einer Zusammenfassung wiederzugeben.
Sie kann also nur als Zusammenfassung der Geschichte dienen, nicht etwa
auch als Beschreibung Hesses Stiles.
Doch wie lernt man den Stil eines Autors, dessen Bücher man nicht
gelesen hat am besten kennen, wohl indem man eine Beschreibung desselben
von etwas liest, was man bereits kennt. Ich lese euch hier einen Teil aus
der 1913 geschriebenen Betrachtung "Alte Musik" vor. Hesse beschreibt Bern
auf seinem Weg, von der Schosshalde her kommend, zum Münster: "Ich
steige auf, wir fahren, aus dem erleuchteten Glasgehäuse sehe ich
nächtige Strassen breit und öde, [..] und jetzt hellere und lebendigere
Strassen, und plötzlich strahlend jenseits der hohen Brücke die
ganze Stadt im Abendglanz der Fenster und Laternen und unter der Brücke
tief und fern das Flusstal mit dem dunkel heraufspiegelnden Wasser und
den weissschaumigen Wehren.
Ich steige aus und gehe durch die Arkaden einer schmalen Gasse dem Münster
entgegen. Auf dem kleinen Münsterplatz funkelt ein Laternenlicht schwach
und kühl im nassen Steinpflaster, auf der Terrasse wehen die Kastanienbäume,
über dem rötlich erleuchteten Portal verschwindet schmal in unendlicher
Höhe der gotische Turm in die nasse Nacht. ..."
Emil Sinclair wächst als Sohn reicher Eltern in einer mittelgrossen
Stadt auf, in der er die Lateinschule besucht. Für ihn existieren
von Anfang an zwei Welten, die gute, die das Elternhaus, seine ganze Familie
und deren Freunde und Bekannte einschliesst sowie die dunkle, die verbotene,
der er alles was sich ausserhalb des Hauses und der Familie befindet, zuordnet.
Diese dunkle Welt übt eine grosse Anziehungskraft auf den kleinen
Emil aus.
Sein Leben verläuft unbeschwert, nach den Abenteuern in der schlechten,
verbotenen Welt gibt es stets die Heimkehr in die gute. Doch diese Idylle
währt nicht ewig. An einem freien Nachmittag spielt der zehnjährige
Emil mit zwei Jungen aus der Nachbarschaft, als sich plötzlich der
drei Jahre ältere Franz Kromer, ein Volksschüler, dessen ganze
Familie in schlechtem Ruf steht, zu ihnen gesellt. Er zwingt die drei Jungen
die Abfallberge am Ufer eines Flusses nach Wertsachen zu durchsuchen, die
er anschliessend einsteckt. Nach einiger Zeit beginnen Franz und die anderen
Knaben mit allerlei Schülerheldentaten und bösen Streichen zu
prahlen. Emil, der sich vor dem gewalttätigen Franz fürchtet,
hat Angst durch Schweigen aufzufallen und damit Kromers Zorn auf sich zu
lenken. So erfindet er eine Räubergeschichte zu deren Helden er sich
selbst macht. Als er danach noch bei Gott und Seligkeit schwört, dass
diese Geschichte wahr sei, ist er vollends in Kromers Hand. Dieser sagt,
dass er von dieser Geschichte gehört habe, und dass der kleine Emil
ihm 2 Mark geben müsse, wenn er nicht wolle, dass er ihn verriete.
[Vorlesen Buch Seite 16]. Zwei Mark sind für Emil so unerreichbar
wie 1000. Und so muss er für Franz Kromer ständig Arbeiten verrichten,
muss sich schikanieren lassen und sogar für ihn stehlen. Dadurch ist
er immer mehr in Kromers Hand. Er wird immer verzweifelter, kann nicht
mehr schlafen
und kränkelt die ganze Zeit. Seinen Eltern kann er natürlich
nichts sagen, er hat jetzt ja richtig gestohlen.
Eines Tages tritt ein neuer Schüler in Emils Schule ein. Er ist
der Sohn einer wohlhabenden Witwe und mehrere Jahre älter als Emil.
Dieser merkwürdige Schüler scheint viel älter zu sein als
er aussieht, auf niemanden machte er den Eindruck eines Knaben. Beliebt
ist er nicht, er nimmt nicht an den Spielen und noch weniger an den Raufereien
teil, nur sein selbstbewusster und entschiedener Ton gegen die Lehrer gefällt
den andern. Dieser Schüler heisst Max Demian.
Die beiden Knaben treffen sich eines Tages nach einer gemeinsamen Lektion
auf dem Heimweg. In dem folgenden Gespräch über die Geschichte
von Kain und Abel, die sie soeben im Unterricht gehört haben, weckt
Demian im jungen Sinclair dessen kritische Betrachtungsweise, indem er
ihm die Geschichte so erzählt wie sie seiner Ansicht nach tatsächlich
passiert war. Als sie beim Haus der Sinclairs ankommen, fragt Demian Emil
über ein verwittertes Wappen aus, das sich über der Türe
befindet. Doch Sinclair kann ihm dazu nur sehr wenig sagen. In dieser Nacht
vergisst Emil Franz Kromer und kann seit langem wieder einmal ruhig schlafen.
Eines Tages verlangt Franz von Emil, dass er seine älteste Schwester
mitnehmen solle. Für den kleinen Sinclair ist dies, als gelte es ein
Sakrileg zu begehen. Nachdem Kromer gegangen ist, stösst Demian zu
Emil. Dieser ahnt, dass etwas zwischen Emil und Franz nicht stimmt und
bringt ihn dazu, ihm alles zu erzählen.
Als Emil in den darauffolgenden Tagen nicht mehr von Kromer belästigt
wird, erfährt er von Demian, dass dieser Kromer gedroht habe, und
dass er in Zukunft von ihm wohl nicht mehr behelligt würde. Erleichtert
geht er heim und kann seinen Eltern endlich erklären warum er in den
letzten Wochen so verändert war. Voller Freude taucht Emil wieder
in das häusliche Leben ein. Alles ist wie früher, nur tief in
Emil drin hat sich etwas verändert.
Die Jahre verstreichen, ohne dass Emil wieder Kontakt mit Demian gehabt
hätte. Er sieht ihn nur manchmal und wenn sie sich begegnen ist ein
kurzes Kopfnicken alles, was sie austauschen.
Emil kommt in die Pubertät. Anfangs sind die langsam erwachenden
Gefühle des Geschlechts für ihn Feind und Zerstörer. Dieses
Geheimnis der Pubertät passt gar nicht in die umhegte Glückseligkeit
seines Kinderfriedens und so führt er das Doppelleben des Kindes,
das doch kein Kind mehr ist. In dieser Phase der Veränderung tritt
wieder Demian in Erscheinung um ihn zu führen.
Da Demians Mutter erst zwei Jahre später als üblich beschliesst,
ihn an der Konfirmation teilnehmen zu lassen, kommt es, dass die beiden
nun monatelang zusammen im Konfirmationsunterricht sind. Nach diesen Stunden
besprechen sie häufig das soeben Gehörte. Doch Demians Gedanken
sind oft fatal für Emil und drohen Begriffe in ihm umzuwerfen, auf
deren Bestehenbleiben er glaubt halten zu müssen. So auch nachdem
der Pfarrer über Golgatha gesprochen hat. Der biblische Bericht vom
Leiden und Sterben des Heilands hatte Emil seit früher Zeit tiefen
Eindruck gemacht und so verwehrt er sich Demians anderer Betrachtungsweise
dieser Geschichte. [Vorlesen Buch Seite 62]
Nach der Konfirmation fällt die Kindheit Emils in Trümmer.
Emil fühlt irgendwie, dass sein Elternhaus ihm nichts mehr auf seinem
Weg der persönlichen Entwicklung bringen kann. Es wird beschlossen,
dass er nach den Ferien in eine andere Schule und zum ersten Male von Zuhause
fortkommen soll. Und so fährt Emil, ohne seinen Freund wiedergesehen
zu haben, am Ende der Ferien in ein Schülerpensionat nach St.
Anfangs als Einzelgänger, Duckmäuser und Sonderling angesehen,
wird er bald ein berühmter, waghalsiger Kneipenbesucher. Das geht
soweit, dass sein Ausschluss aus der Schule jedem als wahrscheinlich erscheint.
Doch während er bei den anderen als ein Führer und Teufelskerl,
als schneidiger und witziger Bursche gilt, ist ihm schlecht zumute. Während
er seine Freunde durch unerhörte Zynismen belustigt und oft erschreckt,
hat er im Herzen Ehrfurcht vor allem, was er verhöhnt. Während
der Weihnachtsferien fährt er wieder nach Hause. Doch die Feiertage,
die, seit er lebte, die grossen Tage des Jahres gewesen waren, waren diesmal
nur bedrückend und verlegendmachend. Nach den Festtagen begegnet er
Demian und lädt diesen zu einer Flasche Wein ein. Doch Demian verabschiedet
sich bereits nach kurzer Zeit.
Am Ende der Ferien fährt Emil wieder zurück nach St, wo er
sein verruchtes Leben weiterführt, bis er an einem Frühlingstag
in einem Park einer jungen Dame begegnet, die ihn sehr anzieht. Sie ist
kaum älter als Sinclair, aber elegant und mit einer schönen Figur.
Plötzlich hat er wieder etwas, dem er nachstreben kann. Kein Drang
ist so tief und heftig in ihm wie der Wunsch nach Ehrfurcht und Anbetung.
Er nennt die junge Frau Beatrice. Obwohl er mit ihr nie ein einziges Wort
gewechselt hat, übt sie auf ihn sehr grossen Einfluss aus. Von einem
Tag auf den anderen bleibt er den Kneipen fern, nimmt nicht mehr an den
nächtlichen Streifzügen teil und geht wieder gern spazieren.
Diese plötzliche Bekehrung trägt ihm viel Spott ein, doch das
kümmert ihn kaum.
Emil beginnt zu malen, eines Tages malt er fast bewusstlos das Bildnis
eines jungen Mannes, der jedoch weibliche Züge aufweist. Er weiss
anfangs nicht, wen er da gemalt hat, doch nach einem Traum erkennt er in
dem Porträt seinen alten Freund Demian. Die Gesichtszüge sind
zwar nicht die selben, aber doch ähnlich. Emil entwickelt eine starke
Beziehung zu seinem Bild. Es erscheint in seinen Träumen und er betrachtet
es oft stundenlang. Er spürt, dass dieses Bild, dass diese Person
stark mit seinem Schicksal verflochten ist. Eines Tages beginnt er einen
Vogel zu malen. Dieser Vogel stammt von dem Wappen, das an seinem Elternhaus
über der Eingangstür in Stein gemeisselt ist. Emil braucht nur
einige Tage um das Bild zu vollenden. Ich zitiere: "Nun war es ein Raubvogel,
mit einem scharfen, kühnen Sperberkopf. Er stak mit halbem Leibe in
einer dunkeln Weltkugel, aus der er sich wie aus einem riesigen Ei heraufarbeitete,
auf einem blauen Himmelsgrunde." Zitat Ende. Dieses Bild schickt er, ohne
ein Wort an Demian. Die Antwort lässt auf sich warten und da Emil
mit Examen beschäftigt ist, vergisst er den Brief schnell. Eines Tages
findet er in einem seiner Schulbücher einen Zettel mit folgender Notiz:
"Der Vogel kämpft sich aus dem Ei. Das Ei ist die Welt. Wer geboren
werden will, muss eine Welt zerstören. Der Vogel fliegt zu Gott. Der
Gott heisst Abraxas." Für Emil ist es sicher, dass dieser Zettel die
Antwort Demians ist, denn niemand anders konnte von dem Vogel wissen, er
hatte das Bild niemandem gezeigt. Während einer späteren Unterrichtsstunde
erfährt er auch die Bedeutung des Wortes Abraxas. Dieser Begriff stammt
aus dem Altertum. Man kann sich den Namen etwa als den einer Gottheit denken,
welche die symbolische Aufgabe hatte, das Göttliche und das Teuflische
zu vereinigen.
Mit der Zeit verliert die Gestalt der Beatrice für ihn wieder an
Bedeutung. Sie genügt seiner Seele nicht mehr, die Zeit der Askese
ist damit, wie vorher die Zeit der Masslosigkeit, für ihn vorbei.
Emil träumt jetzt auch wieder oft und intensiv. Ein Traum der sich
immer wieder wiederholt ist folgender: Emil tritt in sein Elternhaus -
über dem Haustor leuchtet der Wappenvogel in gelb auf blauem Grund.
Im Haus kommt ihm seine Mutter entgegen, doch als sie ihn in ihre Arme
schliesst, ist sie plötzlich eine fremde Frau, die Demian und der
Person auf seinem Bild sehr ähnlich sieht.
Schliesslich neigt sich seine Gymnasialzeit ihrem Ende zu. Emil spaziert
oft in St herum. Eines Tages hört er jemanden in einer Kirche auf
der Orgel spielen. Nachdem die Musik verklungen ist, verfolgt er den Organisten
bis in eine Kneipe, wo er sich ihm gegenüber hinsetzt und ein Gespräch
mit ihm beginnt. Emil trifft sich in den darauffolgenden Wochen viel mit
dem Musiker, der übrigens Pistorius heisst. Zusammen diskutieren sie
oft und lange. Doch Emil bemerkt, dass der Lehrer und Führer, der
Pistorius für ihn ist, er für sich selbst nicht sein kann. Die
Gespräche mit Pistorius sind für Emil jedoch wichtig. Ich zitiere:
"Selten brachten sie (die Gespräche) mir etwas völlig Neues,
etwas ganz und gar Überraschendes. Alle aber, auch das Banalste, trafen
mit leisem stetigem Hammerschlag auf denselben Punkt in mir, alle halfen
an mir bilden, alle halfen Häute von mir abstreifen, Eierschalen zerbrechen,
und aus jedem hob ich den Kopf etwas höher, etwas freier, bis mein
gelber Vogel seinen schönen Raubvogel aus der zertrümmerten Weltschale
stiess." Zitat Ende. Als Emil einmal Pistorius eine Zeitlang nicht begegnet,
sucht ihn Knauer ein jüngerer Knabe auf und fragte ihn um Rat. Doch
Emil kann ihm nicht helfen und so trennen sie sich wieder. Eines Nachts
jedoch, erwacht Emil. Eine unerklärliche Unruhe treibt ihn. Er verlässt
das Haus und wandelt durch die Stadt bis er zu einem verfallenen Haus gelangt.
Er betritt es und trifft Knauer der auf den Morgen wartet um sich das Leben
zu nehmen. Er erklärt ihm, dass dieser den falschen Weg genommen habe
und schickt ihn anschliessend nach Hause. Danach trifft er Pistorius wieder.
Doch Emil fühlt, dass dieser ihm auf seinem Weg nicht mehr weiterhelfen
kann. Sinclair bemerkt, dass Pistorius in der Vergangenheit nach der Lösung
für die Zukunft sucht. Für Emil klingen die Reden seines Freundes
plötzlich wie ein "müdes Suchen unter Trümmern ehemaliger
Welten", wogegen er einen Widerwillen spürt. Und so kommt es noch
am selben Abend zu einer Trennung der beiden. Später nimmt er einen
Zettel und schreibt folgenden Satz darauf: "Ein Führer hat mich verlassen.
Ich stehe ganz im Finstern. Ich kann keinen Schritt allein tun. Hilf mir!"
Zuerst erwägt er diesen Zettel an Demian zu schicken, lässt die
Idee dann aber doch fallen.
Seine Schulzeit ist zu Ende. Er soll eine Ferienreise machen bevor er
an die Universität geht. Zu Beginn der Ferien geht er zum Haus in
seiner Heimatstadt, das einmal der Familie Demian gehört hatte. Die
neue Besitzerin weiss zwar nicht, wo die Demians jetzt wohnen, zeigt ihm
aber ein Bild von Frau Demian. Als er das Bild erblickt, bleibt ihm der
Herzschlag stehen. Die Frau, die er sieht ist die Frau aus seinem Traum!
Es gibt eine Frau, die so aussieht, wie die Züge seines Schicksals.
Bald darauf tritt er seine Reise an. Rastlos fährt er von Ort zu
Ort, immer auf der Suche nach dieser Frau. Nach ein paar Wochen bricht
er seine Suche ab und schreibt sich an der Universität ein. Doch er
ist vom wesenlosen und farbrikmässigen Unterricht enttäuscht.
Als er einmal in der Nacht durch die Strassen der Universitätsstadt
schlendert begegnet er plötzlich wieder Demian. Glücklich ihn
wieder gefunden zu haben, verbringen sie die ganze Nacht zusammen und lassen
alte Erinnerungen wieder aufleben.
Am nächsten Tag geht Emil zum Haus der Demians und trifft dort
endlich Frau Demian. Dies also ist das neue Bild, in dem sein Schicksal
sich ihm zeigt, nicht mehr streng, nicht mehr vereinsamend, nein reif und
lustvoll! Er ist an sein Ziel gekommen. Bevor Emil aber in den Garten zu
Max gehen kann, bittet Frau Demian ihn, sie Frau Eva zu nennen, so wie
das alle ihre engsten Freunde tun.
In den folgenden Wochen ist Emil ständig bei den Demians, sie reden
und diskutieren viel zusammen. Doch die friedlichen Zeiten sollen nicht
ewig währen, das merken alle und sie sprechen auch oft darüber.
Schliesslich bricht der Krieg aus. Demian und Emil werden eingezogen
und müssen an verschiedene Orte gehen. Emil erlebt den Krieg wie als
Beobachter der Dinge, die da passieren. Eines Tages hält er Wache
auf einem Gehöfte, das sie besetz haben und wird dabei von einer Granate
schwer verwundet. Als Emil wieder zu sich kommt, liegt er in einem Lazarett.
Um ihn herum liegen überall Verwundete. Den Schluss möchte ich
Euch nun noch aus dem Buch vorlesen. [Vorlesen Buch Seite 162]
6. Der "Hesse-Boom"
Sofort nach seinem Erscheinen, zunächst noch unter dem Pseudonym
Emil Sinclairs, fand der Roman eine begeisterte Aufnahme sowohl beim Publikum
wie bei der Kritik. "Demian" löste, nachdem die 17. Auflage unter
Hesses Namen erschienen ist, die zweite Welle der Hesse-Rezeption in Deutschland
aus. Der Tenor der Rezensionen ist dabei bis in die heutige Zeit immer
der gleiche geblieben. Immer hervorgehoben wurde das Einfühlungsvermögen,
die Aufrichtigkeit, die Überpersönlichkeit und der Einblick in
die Jugendpsychologie, der in diesem Buch gewährt wird. Dagegen trat
bei den meisten Besprechungen, die ich gesehen habe die sprachliche und
darstellerische Seite des Romans weitgehend zurück.
Stets wurde in den ersten Jahren nach dem Erscheinen "Demians" das in
ihm angeblich neu entworfene Menschenbild als das besondere Verdienst des
Romans hervorgehoben. Das Lob auf das Werk als "Beispiel echter Literatur
in darstellerischer Vollendung" (Stefan Zweig) blieb in dieser ersten Phase
der Hesse-Rezeption zunächst noch recht allgemein, verrät zum
Teil durchaus eine vorsichtige Kritik am Stil des Werkes, die ebenfalls
durchgängig bis heute zu beobachten ist. Die Feststellung von Mileck
fasst diese kritischen Haltungen schön zusammen: "Rein als Erzählung
ist Demian magere Kost". Das Künstliche hat also offensichtlich von
Anfang an weit weniger im Mittelpuntk des Interesses an diesem Roman gestanden
als seine inhaltliche Aussage. Der stürmische Erfolg ist daher von
Beginn an in durchaus anderen Kategorien beschrieben worden. Beispielhaft
dafür ist jene Besprechung von einem gewissen Ebenda, die nach der
Beschreibung des desolaten Zustandes der Jugend nach dem Ersten Weltkrieg,
hervorgerufen durch den Wechsel der Gesellschaftskultur und der Suche nach
einem neuen Menschenbild, die Wirkung "Demians" darstellt: "In dieser inneren
Not kam dem einen oder anderen der "Demian" in die Hände. Er las,
und es war ihm, als werde ihm eine Binde vom Auge genommen. Las und fand
- sich selber." Und weiter: "Eine Geheimlehre nicht für die Vielen,
aber für die Wesentlichen. Und die Wesentlichsten unter der neuen
Jugend waren es, die sich von diesem Buch ergriffen und in tiefster Seele
befreit fühlten, die aus ihm den Mut und die Rechtfertigung schöpften,
sie selber und nichts als sie selber zu sein."
Es ist also die scheinbar unbegrenzte Identifikationsmöglichkeit
des Lesers mit Emil Sinclair, die, die grosse Beliebtheit des Buches
ausmacht. Auch ist es, wie ich schon zu Beginn meines Vortrages sagte,
wohl dieses Element, das mich so an diesem Buch begeisterte.
Somit ist mein Vortrag zu Ende ich danke Euch fürs Zuhören.
Julian Lichtsteiner
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